CHUMBAWAMBA

Subversion für Fortgeschrittene

Wenn MTV und Viva das Maß der Dinge in der Popwelt sind, dann haben es CHUMBAWAMBA geschafft. Es geschafft zu haben, das bedeutet in diesem wie in jedem anderen Fall, dass eine Band von den Programmverantwortlichen für so wichtig gehalten wird, dass ihr Video – in diesem Falle der Album-Opener „Tubthumping“ – gleich mehrmals am Tag auf die Zuschauer losgelassen wird. Zwar war der Band vor Jahren schon mit „Timebomb“ und „Homophobia“ der Aufstieg aus der Underground- und Insider-Liga ins Pop-Geschäft geglückt, doch die massive Omnipräsenz, die aus einem Song einen Hit macht, ließ auf sich warten. Dass der endgültige Durchbruch derzeit nun doch in vollem Gange ist, ist deshalb schon umso erstaunlicher. Jeder, der die Entwicklung der Band über die letzten Jahre verfolgt hat weiß, dass wirklich keine andere Popband politisch so extreme Ansichten vertritt und offen propagiert, wie die 8-Personen-Formation aus dem englischen Leeds. CHUMBAWAMBA waren und sind überzeugte Anarchisten, die ihren Punkbackground nur muskalisch hinter sich gelassen haben und seit Jahren bewusst auf ihre heutige Position hingearbeitet haben, mit dem Ziel, ihr Publikum durch das trojanische Pferd wunderbarer Popmusik mit radikalen politischen Statements zu konfrontieren. Gitarrist und Sänger Boff stand mir zum neuen Album „Tubthumper“ Rede und Antwort.

Ihr habt’s geschafft – habt ihr’s geschafft?

Puh, das ist von unserer Seite aus schwer zu sagen. Wir haben so unsere Schwierigkeiten damit, Erfolg in verkauften Platten zu messen. Ich weiß, das klingt wie eine Klischee-Antwort, aber wir sind jetzt schon so lange dabei, dass wir uns keinen Illusionen hingeben. Kann ja sein, dass wir dieses Jahr groß sind und viele Platten verkaufen, aber das heißt ja nicht, dass das nächstes Jahr immer noch so ist.

Auf jeden Fall habt ihr in den letzten Jahren und mit den Alben „Anarchy“ und „Swingin’ With Raymond“ kontinuierlich an eurem Erfolg gearbeitet.
Das stimmt. Wir haben ganz bewusst den Entschluss gefasst, zu versuchen, eine erfolgreiche Popband zu werden.

Du meinst eine Popband in dem Sinne, dass man eine populäre, also beliebte Band wird, die möglichst vielen Leuten ein Begriff ist?
Richtig, es ist der Versuch, unsere Ideen in einen Pop-Kontext zu setzen.

Und, funktioniert das?
Im Augenblick kann ich das, was die Ideen hinter den Songs betrifft, noch nicht so ganz beurteilen. Wenn es aber nur darum geht, dass das Video von MTV gesendet wird, dann funktioniert es – aber darum widerum geht es uns ja nicht. Immerhin scheint es aber in Großbritannien zu klappen, denn da werden allmählich auch unsere Texte wahrgenommen und die großen, landesweiten Tageszeitungen sind auf uns aufmerksam geworden. Die schreiben ganz deutlich, dass wir Anarchisten sind und die Bullen nicht leiden können.

Du meinst Zeitungen wie die Sun, also das englische Gegenstück zu Bild?
Ja, genau, und nicht nur Sun, sondern auch Daily Mirror und Sports schreiben über uns. Obwohl die weniger über uns schreiben, als uns vielmehr gnadenlos runtermachen, sich auskotzen. Die haben Schlagzeilen darüber, dass wir „pro drugs“ und „anti cops“ seien. Naja, völlige Scheiße halt.

Eure Provokation hat also funktioniert, aber erschreckt euch diese Art der Berichterstattung denn nicht mehr, als ihr euch über die Publicity freuen könnt?
Quatsch, wir sind begeistert! I love it! Seit Jahren ziehen wir durch das Land und sagen, dass wir eine Band sind, die aktiv gegen Faschisten und den Polizeistaat Stellung bezieht. Doch immer hatten wir das Gefühl, dass außer unseren paar Fans niemand sich dafür interessiert. Doch jetzt spricht fast jeder, kann man überall darüber lesen. Ist doch egal, dass die Berichterstattung negativ ist, es gibt immer noch genug Leute, die sich ihre eigenen Gedanken machen.

Für mich hat euer Erfolg aber auch eine bedenkliche Dimension: Wenn selbst eine Band wie ihr mit so radikaler Einstellung von MTV und der Mainstream-Presse „verarbeitet“ werden kann, ohne dass die Maschinerie auch nur im geringsten aus dem Takt gerät, muss man sich doch fragen, ob die Message einer Band überhaupt von Belang ist.
Diese Frage kann ich dir derzeit auch noch nicht beantworten. Aber in ein paar Wochen bin ich vielleicht schlauer und kann sagen, ob unser Tun nicht doch irgendwelche Auswirkungen hatte oder ob wir Fehler gemacht haben.

Aber erschreckt es euch denn nicht, dass ihr offensichtlich ohne Reibungsverluste von den gleichen Leuten und Firmen und über die gleichen Kanäle gehandlet werdet wie TAKE THAT und die SPICE GIRLS, die ja nun wirklich keinerlei Message haben?
Natürlich erschreckt uns das, und wir sind uns der Widersprüchlichkeit unseres Tuns auch voll bewusst. Letztendlich geht es um den ewigen Konflikt zwischen Form und Inhalt, und wir geben uns der Hoffnung hin, dass bei alledem unser Inhalt unversehrt bleibt. Wenn nicht, könnte sich das alles für uns auch zu einem kompletten Fehlschlag entwickeln. Aber danach sieht es derzeit nicht aus, denn bisher haben trotz der Sun-Hetze eine ganze Menge Leute unsere Single „Tubthumping“ gekauft. Und wenn nur ein paar von denen unser Album kaufen, die Texte lesen und die Erläuterungen dazu, war es die Sache wert. Außerdem können wir ja auch aktiv etwas tun, etwa uns weigern, in Interviews nur über unsere Kleidung und Frisuren zu sprechen, denn das ist ja der Dreck, nach dem die Leute, die sonst über SPICE GIRLS und BACKSTREET BOYS schreiben, immer fragen.

Ihr wisst also die kleinen Erfolge zu schätzen, und wenn eine Dreizehnjährige aufgrund der Sun-Berichterstattung im Lexikon nachschlägt, was es mit Anarchismus überhaupt auf sich hat, hat sich die Sache schon gelohnt.
Richtig. Denn seit ich in der anarchistischen Bewegung aktiv bin, wird der Begriff Anarchismus bzw. Anarchie von der Presse immer nur völlig falsch verwendet und nur mit negativer Bedeutung. Anarchie hat da immer was mit Chaos zu tun, damit, dass etwas nicht funktioniert. Wenn jetzt aber über uns geschrieben wird, wir seien Anarchisten, wird der Begriff in einem ganz anderen, gar nicht negativen Kontext gebraucht. Da geht es nicht um gewalttätige Vorgänge in einem fremden Land, sondern um acht Leute, die Musik machen. Und vielleicht bringt das ja ein paar Leute zum Nachdenken. Doch selbst wenn es nicht klappt, war es den Versuch wert und besser, als auf ewig in einer kleinen Underground-Szene zu bleiben, nur um vor anderen Leuten als „rein“ dazustehen. Und außerdem glaube ich, dass wir genau wissen, was wir tun und schlau genug sind, uns nicht von einem bisschen Erfolg blenden zu lassen. Wir sind uns der Widersprüchlichkeit unseres Tuns also voll bewusst.

Du sprachst eben von Inhalten, und diese stellen in eurem Fall die Texte dar.
So ist es, und deshalb legen wir auch großen Wert darauf, dass sie jeder versteht. Aus diesem Grund liegen sie in Deutschland nicht nur auf Englisch, sondern auch in deutscher Übersetzung vor.

Ich empfinde die Texte des neuen Albums als weniger konkret als die bisherigen.
Das ist ansatzweise richtig, aber sobald man weiß, worum es geht, sind sie recht deutlich. Das ist ja der Grund, weshalb wir zu jedem Text eine erläuternde Einleitung abgedruckt haben. Und einem Song wie „Farewell to the crown“, der auf der „Tubthumping“-Single enthalten ist, kann man kaum vorwerfen, nicht deutlich genug zu sein.

Was versteht man unter „Tubthumping“, bzw. was ist ein „Tubthumper“?
Das ist ein Begriff aus der anarchistischen Tradition. Ein Tubthumper war bzw. ist ein politischer Redner, der sich an Straßenecken oder vor Fabriktoren auf eine Holzkiste stellt und radikale Reden hält. Dazu gehörte schon einiges an Mut, und wir fanden die Idee so schön, dass wir uns dachten, wir seien sowas wie die moderne Version eines Tubthumpers, ausgerüstet mit Lautsprechern und elektrischen Gitarren.

Musikalisch habe ich von eurem neuen Album ein Eindruck, ihr hättet es ganz bewusst noch massenkompatibler gestaltet. „Swingin’ With Raymond“ etwa, war ja noch zweigeteilt in eine poppige und eine aggressivere Seite.
Das stimmt. Nach dem letzten Album haben wir ein Buch mit Fotos über die anarchistische Bewegung gemacht, und zu dem Buch erschien eine CD.

Du meinst das bei AK Press erschienene Buch?
Genau. Und die Songs auf dieser CD waren durchweg eher strange und unzugänglich, sodass wir uns schon bald nach „Swingin’ With Raymond“ entschlossen, das nächste richtige Album noch sweeter zu machen. Dass das neue Album so klingt, wie es klingt, ist also Konsequenz einer bewussten Entscheidung.

Mit eurem neuen Album seid ihr zu EMI gewechselt. Davor wart ihr zumindest in Deutschland auf Virgin, das ja eine Tochterfirma von EMI ist.
Wir brauchten ein neues Label, weil Virgin uns nicht mehr wollten. Die haben die Kassette mit unseren neuen Aufnahmen an uns zurückgeschickt. Ich habe keine Ahnung, warum sie uns nicht mehr wollten.

Aber warum ausgerechnet EMI? Kein anderes Label wurde von der Punkszene in der Vergangenheit so verdammt wie EMI.
Wir waren da nicht besser und haben auch jahrelang gegen EMI gehetzt.

Und was ist heute? Keine Berührungsängste mehr, nur weil keine Beziehung mehr besteht zwischen EMI und dem Rüstungskonzern Thorn?
Das ist der Hauptgrund, ganz klar. Hätten sie noch was mit Thorn zu tun, hätten wir nicht unterschrieben. Und die Geschäftsbeziehungen zu Südafrika sind heute ja auch kein Thema mehr. Vom ideologischen Standpunkt her unterscheidet sich EMI heute also nicht mehr von anderen Majorlabels. Der Grund, warum wir bei einem Major zu unterschreiben, ist folgender: Anfangs brachten wir unsere Platten selber raus, dann auf einem kleinen Indie-Label, dann bei einem Indie, der von einem Major vertrieben wurde, und jetzt schließlich sind wir bei einem Major gelandet. Und ganz ehrlich, wir haben in den letzten Jahren zwischen den Labels keinen Unterschied feststellen können. Bis auf einen, und der war ausschlaggebend: Kein Indie-Label kann so einen guten Vertrieb gewährleisten wie ein großes, internationales Majorlabel. Da es uns aber jetzt darauf ankommt, unsere Musik und unsere Message überall unter die Leute zu bringen, war es nur logisch, bei einer Firma wie EMI zu unterschreiben. Aber du kannst mir glauben, wir haben uns diese Entscheidung nicht leicht gemacht und endlos diskutiert. Wichtig war uns zum Beispiel, dass unsere Platten auch in den USA vertrieben werden. Seit fünf Jahren arbeiten wir daran, doch bis vor kurzem waren sie dort nur als Import erhältlich. Mit EMI ist das jetzt einfacher geworden, und man kann unsere neue Platte jetzt auch in Neuseeland, Australien oder Hongkong bekommen.

Du erwähntest vorhin die Angriffe der britischen Presse auf euch. Habt ihr denn darüber hinaus Probleme mit der Obrigkeit in der Form, dass eine staatliche Stelle, ähnlich der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften, hierzulande gegen euch vorgeht?
Nein, bislang nicht, aber theoretisch ist das natürlich möglich. Ich glaube auch, dass sowas wie Zensur in Großbritannien eher auf anderem Wege ausgeübt wird, etwa in der Form, wo die Medien dich völlig ignorieren oder sich niemand für den Vertrieb findet. Sowas ist schon vorgekommen, aber wir sind mittlerweile zu groß, uns können sie nicht mehr ignorieren. Jetzt müssen sie sich mit uns auseinandersetzen, egal wie. Gerade letzte Woche mussten wir aber die Erfahrung machen, dass die Presse uns provozieren will, besonders harte Statements etwa über Polizei zu machen, nur damit sie eine gute Schlagzeile haben. Da müssen wir aufpassen, was wir sagen, obwohl wir natürlich gerne laut sagen, was wir denken. Und obwohl wir vorsichtig waren, hat die oberste Polizeibehörde von England sich gezwungen gesehen, eine Presseerklärung über uns zu veröffentlichen, mit in etwa dem Inhalt, dass eine Popgruppe namens CHUMBAWAMBA sich unverantwortlich über die Polizei geäußert habe und wohl kein gutes Vorbild für die Jugend sei. Deshalb solle man die Platten dieser Band besser nicht kaufen. Wir fanden das natürlich großartig und haben uns vor Lachen beinahe bepisst. Mal abwarten, was aus dieser Richtung noch kommt. Die halten sich für mächtig, aber so mächtig, dass sie uns zum Schweigen bringen können, sind sie dann doch nicht.

Wenn ihr in den USA tourt, müsst ihr mit entsprechend scharfen Aussagen über die Polizei sicher vorsichtiger sein. Man kennt ja die Klagewut der Amerikaner und die verrückten Schadensersatzforderungen.
Oh ja. Wir hatten im Vorfeld der CD-Veröffentlichung deshalb auch jede Menge Ärger. Zum einen enthält das Booklet bzw. die Texte jede Menge Schimpfworte etc., zum anderen finden sich in unseren Anmerkungen sehr viele Zitate, die alle vorher abgecheckt werden mussten. Das waren über 50, und nicht alle Rechteinhaber haben die Zitate freigegeben. Diese Prozedur, das Erlangen schriftlicher Einverständniserklärungen, zog sich über vier Monate! Letztendlich erscheint das Booklet in den USA mit jeder Menge weißer Stellen und dem Hinweis, dass man die vollständige Version bei uns direkt bestellen kann. Und vielleicht denkt ja jemand darüber nach, warum in seinem Land so vieles nicht gedruckt werden darf. Die ganze Prozedur war jedenfalls völlig bescheuert, aber die Amerikaner sind eben völlig besessen von ihren Gesetzen.

CHUMBAWAMBA, darin bestätigte mich dieses Interview, sind nach wie vor die beste real existierende Popband, und wem sich die Genialität der vom Agit-Pop besessenen Engländer bislang nicht erschlossen hat, der sollte sich schleunigst, anlässlich der Kurztour im November, eines besseren belehren lassen. Live haben CHUMBAWAMBA noch jeden überzeugt und sind in Zeiten sprach- und geistloser Techno-Massenevents der beste Beweis, dass Body und Soul doch zusammengehören.