PILLOW QUEENS

Foto© by Faolán Carey

Gay Girls und Brause-Ufos

Eigentlich ist Daniel Schubert unser Experte für Punk und Religion. Weil dieses Thema aber auch für die 2016 gegründeten PILLOW QUEENS eine Rolle spielt, habe ich Sarah, die auf der Bühne mal die Gitarre, mal den Bass, mal das Mikro in der Hand hat, gefragt, wie es für eine LGBTIQ-Band war, im streng katholischen Irland aufzuwachsen. Außerdem reden wir darüber, was uns sonst noch auf dem Debütalbum „In Waiting“ erwartet und warum sie sich politisch und gesellschaftlich engagieren.

Sarah, erkläre mir bitte euren Bandnamen. Bevor ich ihn gegooglet habe, wusste ich überhaupt nicht, dass das eine Redewendung ist.

Ich weiß nicht, wie geläufig sie ist, aber in gewissen Kreisen ist es auf jeden Fall bekannt. Es ist eine Bezeichnung für jemanden, der im Bett egoistisch ist. Jemand, der im Schlafzimmer keine Gefälligkeiten erwidert. An sich ist es eher ein Begriff für Frauen, der in der lesbischen Szene sehr verbreitet ist.

Wie ist das Album entstanden? Soweit ich weiß, entstanden einige der Lieder bereits vor einigen Jahren.
Wir haben in den letzten vier Jahren ziemlich viele Songs geschrieben. Wir haben sie Stück für Stück aufgenommen und veröffentlicht, aber wir wollten jetzt ein Album herausbringen, das sich mehr wie eine Einheit anfühlt. Mit den Aufnahmen haben wir letzten November begonnen. Einige der Songs existieren schon viel länger, aber wir hatten nie die Gelegenheit, sie aufzunehmen.

Wie würdest du euren Sound beschreiben? Ich würde sagen, es sind definitiv Neunziger-Vibes zu hören, ich dachte zumindest gleich an die frühen GREEN DAY.
Ich schätze, wir machen Indierock, aber mit Pop-Hooks. Wir schrecken nicht vor einem eingängigen Refrain zurück. Aber ja, das war auf jeden Fall eine der Bands, die uns als Teenager geprägt hat. In der Phase bedeutet einem die Musik am meisten. Wir hörten früher die PIXIES und GREEN DAY, mögen jetzt aber auch moderne Musik wie Courtney Barnett, Phoebe Bridgers und HOP ALONG. Ich liebe alle Arten von amerikanischer und australischer Rockmusik, die jetzt herauskommt. Viel von meiner Lieblingsmusik stammt von Frauen. In unserer Jugend gab es nicht viele Musikerinnen, zu denen wir aufschauen konnten, was bedauerlich ist. Aber ich habe definitiv festgestellt, als ich mich damit mehr beschäftigt habe, dass es da viel mehr zu entdecken gab. Manchmal muss man eben danach suchen, weil es nicht so offensichtlich ist. Hoffentlich kommt das in den nächsten Monaten und Jahren auch noch mehr im Mainstream an.

Lass uns mehr in das Album eintauchen. Habt ihr „Handsome wife“ geschrieben, als Irland im vergangenen Oktober die gleichgeschlechtliche Ehe legalisiert hat?
Dadurch hat sich Irland zum Besseren verändert. Es war eine wirklich aufregende Zeit, denn es hätte ja auch anders ausgehen können. Wäre sie nicht legalisiert worden, hätten wir darüber nachgedacht auszuwandern. Wir genießen jetzt mehr Freiheit in unserem täglichen Leben und definitiv auch in unserem Songwriting. Wenn wir jetzt Lieder mit LGBTQ-Inhalt schreiben, werden sie positiver wahrgenommen und wir wissen, dass wir in einem Land leben, das uns als gleichberechtigte Bürgerinnen akzeptiert. Pamela schrieb den Text von „Handsome wife“, als wir im letzten Frühjahr mit SOAK auf Tour waren. Danach konnten wir in eine Gesellschaft zurückkehren, die uns so akzeptiert, wie wir sind. Der Text wurde zwar nicht unmittelbar nach der Legalisierung verfasst, aber definitiv in diesem Zusammenhang.

Geht es bei „Handsome wife“ darum, als lesbische Partnerin nicht von den Schwiegereltern akzeptiert zu werden?
Ich weiß von Pamela, dass es darum geht, sich dagegen zu wehren, was von einen erwartet wird. Vielleicht führt man nicht das Leben, das man sich selbst oder das sich die Familie für einen vorgestellt hat, aber es ist ein gutes Leben. Nämlich eines, das wir feiern und das in Harmonie mit allen um uns herum funktioniert. Es sollte keinen Grund geben, sich dafür rechtfertigen zu müssen.

Ich habe euer Lied „Gay girls“ als Ausdruck des Konflikts zwischen Homosexualität und Religion verstanden. Irland ist ja immer noch sehr katholisch. Habt ihr selbst schlechte Erfahrungen mit der Kirche gemacht?
Ja. Als wir aufwuchsen, gab es in der katholischen Kirche in Irland einen Skandal, der schwer zu verarbeiten war, weil wir alle in religiösen Elternhäusern groß geworden sind. Als diese Missbrauchsfälle bekannt wurden, fühlten wir uns betrogen. Denn wir lebten in einer Gesellschaft, die den Katholizismus hochhält, obwohl dieser so viel Schaden anrichtet. Aber ich habe auch selbst schlechte Erfahrungen gemacht. Wenn man in einem katholischen Umfeld aufwächst, lernt man, dass Homosexualität eine Sünde ist. Das hat innere Konflikte ausgelöst, weil man sich zunächst nicht von dem abwenden will, womit man aufgewachsen ist. Man denkt, diese Werte sind ethisch und moralisch richtig. Aber die Sexualität ist einem so sehr immanent, es ist einfach das, was man ist, und man kann nichts daran ändern. Dann muss man die Religion zurückdrängen.

Zum Video von „Gay girls“: Vielleicht ist das ein bisschen weit hergeholt, aber es gibt eine Szene, in der die kleinen Mädchen einen Brause-Ufo statt einer Hostie bekommen. Ist das ein Symbol für die Etablierung einer eigenen Interpretation von Religion? Oder lehnt ihr Religion komplett ab?
Nein, ich glaube nicht, dass wir Religion völlig ablehnen. Du hast wahrscheinlich recht: Schafft euch eure eigene Interpretation, nehmt euch die Elemente, die für euch funktionieren. Letzten Endes beruhen viele religiöse Werte auf einem guten Kern und religiöse Menschen und diejenigen, die sich wirklich mit dem Katholizismus beschäftigen, tun dies zumeist aus guten Absichten. Es gibt definitiv einen Raum, in dem Religion und Homosexualität koexistieren können und nicht gegensätzlich sein müssen.

Ein weiteres Video, das mich wirklich hart getroffen hat, war der Clip zu „Brother“. Was ist die Geschichte dahinter?
Wir haben mit der Filmemacherin Kate Dolan bei verschiedenen Projekten zusammengearbeitet. Wir wollten die Männlichkeit feiern. Sehr oft wird die Idee der Männlichkeit als negativ gesehen, weil es darin viele toxische Elemente gibt, vor allem jene, die die Gesellschaft pusht. Es gibt aber auch Elemente, die wir in den Männern um uns herum sehen und die rein und schön sind. Als vier queere Frauen ist uns das nicht oft begegnet, deshalb wollten wir das feiern. Wir sind weder anti Männlichkeit noch anti Männer, wir sind für Feminismus und Queerness und dafür, dass wir die Normen infrage stellen. Als wir das der Regisseurin erklärten, hat sie das total verstanden und toll umgesetzt. Die beiden Hauptfiguren in dem Video sind beste Freunde. Sie haben ein hartes Leben und enden auf der Straße. Und da gibt es diese SciFi-Elemente: Sie entdecken ein Gerät, das ihnen die Macht gibt, die Zeit anzuhalten und Momente, die ihnen wichtig waren, noch einmal zu erleben. Momente, die schwierig waren, weil die Gesellschaft sie dazu zwang, sich „wie ein Mann“ zu verhalten. In der Normalität finden sie den Zugang zu ihrer emotionalen Seite nicht. Sie müssen die Zeit anhalten, um das tun zu können. Einer der Jungs umarmt seinen Vater, was er normalerweise nicht tun würde. Der andere besucht seine Ex-Freundin und sein Kind und verbringt Zeit mit ihnen. In der Normalität ist er nicht in der Lage auszudrücken, dass er dieses Leben vermisst, weil er die Regeln der Männlichkeit befolgen muss.

Ich habe zwei Fragen zu „Harvey“. Erstens klingt es wie ein Song, der bei einem Teeniefilm am Ende der Abschlussballszene gespielt wird. War das Absicht?
Ja, definitiv, haha. Ich bin so froh, dass du das sagst. Das einzige Mal, dass wir das live gespielt haben, war, glaube ich, in Brüssel. Es gab eine Discokugel in der Mitte des Raumes und wir bestanden darauf, sie einzuschalten, so dass es wie ein Abschlussball aussah, das war wirklich cool. Diese Highschool-Filme mit den Prom-Szenen als Höhepunkt waren ein großer Teil unserer Jugend. Wir alle lieben Filmsoundtracks, so sind wir zur Musik gekommen. Dieser Song könnte im Score eines Neunziger Jahre-Teeniefilms oder in einer Episode von „The Chilling Adventures of Sabrina“ laufen.

Damit, dass du „Sabrina“ erwähnst, hat sich meine zweite Frage, wer Harvey ist, vielleicht schon erledigt. Ist es eine Anspielung auf Sabrinas Freund Harvey?
Er basiert auf dem Harvey von Sabrina, ja, haha.

Gehen wir mal etwas vom Album weg. Auf euren Social-Media-Seiten geht es nicht nur um eure Musik, ihr engagiert euch auch für gesellschaftliche und politische Fragen. Gewalt gegen Frauen ist zum Beispiel ein wichtiges Thema für euch, gerade weil sie während des Lockdowns um 25% gestiegen ist. Wie versucht ihr, darauf aufmerksam zu machen?
Wir wurden von einer Gruppe von Frauen namens Irish Women Harmony angesprochen, die eine Coverversion des CRANBERRIES-Songs „Dreams“ planten, um Geld für eine Wohltätigkeitsorganisation namens Safe Ireland zu sammeln. Die Organisation arbeitet mit Frauen, die häusliche Gewalt erleben. Wir warben für das Projekt im Radio, im Fernsehen und in den sozialen Medien. Es wurden 215.000 Euro gesammelt und die Spendensumme steigt immer noch durch die hohen Streaming-Zahlen.

Laut Irish Women Harmony ist der Song tatsächlich der erste Top-20-Hit von einem weiblichen Act in Irland seit zehn Jahren.
Ist das nicht unglaublich? Das war mir auch erst gar nicht klar.

Ihr setzt euch nicht nur für Frauen, sondern auch für Geflüchtete ein. Besonders geht es euch um ein System, das sich Direct Provision nennt. Was ist das genau?
Direct Provision ist etwas, das vor zwanzig Jahren in Irland als vorübergehende Unterkunft für Geflüchtete eingerichtet wurde. Es läuft als eine gewinnorientierte Einrichtung. Im Grunde genommen müssen alle neuen Geflüchteten erst einmal dort bleiben. Es ist quasi wie ein Gefängnis: Sie haben keine Bewegungsfreiheit und dürfen nicht arbeiten. Sie müssen unter strengen und unmenschlichen Bedingungen leben. Es ist ein rassistisches System, das endlich enden muss.

Ich nehme an, während der Pandemie ist es noch schlimmer und sie bekommen weder genügend Masken noch Hygienemittel zur Verfügung gestellt?
Genau, und sie leben auf engstem Raum. Wenn sich das Virus dort ausbreitet, wird das sehr schnell gehen. Es gibt Wohltätigkeitsorganisationen in Irland, die daran arbeiten, Masken für diese Menschen herzustellen. Das ist großartig, aber es wird natürlich nie reichen. Und es sollte nicht den Wohltätigkeitsorganisationen überlassen werden, die Regierung hätte längst reagieren müssen.

Vorgesehen ist, dass sie maximal ein halbes Jahr dort bleiben. Wie viel Zeit verbringen sie dort tatsächlich?
Das ist unterschiedlich. Sie müssen die Staatsbürgerschaft beantragen, aber das kann bis zu acht Jahre dauern. Es wird immer auf die lange Bank geschoben. Niemand hat es eilig damit, sie ins Land zu lassen. Aber ich bin froh, dass du es ansprichst, sonst hätte ich es gemacht. Dieses System gibt es seit über zwanzig Jahren! Absolut verrückt.