PLANLOS

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Gefühl, Aggression, Wut, Trauer

Auf ihrer Homepage steht: „Totgesagte leben länger“. Und nichts könnte die aktuelle Situation von PLANLOS aus Grevenbroich bei Düsseldorf besser beschreiben: Anfang der Neunziger Jahre gegründet, als der Punk gerade überall auf der Welt seine zweite große Blüte erlebte, spielte sich die Band um Sänger Pino Avanzato aus kleinen Clubs in die durchaus größeren Hallen – und löste sich doch 2010 für viele überraschend auf. Eine Abschiedstour verstärkte den Eindruck des ewigen Band-Endes. So war es eine kleine Sensation, als vor zwei Jahren, kurz bevor die Pandemie die Welt auf links drehte, die Spiellust bei PLANLOS zurückkehrte und ihre Reunion verkündet wurde. Selbst ein hartnäckiges Virus konnte das Quartett nicht davon abhalten, es noch mal zu versuchen. Der Beweis: Das neue Album. Selbstbetitelt. Und nach Aussage von Pino das persönlichste der Bandkarriere überhaupt. Was daran so persönlich ist, erklärt uns der Frontmann mit dem einen oder anderen durchaus tiefen Einblick ins eigene Seelenleben.

Pino, warum ist die neue Platte von PLANLOS selbstbetitelt, das ist ja sonst eher bei Debütalben der Fall?

Wir haben lange nach einem passenden Namen für die Platte gesucht. Zwei, drei gefunden und die wieder verworfen. Wir waren einfach im Zweifel und irgendwie wurde kein Name der Platte und der Situation gerecht. „Planlos“ hat sich dann einfach angeboten. Es ist ja so, wir sind nach langer Zeit wieder zurück. Und alle, die uns bisher nicht kennen, sollen direkt wissen, mit wem sie es zu tun haben. Die Platte ist sehr vielfältig und spiegelt eigentlich auf den Punkt genau das, was PLANLOS schon immer ausgemacht hat.

Nämlich?
Gefühl, Aggression, Wut, Trauer. PLANLOS haben textlich schon immer die Hosen weit runtergelassen. Diesmal aber haben wir sie einfach komplett ausgezogen. Und da konnten wir nicht einfach irgendeinen Titel nehmen, der so lala daherkommt. Es musste „Planlos“ sein.

Und dieses „Planlos“ ist in der Tat textlich sehr engagiert und musikalisch extrem abwechslungsreich. Wo und wie würdest du diese Platte selbst in eurer Diskografie einordnen?
Für mich schließt die Platte einfach ganz klar an alle bisherigen Alben an. Denn es ist noch immer PLANLOS, wie man uns kennt. Nur eben musikalisch und textlich reifer, mit noch mehr Tiefgang und Nachdruck in jeglicher Richtung. Die Platte ist direkt, selbstbewusst und gleichzeitig auch die persönlichste Scheibe, die wir bisher gemacht haben. Musikalisch haben wir, glaube ich, ohnehin noch mal ganz schön zugelegt.

Dann gehen wir doch einmal auf die Texte ein. Zum Beispiel den beißenden Spott in „Die fetten Jahre“: Sind die Deutschen tatsächlich ein Land der Klagenden?
Ja, irgendwie sind wir so. Wir finden immer das Haar in der Suppe. Und wenn nicht, dann reißen wir uns schnell eins aus und platzieren es selbst. In Deutschland jammert man auf hohem Niveau.

Wann hat das angefangen?
Ich glaube, seitdem es uns zu gut geht. Und zu gut geht es unserer Generation definitiv. Und alle, die danach kommen, zählen die Erbsen noch genauer. Wir haben den Blick für die kleinen Dinge verloren. Ich versuche, mir das immer wieder bewusst zu machen. Meist klagt man nur über andere oder über irgendwelche Dinge, weil man mit sich selbst nicht zufrieden ist. Man weiß nicht mehr, was einen eigentlich zufrieden macht. Aber ich habe da meinen Weg gefunden.

Welcher Weg ist das?
Ich sehe viele Dinge nicht mehr so eng und lasse vieles auf mich zukommen. Ich nehme Sachen hin. Ich mache eine Tür auf, schaue rein – und entscheide dann. Früher habe ich viel geblockt, war ein sehr verschlossener Typ. Heute lasse ich mich auf Sachen ein. Man darf nicht alles nur verbissen und eng sehen. Das gilt auch für die Musik. Gerade im Punk sind die Leute ja oftmals sehr auf eine Richtung festgelegt und man gilt schnell als Verräter, wenn einem mal eine Melodie aus den Charts gefällt. Ich ziehe mir mittlerweile aber aus allem, was mir gefällt, etwas heraus und limitiere mich nicht. Man reduziert und bescheißt sich ja selbst, wenn man alles so eng sieht.

Was müsste passieren, damit du dich einmal beklagst? Tempolimit? Benzinsteuer? „Impfzwang“?
Ich beklage mich auch! Aber eigentlich nicht über mein Leben. Mir geht es gut – auch wenn das nicht immer so war.

Inwiefern?
Na ja, ich habe schon ein bisschen was hinter mir. Ich habe früh angefangen mit der Musik, habe nebenher in der Kneipe gearbeitet, um die Musik zu finanzieren, musste gleichzeitig aber auch mit der Musik Geld verdienen, um über die Runden zu kommen. Und letztendlich kam in beiden Fällen eben lange Zeit nicht genug Geld zusammen, um davon wirklich gut leben zu können. Überhaupt, wenn du Musik machst, um davon deinen Lebensunterhalt zu bestreiten, dann ist das nicht gut. Dann nimmt einem das die Kreativität. Bei mir hat es gedauert bis Mitte dreißig, ehe es besser wurde und ich einen festen Job hatte. Ab vierzig ging es mir dann gut. Außerdem bin ich einmal geschieden – und habe meine Tochter aus dieser Ehe nun seit zwei Jahren nicht gesehen. Das ist hart.

Das wären schon ein paar gute Gründe, um sich zu beklagen.
Ja. Und doch ist es so: Ich liebe meine Familie. Ich bin gesund. Ich habe wieder sehr viel Spaß mit der Band. Und ich bin gerade wirklich sehr zufrieden mit meinem Leben. Ich beklage mich vielmehr über Missstände, die ich mitbekomme, und über Entscheidungen, die getroffen werden. Über Ungerechtigkeit, über Dinge, die mich einfach fassungslos machen – etwa die Politik, Kindesmissbrauch, Rassismus, Verschwörungsscheiße. Und wie die Menschen im Allgemeinen miteinander umgehen. Da bekomme ich oftmals einen starken Würgereiz.

Du sprichst Rassismus an und bist selbst halber Italiener. Wie viel von diesem „Alltagsrassismus“, über den du beispielsweise im Song „Ja, ja“ singst, begegnet dir in deinem eigenen Bekannten- oder Freundeskreis?
Mich selbst hat Rassismus bisher nie wirklich hart getroffen. Aber ich bekomme oft mit, wie etwa über Ausländer oder Geflüchtete geredet oder gehetzt wird. Das Gleiche bekomme ich dann aber auch von den Ausländern mit, die über die Deutschen hetzen. Ich habe ja – wie du schon sagtest – die Luxussituation, dass ich halb Deutscher und halb Italiener bin. Für Ausländer bin ich also einer von ihnen. Und für die Deutschen auch. Da ist es ganz schön schräg mitzubekommen, wie sich beide Lager oft bekriegen, obwohl sie das Gleiche wollen. Natürlich gibt es auch die richtigen Nazis, die alles weghaben wollen, was anders ist und ihr schönes Land angeblich versaut. Denen kann ich nur sagen: Wären die Ausländer in den Sechziger-Jahren nicht gewesen, läge euer Land noch immer in Trümmern! Und würden mit einem Schlag alle Ausländer das Land verlassen, würde euer Schiff schneller sinken, als ihr von Bord springen könntet! Nein, ich bin ganz klar gegen Nazis. Deutsche oder Ausländer – Arschlöcher gibt’s auf beiden Seiten ... aber eben auch die Guten. Wir müssen es schaffen, uns die Hände zu reichen und die Arschlöcher auf beiden Seiten zu verdrängen, um gemeinsam in Harmonie leben zu können. Himmel, jetzt werde ich aber pathetisch, haha!

Es ist eben ein Thema, das wichtig ist und bei dem man auch mal pathetisch werden kann. Zumal es ein zentraler Bestandteil des Albums ist. Das Stück „Hand in Hand“ geht ja thematisch in diese Richtung.
Ja. Und es ist mein Lieblingssong von PLANLOS. Dieses Stück spiegelt die kaputte zwischenmenschliche Brücke wider. Im Grunde ist der Mensch ja einfach Mensch. Nicht mehr, nicht weniger. Religion, Hautfarbe, Nationalität – all das steht uns nur im Weg. Arschlöcher gibt es, wie gesagt, zwar überall. Aber die sind nicht die Mehrheit. Denn im Grunde wollen wir ja alle das Gleiche und müssten uns nur mal die Hände reichen und diese verdammten verbrannten Brücken gemeinsam neu aufbauen. Es ist eine Schande, wie sehr wir uns selbst im Weg stehen.

In „Il Siciliano“ erzählst du deine Geschichte?
Ja. Sie ist so gelaufen, wie ich sie singe: Mein Vater ist mit 16 Jahren nach Deutschland gekommen und hat dann meine Mutter kennen gelernt. Mein Vater war schon der typische Sizilianer mit Temperament und Standpunkten, die meiner Mutter mehr als einmal aufgestoßen sind. Sie hat es aber geschafft, meinen Vater zurechtzubiegen. Ja: Sogar so sehr, dass ich öfter mal mit offenem Mund im Türrahmen stand.

„Typisch sizilianisch“, sagst du – und sprichst Klischees an, mit denen auch du aufwachsen musstest?
Ja. Und es war nicht immer schön, zwischen diesen zwei Welten aufzuwachsen. Aber im Nachgang auch sehr lustig. Heute haben ich und mein Vater unseren Frieden miteinander gemacht. Er singt sogar zwei Zeilen in dem Song mit. Für Videos wird er auch schon mit eingeplant. Er ist heute für mich mehr Freund als Vater.

Nächstes Stück: „Bye, bye, Heimat“. Was ist das für dich, Heimat?
Heimat ist für mich da, wo ich mich wohl fühle. Ich mache das an keinem Ort fest. Es ist einfach ein Gefühl, das in mir ist. Egal wohin, wir nehmen mit, was wir sind. Natürlich fühlt man sich in der Nähe seiner Liebsten am wohlsten und würde sagen, da ist meine Heimat. Aber würden alle mitkommen, gäbe es keinen Ort oder Platz. Es muss einfach nur schön sein.

In eben diesem Song singst du vom Wunsch abzuhauen. Ich sage es mal ein wenig provokant: Du selbst bist bislang noch nicht sehr weit gekommen. Von Düsseldorf bis Grevenbroich quasi. Sind Sturm und Drang vorbei?
Der Song richtet sich eher an unseren Drummer, der das Ganze so empfunden und auch gelebt hat. Erst Grevenbroich, dann Köln, danach lange Berlin – und wieder zurück. Ich glaube, man muss sich erst selbst finden, um seine Heimat zu finden. Mein Sturm und Drang ist noch so, wie es immer war. Denn eines meiner wichtigsten Gebote lautet: Verliere nie das Kind in dir und höre nicht auf zu träumen – egal was sie dir erzählen. Ich habe nur dieses eine Leben und das gestalte ich, wie es mich glücklich macht.

Das ist wahr und sehr ehrlich. Und wo wir schon bei „ehrlich“ sind: Du singst ironisch „Konsum ist geil“. Aber mal im Vertrauen, an welchem Konsumprodukt hängt dein Herz?
An allem, was mit Musik zu tun hat, sowie an allem, was ich brauche, um meine Kreativität auszuleben zu können. Ich gehöre also genauso zur Konsumgesellschaft wie die meisten anderen auch.

Im gleichen Song erwähnst du auch Spotify. Was kommt dort für euch so raus am Ende des Jahres?
Ja, du hast recht: Auch wir sind Teil von Spotify – und finden das Konzept dieser Plattform eigentlich gut. Doch die Verteilung der Gelder lässt großen Platz für scharfe Diskussionen. Denn wie man weiß, verdient der Künstler oder die Künstlerin pro Stream gerade mal etwa 0,004 Cent. Und gerade in Zeiten von Corona, in denen es kaum möglich ist, Konzerte zu spielen, bekommen Leute, die von der Musik leben, ja ernsthafte Schwierigkeiten.

Immerhin, du boykottierst diese Plattform nicht. Musik im Stream – eine Alternative für dich?
Sagen wir mal so: Ich nutze dieses Portal und entdecke immer wieder Bands, die ich sonst nicht gefunden hätte. Natürlich gibt es eben auch bei Spotify, wie überall, die berüchtigten Schattenseiten. Aber wenn alles wieder seinen gewohnten Gang geht und man Konzerte spielen kann – und zwar so, wie wir es kennen –, dann bieten Streamingdienste auch eine Chance für viele Underdogs, Aufmerksamkeit zu bekommen.

Wie sehr bist du auf Social Media aktiv?
Ich hatte vor der Reunion von PLANLOS noch nicht mal WhatsApp ... Jetzt muss ich es aber haben. Ohne Social Media hat eine Band heutzutage einfach keine Chance mehr. Privat dagegen nutze ich sie, ehrlich gesagt, nur bedingt. Zudem ist es ja so, dass man oft mit diesem ganzen Klimbim derart beschäftigt ist und unter Druck gesetzt wird, dass das Eigentliche oftmals zu kurz kommt: Nämlich die Musik, das Kreativsein. Dieser Multimedia-Zirkus ist so zeitintensiv, dass man sich manchmal schon wachrütteln muss, um nicht zu vergessen, worum es geht.

Das Stück „Deine Welt“ sticht musikalisch und textlich extrem heraus. Es ist eine Ballade. Und wohl nicht umsonst in der Mitte der Platte platziert. Man hört, es geht um tiefe Trauer. Was ist der Hintergrund?
Dieser Song ist für meine eben erwähnte Tochter. Vermutlich die tiefste Wunde, die ich in meinem Leben davontragen musste. Es ist der emotional krasseste Song, den ich je geschrieben habe, weil ich an dieser Situation fast zerbrochen wäre. Schwieriges Thema.

Dann belassen wir es dabei und gehen noch auf „Dieses Lied“ ein. Gibt es für dich „dieses eine Lied“, das dein Leben umfasst und das am Ende immer bleibt, egal was passiert?
Da gibt es viele Lieder aus verschiedensten Richtungen. Das sind alles Lieder, die mich im Leben begleitet haben. Die bestimmte Gefühle ausgelöst haben, mich ermutigt haben, mich durch schwere Zeiten gebracht haben. Musik war schon immer ein wichtiger Teil in meinem Leben, schon bevor ich überhaupt ein Instrument in die Hand genommen habe. Musik ist mächtig.