PROTOMARTYR

Foto© by Trevor Naud

A different kind of beast

Gleich eine ganze Reihe von Schicksalsschlägen hat das Leben des PROTOMARTYR-Frontmanns Joe Casey seit dem 2020 erschienenen „Ultimate Success Today“ kräftig durcheinander geschüttelt. Für seine Verhältnisse ungewohnt direkt hat er das in den Texten des neuen Albums „Formal Growth In The Desert“ verarbeitet. Wie und warum erklären Casey und Greg Ahee, Gitarrist und musikalischer Strippenzieher.

Joe, in unserem letzten Interview im Jahr 2020 hast du befürchtet, dass ein Teil der alternativen Musikszene in den USA einfach verschwinden würde. Hat sich das bewahrheitet?

Joe: Ja und nein. Die großen Unternehmen haben ihre Bands auf demselben Level halten können, was meiner Meinung nach keine sonderlich gute Sache ist. Für mittlere und kleinere Bands ist es allgemein ziemlich schwierig geworden. Die alternative US-Musikszene gibt es noch, aber das Ganze hängt an einem seidenen Faden, sie hat sich noch nicht ganz erholt und auch stark verändert.

Was heißt das konkret für PROTOMARTYR?
Greg: Touren ist schon für halbwegs bekannte Bands wie uns extrem teuer geworden und nur noch schwer zu stemmen. Für Bands, die gerade erst anfangen, dürfte das nahezu unmöglich sein. Die Ticketpreise sind höher, es ist einfach alles ziemlich unsicher.

Hat sich das auch auf die Entstehung des Albums ausgewirkt?
Joe: Nicht direkt, grundsätzlich sind wir eigentlich so vorgegangen wie sonst auch. Greg und die Band haben zuerst für den musikalischen Teil gesorgt und ich habe dann die Texte dazu geschrieben. Das läuft alles sehr organisch, ich weiß nie, wie die ganze Geschichte des Albums aussehen wird, bis es fertig abgemischt ist. Wenn ich dann zum Schluss alle Songs zusammen höre, kann ich Verbindungen zwischen den Stücken erkennen, die mir bei der Entstehung gar nicht bewusst waren. Sogar Verknüpfungen zu unseren vorherigen Alben sind da, einfach so, unbeabsichtigt.
Greg: Es gibt aber musikalisch gesehen immer einige Berührungspunkte, die wir als Ausgangsbasis nutzen, wenn wir etwas Neues anfangen. So eine Art grobes musikalisches Thema, das das Album zusammenhält und auf dem die Songs aufbauen. Bei diesem Album war es Pedal-Steel, was der Sache in Konsequenz einen leichten Country-Western-Touch gegeben hat.

Inhaltlich enthält „Formal Growth In The Desert“ sehr viel Persönliches, und das wird hier im Gegensatz zu den Vorgängern auch ziemlich explizit ausformuliert.
Joe: Ja, stimmt, so ziemlich alle PROTOMARTYR-Platten enthalten viel Persönliches, aber in der Vergangenheit habe ich das vielleicht eher hinter Metaphern versteckt. Jetzt habe ich aber zum ersten Mal im Vorfeld recht viel Lyrik gelesen, um meinen kreativen Fluss für das Album in Gang zu bringen. Patrick Kavanaugh, ein irischen Dichter, hat mich da sehr beeindruckt. Er hat zwar auch ganz schön schräges Zeug gemacht, aber oft auch sehr klar, direkt und emotional über sein Leben geschrieben. Das hat mich dazu gebracht, über bestimmte Themen einfach mal Klartext zu reden, wenn ich der Meinung war, dass sie das fordern. Viele der Texte handeln von Dingen, die ich durchgemacht habe, Depression und Einsamkeit, vom Tod meiner Mutter und dem Versuch, herauszufinden, wie ich damit fertig werden kann. Auch Wut und Frustration sind nach wie vor präsent. Aber während das früher meist die Endstation war, gehen die Songs jetzt ein bisschen weiter und bieten schon einen ersten Ausweg. Sonst haben viele meiner Texte einfach damit geendet, wie schrecklich die Welt gerade ist. Das ist zwar nach wie vor ein Thema, aber aus einem etwas anderen Blickwinkel betrachtet.

Also lieber ein Schritt nach vorn als ein wehmütiger Blick zurück?
Joe: Schon. Es ist grundsätzlich immer schlecht für eine Band, sich in Nostalgie zu verlieren, und ich denke, es ist oft auch generell nicht gut. In „Fun in high school“ geht es zum Beispiel direkt darum, dass viele Leute ihre eigene Jugendzeit verherrlichen, sowohl im Bezug darauf, wie die Welt an sich war, als auch auf das Leben, das sie selbst damals geführt haben. Und oft scheinen eben diese Leute auf die Jugend von heute herabzusehen, manchmal wirkt das fast schon wie ein Wettbewerb. Auch mir geht das manchmal so, je älter ich werde, desto öfter, haha. In der Musikbranche ist das besonders krass. Man fühlt sich da vielleicht auch besonders schnell überholt. Das geht dann oft in die Richtung „Wir müssen eine Back-to-basics-Platte machen“ oder „Wir müssen so klingen wie früher“ und das kann eine Band kaputtmachen. Für uns ist das jedenfalls keine Option.

Eine leicht melancholische bis bittersüße Note hat eure Musik dennoch.
Greg: Vielleicht hat das mit der Routine nach Corona zu tun. Während des Lockdowns hatte ich musikalisch gesehen einfach auf nichts Lust, Joe ging es da, glaube ich, genauso. In gewisser Weise war es zu Beginn auch schön, eine Pause vom Touren und dem ganzen damit verbundenen Stress zu haben. Das war zwischenzeitlich schon ein sehr bedrückender Trott, der mich ziemlich mitgenommen und abgestumpft hat. Aber als wir dann nach dem Lockdown wieder in die Gänge kamen, fühlte sich das richtig gut an. Es war toll, wieder unterwegs zu sein, es war toll, all diese Dinge wieder zu tun. Gleichzeitig muss man tierisch aufpassen, nicht in alte Muster zurückzufallen. Der Balanceakt, dieses Gleichgewicht zu halten, spiegelt sich wohl auch in der Grundstimmung des Albums wider. Es ist schön, wieder am Start zu sein, aber wir wollen es auch nicht übertreiben. Wir wollen mit Freude dabei sein.
Joe: Diese bittersüße Note spiegelt die quer über das Album verstreute Pedal-Steel-Gitarre meiner Meinung nach auch ganz gut wider. Sie kann sowohl angenehm und erhebend klingen, aber auch eine sehr unheimliche und düstere Qualität haben. Eine Stimmung irgendwo zwischen den Welten.

Greg, siehst du da in musikalischer Hinsicht eine grundsätzliche Richtungsänderung hin zu poppigeren Strukturen?
Greg: Ich weiß nicht, ob das so ist, es war jedenfalls keine bewusste Entscheidung. Ich versuche ja eigentlich immer, eine neue Richtung einzuschlagen, manchmal mehr, manchmal weniger subtil. Weil ich ungefähr wusste, worüber Joe schreiben würde, wollte ich etwas mehr Wärme in die Sache bringen, gleichzeitig aber auch Dissonanzen einbauen. Es kann also musikalisch mehr Licht und harmonischere Momente geben, aber ich versuche definitiv nicht gezielt, Popsongs zu schreiben.
Joe: Wir sind jetzt auch viel sicherer als zu Beginn unserer Karriere. Greg war ja der Einzige, der vor PROTOMARTYR überhaupt in einer Band gespielt hatte. Unser Drummer hat sich mit einem Videospiel Schlagzeugspielen beigebracht, Scott hatte vorher noch nie Bass in der Hand und ich hatte noch nie gesungen. Und um es für uns selbst interessant zu halten, spielen wir eben mit verschiedenen Stimmungen und Tönen. Meiner Meinung nach sind auf diesem Album aber einige der härtesten Sachen, die wir je gemacht haben, etwa „300 tigers“. Wir sind eben offen für Neues.
Greg: Ich habe vielleicht versucht, das Ganze ein bisschen mehr wie ein Produzent anzugehen, nicht unbedingt wie ein Gitarrist. „Fun in high school“ zum Beispiel ist musikalisch ein ziemlich harter, aggressiver Song, aber es gibt bis zum Schluss kaum Gitarren. Bisher hat die Gitarre unsere Musik heavy gemacht oder Melodien gelenkt und war der Motor unserer Songs, das ist auf diesem Album zumindest teilweise anders.

Spielen sozialkritische und politische Themen inhaltlich für euch noch eine größere Rolle?
Joe: Na ja, die sind ja eigentlich immer da. Man kann versuchen, gesellschaftsbezogenen Inhalten aus dem Weg zu gehen und einfach darüber zu schreiben, dass man gerne Pizza isst oder tanzt oder was auch immer. Aber sich vor Themen wie sozialem Druck, Politik und Ähnlichem zu verschließen, ist an sich schon ein politischer Akt, weil man sich entscheidet, sich davon zu lösen. Ich würde vielleicht gerne über Werwölfe schreiben, aber ich finde es fesselnder, wenn es in meinen Texten um etwas geht, das die Menschen tatsächlich betrifft oder reale Konsequenzen hat. Meiner Meinung nach kann es gar nicht genug realistische Songs geben.
Greg: Kunst als Realitätsflucht hat schon eine Daseinsberechtigung. Unsere Musik kann ja schon mal einige unbequeme oder dunkle Bereiche berühren. Und wenn wir mit einer Platte fertig sind, kann ich eine Zeit lang nur noch belanglose Popmusik hören, mit der ich mich nicht besonders intensiv beschäftigen muss. Einfach so, nebenbei. Das kann also eine gute Sache sein. Aber auf die Dauer ist das natürlich auch nichts. Du musst da einfach dein persönliches Gleichgewicht finden.