OCEAN

Foto© by Jo Fischer

Ein neues Zeitalter

Einfach gibt es bei THE OCEAN nicht. War das letzte Album „Pelagial“ eine Reise von der Meeresoberfläche zum Grund der See, beschäftigt man sich 2018 erneut mit den Zeitaltern dieses Planeten. „Phanerozoic“ besteht dabei aus zwei Teilen, von denen der erste dieses, der abschließende nächstes Jahr erscheinen soll. Mastermind und Wahl-Schweizer Robin Staps steht uns zu den Hintergründen Rede und Antwort.

Gehen wir gleich mal in medias res: Warum ist euer neues Album „Phanerozoic“ nur ein Doppelalbum, wo das zugehörige Äon doch aus drei Ären besteht?

Es ist auch ein heimliches Triplealbum. Der erste Teil, den wir jetzt veröffentlichen, das Paläozoikum, besteht aus sechs Perioden und somit sechs Songs. Das Mesozoikum und das Känozoikum bestehen jeweils aus drei Perioden. Dementsprechend haben wir das Ganze auch aufgeteilt. Den zweiten Teil des Albums werden wir höchstwahrscheinlich auch auf Doppelvinyl mit je drei Songs verteilen, so dass man dann tatsächlich die Abschnitte einzeln hören kann.

Ist dir das von vornherein alles so bekannt, wie die Begrifflichkeit ist und was in den jeweiligen Erdzeitaltern so geschehen ist? Das ist kein alltägliches Wissen.
Ich habe Geografie studiert. Mit einigen Dingen bin ich daher grundsätzlich schon vertraut. Ich weiß natürlich nicht, was in jeder einzelnen Phase der Erdgeschichte passiert ist, wer darin gelebt hat und wer gestorben ist. Das habe ich mir dann auch alles angelesen.

Musikalisch und in Sachen Artwork schlägt „Phanerozoic“ die Brücke zu eurem 2007er Mammutprojekt „Precambrian“. Das Prekambrium ist das Äon vor dem Phanerozoikum. Wie kam es dazu, dass ihr euch auf dieses Album zurückbesinnt? Hat es etwas mit den Konzerten zu tun, die ihr zum zehnjährigen Jubiläum dieser Platte gespielt habt?
Es war eher umgekehrt. Wir haben uns entschlossen, diese „Precambrian“-Tour zu spielen, weil wir wussten, dass das neue Album musikalisch gewissermaßen dort anknüpft. Es ist reduzierter, im Vergleich zu „Pelagial“ vielleicht ein bisschen weniger proggy, dafür aber wieder ein bisschen härter. Deswegen ist es für mich näher an „Precambrian“ als an „Pelagial“. Andererseits ist der Gesang für den Gesamteindruck natürlich auch ziemlich prägend. Damit ist es vielleicht doch wieder näher an „Pelagial“, weil darauf auch Loïc singt und nicht der Sänger, der auf „Precambrian“ der hauptsächlich zu hören war. Insofern ist es vielleicht irgendwo dazwischen. Es ist eine schöne Brücke. Als uns klar wurde, dass es diese Nähe gibt, haben wir uns entschlossen, die Anniversary-Tour zu spielen. „Precambrian“ ist für viele Leute das Album, das sie mit THE OCEAN verbinden. Nach zehn Jahren fühlt man sich manchmal komisch dabei, solche alte Kamellen wieder auf die Bühne zu bringen. In diesem Fall hat das aber ganz gut funktioniert. Die Songs sind immer noch ziemlich zeitgemäß. Es hat daher Spaß gemacht, das Album in voller Länge zu spielen, was wir damals auch nie gemacht haben.

Wie kam es dazu, dass ihr quasi einen Schritt in die Vergangenheit gewagt habt und an den Sound von vor einer Dekade anknüpft?
Ich glaube, man bewegt sich als Künstler immer in Zyklen. Man lotet immer Extreme aus. Wenn man dann eine Sache gemacht hat, möchte man sich mit dem nächsten Album nicht noch einmal wiederholen. Bei „Pelagial“ war das auch so. In jeglicher Hinsicht ist es ein sehr extremes Album für uns gewesen. Das verkopfteste Werk und eines, bei dem wir die gesamte Musik nach einem Konzept komponiert haben. Man hatte beim Schreiben immer im Hinterkopf, dass es tiefer, schwerer und langsamer werden muss. Weil es diese Reise in die Tiefe darstellt. Die Komposition hat das natürlich extrem eingeschränkt. Dies war damals aber die Herausforderung, die ich gesucht habe. So wollte ich das aber nicht noch mal machen. Ich wollte wieder lockerer schreiben und dann am Ende überlegen, in welche Reihenfolge die Stücke gestellt werden. „Phanerozoic“ ist somit ein wenig die Antithese zu „Pelagial“.

„Pelagial“ war damals als Instrumentalalbum konzipiert, bei dem am Ende doch noch Gesang hinzugekommen ist. War das bei „Phanerozoic“ wieder so?
Dieses Album wurde geschrieben mit dem Wissen, dass Gesang in den Stücken vorkommt. Das hatte auch zur Folge, dass ich mich ein wenig zurückgehalten habe. Trotzdem neige ich dazu, Musik ziemlich zu überfrachten. Das war beim Mixen sehr interessant, weil wir in dem Prozess ganz viel wieder rausgeworfen haben. Es gibt Parts, in denen Schlagzeug, zwei Gitarren, Bass, Synthies und noch ein Cello vorkamen, die auch gut funktioniert haben, aber wo wir gemerkt haben, dass etwas nicht richtig durchkommt, Details untergehen. Wir haben dann angefangen, sukzessive einzelne Sachen herauszunehmen und zu schauen, was wirklich tragend ist und was man sich eigentlich sparen kann. Das haben wir konsequent gemacht und einiges rausgeschmissen und verdichtet. Wir waren zusammen mit Jens Bogren im Studio, dabei sind tolle Sachen herauskommen.

Lernt man mit der Zeit, auch mal loszulassen und externen Rat zuzulassen?
Das ist mit Sicherheit ein Lernprozess gewesen. Früher habe ich mir da nicht reinreden lassen wollen. Mittlerweile nehme ich den Rat von Leuten, denen ich vertraue und die einen guten Geschmack haben, gerne an und hole mir ihre Meinung ein. Jens Bogren, mit dem wir nun das zweite Mal zusammengearbeitet haben, ist so einer. Der Typ hat einfach ein gutes Gehör und ist selbst ein toller Musiker. Nicht alles was er vorgeschlagen hat, haben wir so akzeptiert. Es gab auch Streit, aber auch viele Dinge, die wir angenommen haben. Grundsätzlich müssen alle miteinander ehrlich sein und keiner darf sauer werden, nur weil es eine andere Meinung gibt. Das ist in jedem Falle ein Reifeprozess, der jetzt ganz organisch und normal ist. Früher war das nicht so. Da habe ich viel mehr exakt vorgeben, wie ich es haben wollte. Sicherlich eine Folge des Älterwerdens. Man wird älter und weiser.

Seit den letzten Alben ist das Line-up quasi runderneuert. Wie hat sich das aufs Songwriting ausgewirkt?
Das hat den gesamten Entstehungsprozess massiv beeinflusst. „Phanerozoic“ ist das erste Album, für das wir tatsächlich vor den Aufnahmen geprobt haben. Den gesamten Januar durch haben wir uns in unserem Proberaum getroffen und die Songs zusammen live zum Leben erweckt. Das war vorher nie der Fall. „Pelagial“ zum Beispiel war ein reines Studioprojekt. Das habe ich geschrieben, die Musiker haben ihre Parts gelernt und wir haben es dann einzeln aufgenommen. Erst nachdem wir das Album veröffentlicht, oder nachdem es fertig gemixt war, haben wir angefangen, das Material zu proben und live umzusetzen. Das war dieses Mal komplett anders. Ich habe zwar alles geschrieben, aber jeder hat es auf seinem Instrument eigenständig umgesetzt und ich habe dabei weniger eingegriffen. Früher habe ich zum Beispiel sämtliche Basslinien selbst geschrieben, dieses Mal stammen alle von Matthias. Dadurch hat der Bass meiner Meinung nach einen ganz anderen Charakter bekommen. Beim Schlagzeug ist es ähnlich, auch wenn ich da noch selbst noch viel programmiert habe. Paul hat das dann in seinem Stil transferiert. Paul ist eben ein super Schlagzeuger, ein super Techniker. Da weiß ich, dass ich mich darauf verlassen kann, dass etwas Gutes dabei herauskommt. Im Studio ging es dann nur noch um Details. Das Album fühlt sich dadurch viel direkter an. Im Proberaum hatten wir einige Situationen, in denen wir festgestellt haben, dass etwas live nicht so geil funktioniert. Das haben wir dann geändert und geil gemacht.

Aber zusammen aufgenommen habt ihr das Album dann am Ende nicht, richtig?
Ja, wir haben alle Instrumente einzeln eingespielt. Die Drums wurden in Island aufgenommen, alles andere in Berlin. Wir hätten bei diesem Album aber auch alles live im Studio aufnehmen können. Wir waren an dem Punkt. Am Ende haben wir uns aber doch entschieden, alles getrennt zu machen.

Die Stücke entsprechen, wie erwähnt, den einzelnen Perioden dieser Ära. Die Texte werden sich aber wahrscheinlich nicht um die Erdverschiebungen im Karbon drehen, oder?
Die Liedtitel bestehen immer aus zwei Teilen. Der erste bezieht sich auf das Erdzeitalter, der zweite auf den textlichen Inhalt. Es geht nicht ausschließlich um durch das All fliegende Meteoriten. Ein Thema, das sich wie ein roter Faden durch das Album zieht, ist Nietzsches Theorie der ewigen Wiederkehr des Gleichen. Die Idee, dass die selben Dinge sich immer wiederholen. Sowohl in der Erd- als auch in der Menschheitsgeschichte. Kontinente sind auseinandergedriftet und wieder zusammengestoßen. Es gab fünf große Massensterben, in denen 95 Prozent des Lebens ausgestorben sind, was sich dann aber immer wieder erholt hat. Das bringen wir in Verbindung mit Nietzsches These, mit der er sich auf den Hinduismus oder Buddhismus bezog. Er als abendländischer Philosoph hat das wieder aufgegriffen. Das zieht sich als roter Faden durch das Album, auch wenn jeder Song einen anderen Schwerpunkt, ein anderes Motiv hat.