ANALSTAHL

Foto© by Marc Finster

Der Name langt

Es macht den Reiz unserer Szene aus, dass man auch nach über dreißig Jahren immer noch Bands für sich entdecken kann, die mindestens genauso lange aktiv sind wie man selbst. ANALSTAHL aus München sind eine Band, die irgendwann in den Neunziger Jahren gegründet wurde, mir aber erst durch ihr gerade erschienenes Album „Pillepalle Gemüsehalle“ aufgefallen ist. Für mich schon jetzt die Entdeckung des Jahres, weshalb ich mich sehr über die Gelegenheit zu einem Interview mit dem Gitarristen Andreas Staebler gefreut habe.

Ich muss gestehen, dass mir ANALSTAHL erst jüngst aufgefallen sind. Deswegen muss ich fragen, wer sind ANALSTAHL eigentlich?

Nun, wir waren ja auch nie so eine Wahnsinns-Tour-Band. Wir haben in den Neunziger Jahren viel unternommen, aber in den letzten Jahren nur noch ab und an in München gespielt und im Umland. Aber 2022 haben wir für unsere Verhältnisse relativ viel gespielt, so sieben Konzerte. Aktuell besteht die Band aus ANALSTAHLstübner an der Gitarre, das bin ich, ANALSTAHLjackl am Schlagzeug, ANALSTAHLtobi am Bass, Sänger ANALSTAHLtoni und ANALSTAHLgringo an den Turntables. Wir haben uns Mitte der Neunziger Jahre gegründet. Außer mir waren bei ANALSTAHL alle Kletterer. Toni war schon als Teenager in der bayerischen Boulder-Szene ein Newcomer-Star. Es gab da einen Kletterladen von einem Kumpel, der hat einmal im Jahr Inventur gemacht und den Laden leergeräumt und dann hat da immer eine Punkband gespielt. Ich habe irgendwann Toni kennen gelernt, der fragte, ob ich nicht Bock hätte, in einer Punkband mit ihm zu spielen und im Kletterladen aufzutreten. Wir haben Speed-Punk mit deutsch-englischen Texten gemacht. Wir haben danach gleich noch mal in München gespielt. Bald darauf hat ein Freund mit seinem Vierspur-Rekorder unsere erste 10“ aufgenommen, als Cover ein weißer Karton mit aufgesprühtem Bandnamen. Später, 1998, haben wir unsere LP „Daneben“ aufgenommen, die hat Amedeo Tortora produziert, der Sänger von BLUEKILLA, einer Münchener Ska-Band. Im Jahr 2000 gab es noch eine Split-10“ mit der Allstar-Band MUNICH PUNKS. Danach war die Luft bei uns allen so ein bisschen raus: Arbeit, Kinder, Familie. Aber wir haben trotzdem immer weiter geprobt, und als Tobi vor über zehn Jahren als Bassist dazukam, haben wir auch wieder mehr live gespielt und neue Stücke geschrieben. Am neuen Album haben wir rund sechs Jahre gearbeitet, also von der ersten Idee bis zur Aufnahme in Tobis Studio.

Euer Bandnamen hat wahrscheinlich keinen tieferen Sinn, oder?
Doch, „Analstahl“ ist ein deutscher Kurzfilm. Er gilt als ein Frühwerk der homosexuellen Filmkunst und ist, anders als der Titel vermutet lässt, gewaltfrei. Der Bandname geht direkt auf diesen Film zurück. Der Name hat uns besonders in der Anfangszeit viele Türen in der Szene verschlossen. Auf Plena wurde beraten, ob eine Band mit solchem Namen überhaupt in linken Läden auftreten darf. Man hielt uns wohl für politisch nicht korrekt, dabei sind wir nur total selbstironisch. Und wir waren jung. Punkrock hatte uns als Jugendliche neue Horizonte eröffnet. Wir waren immer schon antirassistisch. Wir fanden Atomenergie scheiße, die jetzt wieder als sexy gilt. Wir fanden auch das Militär kacke und haben alle verweigert. Jetzt annullieren bereits die Ersten in Deutschland ihre Verweigerung, um wenigstens noch als Reservisten dabei sein zu können, wenn der Russe kommt. Und auch Gleichberechtigung war für uns selbstverständlich. Da musste früher nie drüber diskutiert werden. Das war alles klar für uns, auch wenn Punkrock immer noch männerdominiert ist, aber Frauen waren immer dabei, und das ist gut so. Wir haben uns aber nie als engstirnige Punker gesehen. Wir sind auch nie wie Punker rumgelaufen. Wir sind ANALSTAHL. Der Name langt. Wir müssen uns nicht verkleiden.

Welche musikalischen Einflüsse prägen ANALSTAHL?
Wir sind von verschiedenen Bands inspiriert. CRASS sind bis heute unsere Vorbilder. BLACK FLAG sind zu nennen. Wir haben früher viel US-Hardcore gehört. Die ersten beiden Alben von SLIME waren wichtig und die ganzen Bands von Jens Rachut. BLUMEN AM ARSCH DER HÖLLE, ANGESCHISSEN und wie sie nicht alle heißen. Die frühen ABWÄRTS und S.Y.P.H. spielen noch eine Rolle bei uns. Und wir waren große SNUFF-Fans. So kam dann auch die Trompete zeitweise bei uns zum Einsatz. Die SLEAFORD MODS mögen wir auch alle und inzwischen haben wir mit Gringo, der früher bei den FREAKY FUKIN WEIRDOZ war, jemanden in der Band, der die Turntables bedient. Wir hatten immer schon live so ein paar HipHop-Elemente dabei, die sind auch auf der neuen Platte zu hören, und so kamen wir auf die Turntables.

Worum geht es auf dem neuen Album? Was hat euch beschäftigt?
Wir hatten uns immer vorgenommen, mal wieder eine Platte aufzunehmen. „Pillepalle Gemüsehalle“ ist ja unser erstes Studioalbum seit 25 Jahren. Wir sind echt stolz auf das Ergebnis. Es gefällt uns wahnsinnig gut. Es sind tolle Songs drauf. Und das kam so: Unser erster Bassist ist letztes Jahr gestorben. Er hatte Multiple Sklerose, weshalb wir auch seit zehn Jahren einen anderen Bassisten haben. Wir haben zuletzt viele neue Lieder geschrieben. Das hat die Pandemie mit sich gebracht. Du konntest ja nicht live spielen. Du konntest nur proben. Wir beschäftigen uns auf dem neuen Album mit Dingen, die uns immer schon beschäftigt haben. Großes Thema ist die Ausbeutung der Natur und der Umwelt, das Klima-Thema. Die Ohnmacht gegenüber dem politischen System, in dem wir leben. Wir fühlen uns in die Achtziger Jahre zurückkatapultiert, weil unsere alten Texte auf Konzerten bei jungen Menschen total zünden. Man könnte meinen, dass sich in den letzten vierzig Jahren fast nichts verändert hat. Wir standen als Sechszehnjährige am Bauzaun in Wackersdorf und heute siehst du fast dieselben Bilder aus Lützerath oder dem Hambacher Forst. So ist der Kohle-Song entstanden. „Rackete statt Raketen“, der Song ist natürlich Kapitänin Carola Rackete gewidmet und dem Fluchtthema, über das aktuell fast gar nicht mehr gesprochen wird. Wir beschäftigen uns auf dem Album auch mit klassischen Punk-Themen. Wir fragen nach dem Ausgang aus dieser Welt, in der man sich nicht mehr auskennt. Es geht uns also hauptsächlich um die Welt, in der wir leben. Wir sind aber keine Propheten. Wir kommentieren nur und zünden alles an. Vielleicht entsteht ja aus der Asche eine bessere Welt?!

Bei Punk in München denke ich spontan an DIE AUSGEBOMTEN, MARIONETZ oder die unseligen LUSTFINGER. Was geht aktuell in Sachen Punk in München? Gibt es noch eine aktive Szene?
Und es gab da noch ZSD, aber München war nie ein Punk-Hochburg. Es gibt auch nicht so viele Orte in München, wo Bands spielen können. Es gibt im Moment eine Menge junger Punkbands in der Stadt, wie USCHI. Dann gibt es die Zombie Sessions, eine DIY-Konzertreihe, wo auch Punkbands spielen. Da trifft sich dann auch die Szene. Dann gibt es noch das Kafe Kult, die Kulturstation. Hier haben in den Achtziger und Neunziger Jahren alle großen Bands gespielt. Hier werden wir auch unsere Albumtaufe feiern. Es gibt aber insgesamt wenig Raum für DIY-Künstler, auch wegen der absurd hohen Mieten. Es ist total schwer, einen Proberaum zu finden oder einen Ort für eine Show.

Wenn ihr nicht gerade ANALSTAHL seid, was macht ihr dann?
Ich bin noch unter meinem Künstlernamen G.RAG aktiv und betreibe zwei Big-Bands. Das sind G.RAG Y LOS HERMANOS PATCHEKOS und G.RAG & DIE LANDLERGSCHWISTER. Die einen sind ein Space-Cumbia-Orchester, die anderen eine schräge Blaskapelle. Und dann habe ich noch ein No-Wave-Trio, die G.RAG/ZELIG IMPLOSION DELUXXE. Außerdem habe ich einen kleinen Plattenladen und bin auch noch als DJ aktiv. Gemeinsam mit einigen Leuten von den LOS HERMANOS PATCHEKOS betreiben wir ein eigenes Label, Gutfeeling Records, wo auch „Pillepalle Gemüsehalle“ erscheinen wird. Wir sind alle irgendwie DIY-Künstler. Tobi ist Musiker und betreibt ein eigenes Studio. Gringo arbeitet vor allem als DJ und Musiker. Jackl ist Comiczeichner und Illustrator, vor allem für Kinderbücher. Er hat auch das Cover für unser neues Album gezeichnet. Toni ist stellvertretender Direktor an einer Münchener Schule und arbeitet seit 25 Jahren mit „schwer erziehbaren“ Kindern zusammen.

Welche drei aktuellen Bands liegen bei dir häufig auf dem Plattenteller?
Ich bin sehr gespannt auf die neue SLEAFORD MODS-Platte. Die finde ich sehr gut. Dann mag ich die KATIE SMOKERS WEDDING PARTY, eine Münchener Krautrock-Band, und ROMPERAYO, das ist meine favorite Space-Cumbia-Band aus Bogotá.