SVALBARD

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Auf die Fresse aus Bristol

SVALBARD supporten CULT OF LUNA und RUSSIAN CIRCLES live und sollten längst selbst weiter oben in der Running Order auftauchen. Wir sprechen mit der äußerst charismatischen und eloquenten Frontfrau Serena Cherry zwischen Stagetime und Merch-Schicht – über den Spagat zwischen Soloprojekt, Band und Job.

Serena, du bist ja nicht nur Teil von ­SVALBARD, sondern hast mit NOCTULE auch ein Soloprojekt. Was landet thematisch bei der Band, was machst du lieber solo?

Der Lockdown hat NOCTULE damals überhaupt erst möglich gemacht. Es ist ein Balanceakt gewesen und mein Soloprojekt liegt momentan aus verschiedenen Gründen auf Eis. Ich arbeite wieder in meinem normalen Job und bin auf Tour, da bleibt plötzlich keine freie Zeit mehr, um Black Metal zu schreiben. Der wirkliche Knackpunkt war aber, als ich anfing einen Großteil von NOCTULE live zu spielen. Ich versuchte, andere Musiker:innen zu finden, die das Zeug spielen, das ich geschrieben hatte. Beim Einspielen habe ich sechs verschiedene Gitarrenschichten auf die Songs gelegt, aber ich konnte nicht so einfach sechs Gitarren auf der Bühne haben. Und die beiden Live-Shows, mehr waren es nicht, waren so unglaublich zeitaufwändig und teuer und ich musste feststellen, dass es nicht leistbar ist, mit meinem Soloprojekt häufiger live aufzutreten. Bei SVALBARD schreiben wir die Musik zusammen, treffen uns zum jammen und das alles. Es ist also eine sehr demokratische Herangehensweise, bei der jeder und jede zu Wort kommt, richtige Teamarbeit und überhaupt sind SVALBARD thematisch einfach viel politischer und feministischer als NOCTULE. Bei NOCTULE kann ich mich schlicht austoben und dort sind dann auch Songs gelandet, die zu sehr Richtung Black Metal gingen – einfach, weil das mein Lieblingsgenre ist.

„So viele Schwänze in der Musikindustrie“, war die Caption, dazu das Bild eines gemalten Penis auf dem Spiegel. Das war ein Instagram-Post von dir im letzten Jahr. Nach wie vor sieht man viel zu wenig Frauen* in Bands und auf Bühnen. Was sind die Herausforderungen als Frau* in einer Metal-Band, auf Tour und im Musikalltag?
Wow, das ist ein großes Thema. Zunächst einmal: Ich bin die einzige Frau auf dieser Tour. Und es ist immer wieder seltsam, dass das so ist. Wenn ­SVALBARD auf Headliner-Tour sind, fragen wir gezielt Bands mit Frauen* als Support an – einfach, weil es unsere Entscheidung ist. Wir möchten Dinge verändern, wir möchten mehr Frauen* und non-binäre Menschen auf Bühnen sehen, also überlegen wir zusammen rum und sprechen Bands gezielt an. Meine eigenen Erfahrungen machen das auch einfach nötig. Es klingt abgedroschen, aber die Realität als Frau* in Bands und auf Tour ist einfach immer noch problematisch. Oft wird dir beim Ankommen in Venues als einzige Person nicht einmal die Hand gegeben, weil du als mitgereiste Freundin gesehen wirst, nicht als Teil einer Band. Und natürlich nutzt du Umkleiden und sanitäre Einrichtungen mit oder ziehst dich direkt auf der Behindertentoilette um, weil es keine Alternative für dich gibt. Schon allein die Tatsache, dass diese Orte freundlicher und einladender gestaltet wären, wäre ein großer Pluspunkt. Es würde die Kultur schon ein großes Stück verändern. Wie ich auf der Bühne gekleidet bin, ist auch immer wieder ein Problem. Ist es zu freizügig, bin ich der kleine Augenschmaus oder das Flittchen, ist das Shirt zu weit, fehlt der Glamour und es gibt Beschwerden, dass ich nicht sexy genug bin. Nach jedem Release zum Beispiel findet sich dasselbe Phänomen in den Kommentarspalten: bei meinen Bandkollegen gibt es Feedback zu ihrem Spiel, zur Musik selbst. Bei mir hingegen geht es dann darum, wie ich aussehe, wie fett ich bin, ob ich jetzt attraktiv bin oder hässlich. Es gibt einfach nach wie vor eine große Fetischisierung von Frauen* in Bands und es ist zynisch, dass es dann allzu oft nicht um ihre Skills als Musikerinnen geht.

Wir treffen uns hier gerade backstage während draußen RUSSIAN CIRCLES spielen, du musst gleich wieder zu deiner Schicht am Merchstand. Die großartige Silke Yli-Sirniö hat diesen Interviewtermin eingetütet, aber was müsst ihr als Band auf Tour alles selbst regeln?
Wir kümmern uns um den Merch, das Tourmanagement, also auch alles, was mit profanen Reisebuchungen, Hotels, Benzinrechnugen zu tun hat – wir haben unseren Van selbst gemietet und fahren nicht im Nightliner mit. Budgets sind auf Touren sowieso meist separat und wir sind es gewohnt, das Management selbst zu organisieren. Und natürlich hat der Brexit es nicht unkomplizierter gemacht, so dass wir jetzt immer einen Haufen Dokumente zusätzlich ausfüllen müssen. Und das regeln wir neben unserer Lohnarbeit. Zuletzt habe ich meist von neun Uhr früh bis sechst Uhr abends in meinem regulären Job in der Games-Branche gearbeitet, bin heimgekommen, habe kurz geduscht und gegessen und saß dann wieder von sieben bis Mitternacht am anderen Rechner und habe mich um SVALBARD gekümmert.

Was würdest du in drei Jahren gerne über SVALBARD lesen?
Ich würde gerne lesen, dass wir eine große Tour mit all unseren befreundeten Bands gemacht haben, die auch Frauen* dabei haben. Eine große, ausverkaufte Worldtour um die ganze Welt mit SVALBARD, EMPLOYED TO SERVE, ITHACA, PUPIL SLICER, ROLO TOMASSI, HERIOT – all die Bands, mit und an denen wir in den letzten Jahren gewachsen sind, die wir immer wieder gesehen haben, die wir lieben und mit denen für so viele Jahre ein Lernen voneinander möglich war. So viele großartige Bands mit Frauen*, mit denen wir selbst immer wieder Shows gespielt haben, mit denen uns heute eine Freundschaft verbindet. Ich würde gerne eine riesige Tour machen – zehn Bands, alle mit Frauen* – die zusammen spielen, um diese Erfahrung zu teilen. Wir starten natürlich in meinem Lieblingsland Japan und essen den ganzen Tag Nudeln.