BODEGA

Foto© by Kirsten Kay Thoen

Mythos Multitasking

Seit 2018 kokettiert das New Yorker Quintett um Ben Hozie und Nikki Belfiglio nun schon mit seiner pop- und rockmusiktechnisch traditionsreichen Heimatstadt: Schrammelgitarren treffen Avantgarde und elektronisch befeuerte Pop-Vibes. Gleichzeitig veröffentlichen sie einen Song des jüngsten Albums „Broken Equipment“ gleich in mehreren Übersetzungen. „Write locally, reach globally“? Frontmann Hozie klärt auf.

Ihr tourt wieder und seid gerade in Europa unterwegs. Wie läuft es?

Sehr anders als in den USA. Der größte Unterschied ist, dass in den Staaten alles viel weiter auseinander liegt, haha. Aber die Bereitschaft, Bands aufzunehmen und ein Stück weit auch durchzufüttern, ist in Europa sehr viel größer.

„Statuette on the console“ habt ihr vorab in neun verschiedenen Sprachen veröffentlicht. Was ist die Idee dahinter?
Das war in erster Linie Nikkis Verdienst. Sie hat damit während der Quarantäne versucht, der englischen Sprache etwas entgegenzusetzen, haha. Die eigentliche Auswahl der Sprachen war dabei ziemlich zufällig, sie hat einfach ein paar Leute in ihrem Bekanntenkreis aus verschiedenen Ländern angeschrieben und dann das an Texten in einen Song umgesetzt, was zurückkam. In Sprachen zu singen, die man nicht wirklich beherrscht, hat ja schon eine recht lange Tradition. Die BEATLES zum Beispiel haben ihre Lieder teilweise in anderen Sprachen als Englisch eingespielt. Als ich „I want to hold your hand“ auf Spanisch und Deutsch gehört habe, fand ich das witzig und wollte das auch mal mit eigenen Songs probieren. Unmittelbar nach der Stummfilm-Ära gab es auch eine Phase, in der man das mit Filmen gemacht hat. „Dracula“ mit Bela Lugosi wurde parallel mit anderen Darstellern auf Spanisch gedreht oder „Der blaue Engel“ mit Marlene Dietrich mit derselben Besetzung auf Englisch, mit denselben Sets und allem Drum und Dran. Verrückt, aber lustig, genau unser Ding.

In euren Songs ist regelmäßig eure Heimatstadt New York City direkt oder indirekt Thema.
Ja, egal wo wir hinkommen, Ostküste, Westküste, wo auch immer, werden wir als kulturelle Botschafter für einen bestimmten Typus von New Yorker Bands wahrgenommen. Wir haben das auch gerne angenommen und ein bisschen hofiert, haha. Aber es zwingt dich auch ein Stück weit, immer und immer wieder zu erklären, was diese Stadt dir bedeutet. In diesem Album habe ich das dann auf die Spitze getrieben und einfach direkt einen kompletten Song darüber geschrieben, wofür New York meiner Meinung nach steht. Mein Vater hatte mir vor längerer Zeit ein Buch gegeben, in dem die Entwicklung der Stadt von einer kleinen niederländischen Siedlung bis heute ziemlich detailliert beschrieben wird, das hat mich total fasziniert. Canal Street zum Beispiel, die große Straße in Downtown Manhattan, die Chinatown und Little Italy durchzieht, war ursprünglich ein Kanal im Stil von Amsterdam. Diese Poesie, die einem Stadtbild innewohnt, ist schon spannend. Was dieser Song metaphorisch aber eigentlich hervorheben soll, ist das, was New York so interessant gemacht hat, auch als künstlerisches Zentrum und Drehkreuz des Finanzmarkts. Die beiden Pole kannst du nicht wirklich voneinander trennen, das ist eine so symbiotische wie problematische Beziehung. Wenn du darüber sprechen willst, warum NYC floriert, musst du diese beiden Dinge zusammendenken. Na ja, du kannst jedenfalls nicht die komplette Geschichte von New York in drei Minuten erzählen, das ist absolut unmöglich, deswegen habe ich dem Songtitel „NYC“ auch den Zusatz „disambiguation“ hinzugefügt, wie bei einem Wikipedia-Eintrag, haha.

Nicht nur dieser Song auf „Broken Equipment“ hat einen sozialkritischen Unterton.
Ja, das stimmt schon. Etwas in uns will zwar nicht unbedingt direkt belehren, aber schon bestimmte Gedanken teilen. Bestimmte Wahrheiten, die du mit dir herumträgst. Aber ich würde mal behaupten, dass wir als Band da auch bis zu einem gewissen Grad missverstanden werden. Unsere Texte und auch die Art, wie wir unsere Musik präsentieren, beinhaltet zwar Sozialkritik, aber das ist keine gezielte Botschaft. Der Unterschied zwischen uns als Gruppe und einer politischen Vereinigung ist, dass wir keine bestimmte politische Agenda haben. Es gibt eine lange Tradition von Punkbands, die mit einer solchen Agenda arbeiten und da ist auch nichts Falsches dran, ich mag eine ganze Menge Musik, die darauf basiert. Aber wenn ich einen Song schreibe und dabei Sozialkritik oder politische Aussagen verwende, dann ist das nur ein Teil des Stoffs meines Alltags. Wenn ich das einbaue, dann habe ich gerade eine direkte Verbindung dazu. Wenn es aber mein Ziel wäre, Leute zu einer bestimmten Ideologie zu bekehren, wäre Rockmusik dafür meiner Meinung nach ein viel zu langsames, kompliziertes und unzuverlässiges Vehikel, haha. Dafür solltest du besser ein Buch schreiben, in eine Talkshow gehen, einen Podcast machen oder so. Was mich wirklich packt, sind die Dinge, die gerade nicht nur von Tag zu Tag, sondern von Sekunde zu Sekunde passieren. Die Kunst, das einzufangen, bringt mein Herz zum Singen. Was in deinen Gedanken und in deinem Körper passiert. In den Momenten, in denen wir das wirklich gut hinbekommen, ist einem BODEGA-Song zuzuhören vergleichbar damit, als würdest du in unserem Gehirn spazieren gehen. Deswegen ist unsere Musik auch so voller Widersprüche, haha.

Aber konkrete Botschaften finden sich in euren Songs ja wirklich mehr als genug. „Doers“ zum Beispiel lässt reichlich Technikmüdigkeit durchschimmern.
Schon, aber auch das war wieder nur ein ganz spezieller Moment in meinem Leben. Ich hatte mich ein wenig selbst verloren und stand vor der Frage, wer ich überhaupt bin. Ich habe mir sogar diesen Selbsthilfe-Trash reingezogen, den du am Flughafen oder so kaufen kannst. Ich habe zu dem Zeitpunkt versucht, gleichzeitig einen Film fertig zu bekommen und ein neues Album anzuleiern, und bin da voll in die Produktivitätsfalle getappt, so was wie „Wie strukturiere ich meinen Tag“ und dergleichen. Ich habe angefangen, Gesangs- und Gitarrenunterricht zu nehmen und versucht, mich selbst zu optimieren. Ich kann mich noch genau an diesen einen Tag erinnern, an dem ich eine Reklametafel von Seamless, einem New Yorker Essenslieferdienst, in der U-Bahn sah, als ich vom Gitarrenunterricht nach Hause gefahren bin, und ich dachte mir nur so: „Du bist gerade viel zu beschäftigt, alles zu zerlegen, du bist viel zu sehr Macher. Du bist so ein erbärmliches, kapitalistisches Stück Scheiße, dass du dir selbst noch nicht mal was zum Abendessen machen kannst. Du fährst es einfach an die Wand!“ Haha, das war ein echter Weckruf. Klar, auf der einen Seite sollte natürlich jeder versuchen, das Beste aus sich rauszuholen, das will ich auch noch immer, schwierig wird das aber, wenn es anfängt, dich aufzufressen.

Welchen Film hast du da gerade gedreht?
Das war „PVT Chat“. Den fertig zu bekommen, hat echt superlange gedauert. Geschrieben habe ich ihn 2014, gefilmt haben wir 2018, veröffentlicht wurde er 2020. Gleichzeitig daran zu arbeiten und aktiv in einer Band zu spielen, war wirklich nicht leicht. Ich bin eigentlich ein Alles-oder-nichts-Typ, ich bin kein guter Multitasker. Ehrlich gesagt ist, glaube ich, niemand wirklich gut in Multitasking, das zu können ist nur ein Mythos, haha. Nachdem ich den Film so lange editiert habe, musste ich das Musikmachen ein Stück weit wieder neu lernen.

Manche Ausschnitte aus euren Texten haben in den letzten Wochen ja ein ganz neues Gewicht bekommen: „We built the weapon to destroy entire planet / Don’t intend to use it / We built the tech to destroy entire planet / ... Oops“. Wie seht ihr die aktuellen Ereignisse in der Ukraine?
Als Band unterhalten wir uns gerade viel darüber. US-Interventionismus ist da auf jeden Fall nicht sonderlich hilfreich. Ich kenne die genauen Details des Konflikts aber ehrlich gesagt nicht gut genug, um jetzt etwas wirklich Substanzielles dazu sagen zu können. Um aber noch mal auf das Zitat aus „No blade of grass“ zurückzukommen, das haben viele zunächst für einen Witz gehalten. Wir haben das zwar durchaus auch so verpackt, aber dieser eingebaute Moment der Stille soll auch ein bisschen aufschrecken. Auf eine spielerische Weise soll der Hörer sich Dingen stellen, die in Vergessenheit geraten sind. In Vergessenheit ist das nun nicht mehr, war es aber zu dem Zeitpunkt, als der Song geschrieben wurde. Ursprünglich hatten wir das auch noch in einem weiteren Song namens „Top hat no rabbit“. Der hat es zwar im Endeffekt nicht auf das Album geschafft, ist aber online auf Streamingseiten verfügbar.