ELECTRIC FRANKENSTEIN

Monstermacher

ELECTRIC FRANKENSTEIN, seit Jahren ein wohlgehüteter Geheimtip in der internationalen Punkszene, schafften es im Juni nach zig Anläufen endlich mal nach Europa zu kommen. Deutschland beehrten sie dabei zwar nur mit drei Shows, doch wer die verpasst hat, kann sich immerhin mit dem neuen Album „How To Make A Monster“ trösten, das die aus New Jersey stammende Band nach unzähligen Releases auf kleinen und kleinsten Labels weltweit nun bei Victory Records veröffentlicht hat.

Ich traf die Band im März in Austin, wo sie im Rahmen der SXSW-Musikmesse beim Man’s Ruin-Showcase aufspielten. Steve Miller (voc), Sal Canzonieri (git), Jim Foster (git) saßen mir im Biergarten von „Emo’s“ gegenüber, Dan Canzonieri (bass) und Rob Sefcik (drums) waren derweil mit dem Aufbau des Equipments beschäftigt.
ELECTRIC FRANKENSTEIN, das sind die ungekrönten Meister des Massenoutputs: In den letzten zwei, drei Jahren verging kein Monat, in dem die Herren nicht irgendwo auf der Welt eine neue 7“, CD oder 10“ veröffentlichten, und die Diskographie der schwer rockenden Seventies-Punks ist mehrere Dutzend Titel lang – mit dem kleinen Nachteil, dass sich die Titel auf diesen Scheiben oft stark überschneiden. Wie kommt’s? „Es ist so, dass ich sehr viel Post bekomme von Fans, die mir berichten, dass unsere Platten oft nur per Import zu relativ hohen Preisen zu bekommen sind“, erklärt Sal. „Mir stinkt es auch, wenn ich für eine HELLACOPTERS-7“ in New York im Plattenladen $8 zahlen soll. Abgesehen davon zeugt die Zahl von 75.000 verkauften Platten innerhalb von drei Jahren meiner Meinung nach durchaus davon, dass unsere Strategie richtig ist.“
Eine Strategie, die letztendlich in einem Deal mit Victory mündete, der aber vielleicht auch dafür sorgt, dass in Zukunft etwas weniger EF-Releases neu in die Läden kommen. Sal: „Wir denken, dass es Sinn macht, alles bei einem Label zu konzentrieren. Es läuft dann nicht mehr so vieles parallel.“ Und Steve fährt fort: „Wir werden im Laufe der nächsten Monate die eine oder andere Single machen, ansonsten konzentriert sich alles auf das Album, für das sich Victory auch richtig ins Zeug legen.“
Aber warum Victory? Das in Chicago ansässige Label hat ja in der Vergangenheit mit Bands wie EARTH CRISIS, STRIFE oder INTEGRITY eher die knüppelharte Hardcoreschiene durchgezogen und sich nicht unbedingt mit Punkrock der alten Schule einen Namen gemacht. Steve: „Diese Frage haben wir in letzter Zeit schon mehrfach gehört. Nun, wir hatten ein paar Angebote, aber letztendlich den Eindruck, sie würden am meisten für uns tun.“ Und Sal fährt fort: „Ich habe einen guten Eindruck von Victory, und dazu zählt auch, dass von 15 Leuten, die dort arbeiten, 7 bereits all unsere Platten besitzen, weil sie Fans sind – ich denke, das ist ein gutes Argument. Außerdem haben sie ein gutes Team für Promotion und so weiter, sowohl in den USA wie auch in Europa. Wichtig war für mich auch die Meinung anderer Bands auf Victory, und während da zu den anderen Labels, die zur Diskussion standen, auch negative Stimmen kamen, blieben die zu Victory aus. Musikalisch gesehen haben die natürlich viel Hardcore, klar, aber mit HIFI & THE ROADBURNERS, BAD BRAINS, GREY AREA und THE STRIKE gibt es da mittlerweile durchaus ein Gegengewicht.“
Ändern wird sich, und damit ist Sal bei seinem Lieblingsthema angelangt, in den nächsten Monaten auch das Musikbusiness. Im Visions wurde ja bereits ausführlich über den Themenkomplex MP3 berichtet, und EF haben dazu nicht nur einiges zu sagen, sondern auch die Nase ganz weit vorn. „Ich bin überzeugt, dass sich das Musikbusiness in den nächsten drei, vier Jahren massiv verändern wird“, erklärt mir Sal. „Ich denke, es wird im Verhältnis der Bands zu den Läden und zum Radio eine Revolution geben: Mit Hilfe des Internets werden die Bands in Zukunft viel mehr in direktem Kontakt mit den Fans stehen. Schon jetzt haben wir mehrere Songs im MP3-Format im Internet abrufbar, es gibt auch ein exklusives Best of-Album nur im MP3-Format und wir werden in Zukunft auch Songs exklusiv im MP3-Format anbieten. Diese Veränderungen können dazu führen, dass sich die Labels in so gut wie gar nichts mehr unterscheiden und der einzige Grund für deine Entscheidung der ist, dass du dem A&R-Mann dort vertraust, dass du weißt, dass dieses Label nur gute Bands nimmt. Es gibt einfach zu viele Bands – derzeit sind im Internet über 6.000 Bands im MP3-Format abrufbar, und täglich werden es mehr, so dass es immer wichtiger wird, sich auf die Vorauswahl von irgendwem zu verlassen.“ Und Jim ergänzt: „Das Internet und die damit verbundenen Möglichkeiten geben auch vielen Independent-Labels die Chance, mit dem Majors in bestimmten Aspekten mitzuhalten. Alles ist in Bewegung.“
Sal fährt fort: „Derzeit gibt es die Entwicklung, dass es immer mehr Internet-Labels gibt. Das sind Labels, die sich eben einen guten Namen gemacht haben und von denen jetzt bekannt ist, dass bei ihnen interessante Sachen zu bekommen sind – deshalb werden sie angewählt. Und wir als Band mögen zwar, nun, „altmodischen“ Rock’n’Roll spielen, aber ich finde, das ist kein Gegensatz zum „modernen“ Internet, denn es ist ja nur die Art der Selbstdarstellung, die neu ist.“
Klingt gut, doch was für eine Möglichkeit sieht Sal für eine Band Geld zu verdienen, wenn sie ihre Songs via Internet und MP3 umsonst unters Volk bringt? Sal: „Ganz einfach: Wir haben von jeder Platte einen Song auf der Homepage, die Leute können sich die runterladen und wenn ihnen die Musik gefällt, können sie über einen Mausklick die Platten direkt bei uns bestellen. Außerdem hat die Firma MP3 mittlerweile ein eigenes Label namens DAM gegründet, und wenn jemand bei ihnen per Internet digitale Songs von dir bestellt, bekommst du nach den ersten $50 die Hälfte von jedem weiteren Dollar. Das ist ein verdammt guter Deal, davon kannst du bei einem Majorlabel nur träumen. Und wenn du für sie ein Album zusammenstellst, kannst du dessen Songs und ihre Reihenfolge jeden Tag wieder ändern. Je nachdem, wie viele Songs auf dem Album sind, kannst du ein Album für einen Preis zwischen $7.99 und $13.99 runterladen.“
Das alles, da sind sich die Vinyl-Liebhaber von ELECTRIC FRANKENSTEIN einig, wird aber ebenso wenig den Tod der klassischen 7“, 10“ und 12“-Formate bedeuten wie die Einführung der CD – und auch Plattensammler werden keine aussterbende Zunft. Sal: „MP3 und das Internet, das sind eben neue Format, die parallel zu den bisherigen existieren und ganz neue Möglichkeiten bringen. Ich bin sicher, es wird immer Bands geben, die Vinylplatten pressen werden, und es wird immer Leute geben, die Vinyl kaufen.“ Jims Meinung dazu: „Ich denke, dass es auch mit den Platten aus dem Internet noch Sammlerstücke geben wird. Zum Beispiel ist es heute schon üblich, dass Bands ein Livealbum etwa nur für eine bestimmte Zeit zum Download anbieten, und damit ist es limitiert und kann zum Sammlerstück werden. Wenn die Datei dann auch noch verschlüsselt ist, also einen Kopierschutz hat, dann ist das genauso ein Einzelstück wie eine CD oder LP.“
Kommen wir zur verworrenen History der im Großraum New York City ansässigen Band: Steve Miller ist nämlich sowohl der alte wie der neue EF-Sänger. Sal klärt auf: „Ganz am Anfang war die Band nur ein Spassprojekt und wer immer bei der Probe auftauchte, war in der Band. Wir hatten sechs Drummer, und unsere erste Show – wir gründeten die Band ’92 – im Oktober ’93 spielten wir mit einem Typen namens Frank am Mikro. Er wollte aber musikalisch was zwischen Lou Reed und den RAMONES machen, während wir eher die DEAD BOYS, STOOGES und SEX PISTOLS im Kopf hatten. Also trennten sich unsere Wege, und über eine Kleinanzeige kamen wir an Steve.“ Und Steve fährt fort: „Von da an entwickelte sich das von ganz alleine: Wir spielten ein paar Shows und wurden immer bekannter. Ich war immer noch in dieser anderen Band namens CRASH STREET KIDS, und als die sahen, wie es sich mit EF entwickelte, lösten wir die Band auf.“
Irgendwann war das Kapitel Steve wegen dessen chronischer Überbeschäftigung dann aber abgehakt und Scott kam ins Spiel. Sal: „Scott, der früher bei der Hardcore-Band VERBAL ABUSE gesungen hatte, fragte uns immer wieder, ob er nicht für uns singen könne, und da wir auf Tour gehen wollten und einen Sänger brauchten, nahmen wir ihn.“ Steve: „Nach einer Weile kamen sie mit Scott dann aber nicht mehr klar, und da wir im gleichen Gebäude unseren Proberaum hatten, kamen sie an und fragten, ob ich nicht wieder für sie singen könne. Ich versuchte es, es lief und ich war wieder drin.“ Jim erläutert dazu: „Das war nach dem kurzen Gastspiel von Rik L Rik, als der wieder nach Kalifornien zurückging. John hatte Steve gefragt, Steve kam in den Proberaum, meinte „Wie geht’s?“, sang zwei Songs und ging wieder. Ich und Sal schauten uns nur an und ich sagte „Well, this motherfucker can still fucking sing!“ Und so war Steve wieder in der Band.“
Die alten Fans sind glücklich, und wer die tätowierte Wuchtbrumme mit der versoffenen Reibeisenstimme mal auf einer Bühne in Aktion gesehen hat weiß, warum die vier anderen EFs Steve zurück haben wollten – und für EF brachte es letztendlich den ersehnten Plattendeal. Sal: „Jedes Label sagte zu uns, sie würden uns unter Vertrag nehmen, wenn Steve wieder in der Band wäre, unsere Fans schrieben uns das gleiche und es stand in den Reviews unserer Platten: „I wished the big guy would be back!“ Jetzt ist er zurück und wir sind alle gespannt, wie es jetzt weitergeht.“