IMP

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Nicht professionell in irgendwas

2018 sah ich eine Dokumentation namens „Lösch Dich!“ der (damaligen) Funk-Journalisten Rayk Anders und Patrick Stegemann über rechte Netzwerke und Hass-Trolle im Internet. In einer Einstellung wird ein junger Mann gezeigt, genannt imp, der angeblich den Holocaust leugnet und Hassbotschaften sowie Nazi-Symbolik verbreitet. Seltsamerweise trägt er ein TERRORGRUPPE-Shirt mit dem Aufdruck ,,Dem Deutschen Volke“. Also ein eindeutig linkes Motiv, das die NS-Fahne mit einem Galgen statt dem Hakenkreuz in der Mitte persifliert. Ich bin zunächst irritiert und nachdem die Doku im „Neo Magazin Royal“ von Jan Böhmermann noch mal gefeaturet wird, auch interessiert daran, diesen Widerspruch aufzulösen.

Eine nähere Beschäftigung mit dem YouTube-Kanal von imp (kurz für „Impertinenzius“) ergibt, dass er neben TERRORGRUPPE- auch gerne NOFX-, MISFITS- und KNOCHENFABRIK-Shirts in seinen Videos trägt und sich aus einer eher linken Perspektive mit Tagespolitik, Medien und insbesondere auch mit Funk, dem für ein junges Publikum gedachten Internetangebot der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten, kritisch auseinandersetzt. Dieser Umstand und sein ausführliches Feedback-Video zu den in der Funk-Reportage erhobenen Vorwürfen, lassen mich zu dem Schluss kommen, dass diese, bezogen auf imp, irgendwo zwischen böswilliger Retourkutsche und journalistischer Schlamperei anzusiedeln sind. Auch andere YouTuber:innen und Rechercheseiten wie Mimikama kritisierten das Vorgehen der Funk-Redakteur:innen. Da imp im Prinzip eine Art Online-Version eines (Ego-)Fanzines macht und auch mit Punkrock keine Berührungsängste hat, war es naheliegend, mit ihm über sein aktuelles Schaffen zu sprechen.

imp, einige Leser:innen kennen dich eventuell aus der Dokumentation „Lösch Dich!“, in der du ungerechtfertigterweise in eine Ecke mit rechten Internet-Trollen und Neonazis gestellt wurdest. Inwieweit haftet dir das heute noch an? Gab es da mal irgendeine Form von Entschuldigung oder Richtigstellung von den Macher:innen?
Die haben mich damals ja ursprünglich zu einem anderen Format eingeladen, ein Funk-Format namens „Auf Klo“. Ich habe denen auch nicht ganz vertraut, da ich in der Vergangenheit mehrfach Kolleg:innen von ihnen kritisiert habe. Und dann habe ich morgens in meinen Schrank geguckt und gedacht: Ziehe ich mal das TERRORGRUPPE-Shirt an. Und der Moderator, Patrick Stegemann, hat das auch ziemlich schräg beäugt. Er hat das wohl nicht verstanden oder nicht zuordnen können. Beim ZDF sind halt nur Almans, die betrachten sich selber als Linke, sind aber die größten Spießer überhaupt. Da hängt schon immer noch etwas nach, auch nach knapp fünf Jahren. Aber Peter Lustig hat man ja auch immer nachgesagt, dass er eigentlich ein Kinderhasser sei, weil das irgendjemand mal behauptet hat, haha. Ist das einmal in der Welt, kannst du auch mit Gegendarstellungen nicht mehr viel machen. Jan Böhmermann und Rayk Anders sind Wortführer und wenn die solche Dinge über dich behaupten, dann hängt dir das auch immer an. Und das, obwohl wir mit beiden niemals persönlich gesprochen haben. Nur mit Patrick und Sibel von Funk. Dass das in der „Lösch Dich!“-Doku und im „Neo Magazin Royal“ benutzt wird, wurde uns nicht gesagt. Nur dass man bei Funk mal ein paar Kritiker zu Wort kommen lassen möchte. Eine Entschuldigung gab es von denen nicht, obwohl mir viele Leute Screenshots von Nachrichten geschickt haben, in denen sie das ZDF auffordern, seiner journalistischen Sorgfaltspflicht nachzukommen. Da gab es von Außenstehenden viel Support für uns. Auf diese Hinweise reagierte das ZDF mit dem immer gleichen Standardbrief, der besagte, man habe das intern von der Beschwerdestelle prüfen lassen und es sei mit dem Beitrag alles in Ordnung. Das hat mich ein bisschen daran erinnert, wie die Polizei Beschwerden über Polizeigewalt relativiert. Ungefähr so läuft das auch da ab.

Beschreibe bitte mal, was oder wer imp ist und was du machst. Ich finde das schwierig zu fassen: Information, Meinungsmedium, Kabarett?
Das weiß ich auch nicht so genau. Und das ist ja auch eigentlich das Gute an YouTube-Kanälen oder Twitch, dass du im Grunde genommen alle Rollen hast. Du bist dein eigener Chefredakteur und Darsteller. Wenn du Bock darauf hast, einen Sketch zu machen, dann machst du den halt. Viele YouTuber:innen haben aber auch so etwas wie einen roten Faden in ihrem Kanal, aber ich finde es grundsätzlich geil, dass ich hochladen kann, was ich will. Ich muss mich vor keinem rechtfertigen. Die terms of services der Plattformen muss ich schon beachten, das heißt Nacktheit oder so darf ich nicht zeigen. Aber ich muss keine Angst haben, dass ein fertiger Beitrag nicht gebracht wird, weil er nicht ins Sendeschema passt. Es ist es auch egal, ob das erfolgreich ist. Wenn ich auf etwas Lust habe, mache ich es. Nenne es Satire, nenne es Meinungsblog. Man kann es nennen, wie man will. Wenn ich meine persönliche Sichtweise auf Themen bei anderen so noch nicht gehört habe, dann teile ich der Welt das eben mit. Nur Themen von anderen aufzugreifen, reizt mich nicht. In der Pandemie war es auch von Vorteil, YouTuber zu sein. Im Prinzip habe ich alles so weitergemacht wie vorher, nämlich am PC gesessen und Zeug erzählt. Ich mache das auch größtenteils alles alleine. Manchmal ist jemand dabei, der mit mit der Kamera hilft. Aber ich bin nicht professionell in irgendwas! Manager oder Netzwerke waren mir immer suspekt. Ich bekomme das bei anderen Leuten mit. Die sind dann in einem Netzwerk drin und müssen irgendwelche Verpflichtungen erfüllen. Irgendwelchen Schrott bewerben oder eine Kollaboration mit Leuten machen, auf die sie keinen Bock haben. Da überwiegen meiner Meinung nach die Nachteile.

Erkläre mir mal den Reiz von Livestreams bei Twitch, wo man Leuten in Echtzeit beim Reden zuhört. Ich komme mir dabei vor, als ob ich einer Band beim Proben zugucken würde, ohne dass dabei ein fertiges Lied entsteht. Prozess statt Ergebnis.
Einer Band beim Proben zuzusehen, kann aber auch Spaß machen. Als ich mit Twitch angefangen habe, gab es kaum andere Live-Plattformen. Es ist halt cool, wenn du live mit Leuten reden kannst. Ein bisschen kann man das vergleichen mit dem TV Format von Domian, das genau dadurch seinen Reiz hatte. Es ist komplett ungefiltert und nicht wiederholbar, es gibt keine Schnitte, es ist interaktiv. Laien und Medienprofis nebeneinander. Die Leute können sich nicht so gut verstellen wie vor einer Kamera, es ist realer. Davon schließe ich mich auch nicht aus. Wenn man weiß, dass eine Kamera läuft, geben wir uns alle anders.

Du gehst in deiner Kritik an anderen Content-Produzent:innen recht robust vor. Was macht für dich den Reiz daran aus?
Eine härtere Gangart kann zeigen, dass die Kritik notwendig und berechtigt ist. Und es macht auch einfach mehr Spaß. Im Punkrock singt man doch auch eher über Dinge, die man scheiße findet und nicht über solche, die man gut findet. Ich bilde mir nicht ein, alleine die Welt verändern zu können. Aber wenn man denkt, hier ist etwas passiert und das kann ich nicht so stehen lassen, dann kann ich das auch öffentlich kritisieren. Als Kind habe ich schon gerne „Kalkofes Mattscheibe“ gesehen und da wurden absurde Sachen gezeigt und kritisiert. Ich greife auch primär die Inhalte an, nicht den Menschen, der dahintersteckt.

Und dann hängt es auch davon ab, wie selbstironisch die Protagonist:innen darauf reagieren, oder?
Na ja, in der Medienwelt tummeln sich auch viele Narzissten, die nehmen das größtenteils persönlich. Da müssen die halt mit leben.

Du bist der einzige mir bekannte YouTuber, der Punkrock-affin rüberkommt. Neulich habe ich dich mit einem KNOCHENFABRIK-Shirt gesehen. Wie sah deine Punkrock-Sozialisation aus?
Oh, KNOCHENFABRIK gelten neuerdings auch als problematisch, oder? Die haben bei einem Konzert zwischen zwei Songs einen Witz gemacht, in dem es um Frauen ging, und jemand fühlte sich wohl dadurch beleidigt, #PunkToo. Ich habe das aber nur am Rande mitbekommen. Wer konnte schon ahnen, dass Leute im Punkrock sich manchmal danebenbenehmen? Aber zurück zur Sozialisation: Mit fünf Jahren habe ich vom großen Bruder einer Kindergartenfreundin eine Kassette von DIE TOTEN HOSEN bekommen, „Reich & sexy“, aber auf englisch. Eine Art Best-Of. Mein Vater hat mir dann später die deutsche Version als CD gekauft. Dann kamen DIE ÄRZTE und mit zwölf Jahren stieß ich dann auf WIZO. Da habe ich mich sozusagen im Internet weitergebildet. Die MARIONETZ habe ich zum Beispiel so für mich entdeckt. Der Soundtrack von „Tony Hawk’s Pro Skater“-Spiel und die Punk-O-Rama-Sampler haben später ihr Übriges dazu getan. Wir hatten es viel leichter als ihr Ü40er, die in den Achtziger Jahren durch die ganze Stadt fahren mussten, um sich eine Platte zu besorgen. Da bin ich überhaupt nicht nostalgisch. Auch ohne Internetzugang hatte ich schon eine Festplatte voll mit Musik. Heute haben wir mit YouTube und Spotify die beste Zeit für Musikhörer:innen. Der Entdeckergeist aus dem Plattenladen geht zwar verloren, aber Neuentdeckungen aus dem Netz kannst du direkt mit Freunden teilen und weiterempfehlen. Und es kommen ja auch ständig gute neue Sachen. Im Stream hat mir neulich jemand TEAM SCHEISSE empfohlen und jetzt bin ich Fan. Und dann geht man daraufhin mal auf ein Konzert und guckt sich das an. So finde ich das praktischer, als mir die Platten alle kaufen zu müssen. Ich mag die Attitüde beim Punk einfach. Sich nicht zu ernst zu nehmen und trotz mangelnder Fähigkeiten Dinge einfach mal anzugehen.

Stichwort Attitüde: Ist die deiner Meinung nach noch vorhanden? Böse Zungen könnten einwenden, dass Punkrock im ZDF-Doku- und „Rockpalast“-fähigen Alter angekommen ist. Iggy Pop hat vor einiger Zeit die dreiteilige Doku zum Thema „40 Jahre Punk“ für Arte gemacht.
Iggy Pop ist doch ein guter Musiker, den mag ich gerne. Schwierig zu sagen, was noch unter Punkrock fällt. Ich habe den Eindruck, dass momentan so eine neue Welle von Mainstream-tauglichen Sachen aufkommt, die mir nicht so gut gefällt. FEINE SAHNE FISCHFILET zum Beispiel finden viele Leute geil und sagen, das sei Punk, aber mir ist das zu seicht und balladesk. Die scheinen im Backstage Bereich mehr Punk zu sein als auf der Bühne, wie man so hört. Wenn es anders herum wäre, würde ich es mir vielleicht anhören, haha.

Vielleicht sollten die lieber aus ihrem Backstage-Bereich streamen, um dich zu gewinnen?
Von mir aus! Ich finde, im Punkrock kann man sich auch danebenbenehmen und Leute beleidigen und besoffen sein. Das ist schon ganz gut so. Punk muss sich nicht unbedingt gut benehmen und ein Vorbild sein.

Glenn Danzig meinte vor einiger Zeit in einem Interview, eine Jugendkultur wie Punk könnte unter heutigen Political-Correctness- und Wokeness-Gesichtspunkten nicht mehr entstehen.
Louis C.K. sieht das ähnlich. Dafür hat er auch wieder einen auf den Sack bekommen. Da hat er sich darüber mokiert, dass die heutige Jugend so brav und permanent beleidigt ist, wenn man sie falsch anredet. Normalerweise beschweren sich die alten Leute darüber, dass Jugendliche radikal sind, Skateboard fahren, Punk hören, Drogen nehmen und randalieren. Heute machen das die Älteren, und die Jugendlichen sind schnell gekränkt und finden das problematisch. Ich denke, man muss immer beachten, wer etwas sagt und warum. Entscheidend ist der Kontext. Wenn jemand einen Witz macht, der problematisch sein könnte, ist es ein Unterschied, ob der von einem NPD-Funktionär oder einem Kumpel der betreffenden Person kommt. Ich war schon auf Punk-Festivals, auf denen derbe Späße passiert sind, die außerhalb dieses gemeinsamen Kontextes indiskutabel gewesen wären. Aber das ist auch das aktuelle Problem: Wenn unterstellt wird, man würde keine Witze machen, sondern unter dem Deckmantel des Witzes etwas anderes beabsichtigen. Manchmal denke ich, so ein Typ wie GG Allin wäre vielleicht heute gut, damit man die Messlatte wieder höher ansetzt, um zu sehen, welches Verhalten wirklich problematisch ist. So nach dem Motto: Du hältst mich für problematisch? Guck dir den mal an!

Auf dieses Spannungsverhältnis gehst du auch in deinen Videos ein. Insbesondere mit deiner Kunstfigur Phil Artsio, die sich mit überzogenem Mansplaining mit Identitätsthemen auseinandersetzt. Ist diese Betroffenheitsthematik ein internes Problem der Linken?
Linke unter sich waren ja schon immer zerstritten. Leftist unity hat es noch nie gegeben. In der Partei Die Linke kannst du das derzeit auch beobachten mit ihrer Flügelbildung und den Parteiausschlussverfahren. In meiner Wahrnehmung machen das Linke auch mehr als Rechte. Vielleicht ist diese Einteilung in links und rechts heutzutage auch ein bisschen zu simpel. Wir haben acht Milliarden Menschen auf der Welt und die kannst du nicht einfach in zwei Kategorien sortieren. Das sind wahrscheinlich ein paar mehr.

Meiner Erfahrung nach fällt es Linken auch schwerer, sich von anderen Linken kritisieren zu lassen als von Rechten.
Man wird ja auch heute schneller in die rechte Ecke einsortiert. Ich habe das bei mir und bei anderen mitbekommen, wie sich linke YouTuber oder Streamer gegenseitig in die rechte Ecke stellen. Und dann denke ich mir, kommt, ihr seid beide links bis grün und keine AfDler, hört mal auf, euch das gegenseitig vorzuwerfen. Damit macht ihr die AfD größer, als sie ist. Wenn du jedem so eine Nazikeule überziehst, dann kannst du auch hinterher nicht mehr den Spruch ,,Wir sind mehr“ bringen. Dann heißt es nur noch ,,Wir sind drei Leute und alle anderen sind Nazis“. Wenn man klassisch linke Leute, die einmal etwas Unüberlegtes gesagt haben, oder etwas, das aus dem Rahmen fällt, als rechts bezeichnet – wie grenze ich die dann zum Beispiel von so Typen wie Björn Höcke ab? Das ist doch nicht die gleiche Kategorie. Man sollte mit solchen Vorwürfen sparsamer umgehen. Letztendlich verharmlost man die wirklichen Rechten damit. Ich verstehe, dass man heute mehr Angst vor den Rechten hat, die sind europaweit momentan erschreckend stark. Aber dann tust du dir erst recht keinen Gefallen damit, deine eigenen Leute zu vergraulen. Ich ärgere mich auch darüber, dass traditionell rechte Werte mittlerweile als links getarnt werden. Abstammung zum Beispiel. Die Debatte über kulturelle Aneignung hat mich furchtbar geärgert.

Was konkret?
In meinem Freundeskreis gab es viele Leute, die Dreadlocks gehabt und alle möglichen Arten von Musik gehört haben. Ich komme selber aus einer Multikulti-Gegend und da gab es einen ständigen Austausch untereinander. Man hat sich gefreut, wenn jemand etwas zu Essen von zu Hause mitgebracht und erklärt hat, wie man Speisen in seinem Kulturkreis zubereitet. Das war nie ein Problem. Und jetzt wird dir gesagt, dass du dieses und jenes nur noch machen darfst, wenn du eine bestimmte Herkunft, Abstammung oder Hautfarbe hast. Das finde ich gruselig. Ich weiß auch nicht, wie man so etwas als links tarnen kann. Es ist etwas anderes, wenn man zum Beispiel kritisiert, dass Elvis Musik geklaut hat, die hauptsächlich von Schwarzen gemacht wurde, um sie besser promoten zu können. Das ist eine völlig andere Kategorie als eine Haarfrisur. Ich will nicht, dass man für irgendetwas einen Nachweis über seine Herkunft bringen muss. Egal in welche Richtung. Ich habe dunkelhäutige Freunde, die sind mental die größten Almans, und weiße Freunde mit Dreadlocks. Und das ist okay so und alle sind cool miteinander. Und da kommen jetzt irgendwelche Weißen um die Ecke und sagen anderen Weißen, der Schwarze will das nicht. Vor 2022 habe ich das nie erlebt, dass Freunde von mir darauf angesprochen wurden, ob sie Probleme aufgrund ihrer Haare mit kultureller Aneignung haben, man habe bei Fridays for Future gehört, das solle man jetzt nicht mehr machen. Die einzige subkulturelle Aneignung, die mich auf die Palme gebracht hat, war, als Ed Hardy für 80 Euro Shirts mit Glitzer und dem Aufdruck „Punk’s not dead“ verkauft hat. Kann er natürlich machen, aber da habe ich mich gekränkt gefühlt, haha.

Du kritisierst, dass die öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten sich mit ihrem Jugendangebot Funk mit der Sicherheit der Gebührenfinanzierung bei YouTube ins gemachte Nest setzen und somit eine Plattform nutzen, die von unabhängigen YouTuber:innen aufgebaut wurde. Ich sehe darin eine Parallele zu Majorlabels, die subkulturelle Szenen vereinnahmen. Welche Schwächen haben die „Öffis“ zur Zeit? Und was sind immer noch ihre Stärken?
Einen Vorteil sehe ich in dem großen Budget. Funk als Jugend/Social-Media-Bereich erhält ungefähr 50 Millionen Euro jährlich und das Gesamtvolumen der Öffentlich Rechtlichen beträgt über acht Milliarden pro Jahr. Damit kannst du Studios mieten, Beiträge in großem Stil vorbereiten, kommst an Gesprächspartner:innen besser ran. Das macht schon einen Unterschied, wenn man sagt, ich bin Person XY vom SWR oder WDR, als wenn ich komme und sage, hey, ich bin ein Typ von YouTube, komm doch mal in meinem Kanal vorbei. Da steckt also unfassbar viel Potenzial drin, sowohl fürs Fernsehen als auch im Netz. Die Öffis könnten daher viel mehr Formate bringen, die nicht werberelevant oder massentauglich sind. Ich gucke mir zum Beispiel gerne Gert Scobel bei 3sat/YouTube an. Der redet über Philosophie, damit können viele Leute aber nichts anfangen. Die Aufrufzahlen von Scobel sind natürlich nicht so hoch wie die von Lanz. Das ist ein totales Nischenprogramm. Würde der das privat bei YouTube machen, würde sich das nicht rechnen. Oder nimm das „Bohemian Browser Ballett“. Die machen Sketche mit massig Requisiten, Drehorten und Statisten. Und mit den Aufrufzahlen, die die haben, könntest du das nicht bezahlen. Das wäre ohne die öffentliche Finanzierung nicht drin. Und die machen sich auch nicht so abhängig von Werbepartnern. So etwas mache ich auch nicht. Ich mache mich über einige große Werbepartner auch gerne lustig, im Gegensatz zu anderen Kollegen. Die bewerben auch schon mal fragwürdige Dinge. Ich bekomme solche Dinge zwischendurch auch angeboten. So nach dem Motto: Halte das mal in die Kamera, lobe mal dieses und jenes Handyspiel, dann bekommst du dafür 200 Euro. Das ist es mir nicht wert. Die Öffis haben diesen Interessenkonflikt viel weniger, da sie nicht viel Werbung machen dürfen. Damit kommen wir zu den Nachteilen.

Die da wären?
Öffentlich-Rechtliche müssen sich an viel mehr Regeln halten. Ich muss die Regeln von YouTube, Instagram oder Twitch einhalten, keine Nippel zeigen, bestimmte Schimpf- und Fluchwörter nicht nutzen, sonst gibt es weniger Geld, weil die Videos entmonetarisiert werden können. Da kann man aber auch mal die Grenzen austesten und eine Mahnung, einen Strike riskieren. Die Öffis müssen sich an die Regeln der Plattformen und an ihre eigenen Regeln halten. Die dürfen ihren Chefredakteuren oder Intendanten nicht widersprechen, aber auch den Plattformen nicht. Das Funk-Format „Auf Klo“ hat das gemacht und deren Twitter-Account wurde gelöscht aufgrund eines Verstoßes gegen die Nutzungsbedingungen. Hier würde ich mir wünschen, dass die Öffis viel mehr ihre eigenen Mediatheken nutzen, dann müssten sie sich auch nicht in die Abhängigkeit der Plattformen begeben. Das sind ja private Konzerne und die Öffis gehen da mit ihren Inhalten rein, hinter denen eine riesige Finanzspritze steckt, müssen nach deren Regeln spielen und stellen gleichzeitig eine Konkurrenz für die Inhalte der selbstständigen YouTuber:innen dar. Wenn ich ein Video hochlade und dir wird das angezeigt, dann tauchen in der Leiste auch thematisch ähnliche Funk-Angebote auf. Die sind dann also meine direkte Konkurrenz. Andererseits bedient Funk kaum Inhalte zu Kunst oder Philosophie. Stattdessen gibt es jeden Monat ungefähr fünf neue Bumsreportagen, in denen erzählt wird, dass Leute sich beim Sex als Babys verkleiden oder auf Flugzeuge stehen. Da saß neulich wirklich jemand in einer Windel rum, ich denke mir das jetzt nicht aus. Und das taucht dann in mehreren Funk-Kanälen auf, angefangen bei Leeroy Matata und dann einmal quer durch. Ich weiß nicht, was das bringen soll. Im Grunde ist das reine Unterhaltung und die gibt es auch bei den Privaten, dafür brauche ich keine Öffis.

Wie beurteilst du die derzeitige Finanzierung der Öffentlich-Rechtlichen?
Ich habe generell ein Problem mit der Finanzierung. Ich finde sie unfair. Heute wird ja viel über Diskriminierungen geredet, aber Armut kommt dabei selten vor. Und ich bin der Meinung, dass das Gebührensystem für arme Menschen ein Problem darstellt. Wenn du jetzt zum Beispiel eine Einzimmerwohnung hast und du bist selbstständig oder Student ohne BAföG, lebst von ein paar Hundert Euro im Monat. Dann kannst du dich trotzdem nicht von den Gebühren befreien lassen. Ein Millionär zahlt genau den gleichen Beitrag wie du, das wird ja nach Wohneinheiten abgerechnet. Das ist doch bei Steuern auch nicht so. Stelle dir mal vor, du und Friedrich Merz müsstet die gleichen Einkommenssteuern bezahlen. Das wäre doch total bescheuert. Eure Krankenkassenbeiträge sind auch nicht gleich. Solche Sachen sind nach Einkommen gestaffelt. Wieso geht das bei den Gebühren für die Öffis nicht? Und da sind wir wieder bei einem linken Kernthema. Der kleine Arbeiter bekommt einen Hungerlohn. Die Diskriminierung von armen Menschen ist heute mehr Thema denn je. Stattdessen kümmert sich die Linke aktuell mehr um Pronomen und erklärt Leute zu Rechten, denen die nicht wichtig sind. Armut und Klassismus sind dagegen aus dem Diskurs verschwunden. Ich betrachte das als eine Verzerrung der Umstände. Seit auch die Mittelschicht in Deutschland wieder von Armut bedroht ist, kommt das vereinzelt wieder in den Vordergrund. Rund 20% der Menschen in Deutschland leben an der relativen Armutsgrenze, auch mit Jobs im Niedriglohnbereich. Und davon sind auch Mitarbeiter der Öffis betroffen. Dafür setzen sie sich inhaltlich zu wenig damit auseinander.

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DOKUS
„Lösch Dich!“-Funk-Doku:
youtube.com/watch?v=zvKjfWSPI7s
Statement imp zur „Lösch Dich!“-Doku:
youtube.com/watch?v=a9QQNAwX3lg