CHAOS Z

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Stuttgart 1980. Andreas Löhr (voc, gt), sein Bruder Thomas (bs) und Michael Ortner (dr) gründen im Sommer THE ZEROS und nennen sich schon im Oktober um in CHAOS Z. Unter diesem Namen veröffentlichen sie 1982 ihre LP „Ohne Gnade“ auf Rock-O-Rama – ein Klassiker des deutschen Hardcore-Punk. Ihr Stück „Alles ist grau“, das im gleichen Jahr auf dem Sampler „Underground Hits 1“ erschien, ist bis heute Teil meiner Top Ten deutscher Punk-Songs. Doch schon 1983 gingen CHAOS Z musikalisch andere Wege, weg vom brachialen Hardcore-Punk hin zu einem eher düsteren Sound. Kurz danach wechselten die drei ein letztes Mal den Namen, seither heißen sie FLIEHENDE STÜRME. Wir sprechen mit Andreas über alte Zeiten und Punkrock damals und heute.

Andreas, wie bist du auf Punk aufmerksam geworden, und wann hat dich das Virus selbst erfasst?

Das war direkt mit zehn, elf Jahren. Als ich damals „Anarchy in the UK“ von SEX PISTOLS entdeckte, dachte ich, es wäre das beste Stück, das ich bis zu dem Zeitpunkt gehört hatte. Danach ging es weiter mit STRANGLERS, CLASH, DAMNED, später CRASS, DISCHARGE, aber auch vielen New-Wave-Bands, die elektronische Elemente in ihren Stücken verarbeitet haben.

Was bedeutete Punk damals für dich? Und heute?
Es war damals neu, wild, perfekt für Außenseiter, wie ich immer einer war. Bis heute ist es so geblieben, dass Punk für mich etwas „Freigeistiges“ ist, was leider auch nicht alle Punks kapieren.

Gab es von deiner Seite aus von Anfang an die Idee, Musik zu machen?
Ja, also die Idee, Gitarrist zu werden, hatte ich schon mit sieben Jahren, und mit acht habe ich dann auch angefangen, das umzusetzen. Musik hat mir immer mehr bedeutet als irgendein anderer Job.

Wer hatte die Idee zu eurem Namen?
Die Idee mit CHAOS Z kam uns vor einem Konzert von THE CURE und ABWÄRTS in Stuttgart 1980, als wir uns, während wir vor dem Laden im Regen warteten, dazu entschlossen hatten, nun mit deutschen Texten weiterzumachen. Der Name war damals einfach passend. Noch passender und bedeutender finde ich allerdings den Namen FLIEHENDE STÜRME, der immerhin schon seit 1983 für unsere Musik steht.

Welche Einflüsse hattet ihr?
Wirklich sehr viele. Hauptsächlich aus dem damaligen Spektrum von Punk und dem, was als New Wave bezeichnet wurde. Es war spannend, ständig neue Bands zu entdecken, und sicherlich wurden da auch Einflüsse teils bewusst, teils unbewusst verarbeitet.

Wo habt ihr geprobt – und wie oft?
Wir probten anfangs in meinem heimischen Zimmer, später in besetzten Häusern, mitunter nicht besonders häufig, sondern lediglich wenn Konzerte anstanden.

Wie sah die Punk-Szene in Stuttgart aus? Gab es ein autonomes Zentrum, die Möglichkeit, selbst Konzerte zu organisieren?
Zur Stuttgarter Punk-Szene: Konzerte fanden häufig in AJZs in der Umgebung statt. Im JH Sindelfingen – hier war im Sommer 1980 unser erstes Konzert zusammen mit NORMAHL und FEHLPRODUKT –, in Filderstadt im Backnang, aber auch direkt in Stuttgart in der Mausefalle. Hier war am 19.01.1983 unser Abschiedskonzert als CHAOS Z gemeinsam mit G.B.H, ENGLISH DOGS und NAPALM – es wurden da sogar schon die ersten FLIEHENDE STÜRME-Songs gespielt, die dann erst 1988 auf „An den Ufern“ veröffentlicht wurden.

Exzessiver Alkohol- und Drogenkonsum – gab es den bei euch oder in eurer Szene? War das der Grund für den Song „Six pack“?
Den gab es immer, Alkohol sowieso. Der Drogenkonsum hat einige Opfer gefordert.

Welche Aktionen, Peinlichkeiten, Konzerte sind dir in besonderer Erinnerung geblieben?
Ich habe keine peinlichen Erinnerungen an Konzerte, sondern fand die Abende immer gut.

Habt ihr in anderen Städten oder im Ausland gespielt?
Als CHAOS Z haben wir nicht oft gespielt, schon gar nicht im Ausland. Keiner von uns hatte einen Führerschein ...

Hast du das Gefühl, dass eure Texte noch aktuell sind?
Einige Texte werden wohl niemals an Aktualität verlieren, das ist ja auch gut. Man sollte aber nicht vergessen, dass ich nicht auf immer und ewig bei diesen alten Songs hängenbleibe. Schließlich schreibe ich seit vielen Jahren regelmäßig neues Material. Weiterentwicklung ist mir wichtig und ich bin kein Freund von scheinbar „guten alten Zeiten“, die es nie gegeben hat.

Gibt es Texte beziehungsweise Songs, die du so heute nicht mehr schreiben oder auch spielen würdest?
Viele, und das ist im Zusammenhang mit Entwicklung auch verständlich, ohne dass es abwertend klingen soll.

Wie ist der Kontakt zu Mülleimer zustande gekommen, wo eure erste EP erschienen ist?
Der Kontakt zu Mülleimer kam durch das Fanzine Der aktuelle Mülleimer, dessen Erstausgabe wir bei oben genannten Konzert in die Finger bekommen haben. Micha, unser Schlagzeuger, hat einen Konzertbericht über den besagten Abend geschrieben, ihn dahin geschickt und ein Proberaum-Tape von uns beigelegt.

Auf „Underground Hits 1“ von 1982 seid ihr mit drei Songs vertreten. Wie seid ihr zu Aggressive Rockproduktionen gekommen?
Der Kontakt wurde über Mülleimer Records eingefädelt und wir wurden zu einer Session ins Musiclab Studio nach Berlin eingeladen.

Eure LP „Ohne Gnade“ ist dann 1982 als Lizenzpressung von Mülleimer auf Rock-O-Rama erschienen. Habt ihr das später bereut, dort veröffentlicht zu haben?
Wir selbst hatten nie Kontakt zu Rock-O-Rama. Wir waren damals einfach froh, dass wir eine Platte rausbringen konnten. Der schlechte Ruf des besagten Labels kam erst Jahre später auf.

Schon mit euren Songs auf dem „Ultra Hardcore Power“-Sampler wurdet ihr düsterer. Auf „Keine Experimente 2“, einem Sampler, der ebenfalls 1983 erschien, gab es die Info, dass ihr demnächst als FLIEHENDE STÜRME weitermachen werdet. Wie war die Entwicklung vom Hardcore-Punk zum Düster-Sound?
Ich finde, das geht Hand in Hand – stimmungsmäßig. Die Songs von „Keine Experimente 2“ waren die ersten Aufnahmen von FLIEHENDE STÜRME. Das Label wollte für den Sampler noch einmal den Bandnamen CHAOS Z verwenden, daher dieser Hinweis, wir waren aber zu dem Zeitpunkt bereits FLIEHENDE STÜRME.

Wie waren die Reaktionen auf eure neuen Songs?
Sehr positiv. Wegen „Ein Tropfen im Feuer“ entstand sogar der Kontakt zu einer Fotografin von SST Records.

Wie war es für dich, in den Achtzigern in einer Punkband gespielt zu haben? Was ist der Unterschied zu heute?
Das klingt jetzt wieder so verdammt nostalgisch – es geht und ging immer um Musik, mit dem entsprechenden Gefühl. Dabei werden Grenzen stets überschritten – und der Begriff „Punk“ sollte wirklich nicht in einem einzigen „szenekonformen“ Gedanken steckenbleiben, weil ganz einfach viel mehr darin steckt. Da der Übergang von CHAOS Z zu FLIEHENDE STÜRME jedoch reibungslos stattgefunden hat und wir uns damals nicht einmal umbesetzt haben, geht es aber im Prinzip um die gleiche Band, die sich entwickelt und verändert hat. Nur ist es mitunter komisch, ein Interview zu geben über eine Band, die sich schon umbenannt hat, als ich gerade mal 16 war.

Warum hast du 1995 unter dem Namen CHAOS Z das Album „45 Jahre ohne Bewährung“ veröffentlicht?
Weil im selben Jahr mit dem FLIEHENDE STÜRME Album „Fallen“ bereits ein ruhigeres Pendant entstanden ist. Im Todesjahr meines Bruders, der auch als Bassist fungiert hat, ist es auch als Hommage an ihn zu sehen. Allerdings wurde von manchen richtig erkannt, dass es letztendlich ein FLIEHENDE STÜRME-Album unter dem Pseudonym CHAOS Z ist. Wie zahlreiche FLIEHENDE STÜRME-Alben habe ich „45 Jahre ohne Bewährung“ komplett alleine eingespielt. Schon alleine diese Tatsache ist der große Unterschied zu den Aufnahmen, die Anfang der Achtziger entstanden sind.

Käme eine Reunion für dich in Frage?
Nein. Die Gründe sollten klar erkennbar sein, ohne dass ich dazu noch etwas sagen müsste.

FLIEHENDE STÜRME covern immer wieder alte CHAOS Z-Songs wie „Alles ist grau“. Wie kommt es dazu?
Ja, ein paar Songs wie „Alles ist grau“, „Trinkerherz“ oder „Duell der Letzten“ – das steht fast immer auf der Playlist – spielen wir auch immer wieder bei FLIEHENDE STÜRME-Konzerten, wobei wir das tatsächlich aus dem Bauch heraus entscheiden.