INWIEFERN

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Kurz und schmerzlos

Die Welt könnte so einfach sein. Jugendzentrum, laute Gitarren, Dosenbier. Rechnungen bezahlt Mutti oder das Amt. Trotzdem machen sich INWIEFERN jede Menge Gedanken. Sie erzählen Geschichten über Mädchen, die auf Schlager stehen, den Fluch der Karriere oder die mutmaßliche Abstammung von AfD-Wählern. Verpackt in schnellen Deutschpunk mit viel Humor. Das macht Spaß, ist aber auch schnell wieder vorbei. Ihr drittes Album „Rendezvous mit der Realität“ bietet 15 Songs in gerade mal 35 Minuten. Die fünf Punks, die früher AKTIVBÜRGER hießen, kommen aus dem Speckgürtel von Berlin, konkret aus der Kleinstadt Strausberg in Brandenburg, wie Gitarrist Jan erklärt.

Ihr braucht ja nicht wirklich viel Zeit, um auf Betriebstemperatur zu kommen. Was braucht ein guter INWIEFERN-Song?

Der darf nicht zu lang und nicht zu kompliziert sein. Außerdem muss er gut ins Ohr gehen. Auf unserem ersten Album hatten wir noch deutlich längere Songs. Das war uns aber irgendwann zu langatmig. Irgendwann haben wir angefangen, die Stücke schlanker zu machen. Das funktioniert viel besser. Ich schreibe die Songs ganz klassisch alleine zu Hause auf der Akustikgitarre und komme damit in den Proberaum. Dann arrangieren wir die Songs gemeinsam.

Ihr beschäftigt euch ja gerne mit den Schattenseiten der modernen Welt: soziale Medien und Handykonsum. Habt ihr damit selber schlechte Erfahrungen gemacht?
Nein, haben wir nicht. Wir wollen es auch gar nicht kritisieren, wir beschreiben nur, was es mit uns allen macht. Ich nehme mich da selbst nicht aus. Ich bin derjenige in der Band, der am aktivsten ist, was das betrifft. Vom Rest der Band hat eigentlich nur noch Atze ein Facebook-Profil, das er auch nutzt. Gordy hat zwar eins, benutzt es aber nie. Und die anderen waren noch nie auf Facebook und wollen es auch gar nicht. Alles, was Social Media betrifft, mache ich. Für eine Band ist es natürlich auch ein guter Weg, um auf sich aufmerksam zu machen. Plakate oder Flyer sind lange nicht mehr so werbewirksam wie früher.

Eure Songs wirken fast wie kleine Kurzgeschichten. Woher kommen die? Stammen die alle von dir?
Ein paar Geschichten habe ich wirklich selbst erlebt, aber viele habe ich auch komplett frei erfunden. Es kann sein, dass mir ein Freund was erzählt hat, oder dass ich was im Fernsehen gesehen habe. Die wenigsten Themen in den Songs sind wirklich autobiografisch. Aber vieles könnte genauso gewesen sein.

Gibt es zum Beispiel die Protagonisten aus dem Stück „Paul & Sarah“ wirklich?
Nein. Dieser Song steht sinnbildlich für solche Beziehungen. Wenn vom einen mehr kommt als vom anderen. Das hat ja wahrscheinlich jeder von uns schon so erlebt oder kann es zumindest nachvollziehen.

In „Doppelkinn“ macht ihr euch offenbar Gedanken übers Altern. Wie kann man als Punk in Würde altern?
Am besten macht man sich einfach keinen Kopf darüber. Einfach so leben, wie man sich fühlt und wie man Bock hat. In dem Song singen wir davon, dass am Ende deine Erinnerungen bleiben, obwohl du dick bist und ein Doppelkinn hast. Mach einfach, was dir gefällt und dir guttut. Je älter man wird, desto unwichtiger wird das Aussehen. Ob man mit gefärbten Haaren oder Nietenlederjacke herumläuft, spielt keine Rolle mehr. Die Attitüde ist das, was zählt.

Absoluter Höhepunkt auf eurem neuen Album ist der Song „Euer Stammbaum ist ein Kreis“, ein Duett mit Luise Fuckface von LULU & DIE EINHORNFARM.
In irgendeinem sozialen Netzwerk habe ich so ein Meme gesehen, in dem ein Typ ein selbstgemaltes Pappschild mit diesem Slogan vor einer Gruppe von Nazis in die Kamera hält. Das fand ich so witzig, dass ich mir dachte, das ist genau unser Humor. Wenn man schon das hundertste Anti-Nazi-Lied schreibt, dann so. Wir hatten auch ruckzuck den Text fertig. Weil der Song mit Wechselgesang super funktioniert hat, haben wir von Anfang an davon geträumt, dass Luise den anderen Gesangspart übernimmt. Deshalb habe ich Bönx von unserem Label Bakraufarfita Records um Hilfe gebeten, weil er sie gut kennt. Auf seine Anfrage hin hat sie aber erst mal abgesagt. Dann habe ich ihr irgendwann eine Demoversion von dem Song geschickt und sie hat geantwortet: „Der Song ist auf positive Art maximal behindert. Den finde ich geil, das mache ich!“

Euer Sound erinnert mich an Bands wie KNOCHENFABRIK oder SUPERNICHTS. Begleiten die euch schon lange? Beides Bands, die sich vor allem mit den Skurrilitäten des Alltags beschäftigen.
Ich bin auf jeden Fall Riesenfan von beiden Bands. Mit KNOCHENFABRIK haben wir schon ein gemeinsames Konzert im SO36 in Berlin gespielt und mit CHEFDENKER in Hamburg. Mit DER DUMME AUGUST standen wir auch schon in Berlin auf der Bühne, da sind ja zwei Mitglieder von SUPERNICHTS dabei. Vorher war ich mit meiner Freundin außerdem bei zwei Konzerten auf der Abschiedstournee von SUPERNICHTS. Da haben wir die angequatscht und so ist der Kontakt entstanden. Seitdem haben wir uns immer wieder bei Konzerten getroffen. Auf jeden Fall sind mir diese beiden Bands, was deutschsprachigen Punk betrifft, immer noch die liebsten.

Ihr kommt ja aus Strausberg, das liegt etwa 35 Kilometer entfernt von Berlin. Seht ihr euch dennoch als Berliner Band?
Wir sehen uns schon als Strausberger Band. Wenn wir nach Berlin kommen, dann erzählen wir das auch. Wenn wir aber irgendwo außerhalb von Berlin unterwegs sind, dann sagen wir natürlich dazu, dass das in der Nähe von Berlin liegt. Sonst weiß ja keine Sau, wo Strausberg liegt. Wir haben mit der S-Bahn direkten Anschluss an Berlin und sind in einer halben Stunde in Lichtenberg oder am Alex. Klar gehen wir auch viel auf Konzerte nach Berlin, aber wir verleugnen unsere Kleinstadt-Herkunft nicht. Das ist schon schön so.

Welche Erfahrungen habt ihr als Punkband mit Rechten auf dem Land gemacht?
Aktuell weniger, aber in unserer Schulzeit gab es natürlich schon Probleme. Damals sind wir ja auch noch mit Aufnähern gegen Nazis herumgerannt. Da gab es natürlich auch Konfrontationen. Allerdings muss ich sagen, dass die Leute in meinem Alter in Strausberg relativ rot sind. Klar, gab es auch den einen oder anderen Rechten, die kannte man auch. Aber hier wurde viel gute Jugendarbeit gemacht und die hat sich auch ausgezahlt. Die Rechten waren bei uns schon immer eher in der Minderheit, aber natürlich ist jeder von denen einer zu viel.

Wo und mit wem habt ihr das Album aufgenommen?
Wir waren da, wo wir auch unsere ersten beiden Alben aufgenommen haben: bei 48 Records mit Michael „Struki“ Strauß. Das Studio ist bei uns in Strausberg in der Kastanienallee 48, deshalb 48 Records. Deshalb konnten wir auch mal nach der Arbeit noch kurz ins Studio und Kleinigkeiten klären. Wir hatten auch überlegt, zu Uwe Stahl zu gehen, bei dem auch FRAU MANSMANN, CHEFDENKER oder DETLEF aufgenommen haben. Aber Struki kennen wir einfach und die Aufnahmen bei ihm haben immer gut funktioniert. Genauso wie wir ist er im Laufe der Jahre auch immer besser geworden. Mit unserem dritten Album sind wir auf jeden Fall sehr zufrieden.

Im Herbst haben DIE ÄRZTE bei euch angerufen, das steht zumindest auf eurer Facebook-Seite. Was war da los?
Haben sie natürlich nicht, haha. Ich hatte im Internet gesehen, dass sich einige Bands am A-cappella-Video zum DIE ÄRTZE Song „True romance“ beteiligt haben. Dann dachte ich mir: Okay, wenn wir schnell sind, machen wir einen auf Trittbrettfahrer und tun so, als ob wir dabei wären. Das gab dann auch richtig viele Klicks, weil alle unter diesem Hashtag #singtrueromance kleine Clips hochgeladen haben. Auch viele bekannte Künstler wie DONOTS, SCOOTER, FETTES BROT oder DIE TOTEN HOSEN. Für uns war das vor allem ein Spaßding. In dem Video, das DIE ÄRZTE aus diesen Schnipseln zusammengeschnitten haben, sind wir aber nicht drin. Dafür hat Bela unseren Clip auf Instagram geteilt.

Den Song „Adolf Hipster“ vom letzten Album „Irgendwas ist immer“ habt ihr noch mal auf Englisch rausgebracht. Was war der Grund dafür?
Bönx von Bakraufarfita fand den Song einfach super, der ist ja auch der Hauptdarsteller im Video dazu. In den Song hat er sich total verliebt. Also haben wir den natürlich als Single genommen, wenn der Labelboss das sagt. Dann hat irgendeiner auf YouTube kommentiert, ob man ihm den Text übersetzen könnte, deshalb ist Bönx auf die Idee gekommen, den Song noch mal auf Englisch zu veröffentlichen. Als wir mit dem dritten Album im Studio waren, haben wir uns die Instrumentalspur besorgt und Bönx hat es auf Englisch noch mal eingesungen. Der fand das einfach geil. Den Track gibt es aber nicht auf dem neuen Album, sondern nur als Digital-Release.