DEECRACKS

Foto© by Johannes Wartberger

Verwöhnte Sissies im Lockdown-Modus

Die DEECRACKS sind und bleiben die Speerspitze des österreichischen RAMONES-Core. Im März ist mit „Serious Issues“ ein neues Album erschienen. Das Trio ist bekannt als grandiose Live-Band, die gefühlt rund um die Uhr weltweit unterwegs ist. Wie ernst ist die Lage wirklich, wenn du als reisefreudige Band zum Müßiggang verdammt bist und überhaupt keine Möglichkeit hast, die neuen Songs live zu präsentieren? Dies wollen wir von Sänger und Gitarrist Matt und Schlagzeuger Mike wissen. Bassist Paul vervollständigt nach wie vor das Line-up.

Wie ist die Lage aktuell?

Mike: Wir sind im Lockdown. Matt und ich sind nach langer Zeit mal wieder zusammen in einem Raum. Es ist, wie es ist, wir müssen warten, bis wir die Spritzen kriegen. Ich freue mich auf jeden Fall darauf, wenn es wieder losgeht, Konzerte zu besuchen und selbst zu spielen sowieso. Mal wieder besoffen sein und nicht wissen, wie man nach Hause gekommen ist. So was hätte ich mal gern wieder.

Ihr seid bekannt für eure umfangreichen weltweiten Touraktivitäten. Wann war euer letztes Konzert?
Matt: Im September 2019 haben wir in der Arena in Wien unser 16-jähriges Bandjubiläum mit einem Haufen befreundeter Bands gefeiert.
Mike: 2019 war schon ein anstrengendes Jahr für uns mit ungefähr siebzig Konzerten. Also haben wir nach dem Konzert in der Arena beschlossen, dass wir bis März 2020 eine kleine Pause einlegen, daraus ist eine Pause bis März 2021 geworden ist. Wenn wir das geahnt hätten, hätten wir wahrscheinlich im Januar und Februar noch mal ordentlich Gas gegeben. Aber ein Konzert haben wir 2020 dann immerhin doch gespielt, ein Open Air am 12. September in der Arena Beisl mit 200 Besuchern. Das war für uns die Show des Jahres.
Matt: Einige Bands haben ja im letzten Jahr auch Streaming-Konzerte gespielt, das wollten wir auf jeden Fall nicht machen. Eine Live-Show ist eine Live-Show. Es geht um ein persönliches Zusammenkommen, das kann man nicht durch irgendwelche Online-Geschichten ersetzen.
Mike: Für diese eine DEECRACKS-Show 2020 habe ich Anfang August sogar im Fitnesscenter mit Cardio- und Krafttraining angefangen. DEECRACKS live ist halt schon eine Maschine, wir proben ja nicht und dann wieder auf die Bühne gehen und zehn Songs am Stück in acht Minuten runterklopfen, das geht nicht so leicht. Im Sommer haben die Studios zum Glück noch offen gehabt. Ich hatte schon mal einen Bandscheibenvorfall, da sollte ich regelmäßig trainieren.

Habt ihr durch die Zwangspause gelernt, Dinge auch wieder wertzuschätzen, die man vorher für selbstverständlich gehalten hat?
Matt: Auf jeden Fall. Allein der Gedanke an unbeschränktes Reisen. Die Pandemie hat mir ganz klar gezeigt, welch verwöhnte Sissies wir doch sind. Für uns war ja alles selbstverständlich. Und die Leute, die sich jetzt über die ganzen Kleinigkeiten aufregen so nach dem Motto „It’s my right to get my pizza“, das ist doch einfach nur lächerlich, wenn man das mit anderen Ländern vergleicht, wo ständig was passiert und es immer irgendwelche Einschränkungen gibt. Und die ganzen Sachen, die wir haben, haben wir nicht wirklich wertgeschätzt. Mal schauen, wie es ist, wenn die Pandemie vorbei ist, ob dann tatsächlich wieder mehr Leute zu Konzerten gehen. Es war ja vor der Pandemie nicht so, dass bei kleinen Bands die Clubs gestürmt worden sind.
Mike: Das hat man schon gesehen in dem kurzen Zeitfenster im Sommer, wo wieder Konzerte möglich waren. Da haben dann kleine Bands, die normalerweise vor dreißig Leuten spielen, schon vor hundert gespielt. Da sind dann welche hingegangen, weil sie wieder mal was erleben wollten.

Habt ihr auch schon Pläne für eine Tour oder ist das alles noch zu unsicher?
Mike: Ich sehe uns noch nicht auf Tour, eher erst Richtung Jahresende 2021. Es geht ja auch um die Frage, wo wir überhaupt hindürfen. Wir haben eine Show in Hamburg gebucht für April mit einem Ausweichtermin Mitte Juni. Wir planen aktuell schon Shows in Deutschland, Frankreich, Spanien und Italien.

Einige Bands beklagen, dass man aktuell beim Booking in kleinen Clubs an Freitagen und Samstagen für dieses Jahr keine Termine mehr bekommt, weil schon alles verplant ist.
Mike: Das ist aber alles noch nicht in Stein gemeißelt. Es gibt auch Clubs, die buchen momentan überhaupt nichts. Und wenn wieder was geht, holen sie sich zuerst die Sachen, die sie in den letzten Monaten absagen mussten. Und wenn es dann schnell gehen muss, werden mit Sicherheit lokale Bands davon profitieren. Wer weiß, ob die gebuchten Übersee-Bands überhaupt kommen können. Die haben vor eineinhalb Jahren ihre Deals ausgemacht, seitdem sind auch die Flüge deutlich teurer geworden. Ich arbeite im Booking für größere Bands und da haben wir teilweise für einige Bands schon drei Touren gebucht. Da hat man eine im Mai stehen, alternativ eine im November und auch noch eine für März 2022, alle drei sind in den selben Locations reserviert. Das können sich natürlich nur die großen Bands erlauben.
Matt: Der beste Tag für eine kleine Punkband, um in Wien zu spielen, ist übrigens nicht Freitag oder Samstag, sondern der Donnerstag. Wenn du als kleine Band am Wochenende spielst, verlierst du dein Publikum gerne mal an die großen Namen.

Es wird zudem gemutmaßt, dass einige kleine Clubs den Lockdown nicht überstehen werden und es möglicherweise ein Comeback der selbstverwalteten Jugendzentren geben wird.
Mike: Das könnte so kommen und ich würde das auch begrüßen. In der Gitarrenmusik geht uns in den letzten Jahren die Jugend generell ein bisschen verloren. Wir spielen eigentlich nur noch vor Leuten, die mit uns gealtert sind. Es gibt kaum jemand, der nachkommt. Und wenn das Thema Jugendzentrum wieder belebt wird, könnte das auch wieder Jugendliche für die Musik entflammen.

Was hat es mit dem Titel „Serious Issues“ auf sich?
Matt: Ich finde, dass es einfach ein cooler Plattentitel ist. Wir haben bei den DEECRACKS immer wieder gerne Titel, die auf psychische Probleme anspielen. Das ist quasi so der rote Faden und das Hauptthema vieler Songs. Das hat was von Selbstreflexion und Depressionen. Es geht auch auf dem neuen Album um Isolation und Social-Media-Themen. Ich bin da nicht involviert, habe aber schon mitbekommen, wie wichtig es für viele in den letzten Monaten war, zu einer Gruppe dazuzugehören, von der man Bestätigung erfährt. Man hat eine Meinung und sucht irgendwo Anschluss bei anderen, die die gleiche Meinung haben. Und irgendwie isoliert man sich dadurch auch auf eine bestimmten Weise.

Das neue Album erscheint bei Pirates Press als LP und bei Striped und Dumb als CD.
Mike: Die CD machen wir eigentlich nur für Japan.
Matt: Das ist echt ein Phänomen. Dass CDs dort besser laufen als LPs, hängt tatsächlich auch mit den kleinen Wohnungen in Japan zusammen. Es gibt die Geschichte, dass der Bassist der japanischen Band TEENGENERATE eine riesige Plattensammlung hat und inzwischen in einem kleinen Raum lebt, in dem es nur Platz für die Plattensammlung, seinen Plattenspieler und einen Stuhl gibt. Der hat sonst nichts in der Wohnung. Der hat kein Bett, keine Küche. Bei jedem anderen hätte ich gedacht, der verarscht mich, aber die Story stimmt. Der wollte sich nicht von seiner Plattensammlung trennen. Der pennt einfach so auf dem Boden, unfassbar.

Gibt es Titel auf dem neuen Album, von denen ihr sicher seid, dass die auch noch in zehn Jahren auf eurer Setlist stehen werden?
Matt: Das können wir nicht beantworten, das muss das Publikum entscheiden. Wenn ich einen DEECRACKS-Song schreibe, ist es für mich aber schon ein wichtiges Kriterium, wie der Song live rüberkommt. Es geht nicht darum, wie man den Song im Studio ausbauen kann. Entscheidend ist, wie funktioniert das Ganze live. Ich höre mir den Track an und stelle mir dann vor, wie er klingt, wenn er dreimal so schnell gespielt wird. Klingt er dann noch gut? Und wenn er live nicht funktioniert, dann kommt er auch nicht mit aufs Album.

Auf dem neuen Album gibt es zwei veritable Surf-Instro-Nummern. Wer von euch ist der Surf-Fan?
Matt: Ich glaube, wir lieben alle diese Tunes, aber ich bin schon verantwortlich dafür. Zum Song „Ambian shake“ gibt es noch einen witzigen Zufall. Ich habe den Song geschrieben und wollte noch den Namen eines Medikaments im Titel einbauen. Ambian ist ja ein Schlafmittel. Und als ich dann schon den Titel hatte, gab es diese Geschichte mit Roseanne Barr. Die hatte rassistische Tweets losgelassen und in der Folge ist sie dann in den USA mit ihrer Show bei Facebook und bei Twitter gecancelt worden. Und im Nachgang hat sie die Tweets darauf geschoben, dass sie zu viel Ambian genommen hätte. Dann gab es den Spruch „Ambian makes you racist“. Im Album haben wir auf der Innenhülle zu jedem einzelnen Song ein eigenes Single-Cover abgebildet. Und bei „Ambian shake“ haben wir die Couch aus Roseannes Show genommen. Den Songtitel gab es aber schon vor der Affäre.

Mein erster Eindruck vom neuen Album ist, dass es etwas härter und düsterer und nicht mehr ganz so poppig ist wie der Vorgänger, der mehrere eingängige Nummern wie „Valentine“ oder „Shambles“ zu bieten hatte.
Mike: Die neue Platte macht sehr viel Spaß, sowohl beim Anhören als auch beim Spielen. Ich höre für mich auch immer den Spaß raus, als wir die Songs aufgenommen haben. Das ist natürlich ein anderer Blickwinkel, weil ich noch weiß, wie ich mich dabei gefühlt habe. Und es gibt auf dem Album auch Songs, die wir bisher noch nie so gemacht haben, die einen eigenen Vibe oder andere Harmonien haben. Dadurch, dass die Platte so abwechslungsreich ist, kann man aber eigentlich nicht sagen, dass sie härter oder düsterer wäre.
Matt: Könnte sein, dass die Musik auf dem letzten Album eine Spur poppiger war. Aber die Themen und Texte sind es nicht, die DEECRACKS waren ja nie eine Fun Punk-Truppe. Bis auf den Track „Monkey boy“, der uns immer verfolgen wird, haben wir eigentlich keine happy Songs. Weil ich einfach keine happy Songs schreiben kann. „Valentine“ ist ja vom Text her ein positives Stück, aber es klingt ja trotzdem traurig. „Shambles“ hat einen extrem traurigen Inhalt und wirkt nur von der Musik her wirklich happy. Deshalb glaube ich schon, dass „Serious Issues“ hervorragend in die Reihe der DEECRACKS-Alben reinpasst. Mit Songthemen wie „Let’s go to the beach and have a party“ tue ich mir persönlich sehr schwer, nicht nur als Musiker, sondern auch persönlich.

In Deutschland haben zur Zeit [Februar] die Friseure geschlossen mit dem Ergebnis, dass sich viele einen gepflegten Nackenschoner wachsen lassen. Ich bin irritiert, gegen diesen Trend hat sich Mike von seiner prägnanten Langhaarmatte getrennt und verfügt jetzt fast schon über einen modischen Kurzhaarschnitt.
Mike: Desperate times! Nein, keine Ahnung. Ich werde auch nicht jünger und meine Haarpracht wird nicht voller. Ich habe inzwischen so ein Wurstblatt auf dem Hinterkopf, mit dem muss ich klarkommen und das versuche ich momentan mit etwas kürzeren Haaren. Aber ganz so kurz sind sie ja jetzt auch wieder nicht.
Matt: Mike hat ja früher auch die langen Haare zum Schlagzeugspielen gebraucht. Ohne die konnte er nicht richtig spielen. Und bis wir wieder spielen können, wachsen sie ja nach. Das ist auch ein Indikator. Wenn sie wieder lang genug sind, dann können wir auch wieder Live-Shows spielen. Frisur quasi als Sanduhr.

Ihr seid auch mit einem Song auf der Ox-CD vertreten.
Matt: Ja, mit „Don’t turn your heart off“, das ist unser Album-Closer. Meiner Meinung nach ein Song mit einer guten Aussage. Passt gut in die heutige Zeit. Den Song habe ich eigentlich für mich selbst geschrieben. Wenn man selbst an sich zweifelt und einem viele Hürden im Weg stehen, das Einzige, was man nicht tun darf, ist dann, nicht mehr an sich selbst zu glauben. Es ist wichtig, dass man sich selbst treu bleibt, egal was passiert. Das ist schon diese Punkrock-Philosophie. Don’t turn your heart off! Du musst mit deinem Herzen und allem, was du hast, hinter dem stehen, was du machst.

Ihr habt euch weltweit um die Musikszene Österreichs verdient gemacht. Wann erhaltet ihr endlich den Titel des Hofkapellmeisters?
Matt: Diese Traditions- und Titelgeilheit ist etwas, was wir in Österreich überhaupt nicht loswerden. Wir haben Sachertorte, Sissi und die Hofreitschule, wofür sich niemand interessiert, außer ein paar chinesische Touristen, die momentan sowieso nicht kommen dürfen. Ganz ehrlich, wenn uns der Titel des Hofkapellmeisters irgendwann angetragen werden sollte, werden wir dankend ablehnen. Egal wann. Oder er wird angenommen und an die Katzen verfüttert.