DROPKICK MURPHYS

Mit "Sing Loud, Sing Proud!" haben die DROPKICK MURPHYS, derzeit Bostons erfolgreichster Export in Sachen Punk goes Oi! goes Folk, ihr neues Album raus, das noch stärker als in der Vergangenheit auf folkige Einsprengsel setzt und damit gewaltig punkten kann. Schon Wochen vor der Veröffentlichung des Albums waren die Herren von der Eastcoast, die mittlerweile zum Septett angewachsen sind, mit den neuen Songs auf Tour, und da wir praktischerweise schon vorab eine Kopie des Albums bekommen hatten, bot es sich an, Al Barr und Ken Casey ein paar Fragen zum Stand der Dinge zu stellen.

Euer Cover von "The wild rover" auf dem neuen Album hat mich verstört: seid ihr euch dessen bewusst, dass es mit "An der Nordseeküste" von Klaus & Klaus eine ganz schlimme deutsche Version davon gibt?


Al: Jaja, das haben wir schon gehört, aber wir wussten das nicht. Vielleicht ist das ja unsere Chance, endlich unseren ersten Hit in Deutschland zu landen.
Ken: Im Original ist das ein traditionelles irisches Volkslied. In den USA ist das ziemlich bekannt, das wird viel gesungen und wurde schon von unzähligen Bands gespielt.

Mein Eindruck des neuen Albums ist generell, dass es "folkiger" ausgefallen ist als der Vorgänger. Würdet ihr dem zustimmen?

Ken: Durchaus! Wir haben ja auch neue Leute in der Band, die sowohl auf der Platte wie auch live mit den entsprechend "folkigen" Instrumenten dabei sind. Früher waren die Folk-Einflüsse eher verhalten, jetzt sind sie stärker und auch live deutlich zu hören, und das liegt eben daran, dass die Leute jetzt zur festen Besetzung zählen. Ich würde sagen, wir haben unseren Sound nicht geändert, sondern vielmehr ein neues Element hinzugefügt.

War das eine bewusste Entscheidung?


Ken: Das war eine natürliche Weiterentwicklung, das hat sich so ergeben.
Al: Wir hatten immer das Problem, dass wir zwar Freunde überreden konnten, mit uns ins Studio zu gehen, aber da die alle "richtige" Jobs hatten, konnten die natürlich nie mit auf Tour gehen kann geschweige denn überhaupt jemals einen Fuß in einen Punk-Club setzen. Joe Delaney, der Dudelsackspieler von den ersten beiden Platten etwa, ist ein sehr netter Kerl, aber mit Punk hat der nichts am Hut. Mit unseren "Neuen" haben wir jetzt Leute gefunden, die sowohl im Punk wie im Folk zuhause sind, und das funktioniert jetzt sehr gut, sowohl live wie auf Platte.

Mir gefällt diese Entwicklung, denn es setzt die DROPKICK MURPHYS von der Masse der Oi!- und Streetpunk-Bands ab. Es gibt nichts langweiligeres als Bands, die sich selbst kopieren respektive kein Stück über die Grenzen ihres Genres hinaus blicken.

Al: Uns würde das auch langweilen, denn jeder Musiker will doch eigentlich sein Bestes geben. Klar, jede Band ist der Meinung, ihre jeweils neueste Platte sei auch ihre beste, aber wir sind diesmal wirklich überzeugt, einen Schritt weitergekommen zu sein. Wir wollen Musik machen, die für uns interessant ist, und wir hoffen, dass das dann auch für unser Publikum interessant ist.

Meint ihr, ihr könnt mit diesem verstärkten Folk-Einsatz ein neues Publikum gewinnen? Folk-Rock, wenn ich das mal so nennen darf, erfreut sich ja gerade auch in Deutschland großer Beliebtheit.


Ken: Als wir anfingen mit Dudelsack und so aufzutreten, war unser Stammpublikum begeistert und ermutigte uns, noch mehr in diese Richtung zu gehen. Von daher denke ich nicht mal, dass wir jetzt bewusst ein neues Publikum ansprechen, sondern unseren bisherigen Fans mehr von dem geben, was sie an uns mögen. Gleichzeitig sind wir damit vielleicht auch für ein "normales" Publikum hörbarer geworden. Ein Beispiel, das zwar blöd klingen mag, aber als Beweis taugt: Mein Vater und meine Mutter haben sich früher nie unsere Platten angehört, aber die neue finden sie plötzlich "hörbar". Das ist jetzt kein Argument für oder gegen die neue Platte, sondern einfach unsere Entwicklung. Ausserdem ist es immer gut ein paar Songs auf der Platte zu haben, die man als Jugendlicher seinen Eltern vorspielen kann, wenn die wissen wollen, zu welchem Konzert man gehen will...
Al: Es ist sowieso klasse, wie viele erstaunte Gesichter es gibt, wenn wir "The Wild Rover" spielen: das kennen viele der Kids von ihren Eltern, die können gar nicht glauben, dass eine Punkband sowas covert.
Ken: Wir haben unseren Stil also nicht von heute auf morgen verändert, sondern ganz allmählich. Andererseits nehmen die Leute auch eher das wahr, was aussergewöhnlich ist und nicht die Normalität. Die Normalität ist, dass sieben oder acht der Songs auf dem Album straighte Punk-Songs sind. Und so können auch die Leute, die mit Folk nichts anfangen können, zufrieden sein.

Mal im Ernst: war das euer Ziel bzw. kann es das Ziel einer Punkband sein, Platten zu machen, die auch die eigenen Eltern mögen?

Ken: Ich denke, bei den meisten Bands ist das Gegenteil der Fall. Aber unsere Familien sind schon immer zu unseren Konzerten gekommen.
Al: Unsere Familien sind uns schon immer wichtig gewesen, also ist das kein Argument. Ausserdem ist unsere Herangehensweise ja nicht so, dass wir uns überlegen, wem wir mit diesem oder jenem Song gefallen wollen. Und doch: "Sing Loud, Sing Proud!" ist ein reiferes Album als die bisherigen, freilich eines, mit dem auch unsere alten Fans leben können. Wir sind uns selbst treu geblieben. Ich glaube sowieso, dass keine "echte" Band sich bewusst dafür entscheiden kann, von einer Platte zur anderen einen krassen Stilwechsel zu vollziehen, um ein anderes Publikum zu gewinnen. Das geht nur mit "Bands", die ein reines Produkt ihrer Plattenfirma sind und die mit einem bestimmten Image ausgestattet werden. Ich glaube, wir sollten in Zukunft verstärkt an unseren Tanzschritten arbeiten, hehe.

Letzte Frage zum Thema Folk: Wenn man es in Deutschland mit irisch angehauchter Folk-Musik zu tun bekommt, dann auch mit einem grauenhaften Publikum vom met-trinkenden, kiffenden Hippies - so zumindest habe ich meine POGUES-Konzerte in den Achtzigern in Erinnerung.

Ken: Ich glaube, da unterscheidet sich das Publikum in den USA und in Deutschland, wobei man sagen muss, dass unsere Herangehensweise anders ist als die der POGUES: die waren eine Folkband - auch wenn Shane MacGowan einen Punk-Background hatte -, die Punkeinflüsse verarbeitete, während wir eine Punkband sind, die Folk-Einflüsse verarbeitet. Shane MacGowan hat übrigens sowohl bei "Wild Rover" wie auch bei "Good Rats" mitgesungen.

AGNOSTIC FRONT haben hier vor einer Weile gespielt, und warum auch immer tauchen bei denen regelmäßig ein paar wenige Glatzen auf, die nicht verstanden haben, dass Skinheads nicht rechts sind. Auch bei euren Konzerten ist der Skinhead-Faktor recht groß - wie geht ihr damit um, dass womöglich auch die Falschen auftauchen?

Ken: Zuerst einmal muss ich sagen, dass wir mit unserer Band in eine fremde Stadt kommen und die Leute im Publikum und ihre politische Einstellung nicht kennen. Es ist bei uns aber noch nicht vorgekommen, dass eine rechte politische Gruppierung als solche bei einem Konzert aufgetaucht wäre. Ich denke, die Leute lesen auch unsere Texte und erkennen, was unsere Einstellung ist.

Das verstehe ich ja eben nicht. AGNOSTIC FRONT äussern sich in dieser Hinsicht ganz deutlich, und trotzdem tauchen da immer ein paar rechte Idioten auf. Sind die echt so bescheuert, dass sie nicht kapieren, dass sie nicht willkommen sind?

Al: Ich nenne das immer das "Dr. Seltsam-Phänomen": manche Leute denken nicht nach, die kapieren gar nichts. Ich weiss manchmal einfach nicht, was die Leute von uns denken: Bei einer Show in Dallas meint so ein dummes Kid uns mit dem Hitlergruss begrüssen zu müssen. Ken ist sofort von der Bühne gesprungen, hat dem Kerl ein paar auf die Fresse gehauen und der hatte echt noch den Nerv sich damit zu "entschuldigen", dass er gar nicht Ken, sondern unsern Drummer gemeint habe. Was willst du dazu noch sagen? Solche Vorfälle muss ich einfach damit abtun, dass da draussen ´ne Menge dumme Leute rumlaufen. Was willst du dagegen tun? Intelligenz-Pillen verteilen?
Ken: Ich bin der Meinung, dass es manchmal schlauer ist Nazis im Publikum zu ignorieren. Wenn da ein paar wenige Idioten mit der Absicht auf ein Konzert zu gehen, 500 coolen Leuten die Party zu verderben, dann sollte man zwei oder drei Störern nicht den Gefallen tun, ihnen Beachtung zu schenken. Dabei hängt die richtige Reaktion aber immer vom Einzelfall ab.
Al: Unsere Aufgabe kann es ausserdem nicht sein, in eine Stadt zu kommen und euch die Aufgabe abzunehmen, die Loser in eurer Szene loszuwerden. Wir haben das schon oft gesagt, und ich sage es auch jetzt: wir können bei einem Konzert die Wirrköpfe auffordern, ihre T-Shirts mit den falschen Bandnamen drauf auszuziehen, aber es ist die Aufgabe der Szene vor Ort, dafür zu sorgen, dass die Leute sich gar nicht erst auf so ein Konzert wagen. Wir sind nur eine Band auf der Durchreise, ihr aber lebt in dieser Stadt.
Ken: Ausserdem stellt sich das Nazi-Problem für uns nicht besonders oft. Stattdessen verbringen wir eine Menge Zeit damit, den "normalen" Leuten, die unsere Platten kaufen oder zu unseren Konzerten kommen, zu erklären, dass Skinheads nicht rassistisch sind, sondern Rassisten keine Skinheads sind. Das ist manchmal echt bizarr: wir haben unlängst eine Singles-Compilation veröffentlicht, auf der eine Liveversion von "White riot" von THE CLASH enthalten ist. Und dann bekomme ich doch tatsächlich eMails, in denen mich Leute anmachen, wieso wir einerseits behaupten, wir seien keine Rassisten und andererseits ein Lied mit dem Titel "White riot" spielen. Dazu fällt mir echt nichts mehr ein, das ist nur frustrierend.
Al: Vor allem ist es in der Hinsicht frustrierend, dass wir uns überhaupt mit diesem Thema auseinandersetzen müssen. Es gibt schliesslich viel wichtiger Themen, über die wir uns viel lieber unterhalten. Diese paar Nazis haben diese Aufmerksamkeit überhaupt nicht verdient.
Ken: Die Probleme rühren eigentlich immer von zwei Arten von Leuten her: die einen kommen zu unseren Konzerten, denken alle Skinheads seien Nazis und schliessen daraus, wir würden Nazis bei unseren Konzerten dulden, und die anderen sind die Kids, die im Publikum einen Nazi erkennen und am nächsten Tag jedem erzählen, sie hätten bei einem DROPKICK MURPHYS-Konzert einen Nazi gesehen. In beiden Fällen sind wir die Blöden.
Al: Abgesehen davon sind wir eben nur eine Band, die die Welt auch nicht verändern kann. Wir sind keine omnipotente Politikmaschine zur Ausrottung aller Nazis, sondern eine verdammte Punkrockband aus Boston, Massachussetts!

Apropos: habt ihr zuhause in Boston auch mit diesem Problem zu kämpfen?

Al: Nein, überhaupt nicht. Wenn da jemand in dieser Richtung Blödsinn machen sollte, kümmern sich da die richtigen Leute drum.

Haken wir dieses Thema endlich ab und sprechen wir über "Sing Loud, Sing Proud!". Es sind neue Leute in der Band, wie ist das aktuelle Line-Up?

Ken: Naja, da ist Al, offensichtlich, dann ich, ich spiele Bass und singe, Matt Kelly spielt Schlagzeug, Ryan Foltz spielt Mandoline und Tin Whistle, James Lynch - Gitarre, Spicy McHaggis - Dudelsack, und schliesslich noch Marc Orrell, der gestern erst 18 geworden ist, an der zweiten Gitarre.

18? Der Ärmste - das muss für ihn ja schrecklich sein, mit euch auf Tour zu sein und in den USA zumindest keinen Alkohol trinken zu dürfen.

Al: Ach, mach dir mal um den keine Sorgen, der trinkt schon, hehehe.
Ken: Seiner Mutter haben wir aber natürlich versprochen, gut auf ihn aufzupassen.
Al: Und das machen wir auch. Vorhin erst gab´s Essen, er meinte, er sei nicht hungrig, und ich habe ihm dann erstmal was erzählt! Ich meinte, er solle verdammt nochmal seinen Teller leer essen. Und er hat´s gemacht. Er lernt eben noch, wie das so ist auf Tour, und glaube mir, wir sind gute Lehrherren. Am Ende der Tour muss er uns dann einen schriftlichen Bericht abliefern, hehe. Ich meine, er hat wegen der Band die Schule geschmissen, da müssen wir schon dafür sorgen, dass er was vernünftiges lernt.

Ihr seid erstmals mit Dudelsack- und Flötenspieler auf Tour - mit sieben Leuten! Wie ist das so?

Ken: Vor allem ist´s im Bandbus ganz schön eng. Und ein ganz schöner Zirkus, glaube mir. Wir werden uns demnächst umbenennen in "Der Dropkick Murphys-Punkrock-Zirkus". Und erst heute mittag sind wir von der deutschen Polizei an der Grenze ein paar Stunden aufgehalten worden - Mann, so eine Scheisse verfolgt uns.

Was wollten die von euch?

Al: Platten schnorren, Geld...
Ken: Freiwillige, die die Hosen runterlassen und sich nach vorne bücken.
Al: Es war der Bundesgrenzschutz, der uns so blöd aufgehalten hat. Später kam die normale Polizei dazu und ließ uns gehen. Die BGS-Typen hatten eine ganze Liste von Sachen, die sie uns vorwarfen, und wir haben rein gar nichts verstanden.
Ken: Bei tourenden Bands geht wohl bei jedem Polizisten die Alarmanlage an. Die denken, wir würden weiss der Teufel was in der Gegend herumfahren. Aber zurück zu deiner Frage: wir haben dieses Album nicht am Stück aufgenommen, was eine neue Erfahrung war für uns. Wir waren so viel auf Tour, dass das einfach nicht ging. Der Vorteil war, dass wir so nach ein paar Wochen nochmal mit kritischer Distanz beurteilen konnten, was wir aufgenommen hatten. Das ist das eine, was diese Platte "anders" macht, das andere ist, dass wir sie selbst produziert haben. Wir haben im gleichen Studio aufgenommen wie zuvor, und so wussten wir auch ohne Produzent, wie wir die Sache angehen müssen. Es war auf jeden Fall eine neue Erfahrung.

Am Ende des Albums ist ein Teil einer Fussball-Reportage zu hören. Was hat es damit auf sich?


Ken: Das ist eine Aufnahme von Johnny Most, einem Radio-Reporter, der alle Spiele der Boston Celtics kommentiert hat. Er hat so ungefähr 70 Päckchen Zigaretten am Tag geraucht, daher auch seine seltsame Stimme. Er war eine Bostoner Legende, und wir haben irgendwo ein Tape mit dieser Aufnahme gefunden, so dass wir uns entschlossen, ihn auf unserer Platte zu verewigen. In Boston wurde er wie ein Held verehrt, und wir haben früher zuhause immer den Ton des Fernsehers runtergedreht und stattdessen seine Reportage im Radio verfolgt. Er starb in den späten Achtzigern.

Boston ist bei euch immer wieder ein Thema, das heisst, euch ist eure Heimatstadt wichtig. Was meint ihr denn, wie wichtig es ist, sich seiner Herkunft und seiner Wurzeln bewusst zu sein?

Al: Es ist in der Hinsicht wichtig, dass du glücklich und zufrieden bist damit, wo und was du bist, aber nicht insofern, als du das jedem reindrücken musst.
Ken: Ich kenne eine Menge Leute, die keinerlei Wurzeln haben, die so oft umgezogen sind, dass sie zu keinem Ort einen Bezug haben. Ich selbst dagegen habe Wurzeln, derer ich mir bewusst bin und das finde ich gut.
Al: Es geht um dieses Gefühl zu wissen, wo Zuhause ist, wo man hingehört. Das hat nicht mal was mit einem bewussten Verhalten zu tun oder mit etwas, das man in Worte fassen kann, sondern einem gewissen Gefühl.
Ken: Ich glaube, so ein Gefühl kommt mal in einem Songtext durch, aber nicht im Alltag, dass du das Bedürfnis hast, jemandem was erzählen zu müssen.
Al: Es ist einfach das Gefühl, zu wissen, wo man ist, wenn man nach zig Monaten auf Tour nachhause zurückkommt.

Stolz auf Boston, stolz auf die USA?

Ken: In den Schulen bei uns wird sehr viel über kulturelle Vielfalt gesprochen, und ich denke, wenn man nicht über seine kulturelle Herkunft Bescheid weiss und stolz darauf ist, wie soll man dann die des anderen schätzen? Ich denke, die Situation in den USA ist eine ganze andere als in Deutschland, und wenn jemand sagt, er ist stolz auf seine Herkunft, dann hat das eine andere Bedeutung. Ich persönlich hätte Schwierigkeiten zu sagen ich bin stolz, aus Amerika zu kommen. Ich meine, was ist Amerika? Das zu sagen impliziert doch, dass man auf diesen militärischen Bullshit stolz ist.
Al: Die Leute könnten sowas auch sofort mit Nationalismus und so ´nem Scheiss gleichsetzen.
Ken: Ja, aber ich denke, wenn jemand sagt, er ist stolz auf Amerika, dann bezieht sich das auf die Werte, auf denen dieses Land gegründet wurde. Und die sind der völlige Gegensatz zu Nationalismus und so weiter, denn es war gerade seinerzeit ein Schmelztiegel der Nationen.

Jungs, ich danke euch.