GRIND

Foto© by Kai Kotzyba, Sebastian Haiduk

Philosophiestunde

Stumpf ist Trumpf? Das ist bei einigen Metalbands vielleicht so, nicht aber bei GRIND. Welchen Einfluss ein 25 Jahre alter Kalender auf das neue Werk hatte, erklärt uns René, Gitarrist und Sänger der Flensburger Post-Metalband GRIND.

Du hast gesagt, dass die Inspiration zu den Texten auf „Grace And Misery“ von einem Kalender stammt – kannst du das kurz erläutern? Es werden uns ja keine klassischen „Kalendersprüche“ erwarten?

Nein, keine Angst. Ich bekam vor rund 25 Jahren von meinem damaligen Philosophielehrer, der zugleich Künstler ist, einen Kalender geschenkt, der für mich seitdem sehr bedeutsam ist. Neben zwölf abstrakten Bildern seines künstlerischen Schaffens finden sich hier zwölf Auszüge von Werken aus der Poesie, Philosophie und Soziologie. Alle zwölf Seiten thematisieren auf unterschiedliche Weise das Individuum in der Gesellschaft. Ich habe diesen Kalender nun viele Jahre später zum Thema unseres neuen Albums gemacht.

Welchen Einfluss auf dein Leben hatte es, einen Philosophielehrer zu haben, der dich ja auch offensichtlich nach über zwei Jahrzehnten immer noch beschäftigt?
Ich halte den Kalender als wertvolles Geschenk in Ehren und bin glücklich, dass sich aus der Lehrer-Schüler-Beziehung eine wichtige Freundschaft entwickelt hat. Ich umgebe mich möglichst mit Menschen, die mein Leben intellektuell und emotional bereichern, um ein glückliches Leben zu führen. Ekkehart ist für mich ein scharfer wie freier Geist der meine Existenz auf diese Weise lebendig macht.

Was ist das philosophische Konzept hinter dem Album? Was hat euch bei der Idee, philosophische Gedanken in eure Musik einfließen zu lassen, vor besondere Herausforderungen gestellt?
Du hast als Musiker die Möglichkeit, dich durch deine Texte, die Musik und das Artwork auszudrücken. Wir haben bei diesem Album alle drei Wege konsequent genutzt. Die Texte auf „Grace And Misery“ beschäftigen sich alle mit dem Menschen, dem Individuum in seiner Umwelt und in der Gesellschaft. Dabei treten Anmut, also Grace, und Elend, Misery, des menschlichen Denkens und Handelns gleichermaßen in Erscheinung. Licht und Schatten gehören immer zusammen. Ein „Bild“, das sich auch auf dem Cover wiederfindet. Der freie assoziative Umgang mit den Texten aus dem Kalender, der den Anspruch verfolgt, philosophische Ideen in eine künstlerische Form zu übersetzen, findet seine Entsprechung auch in unserer Musik. Wir lösen uns dabei von Genres und damit verbundenen Limitierungen. Auf „Grace And Misery“ findet sich daher auch mehr als nur klassischer Grindcore. Passend zum Textkonzept hört man Sanftheit und Wildheit, Boshaftigkeit und Zuversicht. Die Herausforderung bei der Entstehung des Albums war es, diese drei Ebenen als Einheit zu denken.

Welchen Platz hat Philosophie in einer kapitalistischen Gesellschaft, die in vielen Teilen der Welt immer weiter nach rechts driftet?
Ich habe Sozialwissenschaften studiert und bin qua Profession kein Philosoph. Ich kann aber gern ein paar Gedanken dazu teilen. Die Mutter aller Wissenschaften beschäftigt sich ja vor allem mit dem Erkennen. Unsere Gesellschaft hier oder auch die Menschheit an sich zeichnen sich durch eine Vielzahl an Ideen des menschlichen Zusammenlebens aus und da verschieben sich aktuell Deutungshoheiten wie Machtgefüge und wir beobachten mit der Brille unserer kulturellen Prägung, wie zerbrechlich Menschenrechte und Demokratie sind. Umso wichtiger ist es derzeit, nicht in Lethargie zu fallen, sondern zu denken und zu handeln. Unsere Texte folgen allesamt einem Muster, das dem Menschen zugewandt ist, die Menschenwürde, aber auch die Natur achtet und an die Selbstverantwortung appelliert. Für jene, die tiefer einsteigen wollen, ergeben sich Fragen wie: Welche Rolle nehme ich in der Gesellschaft ein? Wer möchte ich sein? Was kann ich tun, damit diese Welt ein guter Lebensraum ist? „Think for yourself! Because it’s up to you to make this world a better place. It’s about empathy, humility and respect“, heißt es in unserem Stück „Leviathan“.

Der Song „Bones of utopia“ trägt das Utopische ja schon im Namen – nach welcher Utopie strebt ihr in euren Texten?
Wir bieten dir keine konkrete Utopie an, vielmehr weisen wir darauf hin, dass es wieder an der Zeit ist, sich mit dem Thema Utopien verstärkt auseinanderzusetzen. In diesem Sinne brauchen wir wieder mehr „Grace“. Die Texte haben etwas Offenes, Befreiendes, Hoffnungsvolles. Es braucht neue Ideen hinsichtlich des Zusammenlebens als Weltgemeinschaft.

Vermisst du – gerade im Metal – Texte und Themen, die sich vielleicht von klassischen Metal-Klischees abheben? Wird es sich da oft zu leichtgemacht?
Ich fand es schon als Teenager gut, wenn eine Haltung erkennbar war. Wenn ich jetzt darüber nachdenke, finde ich doch viele Bands, die das spannend und gewichtig gestalten, zum Beispiel AT THE GATES, GOJIRA, die späten DEATH. Darüber hinaus finde ich es aber auch in Ordnung, Musik als Eskapismus zu nutzen und sich gut unterhalten zu fühlen, einfach die Energie zu spüren. Oft ist es dann aber auch gut, wenn die Texte nicht unbedingt verständlich dargeboten werden. Wenn sich Menschen finden, die das abfeiern, gern. Diversität finde ich auch hier grundsätzlich gut.