SVALBARD

Foto© by Tim Birkbeck

Musik-Mix-Meister

SVALBARD aus Bristol existieren bereits seit 2011 und haben neben einigen Singles die Alben „One Day All This Will End“ (2015) und „It’s Hard To Have Hope“ (2018) herausgebracht, die so ziemlich alles wegblasen, was sich ihnen in Sachen (Post-)Hardcore auf der britischen Insel in den Weg stellen könnte. Nun haben Serena Cherry (voc/gt), Liam Phelan (gt/voc), Mark Lilley (dr) und Bassist Alex Heffernan ihr drittes Album veröffentlicht und den verwirrenden Mix aus Hardcore, Shoegaze, Black Metal und Rock noch weiter auf die Spitze getrieben. Serena Cherry nahm sich die Zeit, um per Skype über „When I Die, Will I Get Better?“ und den Einfluss von Corona auf das Bandleben zu sprechen.

Serena, im September ist euer neues Album erschienen. Hatte die weltweite Corona-Pandemie irgendeinen Einfluss darauf?

Nein, tatsächlich nicht, denn alle Songs waren schon aufgenommen, bevor die Corona-Krise wirklich begann. Wir haben zwei Jahre gebraucht, um die Songs zu schreiben, und aufgenommen haben wir das Album im Februar. Insofern hatte Corona keinen Einfluss auf das Album.

Habt ihr als Band oder eure Plattenfirma die Entscheidung getroffen, das Album herauszubringen, ohne dass ihr die Chance habt, es live zu promoten?
Wir haben mit unserer Plattenfirma darüber gesprochen, die Veröffentlichung zu verschieben, aber dann haben wir uns überlegt, dass sich die Leute Schallplatten während des Lockdowns intensiver anhören können, weil sie einfach mehr Zeit dafür haben. Wir hoffen also, dass die Leute die Gelegenheit nutzen, um sich wirklich mit dem Album zu beschäftigen und dann mit den einzelnen Songs vertraut sind, wenn wir im nächsten Jahr auf Tour gehen. Das Label hat sich dann unserer Argumentation angeschlossen.

Ihr habt für Januar eine Tour über mehrere Wochen im Vorprogramm von THE OCEAN angekündigt. Haltet ihr es für wahrscheinlich, dass sie wirklich stattfinden kann?
Wir haben für alle Fälle einen kompletten Backup-Plan, wenn es im Januar nicht geht. Sämtliche Konzerte wurden auch für einen Zeitpunkt in der zweiten Jahreshälfte gebucht, so dass wir auf eine Absage gut vorbereitet sind. Die Tour wird also eben früher oder später stattfinden. Ich selbst bin mir wirklich unsicher, ob Live-Shows im Frühjahr schon wieder möglich sein werden. Januar ist schon bald und scheint mir vielleicht doch etwas zu früh zu sein, aber andererseits habe ich so viel Lust, wieder live spielen zu können, dass ich mir natürlich wünsche, dass es so möglichst bald losgeht. Wir müssen einfach abwarten, bis es wieder sicher ist.

„When I Die, Will I Get Better?“ ist euer drittes Album. Fühltet ihr euch nach zwei hochgelobten Vorgängern bei den Aufnahmen besonders unter Druck gesetzt?
Ich sage jetzt einfach mal nein, denn wir sind eigentlich eine Band, die ihre Songs für sich selbst schreibt und sich nicht in erster Linie darum kümmert, was andere davon halten. Wie wir nach Meinung anderer Leute klingen sollten oder was wir tun sollten, hat uns noch nie besonders interessiert und so war der Druck von außen auch dieses Mal nicht besonders groß. Auch von Seiten unserer Plattenfirma haben wir keinerlei Vorgaben oder sonstigen Druck bekommen. Wir sind glücklich, bei einem Label zu sein, das uns alle künstlerischen Freiheiten lässt, die wir brauchen, und wir können tun, was immer wir möchten. Aber was meine Texte angeht, habe ich mich schon ein bisschen unter Druck gesetzt. Nach dem zweiten Album kamen auf den Konzerten viele Leute zu mir und wollten sich mit mir über meine Texte unterhalten und dann haben mir fremde Leute erzählt, dass meine Worte sie sehr berührt und beeinflusst haben. Das hat mich bei meinen doch sehr persönlichen Songs natürlich überrascht und daher war es jetzt mein Anspruch, das Niveau unbedingt zu halten und mich nicht zu wiederholen. Wenn ich einmal politische Songs geschrieben habe, möchte ich nicht immer wieder politische Songs schreiben müssen und auf keinen Fall wollen wir eine Band sein, die irgendwie vorhersehbar ist. Glücklicherweise mussten wir auf dem dritten Album nicht das Rezept der ersten zwei wiederholen, sondern konnten unserer Kreativität freien Lauf lassen.

Ihr habt zwei Songs im Vorfeld veröffentlicht und es stellt sich die Frage, welche grundsätzlichen Veränderungen wir erwarten dürfen?
Das klingt jetzt zwar sehr nach Klischee, aber die harten Parts sind härter und die ruhigen Parts sind weicher ausgefallen. Es ist viel mehr Dynamik in den neuen Songs und wir haben deutlich mehr cleanen Gesang aufgenommen. Auf der anderen Seite gibt es mehr Blastbeats und Heavy-Momente, nicht im klassischen Sinne, sondern eher im Sinne von mehr Chaos als bisher. Es gibt einfach viel mehr Abwechslung und ich glaube wirklich, dass wir uns als Musiker in den vergangenen Jahren ein gutes Stück weiterentwickelt haben. Ich habe mir ja das Gitarrespielen selbst beigebracht und als Autodidaktin weiß ich meistens gar nicht, was ich eigentlich spiele. Aber wenn ich die alten Songs spiele und mit den neuen vergleiche, dann stelle ich fest, dass die Komplexität meiner Leads heute um einiges höher ist als früher. Mark hat sein Schlagzeugspiel deutlich verbessert und Liam hat einige sehr coole Riffs geschrieben, so dass man die Evolution von uns als Musiker auf dem Album wirklich gut nachvollziehen kann. Wir haben uns auch getraut, noch mal ganz andere Dinge auszuprobieren und haben Songs, in denen Liam und ich viel mit Gesangsharmonien experimentieren.

Also kann man das erste Video „Open Wounds“ als typisch für das Album bezeichnen?
Ja, in gewisser Weise schon. Die schnellen Parts sind schneller und die leisen Parts sind harmonischer, so dass der Song die Richtung vorgibt, in die sich das neue Album bewegt. Darum haben wir ihn auch ausgesucht.

Wann weißt du, dass du ein Thema für einen neuen Song hast, und wie schreibst du deine Texte?
Alle Stücke auf dem neuen Album haben jeweils ein ganz bestimmtes Thema. Ich schreibe eigentlich immer über ganz kleine, unbedeutende Situationen, die ich erlebt oder beobachtet habe. Diese versuche ich dann in Beziehung zu einem größeren Ganzen zu setzen und im Rahmen sozialer Ungerechtigkeiten zu interpretieren. So bin ich schon auf unserem zweiten Album „It’s Hard To Have Hope“ vorgegangen. Aber auf dem neuen Album nehme ich häufiger eine sehr subjektive Sichtweise ein und schreibe über Dinge, die mir selbst wirklich so passiert sind. Es geht also nicht nur um die Sache als solche und warum etwas falsch ist, sondern darum, wie ich mich selbst dabei fühle. Ich wollte mit meinen Songs ganz bestimme Probleme aufzeigen und setze dabei auf die Austauschenergie, die entsteht, wenn der Hörer Dinge selbst erlebt hat, über ich in meinen Songs schreibe. Das können zum Beispiel häusliche Gewalt oder auch psychische Krankheiten sein. Zu meiner Arbeitsweise kann ich sagen, dass ich einfach jeden Tag schreibe, als eine Art von Selbstbefreiung. Ich reflektiere alles, was mich bewegt, und spreche die Dinge an, die mich dazu brachten, mich so zu fühlen.

Entstehen eure Songs um die fertigen Texte herum oder wie arbeitet ihr als Band?
Nein, wir schreiben die Musik immer zusammen, und bevor die Texte dazukommen, ist die Musik immer schon komplett fertig. Wenn ein Stück soweit ist, suche ich meinen Notizen nach Themen, die passen könnten. Als ob ich in einem Tagebuch blättere und einzelne Passagen zu einem Text zusammenfüge. Es ist für mich viel einfacher, die Wörter an einen fertigen Track anzupassen als umgekehrt. Es würde für uns als Band keinen Sinn ergeben, die Musik um einen fertigen Text herum zu basteln. Wir schreiben unsere Songs immer zusammen, wenn wir uns im Übungsraum treffen. Liam bringt häufig ein Riff mit und dann jammen wir, bis ein neues Stück entsteht. Das ist immer ein kollektiver Prozess und es ist noch nie vorgekommen, dass einer mit einem fertigen Konzept bei der Probe auftaucht und die anderen dieses nur noch nachspielen müssen.

Ihr werdet häufig als Metalband beschrieben, obwohl eher klassische Hardcore-Elemente euren Sound dominieren. Wie geht ihr mit musikalischen Schubladen um?
Das kommt ganz darauf an, mit wem von uns du dich unterhältst. Es geht uns darum, die Band als das zu sehen, was sie wirklich ist, und nicht so zu sein, wie andere das vielleicht gerne hätten. Ich selbst habe mit Hardcore nichts am Hut und kann es wirklich nicht leiden, wenn wir als Hardcore-Band bezeichnet werden. Bei dem Begriff Hardcore fühle ich mich doch sehr reduziert und muss an Bands wie KNOCKED LOOSE denken. Ich würde uns eher als Post-Metal-Band bezeichnen, aber auch nur deshalb, weil ich diejenige bin, die zu unserem Sound die Black-Metal-Elemente beisteuert. Natürlich sind wir keine Black-Metal-Band, aber es gibt diese Aspekte in unserem Sound. Wir sind eben schwer in Schubladen zu stecken. Auf der anderen Seite ist es bei uns Liam, der mit seiner Gitarre die Hardcore-Riffs beisteuert, und auch seine Schreigesang klingt sehr nach Hardcore. Ich selbst würde solche Riffs nicht schreiben, aber unsere Inspirationen kommen aus ganz unterschiedlichen Genres. Die einzige Möglichkeit, SVALBARD wirklich zu beschreiben, ist als Mixtur vieler verschiedener Musikstile.

Du selbst bist ursprünglich in der Metal-Szene verwurzelt?
Ja, ich habe in Metalbands gespielt, seit ich zwölf war, und die letzten sechs Jahre habe ich als Journalistin für ein Metal-Magazin gearbeitet. Ich liebe Power Metal und Black Metal, und weil ich epische Musik sehr mag, sind NIGHTWISH und AVANTASIA meine Lieblingsbands. Ich bin also sehr viel mehr von Metal beeinflusst als der Rest in SVALBARD. Meine Texte sind allerdings alles andere als typische Metal-Lyrics und wahrscheinlich kommt da bei mir der Hardcore-Aspekt durch, denn ich schreibe sehr persönliche und politische Texte.

Die Atmosphäre eurer Songs ist ja recht düster. Stehst du eher auf Moll-Tonarten oder gibt es in euren Songs auch Dur-Akkorde?
Ehrlich gestanden habe ich keine Ahnung. Ich bin ja für die Leads verantwortlich und spiele gar keine Akkorde. Als Autodidaktin spiele ich immer, was mir zu den Songs gerade einfällt, und habe von Musiktheorie wirklich keinen Plan. Liam könnte dir diese Frage sicherlich besser beantworten, denn er schreibt ja alle Riffs und spielt die Rhythmusgitarre. Wahrscheinlich würde er bestätigen, dass wir in unseren Songs mehr Moll- als Dur-Akkorde verwenden.

Machst du ein spezielles Stimmtraining, um die tiefen Growls hinzubekommen?
Nein. Ich singe schon seit meiner Teenagerzeit in Metalbands und da hat sich meine Stimme einfach so entwickelt. Ich habe ein paar Atemtechniken, die ich anwende, bevor ich auf die Bühne gehe, aber diese Stimme ist über die Jahre einfach zu meiner zweiten Natur geworden. Die Stimme ist einfach da. Das ist wie Fahrradfahren, man verlernt das nie wieder, wenn man es einmal kann. Wenn du auf Tour bist, gibt es allerdings einen Trick, den viele sicher nicht lesen wollen, aber wenn deine Stimme über Wochen jeden Abend Höchstleistung bringen soll, darfst du bei jeder Show nur 90% geben. Selbst wenn du die Texte mancher Songs mit besonderer Hingabe fühlst und deine Aggressionen mit voller Power herausschreien willst, musst du dich kontrollieren können und darfst nie 100% geben. Ich halte also jeden Abend ein bisschen Power zurück, denn sonst wäre die Stimme nach zwei Wochen auf Tour einfach weg.

Wenn man sich eure Platten anschaut, scheint ihr sehr viel Wert auf das Layout und verschiedene Vinylfarben zu legen?
Das stimmt, wobei wir insbesondere bei den Farben doch die Plattenfirma das letzte Wort hat. Wir machen Vorschläge, wie das Vinyl aussehen könnte, und die Plattenfirma übernimmt dann meistens einige unserer Vorschläge. Das, was am Ende produziert wird, sind zu 70% die Farbvariationen, die die Plattenfirma gerne wollte, und zu 30% unsere Ideen. Wenn es um Layout und Design der Platten geht, dann ist unser Bassist Adam, der die Band leider gerade verlassen hat, der zuständige Mann. Er ist ein fantastischer Grafikdesigner und war für die Optik der ersten Platten zuständig. Dieses Mal haben wir mit einem befreundeten Künstler zusammengearbeitet und das Artwork für unsere T-Shirts gestalte ich selbst. Wir arbeiten immer mit Leuten zusammen, denen wir vertrauen können, dass am Ende alles so aussieht, wie wir es gern hätten.

Ihr alle habt neben der Band normale Jobs. Wie schafft ihr es, unabhängig von Corona, so häufig wie möglich auf Tour zu sein?
Ja, die Band wirft natürlich nicht genug ab, um davon leben zu können, also arbeite ich im Einzelhandel, Liam ist Postbote und Mark ist im Bereich erneuerbarer Energien tätig und arbeitet auf Windfarmen. Für unsere Touren geht immer unser gesamter Urlaub drauf, so dass wir nie Ferien im klassischen Sinne machen können. Wir würden gern noch mehr touren und da ist es für uns sehr schwierig, die richtige Balance zwischen notwendiger Arbeit und der erforderlichen Zeit zum Touren zu finden. Auf der einen Seite müssen wir Geld zum Leben verdienen und auf der anderen Seite würden wir gern weniger arbeiten, um mehr touren zu können. Das ist die kniffelige Situation, in der wir uns als Band gerade befinden. Natürlich hätte es unsere Plattenfirma gern, wenn wir häufiger auf Tour gehen würden, aber sie kennen eben auch unsere Situation sehr gut und bauen keinen Druck auf.

Natürlich seid ihr mit dem neuen Album sehr zufrieden, aber welches sind deine Lieblingssongs?
Mein Lieblingssong ist „Listen to someone“ und zwar nicht nur von diesem Album, sondern von allen, die wir als Band bisher überhaupt geschrieben haben. Ich liebe die Leadgitarrenparts und die Art, wie alle Instrumente in dem Song zusammenkommen. Die sanften Parts gehen über in die Blastbeats, der Song nimmt dich mit auf eine Reise und erzählt eine Geschichte. Irgendwie verkörpert er alles, wofür die Band steht. Normalerweise ist man ja als Künstler immer sehr selbstkritisch, aber bei diesem Song habe ich wirklich keine Zweifel, dass er großartig ist. Auch „Click bait“ gefällt mir sehr gut, weil es darum geht, wie bestimmte Metal-Magazine über Frauen in der Metal-Szene berichten. Der Song ist sehr aggressiv geworden und ich kann es kaum erwarten, meine Wut live auf der Bühne herauszulassen.

Woher kommt eigentlich der Name SVALBARD? Wolltet ihr gern mal in Spitzbergen auf Tour gehen?
Wir würden gern mal in Spitzbergen spielen, aber der Name stammt aus Philip Pullmans Trilogie „His Dark Materials“, wo Svalbard einer der Schauplätze ist. Liam und ich haben beide die Bücher zur gleichen Zeit gelesen, als wir die Band gründeten, und haben dann in den Büchern geblättert, um coole Wörter für einen guten Bandnamen zu finden. Auf SVALBARD konnten wir uns dann alle gut einigen.