MARKY RAMONE

Der einzige noch lebende Ramone

Vieles ist bereits über die RAMONES und deren zweiten und letzten Schlagzeuger Marky geschrieben worden; dennoch wird die Nachfrage nach Literatur über die Band stetig weiter bedient. Nach Markys „Punk Rock Blitzkrieg“ folgte Anfang dieses Jahres Richie Ramones Buch „I Know Better Now: My Life Before, During and After the Ramones“. Richie sprang 1983 für Marky ein, der wegen Alkoholproblemen aus der Band entlassen worden war. Beide Werke werfen erneut Fragen zur Wahrnehmung des damaligen Bandgefüges auf. Wir befragten Marky während seiner Tour mit dem ehemaligen CIRCLE JERKS- und BAD RELIGION-Gitarristen Greg Hetson.

Marky, wie kam die Zusammenarbeit mit Greg Hetson zustande?


Ein gemeinsamer Freund hatte die Idee. Ich lebe ja in New York und Greg in L.A., also habe ich dort einen Proberaum angemietet und unsere Zusammenarbeit hat sehr gut funktioniert. Wir waren bereits in zehn Ländern unterwegs, unser Programm besteht aus vierzig RAMONES-Klassikern.

Gab es bei den RAMONES jemals Diskussionen, dass man die Songs live viel schneller spielt als auf Platte, oder hat Johnny das allein entschieden?

Damals wurde Hardcore populärer und John meinte, wir sollten alles viel schneller spielen, um es allen zu zeigen. Ich meinte zu ihm: „John, wir müssen das nicht machen, lass uns die Songs lieber stilvoll spielen.“ Die Songs wurden geschrieben, um sie in einer bestimmten Geschwindigkeit zu spielen. Wenn man sie zu schnell spielt, könnte man sie ruinieren. Heutzutage scheint es, als ob die jüngeren RAMONES-Fans die späteren Live-Alben favorisieren, weil sie schneller sind. Ich bevorzuge die Geschwindigkeit des „It’s Alive“-Albums. Die höhere Tempo sollte laut John unsere Kraft und Energie widerspiegeln. Ich hielt es für keine gute Idee, aber sagte ihm, dass ich die Songs von mir aus doppelt so schnell spielen könne. Also spielten wir es so, machten 1991 das Live-Album „Loco Live“ und es verkaufte sich sogar besser als „It’s Alive“.

Du sollst auf dem „Loco Live“-Album die Hi-Hat im Nachhinein im Studio verbessert haben.

Ich weiß nicht, woher die Leute so etwas haben. Bei zwei Songs, „I believe in miracles“ und „Pet sematary“, bin ich an das Mikrofon der Hi-Hat gestoßen. Mein Roadie hat davon nichts mitbekommen, obwohl ich während des Songs versucht habe, ihm ein Zeichen zu geben. Wäre das Mikrofon besser befestigt gewesen, wäre das nicht passiert.

Kürzlich hat Richie Ramone ein Buch veröffentlicht. Darin wird erwähnt, dass Johnny und Dee Dee sich vor den Konzerten aufgewärmt haben sollen, indem sie sich scheinbar über das Publikum aufregten, nach dem Motto: „Those dirty folks, jetzt müssen wir schon wieder vor denen spielen“. Hast du das auch mitbekommen?

Nein, das haben die nie gesagt. Richie ist sauer, weil sie ihm keinen Anteil am Merchandise gegeben haben, weil ich wiedergekommen bin und weil er nicht in der Hall of Fame ist und keinen Grammy bekommen hat. Es geht ihm nur darum, sich an den RAMONES zu rächen, darum hat er das Buch geschrieben. Er war nur vier Jahre in der Band, was gibt es da groß zu schreiben? Es ist nicht mein Fehler, dass er nicht in der Hall of Fame ist und keinen Grammy bekommen hat. Genauso ist das mit dem anderen Typen, CJ. In einer Art und Weise geben mir beide dafür die Schuld. Ich bin der einzige noch lebende Ramone, habe 15 Jahre in der Band gespielt und zehn Studioalben aufgenommen.

Hast du „Too Tough to Love“ gelesen, das Buch von Johnnys damaliger Freundin Roxy?

Nein, meine Frau hat es gelesen. Ich hatte keine Zeit dafür.

Johnnys Roadie, Little Matt, soll bei Konzerten versteckt im Hintergrund den Live Gitarrensound unterstützt haben ...

Little Matt war auch ein enger Freund von mir. Er hat live lediglich die Melodie von „I believe in miracles“ versteckt hinter der Bühne unterstützt, weil man das ja sonst nicht so mit einer Gitarre spielen kann. John spielte also seine Rhythmusgitarre und die Leute wunderten sich, wo die Melodie herkommt. Little Matt war aber nicht der Einzige, der das gemacht hat. Als er mal nicht für uns arbeitete, hat es ein anderer Roadie übernommen. Beim Konzert im Palladium Los Angeles hat es ein Freund von mir gemacht; wir hatten in vielen Städten Leute, die das übernommen haben.

In Martin Popoffs Buch „Ramones at 40“ sagt Richie übers Schlagzeugspielen: „Es gibt keine Technik. Du baust die Stärke in deiner Hand auf. Marky benutzte nicht sein Handgelenk, sondern seine Finger. Er schummelte. Ich habe über das Handgelenk gespielt, deshalb war es anders ...“

Er kann einfach nicht so spielen wie ich. Er hat einen Groll auf mich. Auf Instagram lässt er Sprüche los, dass er der kraftvollste und schnellste RAMONES-Schlagzeuger sei. Das ist ein Zeichen von Unsicherheit. Wenn du Leuten erzählst, dass du gut bist, hast du ein Problem. Wenn dir Leute sagen, dass du gut bist, dann ist das in Ordnung.

Hast du auch einen Groll auf ihn?

Ich habe ihn nie wirklich kritisiert. Er war nicht wie ich und Tommy, aber er hat einige gute Dinge gemacht. Ich habe Richie nur einmal getroffen, das war bei den Grammys. Aus irgendeinem Grund ist er auf die Bühne gekommen, obwohl er gar keinen Grammy gewonnen hat. Er ist damals einfach abgehauen nach dem Motto: „Fuck them“. Sie hatten weitere 17 Auftritte, deshalb haben sie meinen Freund Clem von BLONDIE angerufen. Aber er war nicht der richtige Schlagzeuger dafür, er konnte keinen RAMONES-Stil spielen, also hat er nur bei zwei Shows mitgemacht. Bei BLONDIE spielt er großartig. Dann haben sie mich angerufen und ich bin zurückgekehrt.

Hast du mal mit Clem Burke über seine Zeit bei den RAMONES, über die beiden Auftritte, die er mit ihnen absolviert hat, gesprochen?

Ja, er sagte mir, dass es sehr hart war. Jeder hat eben seinen eigenen Stil, egal ob Gitarrist oder Schlagzeuger. Könnte ich das, was er bei BLONDIE macht? Keine Ahnung, ich habe es nie versucht. Offensichtlich konnte er nicht im RAMONES-Stil spielen, deswegen haben sie mich zurückgeholt. Ein weiterer Grund war, dass sie bei weiteren Konzertabsagen von den Veranstaltern verklagt worden wären. Wir reden da von einer Summe von 200.000 Dollar, was damals noch mehr Geld war als heutzutage. Als ich wiederkam, war es so, als hätte ich die RAMONES nie verlassen.

Hast du einen Vertrag über mehrere Alben unterschrieben, als du 1987 bei den RAMONES wieder eingestiegen bist?

Nein, ich wollte einen Vertrag über jeweils nur ein Album. Ich bekam einen Deal über 15% vom Merchandise. Außerdem sagte ich ihnen, dass ich alle meine mir zustehenden Tantiemen will, und sie stimmten zu. Und das hätte Richie auch tun sollen.

Hattest du bei Entscheidungen das gleiche Stimmrecht wie die drei Originalmitglieder?

Ganz am Anfang noch nicht. Erst in der „Rock ’n’ roll high school“-Ära. Beim Phil Spector-Album „End Of The Century“ machte ich einen Vorschlag zum Schlagzeugspiel und bei dem Intro vom Lied „Rock ’n’ roll high school“. Eine Zeile stammt hier übrigens von mir. Joeys Originalzeile lautete: „Drivin’ around with nowhere to go / Rock, rock, rock ’n’ roll high school“. Das machte keinen Sinn. In Los Angeles fährt man eher mit einem GTO Pontiac herum und sucht sich etwas zu tun. Rodney Bingenheimer, damals ein berühmter DJ aus L.A., war ein Fan von uns und fuhr ein solches Auto. Also kam ich darauf, dass sich GTO auch reimt, so ist dann „Cruisin’ around in my GTO“ entstanden.

Ging es Johnny nur darum, dass jeder in der Band funktionieren muss?

Nun, John hatte Ideen, aber er war nicht der beste Musiker. Er war eher dafür zuständig, dass die Shows vernünftig gebucht wurden und auch sonst alles reibungslos ablief. Musikalisch war es Dee Dee, der zusammen mit Joey die meisten Songs geschrieben hat. Die Zusammenarbeit hat gut geklappt. John ging sogar zu Joey und fragte, was für ein Akkord das sei, den er zur Gesangsmelodie spielen müsse. Die RAMONES waren nicht die tollsten Musiker. Aber in dem, was sie gemacht haben, waren sie die besten.

Wie bewertest du den Film „Rock ’n’ Roll High School“ heutzutage?

Ich finde ihn witzig. Er ist ein Klassiker, preiswert produziert, und das hat den Charme ausgemacht. Alle mussten täglich hart arbeiten, um im Rahmen des vorgegebenen Budgets zu bleiben. Die Szene, wo wir vor dem Kino „I just wanna have something to do“ spielen, musste fünfmal gedreht werden. Es war halb sieben Uhr morgens, da gingen Leute zur Arbeit und haben sich gefragt, wer zum Teufel diese Typen sind. Wir machten also die erste Aufnahme, die wurde nichts, also hieß es, zurück um die Ecke und noch mal. Das dauerte eine Weile. Auch die Konzertszenen. Der Sound musste auf die Kameras abgestimmt sein, deswegen musste hier auch zwei- bis dreimal gefilmt werden.

Wenn ein Kinofilm über die RAMONES gedreht werden würde, welcher Schauspieler sollte dich spielen?

Oh, darüber habe ich noch nie nachgedacht ... Sehr schwierig, da muss ich erst mal überlegen ... Weißt du, wer eine tolle Leistung in dem Bob Dylan-Kinofilm „I’m Not There“ abgeliefert hat? Es war Cate Blanchett, die sich in Bob Dylan verwandelt hat. Ja, es könnte eine Frau sein. Ich kenne keinen Typen, der so aussieht wie ich.

Dein liebstes RAMONES-Album?

„Road To Ruin“. Das war das Ende der Drei-Akkorde-Alben. Diese Platten waren großartig. Aber wenn wir noch einmal so ein Album gemacht hätten, wären die Leute sicherlich unzufrieden gewesen. Also gingen wir einen Schritt weiter, behielten den RAMONES-Sound bei, fügten jedoch hier und da ein paar kleine Dinge hinzu. Und ich liebe „Pleasant Dreams“, das ist mein liebstes Pop-Punk-Album.

Warum hast du dich in einer diesjährigen Podiumsdiskussion so über Johnny Rotten aufgeregt?

Nun, der Typ wurde immer betrunkener und hat dummes Zeug geredet. Dafür ist er ja bekannt – sich wie ein Idiot zu benehmen. Das war mir bereits vor vierzig Jahren klar, aber heutzutage ... Er fing an, auf allen herumzuhacken, und ich habe was dazu gesagt. Er nannte mich einen „Heavy Metal Reject“ oder so ähnlich und dann habe ich ihm gesagt, dass er ein „Reject“ ist. Und ich sagte zu ihm: „Wenn es die Lieder nicht gegeben hätte, die Glen Matlock geschrieben hat, und das Image von Richard Hell, das Malcolm McLaren zusammen mit Vivienne Westwood von New York nach England gebracht und euch zu vielen Richard Hells gemacht hat, würdest du noch irgendwo Fish und Chips verkaufen.“ Dann sagte ich noch, dass Sid Vicious der eigentliche Star der Band war, da drehte er durch. Ich wartete nur darauf, dass er auf mich losgehen würde. Dann hätte ich ihn umgehauen. Manchmal muss man eben zwischen Fantasie und Realität unterscheiden können. Der Typ kann dich verklagen, es gibt eine Menge Zeugen.

Hast du noch Kontakt zu Phil Spector, seit er im Gefängnis sitzt?

Es ist sehr kompliziert, ihn zu besuchen, denn es gibt eine bestimmte Prozedur dafür. Ich lebe an der Ostküste, das Gefängnis liegt an der Westküste. Es müssen Absprachen getroffen werden. Die meiste Zeit ist er mit der Neubearbeitung seiner CDs beschäftigt. Es herrscht deswegen ein ständiges Kommen und Gehen. Die Zeit, die zur Verfügung steht, wird im Grunde also für Geschäfte mit seinen Alben genutzt. Seine „Trophäe“ ist nicht mehr seine erste Ex-Frau Ronnie, sondern seine neue Ex-Frau, die er beim Gerichtsprozess geheiratet hatte. Sie nimmt seine ganze restliche Zeit in Anspruch. Die ganze Situation nervt, aber ich denke oft an ihn. Mit ihm hatte ich mehr Spaß als mit den meisten anderen Leuten, die ich kenne.

Kannst du uns eine Anekdote von deinem Zusammentreffen mit Sid und Nancy erzählen?

Das war zu der Zeit, als sie im Chelsea Hotel gelebt haben. Sid zog nach New York. Ich lernte ihn im CBGB’s kennen. Nancy hat ihn immer angestachelt, Schlägereien anzufangen und Leuten Flaschen auf dem Kopf zu zerschlagen, so nach dem Motto „Sei ein Punk“. Aber wenn er mal nicht betrunken war oder Heroin genommen hatte, war er einer der nettesten Typen, die man sich vorstellen kann: ruhig und freundlich. Aber sobald er die Drogen und den Alkohol intus hatte, versuchte er, den starken Mann zu markieren. Er kam also zu mir an und sagte: „Hey, lass uns vor die Tür gehen und uns prügeln.“ Ich sagte nur: „Okay.“ Dann erschien der Schlagzeug-Roadie von Jerry Nolan von den NEW YORK DOLLS und den HEARTBREAKERS, den ich kannte, weil er davor schon mein Drum-Roadie gewesen war. Er flüsterte Sid ins Ohr: „Hey, er hat gerade bei den RAMONES angefangen.“ Und auf einmal wollte er mein Freund sein. Na ja, ich blieb bis zu seinem Tod mit ihm befreundet. Es waren die Drogen und der Alkohol, die ihn dazu trieben, sich so zu benehmen.

Wie hast du den sehr gelungenen RAMONES-Auftritt im „Musikladen“ bei Radio Bremen 1978 in Erinnerung?

Das war sehr merkwürdig. All diese Leute, versammelt an den Biertischen. Am Ende sind sie dann doch noch aufgestanden und haben sich bewegt. Mit so etwas wurden wir damals oft konfrontiert. Haben wir es gemocht? Nein, aber wir wussten, dass so etwas passieren kann. Weil der Sound so neu war, niemand hatte so etwas zuvor gehört. Es dauerte eine Weile, bis die Leute sich daran gewöhnten. Wir waren nicht URIAH HEEP, TOTO oder KING CRIMSON. Die RAMONES waren eine Veränderung.

Hast du noch Erinnerungen an die RAMONES-Konzerte in der Rotation Hannover 1980 und 1981?

Ich habe insgesamt 1.700 Konzerte mit den RAMONES gespielt, da ist es schwierig, sich an einzelne zu erinnern. Woran ich mich noch ganz genau erinnern kann, ist das US Festival in San Bernardino 1982, wo wir während der Zugaben alle Sauerstoff aus einem Tank zu uns nehmen mussten.

Hast du noch eine Dee Dee-Anekdote, die du nicht in deinem Buch erwähnt hast?

Ich habe versucht, die interessantesten Begebenheiten in meinem Buch festzuhalten. Wir waren beste Freunde. Er war ein sehr spezieller Charakter. Er brachte mich oft zum Lachen. Aber es war auch traurig: er war auf Drogen und Medikamenten. Er versuchte vom Heroin loszukommen. Bei ihm wurde Bipolarität diagnostiziert; der Begriff wurde erst später besser bekannt. Einen Tag war er gut drauf, dann wieder boshaft und gewalttätig.

Was würdest du Leuten für einen Rat geben, die versuchen vom Alkohol loszukommen?

Geht zu den Anonymen Alkoholikern, versucht, neunzig Tage nüchtern zu bleiben und macht so weiter. Besorgt euch das „Blaue Buch“. Der Alkohol gewinnt immer. Wenn du ein süchtiger Mensch mit einer Suchtpersönlichkeit bist, musst du aufpassen, dass du nicht dich selbst oder jemand anderen umbringst. Du musst dich selbst fragen, was dir wichtiger ist: Trinken oder das, was du bist oder werden willst. Ob du mit fünfzig sterben willst oder siebzig oder achtzig Jahre alt werden möchtest.