BOSS MARTIANS

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Rock‘n‘Roll Killing Machine

Mit ihrem neuen Album „The Set-Up“ haben die BOSS MARTIANS aus Seattle den schon grandiosen Vorgänger „Making The Rounds“ noch getoppt und eines der besten Power-Pop-Garage-Punk-Alben des letzten Jahres veröffentlicht. Was die Größe dieser Platte ausmacht? Sie hat all die Qualitäten, die ein Hit-Album braucht: Songs, die jeder für sich ein Ohrwurm sind, exzellentes Songwriting und eine Produktion, die eher nach den Power-Pop-Klassikern der späten 70er klingt, als nach einer von knappen Budgets geprägten Indie-Veröffentlichung. Nicht zu vergessen die Musiker: Die BOSS MARTIANS sind Nick Contento (Orgel/Tasten), Brandon Gonzales (Bass), Mike Musberger und Dusty Watson (Drums) sowie Evan Foster (Gitarre/Gesang). Ich mailte Evan ein paar Fragen und er mir ein paar Antworten.

Obwohl ihr schon mal in Europa gewesen seid, kennen euch viele Leute bestimmt erst seit eurem neuen Album. Kannst du mir einen Überblick über die Zeit davor geben?


„Die BOSS MARTIANS wurden 1995 von Nick Contento und mir während unserer College-Zeit in Tacoma, WA gegründet. Als wir anfingen, spielten wir straighten, 60er beeinflussten Surf- und Garagerock und waren besessen von Bands wie den TRASHMEN, SONICS oder PAUL REVERE & THE RAIDERS. Kurz nachdem wir uns zusammen taten, unterschrieben wir bei Dionysus Records aus Burbank, CA und veröffentlichten dort unsere ersten LPs und CDs, mal abgesehen von einigen Surf- und Garage-7“s, -EPs, -LPs und -CDs auf verschiedenen amerikanischen, europäischen und japanischen Labels. Wir arbeiteten unter anderem mit Estrus, Rhino, Blood Red, Rockin‘ Bones, Hillsdale, Kamikaze und Pure Vinyl zusammen. In unserer ersten Besetzung haben wir erst in Seattle und Umgebung gespielt, und dann die Westküste rauf und runter. Mit vielen coolen Bands wie z.B. THE PHANTOM, SURFERS, THE MAKERS, MAN OR ASTRO-MAN?, Dick Dale, THE UNTAMED YOUTH, GIRL TROUBLE, THE MONO MEN oder THE HENTCHMEN. 1998 nahmen wir uns eine Auszeit, um an einem Nebenprojekt namens MYSTERY ACTION zu arbeiten, das wir bis zum BOSS MARTIANS-Neustart 2000 am Leben hielten. MYSTERY ACTION war stark von 60er Beat, Mod und Pop beeinflusst, von Bands wie SMALL FACES, KINKS, YARDBIRDS, PRETTY THINGS, THE ACTION, THE MOVE, genauso wie vom 70er Punk und Power-Pop à la Elvis Costello, THE JAM, BUZZCOCKS, THE REZILLOS oder 999. Im wesentlichen haben die BOSS MARTIANS, nachdem wir wie gesagt für eine Zeit lang mit MYSTERY ACTION am Start waren, all diese Einflüsse beibehalten, sind aber darüber hinaus in eine härtere, aggressivere Richtung gegangen. 2001 fingen wir dann an, mit MuSick Recordings zusammen zu arbeiten, die großes Interesse daran fanden, wohin ich die Band stilistisch gerne bringen wollte. Wir besorgten uns eine neue Rhythmus-Sektion und nahmen unser MuSick-Debüt in Angriff, das im Mai 2002 unter dem Titel ‚Making The Rounds‘ erschien. Ab diesem Punkt fingen wir an, die USA und Europa auf das Heftigste zu betouren, um die Platte zu supporten und heimsten außerdem ein paar sehr gute Reviews in Heften wie Magnet, Punk Planet, Maximum Rock‘n‘Roll, CMJ oder dem Kerrang! ein, was uns stark ermutigte, auch weiterhin ‚on the road‘ zu bleiben. Ich denke, im Endeffekt haben wir über fünf Monate für ‚Making The Rounds‘ getourt. Wir sind auch wirklich mehr als dankbar für die große Unterstützung, die MuSick für uns erbracht haben, obwohl sie ‚nur‘ ein Indie-Label sind, sowohl was Touren als auch die Aufnahmen betrifft. Keine Ahnung, wie die das hinkriegen – sie machen es einfach!“

Das bringt uns zu eurem neuen Album „The Set-Up“ ...

„Wir können wirklich von Glück reden, dass wir mit einigen unglaublich talentierten Leuten auf diesem Album arbeiten durften. Aufgenommen und produziert wurde es von Johnny Sangster, der schon mit den POSIES, YOUNG FRESH FELLOWS, SUPERSUCKERS und MUDHONEY gearbeitet hat, und abgemischt von Jack Endino, den man ja von seiner Arbeit mit NIRVANA, SOUNDGARDEN, HOT HOT HEAT oder ZEN GUERRILLA kennt. Auf dem neuen Album haben wir mit zwei genialen Schlagzeugern gespielt: mit Mike Musberger, der schon mit den POSIES, FASTBACKS, PRESIDENTS OF THE USA gespielt hat und jetzt bei den SUPERSUCKERS ist, sowie Dusty Watson, der unter anderem bei CONCRETE BLONDE, AGENT ORANGE und in Dick Dales und Lita Fords Band war. Den Bass hat der hyper-talentierte Brandon Gonzales aus Austin, TX eingespielt. Brandon ist der absolut beste Bassist, mit dem wir bisher etwas aufgenommen haben und auf Tour waren. Er versteht unsere Songs sofort und fügt auch noch ein unglaublich hohes Level an Musikalität in das Bass-Spiel ein – einfach großartig. Nick C kümmert sich um die Orgel- und Synthesizer-Aufgaben und ich mich um den Rest: Gitarre und Gesang. Wir haben mit ‚The Set-Up‘ versucht, alle musikalischen Aspekte, die die Band bis jetzt ausmachen, unter einen Hut zu bekommen: Power-Pop, Garage, Punk, Rock‘n‘Roll und alles andere ...“

Johnny Sangster und Jack Endino sind ja so was wie „Legenden“ der Musikszene in Seattle. Warum habt ihr sie ausgesucht, und wie war es, mit ihnen zu arbeiten?

„Mit Johnny Sangster haben wir auch schon an unserem vorherigen Album zusammen gearbeitet, und haben gefühlt, dass er auch für ‚The Set-Up‘ eine exzellente Wahl ist. Es ist einfach wundervoll, mit ihm zu arbeiten. Johnny ist ein unglaublich talentierter Songwriter, Gitarrist, Tontechniker, Produzent und Rock‘n‘Roller. Er machte einen tollen Job und ließ sich auch durch die teilweise chaotischen Zustände während des Aufnahmeprozesses – Sessions die ganze Nacht, übertrieben hoher Koffeinkonsum und Deadline-Druck – nicht aus der Ruhe bringen. Schlicht und ergreifend unglaublich, mit ihm zu arbeiten. Punkt! Was kann ich über Jack Endino sagen? Einfach brillant der Mann, basta! Ein sehr talentierter Techniker, Produzent und Musiker, der ein unheimlich gutes Gehör hat, und auch aus dem chaotischsten Rock-Mix noch etwas sinnvolles entstehen lässt. Der Typ kommt mir bei seiner Arbeit wie ein verrückter Rock-Wissenschaftler vor. Wir sind überglücklich und geehrt, mit Johnny und Jack arbeiten zu dürfen. Sangster war eigentlich derjenige, der uns Endino vorstellte. Johnny wollte am letzten Tag der Aufnahmen, kurz bevor er nach Europa in den Urlaub flog, das Album jemanden zum Mixen überlassen, dem er vertraut – und das war Endino. Diese Kombination war sehr inspirierend.“

„The Set-Up“ hat eure alten Fans zum Teil sehr überrascht, schließlich bewegt ihr euch auf diesem Album nicht mehr nur in klassischen Garage-Gefilden, sondern liefert viel mehr ein Power-Pop-Album ab. Steckt Absicht dahinter, oder ist das einfach passiert?

„Gute Frage ... Also eine Art Plan, mit dem neuen Album mehr in die Power-Pop-Richtung zu gehen, gab es nie. Wenn überhaupt, dann habe ich versucht, in dem zur Verfügung stehenden Geld- und Zeitrahmen die bestmögliche Rock‘n‘Roll-Platte zu schreiben. Ich wollte mich beim Songwriting einfach selbst pushen und neue Sounds entdecken, dabei aber immer noch auf dem aufbauen, was wir auf ‚Making The Rounds‘ gemacht hatten. Einen lauwarmen Aufguss habe ich allerdings vermieden, ich hatte mehr Lust, etwas Neues, erfrischendes an den Start zu bringen. Ich denke, dass der Sprung von ‚Making The Rounds‘ zu ‚The Set-Up‘ gut mit dem von ‚Move!‘ zu ‚Making The Rounds‘ vergleichbar ist, und mal davon abgesehen wird der Begriff ‚Garage‘ eh von jedem anders ausgelegt. Gerade das macht Rock‘n‘Roll zu so einer persönlichen Sache.“

Wenn man heutzutage über musikalische Einflüsse spricht, wird oft „Power-Pop“ genannt, obwohl es mir scheint, dass viele Leute gar keine klare Vorstellung von diesem Begriff haben. Wie sieht deine Definition aus, soweit du diese Klassifizierung für die BOSS MARTIANS überhaupt akzeptierst?

„Ehrlich gesagt halte ich nicht viel von dieser Art Kategorisierung, aber was soll ich mich beschweren ... Meiner Meinung nach ist ‚Power-Pop‘ ein sehr undurchsichtiger Begriff, im wesentlichen reduzierbar auf eine Form des Rock‘n‘Roll, die von starken, einprägsamen Melodien, einem Refrain mit hohem Wiedererkennungswert, einem treibenden Beat und eingängigen Texten geprägt ist. Ich denke, dass die englische Version des Power-Pop mehr mit Bands in Verbindung gebracht wird, die die 77er/BUZZCOCKS-Schiene fahren, wohingegen die amerikanische mehr zum CHEAP TRICK-Sound tendiert.“

Was sind denn deine Lieblingsbands?

„Das sind zu viele, um sie hier alle aufzuführen. Zum Beispiel CHEAP TRICK, BLONDIE, DEVO, THE GO-GO‘S, Nick Lowe, Elvis Costello, THE KNACK, Graham Parker. Wenn ich zurückdenke, waren das die Künstler, die meine Sichtweise bezüglich Pop-Musik formten. Ich habe auch immer viel alten Rock‘n‘Roll wie Chuck Berry, Little Richard, BEATLES, BEACH BOYS oder auch die EVERLY BROTHERS gehört, außerdem Blues z.B. von Elmore James oder Freddie King. Irgendwann in meinen frühen Teenager-Tagen habe ich dann, wie wohl die meisten von uns, Punkrock entdeckt, und habe mich Hals über Kopf in Bands wie X, DESCENDENTS, THE CRAMPS, BUZZCOCKS, THE JAM, THE VAPORS, 999, THE CLASH, frühe DAG NASTY etc. verliebt. Ich erinnere mich daran, dass es stets die Punkbands mit poporientierten Songs waren, die mich begeisterten, wenn sie außerdem noch sehr intensiv und präzise gespielt haben. Als ich das erste Mal die DESCENDENTS oder die erste DAG NASTY-EP hörte, verlor ich quasi den Verstand ...“

Spielt eure Herkunft, der Nordwesten von Seattle, eine große Rolle für eure Musik?

„Ich war schon immer besessen von den SONICS, WAILERS, PAUL REVERE & THE RAIDERS und, ja, ich habe MUDHONEY geliebt und bin dafür bekannt, ab und zu etwas NIRVANA zu genießen - das ‚Bleach‘-Album liebe ich wirklich. Dann gibt es da natürlich auch einen starken 60er-Northwest-Einfluss auf meine Art zu singen, und ich denke, dass meine Liebe zu Old School Rhythm & Blues sich hier sehr vertieft hat. Es gibt verdammt viele aufregende Künstler und Bands aus diesem Teil des Landes. Man darf z.B. nicht vergessen, dass THE MENTORS ursprünglich aus Seattle kamen. Ernsthaft, Jerry Roslie und Mark Lindsay hatten einen enormen Einfluss auf meinen Gesang. Die Platten der SONICS oder auch einige der RAIDERS-LPs werden mir nie zu langweilig, das waren einfach verdammt harte Rock‘n‘Roll-Bands.“

Wie wichtig ist die Band in deinem Leben? Gibt es ein Leben außerhalb der Band, habt ihr reguläre Jobs, oder ist dies aufgrund des vielen Tourens nicht möglich?

„Ich würde sagen, dass zu diesem Zeitpunkt die Band auf jeden Fall das Wichtigste in unserem Leben ist. Zwischen unseren Touren, also ziemlich selten, halten wir uns mit beschissenen Aushilfsjobs über Wasser. Wir haben gerade eine siebenwöchige Tour in den Staaten beendet und werden bereits im Februar und März schon wieder hier unterwegs sein, bevor es dann im Frühling endlich nach Europa geht, yeah!“

Das Album-Cover sieht ziemlich 80er Jahre mäßig aus, hat dieses kalte Neon-New-Wave-Feeling. Das könnte sogar glatt als BLONDIE-Cover durchgehen. Gibt‘s da irgendeine Story zu? Und als CD sieht das ja ganz okay aus, aber als LP ...

„Autsch, klingt als magst du das LP-Cover nicht so sehr ... Gib mir die Schuld dafür, auf keinen Fall Screaming Apple. Ritchie, wir lieben dich! Ja, es gibt tatsächlich eine Geschichte hinter dem Cover, aber da musst du schon die CD kaufen, um die rauszufinden. Lass uns einfach sagen, es geht um Chaos, Großstädte, Angst, Sex und Rock‘n‘Roll. Und ich fühle mich geehrt, dass es dich an ein BLONDIE-Cover erinnert.“

Was ist eigentlich ein „Boss Martian“?

„Schlägt man ‚Boss Martian‘ im Wörterbuch nach, steht da ungefähr: ‚Rock and Roll killing machine with a gorilla-sized ball sack‘, wenn ich mich nicht irre. Solltest du jetzt aber die historische Bedeutung des Namens gemeint haben, ist es so, dass er sich von zwei Surf/Garage-Instrumental-Songs ableitet. Zum einen ‚Boss‘ von den RUMBLERS, zum anderen ‚My Favorite Martian‘ von BOBBY FULLER FOUR, beides großartige Bands, wenn du mich fragst.“

Auf eurer Website fordert ihr die Besucher auf, Platten in kleinen, coolen Shops zu kaufen, und auf der Rückseite eures Albums steht „Fallout Records RIP“ in Erinnerung an einen lange existierenden Plattenladen in Seattle, der letztes Jahr schließen musste.

„Wir waren sehr angepisst, als Fallout Records zumachen musste. Das war ein schwarzer Tag für Indie-Musik in Seattle. In diesem Laden kaufte ich meine ersten Punkrock-Platten. Fallout Records repräsentierte eine Zeit, in der unabhängiger Rock‘n‘Roll in Seattle noch wirklich geschätzt wurde, als R‘n‘R noch nicht von Marketing-Typen, die auf Bands wie CREED oder STAIND abgehen, benutzt wurde, die nicht an uns, unserer Leidenschaft und der Unterstützung von lokalen Musikern und Künstlern interessiert waren. Fallout Records war eine Institution und bedeutete sehr, sehr vielen Menschen etwas. Es gab zwei Abschieds-Shows, um dem Laden Respekt zu zollen und beide waren fantastisch. Deshalb unterstützt bitte die kleinen Plattenläden, wo immer ihr auch seid, kauft eure Musik bei jemanden, dem wirklich die Musik, die lokale Szene und eure Leidenschaft am Herzen liegt. Bevor es zu spät ist, wie im Fall von Fallout Records.“

Wie seht ihr die gegenwärtige Verfassung der „Szene“ und der Musikindustrie?

„Die ‚Szene‘ wird immer das bleiben, was sie schon immer war: Bands und Künstler, die versuchen, gehört oder gesehen zu werden, einen großen Deal zu ergattern, was auch immer ... Einige sind grausam schlecht, andere unglaublich gut. Ich denke nicht, dass sich in den letzten Jahren viel verändert hat. Trends kommen und gehen, aber es wird immer Bands geben, die sich den Arsch abspielen und versuchen, Platten zu verkaufen. Es gibt immer noch genügend Leute, die zu Shows gehen, und Kritiker machen eben das, was sie machen. Bei der Musikindustrie geht es nur darum, zu verkaufen und natürlich das nächste ‚große Ding‘ zu verbraten, und ich glaube nicht, dass sich daran etwas ändern wird. Die Musikindustrie befindet sich in einem Zustand von andauernder Veränderung, aber wir sind immer noch da, verdammt! So fuck it, let‘s rock‘n‘roll – SEE YOU ALL IN GERMANY!

Übersetzung: Renke Ehmcke