DON BROCO

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Krisenglück

Mit „Amazing Things“ bringt das englische Quartett sein viertes Studiowerk an den Start – ein Album, welches bereits im Vorfeld einen ziemlichen Hype verursacht. Ein Gespräch mit Frontmann Rob Damiani über Lehren aus der Pandemie, Songwriting im Lockdown und den Zauber von Wembley.

Wie schwierig ist es, mit einer Band über ein Album zu sprechen, das während der Pandemie entstanden ist – ohne ein Wort zu Corona zu verlieren? Sehr schwierig. Genauer gesagt: unmöglich. Weswegen die Problematik natürlich auch im Gespräch mit Rob Damiani einen großen Part einnahm. Auch wenn es der eine oder die andere vielleicht nicht mehr hören kann.

Allerdings ist das Corona-Virus nach wie vor da – und eben alles andere als besiegt. Bis zur Rückkehr in die Normalität, auch wenn diese hier und da schon ansatzweise wiederhergestellt scheint, ist es noch ein weiter Weg. Vor allem für die Kunst- und Musikschaffenden des Planeten, welche von der Krise und den einhergehenden Einschränkungen mit am heftigsten getroffen wurden.

Für DON BROCO ist das allerdings dennoch kein Grund zum Jammern. Klar, rund um das vierte Studioalbum der Senkrechtstarter aus Bedford ist eine riesige Euphorie entbrannt, die ausufernden Resonanzen auf die bisherigen Single-Auskopplungen deuten jetzt bereits an: „Amazing Things“ dürfte der nächste große Wurf des Vierers werden. Wodurch die Engländer wohl zumindest ein wenig entspannter als so manche ihrer Kollegen in die nahe Zukunft blicken dürfen.

Noch spricht Damiani mit großer Begeisterung, ja fast schon Ehrfurcht von jener denkwürdigen Show im Februar 2019, als DON BROCO im ruhmreichen Wembley-Stadion in London vor mehr als 10.000 Fans spielten. „Das war echt großartig und unsere größte Show jemals“, erinnert sich der Frontmann. Dabei verspürten er und seine Mitstreiter zuvor durchaus etwas Bammel. „Bei den großen Arenen weißt du nie. Du hoffst natürlich, dass es gut läuft. Aber ob dann wirklich alles funktioniert, weißt du nicht.“ In diesem Fall sollte jedoch alles nach Plan verlaufen. „Nach dem Gig schaust du trotzdem die anderen erst mal an und fragst vorsichtig: Ähm, war es für dich auch gerade so geil wie für mich?“, berichtet Damiani schmunzelnd.

Gut möglich, dass sich die Engländer künftig öfter auf den größeren Bühnen wiederfinden. Schon mit dem Vorgängeralbum „Technology“ hatte das Quartett eine echte Duftmarke gesetzt, mit „Amazing Things“ dürfte nun im September die Platte folgen, die der Band zum gern bemühten „endgültigen Durchbruch“ verhilft.

Doch auch in rein psychologischer Hinsicht ist „Amazing Things“ ein echter Glücksfall, wie Damiani erklärt. „Es ist die eine große Sache, für die wir wirklich dankbar sein müssen: Dass wir während der Pandemie diese Platte hatten, an der wir arbeiten konnten“, erklärt er und führt aus: „Wir hatten mehr oder weniger schon angefangen, bevor es richtig schlimm wurde. Und als es dann so richtig schlimm war, hatten wir etwas, woran wir uns festhalten konnten. Etwas, das wir fertigstellen wollten.“ Zumal ihnen die Beschäftigung mit den Songs auch in anderer Hinsicht durch die schweren Zeiten halfen: „Wir hatten die Möglichkeit, kreativ zu sein und unsere Unsicherheit und unsere Sorgen irgendwie zu kanalisieren. Wir waren in der glücklichen Lage, uns produktiv betätigen zu können, mit einem positiven Ziel vor Augen“, sagt Damiani und betont: „Viele Menschen mussten in die Kurzarbeit oder haben sogar ihren Job und ihre Existenz verloren. Leute waren einsam. Oder womöglich auch komplett gelangweilt. Somit hat uns das neue Album in persönlicher Hinsicht auch irgendwie gerettet.“

Dass sich das Songwriting unter Corona-Bedingungen natürlich anders als sonst gestaltete, liegt auf der Hand. „Es war natürlich eine Zäsur für uns. Weil wir erstmals ein Album komplett online geschrieben haben, indem wir uns Ideen hin- und hergeschickt haben. Wir waren kaum gemeinsam im Proberaum“, berichtet Damiani. Und das war nicht immer ganz einfach, wie der Fronter ausführt. „Das war eine riesige Herausforderung, nicht gemeinsam in einem Raum stehen und Musik machen zu können. Weil wir es zeitweise schlichtweg nicht durften.“ Das hatte am Ende auch Auswirkungen auf das Arbeitstempo. „Das Schreiben der Songs hat so deutlich länger gedauert als gewohnt. Wir haben zwar als Band prinzipiell immer schon recht lange an Songs gearbeitet. Weil wir auch alle vier eigene Ideen und Meinungen haben und Input liefern. Aber das Ganze dann noch über Zoom und andere Internetportale zu machen, war schon anstrengend“, gibt Damiani zu. Einen positiven Aspekt hebt der Sänger aber auch hervor: „Immerhin hatten wir insgesamt aufgrund der Gegebenheiten auch mehr Zeit fürs Songwriting. Was die ganze Sache dann auch wieder etwas entspannter gemacht hat. Verglichen mit der Vergangenheit, wo wir stets den terminlichen Druck hatten, mit einer Platte beispielsweise vor der nächsten Tour fertig zu sein.“ Der Sänger erklärt: „Die Band-Routinen haben sich irgendwann fast nur noch um das Album gedreht. Touren und Shows waren ja lange Zeit überhaupt kein Thema, mit dem wir uns beschäftigen mussten. Daher ging es nur noch ums Schreiben. Wir waren alle nur noch auf die Platte fokussiert. Und das war, ehrlich gesagt, irgendwo auch angenehm. Weil man nicht alles auf einmal und gleichzeitig machen musste.“

Der Pandemie können Damiani und Co. sogar noch eine weitere positive Erkenntnis abgewinnen. „Irgendwie war es schon eine lehrreiche Erfahrung. Die Pandemie hat mir nämlich gezeigt: Es ist möglich, dass wir Menschen auch mal einen Schritt zurückgehen und uns zurücknehmen. Wir müssen nicht immer tausend Sachen gleichzeitig machen. Manchmal ist es gut, das Tempo ein bisschen rauszunehmen und lieber die Dinge wertzuschätzen, die du hast“, sagt Damiani. „Das war eine wichtige Erkenntnis für mich. Was die Kunst angeht, hat mir die Zeit, die man zwangsläufig zu Hause verbracht hat, gezeigt, wie wichtig es ist, bewusst Musik zu hören. Gute TV-Sendungen zu sehen, gute Filme zu schauen. Wenn ich ehrlich bin, hatte ich dafür zum Beispiel nie wirklich Zeit. Ich messe der ganzen Kunst, die es da draußen gibt, mittlerweile einen ganz anderen Wert bei.“

„Ob die Menschheit ihre Lehren aus der Krise gezogen hat? Der Sänger meint dazu: „Es war großartig zu sehen, wie Menschen zusammengehalten haben. In unserem Heimatland, aber auch in der ganzen Welt. Es gab definitiv diesen kollektiven Spirit, dass wir es alle gemeinsam durch diese Krise schaffen. Irgendwie saßen und sitzen ja auch alle im selben Boot. Und der einzige Ausweg war und ist, dass wir uns gegenseitig helfen und motivieren. Dass viele Menschen diese Einstellung an den Tag gelegt haben und das nach wie vor tun, finde ich toll.“

Einen konkreten Plan habe es für „Amazing Things“ am Anfang allerdings nicht gegeben, wie Damiani erklärt. „Das Einzige, was wir uns vorgenommen hatten: Die Platte sollte sich schon irgendwie heavy anfühlen. Wir haben uns ja schon mit ‚Technology‘ ein bisschen in diese Richtung entwickelt und bei den anschließenden Live-Shows einfach festgestellt, dass das am besten funktioniert. Außerdem mögen wir diese Energie, die die Songs transportieren.“ Am Ende kam eines zum anderen. „Wir sind Song für Song an die Sache rangegangen. Eine Roadmap gab es nicht. Und es hat auch ohne super funktioniert.“

Allerdings gesteht der Frontmann lachend: „Wenn ich ehrlich bin, habe ich die Scheibe gar nicht noch mal komplett gehört, seit wir sie fertig haben.“ Damiani erklärt: „Gerade wenn es dann in die heiße Mixing-Phase geht, hörst du die Songs immer und immer und immer wieder. Das Letzte, was du danach tun willst, ist wirklich, die Platte noch mal aufzulegen, haha.“ Vielmehr habe der Sänger die vergangenen Wochen dafür genutzt, „ausgiebig andere Musik als unsere“ zu hören. Dennoch stellt Damiani klar: „Ich freue mich aber schon drauf, auch unsere eigene Scheibe mal wieder aufzulegen, ist doch klar!“

Eine Sache gibt es dann aber noch zu klären: Ein Bandname, der aus einem Gag über eine Fußballverletzung des Gitarristen Simon Delaney entstand, ein Video, in dem die Band versucht, die DNA von David Beckham zu klonen, Live-Shows im England-Jersey – sind DON BROCO wirklich so fußballverrückt, wie es scheint? Damiani räumt ein: „Viele Leute denken witzigerweise, dass wir alle die Mega-Fußballfans sind. Sicherlich auch wegen des Beckham-Super-Reds-Videos, klar. Und Simon spielt ja gern mal selbst. Wie wir aber ja alle wissen, stellt er sich dabei manchmal nicht so ganz clever an, haha. In Wahrheit ist es aber eigentlich nur Matt Donnelly, unser Drummer. Er liebt Manchester United.“ Dennoch hat der ausgekoppelte Song „Manchester super reds no. 1 fan“ aber natürlich einen Fußballbezug. Damiani erklärt: „Früher, als ich jünger war, war ich selbst auch United-Fan. Witzigerweise stammt daher auch die Idee für den Song. Meine Eltern haben beim Ausmisten auf dem Dachboden einen alten United-Schlüsselanhänger gefunden. Den habe ich Matt geschenkt. Als wir dann den Song aufgenommen haben, gab es diese eine Passage, wo ich zu ihm sagte: Ach, schrei doch da einfach irgendwas. Er rief dann: „Manchester super reds number one fan“. Und das ist irgendwie geblieben, haha.“

Was das spacig-ulkige Video womöglich überspielt: Der Track hat durchaus einen ernsten thematischen Hintergrund. „Der Song handelt einerseits von Menschen, die eine Band oder einen Künstler oder eine Figur so vergöttern, dass sie es irgendwann nicht mehr akzeptieren können, wenn ihre Helden etwas tun, was nicht der eigenen Vorstellung entspricht. Beispielsweise ein Album rauszubringen, das vielleicht in eine neue Richtung geht. Und hier gibt es die Parallele zum Fußball: Dort gibt es auch Hardcore-Fans, die sich mit Leib und Seele einem Team verschrieben haben. Wenn dann einer ihrer Spieler aber mal das leere Tor nicht trifft, rasten manche von denen aus und beschimpfen die Kicker aufs Übelste. Ein trauriger Trend, der sich in vielen anderen Bereichen heute vor allem in der Social-Media-Welt manifestiert“, meint Damiani.

Bei der jüngsten Europameisterschaft haben die vier Bandmitglieder natürlich trotzdem den „Three Lions“ die Daumen gedrückt. „Es war cool, dass England es bei der Euro ins Finale geschafft hat, das Resultat war dann natürlich frustrierend für alle Fans“, erinnert sich Damiani an die Endspielpleite gegen Italien. Der Sänger nimmt’s nicht so schwer: „Aber so läuft das Spiel eben. Und wir Engländer sind ja leidgeprüft.“ Wobei: Wenn es die englischen Fußballer nicht schaffen, das Wembley-Stadion in Ekstase zu versetzen, gelingt das in Zukunft ja womöglich DON BROCO.