ROCKET FROM THE CRYPT

Teach me, tiger

Die Wege, die Fans und Presse ihre Zuneigung gehen lassen, sind seltsam. Da werden ROCKET FROM THE CRYPT in ihrer US-amerikanischen Heimat und auf der britischen Insel spätestens seit ihrem ’96er Album „Scream, Dracula, Scream!“ gefeiert und können stetig wachsenden Zustrom zu ihren Konzerten verzeichnen – und hierzulande kommt die Rakete von Kommandant Speedo (voc) und seinen Mannen (JC 2000 – Orgel, Trompete, Percussion, Gesang; N.D. – Gitarre; Apollo Nine – Saxophon, Gesang; Atom – Drums; Petey X – Bass) trotz exzellenter Kritiken und enthusiastischer Anhänger bislang nicht über jenen Status eines Underground-Geheimtips hinweg, den die Band aus San Diego seit ihrem ersten Album vor sieben Jahren genießt. Mag sein, dass sich das mit dem titellosen neuen Album, ihrem vierten, endlich ändert – drauf wetten würde ich nicht. Ich traf die Band im Kölner Büro ihrer deutschen Plattenfirma Virgin, frisch eingetroffen aus Paris, wo sie am Vorabend und einen Tag nach dem „Rheinkultur“-Auftritt gespielt hatte – in bester Plauderlaune. Mehr kann man sich als Interviewer nicht wünschen – dumm nur, wenn sich beim Abhören des Bandes herausstellt, dass das sonore Organ von Frontmann Speedo das einzige ist, das eine konkrete Zuordnung zur Person erlaubt ...

Wie lief der „Rheinkulturö-Auftritt für euch?

Ganz gut, obwohl so Festivalauftritte immer eine heikle Sache sind. Aber sobald wir dann auf der Bühne standen, war es o.k.

Auch angesichts des unterschiedlichen Publikumszuspruchs in Deutschland, England und den USA?
In den USA spielen wir im Schnitt vor tausend Leuten – mal sind’s 600, mal 2.000. In England sind es viel mehr, da waren es auch schon mal 10.000 – und bei der letzten Tour spielten wir in Köln vor 150.

Wie kommt’s?
Keine Ahnung. Die Engländer mögen uns halt. Nein, im Ernst: Wir haben mit all den wichtigen Leuten gefickt, die beim NME schreiben.

Und die mögen euch?
Klar, deshalb haben sie uns im Gegenzug ja auch gefickt.

In einer englischen Musikzeitung wurdet ihr auch mal als „Retro-Rock“ bezeichnet – nicht unbedingt schmeichelhaft für eine Band mit Punk-Background, die coolen Rock’n’Roll spielt.
„Retro-Rock“ – das kann doch nur jemand schreiben, der sich nicht die Mühe macht, unsere Platten wirklich anzuhören. Andererseits ist das auch wieder gar nicht so unzutreffend, denn natürlich haben wir eine ganze Reihe von musikalischen Vorfahren, auf die wir uns berufen, und insofern kann man schon von „Retro-Rock“ sprechen.

Ich denke, man sollte auch zwischen Bands wie euch und solchen unterscheiden, die versuchen – vermeintlich? – zeitgemäße Elemente in ihre Musik einzubauen, also etwa Technobeats etc.
Sobald du sowas machst, klingt deine Band wie jede andere da draußen. Aber das wird doch gefördert: Kling wie alle anderen und du bist toll; versuch was anderes zu machen und du wirst allenthalben entmutigt. Das ist doch eine verkehrte Welt! Ich meine, ich kann mich noch an eine Zeit erinnern, als du wie der letzte Dreck behandelt wurdest, wenn du als Band andere nachgemacht hast. Aber heute gehört das wohl zum guten Ton, da wird das noch als schlau und toll herausgestellt.

Das bringt uns wieder zum Ausgangspunkt, nämlich puren Rock’n’Roll – und letztendlich ist das, was ihr macht, ja auch nichts anderes.
Schon, aber andererseits denke ich auch, dass wir uns von der Masse von „Straightforward-Rock’n’Roll-Bands“ unterscheiden, eben durch die darüber hinausgehenden musikalischen Einflüsse, unsere Instrumentierung und die Art, wie wir unsere Songs arrangieren. In unserer Musik passieren eben ganz verschiedene Dinge, und Rock’n’Roll ist nur ein Teil davon.

Punkrock ist ein weiteres Grundelement eurer Musik, das allerdings auf den frühen Platten noch deutlicher hervortrat.
Was ist Punkrock, was ist Rock’n’Roll? Ich sehe die Unterschiede nicht so deutlich, und die MISFITS beispielsweise waren für mich schon immer eine Rock’n’Roll-Band. Und die erste Punkband, die ich hörte, waren die SEX PISTOLS, die ich nicht besonders toll fand. Wirklich begeistern konnten mich erst spätere Bands wie BLACK FLAG und DEAD KENNEDYS, die bliesen dich einfach weg, da fühlte ich, dass das Musik ist, die von echt verrückten Leuten gemacht wird. Da war mir klar, dass das meine Musik ist, dass ich das für den Rest meines Lebens machen will.

Von Punkrock zu Rock: Euer neues Album wurde erstmals nicht von euch selbst bzw. Speedo, sondern im Beisein eines „externen“ Produzenten aufgenommen, von Kevin Shirley nämlich, der in der Vergangenheit auch mal AEROSMITH produziert hat. Mit Punkrock haben die nicht viel zu tun.
Und? Was sagt das schon aus, wenn du eine Platte aufnehmen willst, die einfach gut klingen soll. Kevin Shirley ist ein sehr guter Studiotechniker, der versteht sein Handwerk und bringt eine Band so gut wie nur möglich auf Band, ohne sich selbst groß einzubringen.
Speedo: Kevin hat übrigens nicht nur AEROSMITH produziert, sondern auch eine Platte von JOURNEY. Ich verstehe natürlich, wenn Leute Vorbehalte gegen eine Band wie AEROSMITH haben, denn sie stehen für jede Menge Dinge, die ich absolut ablehne, etwa diese ganze „Cock-Rock“-Mentalität. Punk war seinerzeit schließlich eine Reaktion auf Bands wie AEROSMITH. Andererseits gebe ich auch zu, dass ich die frühen AEROSMITH-Platten mag – ehrlich. Und ich mag auch die Platte, die Kevin Shirley mit AEROSMITH aufgenommen hat. Die war es auch, die uns überzeugte, mit ihm arbeiten zu wollen. Wir sagten uns, wenn er so eine Platte mit einer Band wie AEROSMITH hingekriegt hat, dann müsste das Ergebnis mit einer Band, die jung und hungrig ist, „that wants to kick out the jams“, noch um einiges beeindruckender sein.

Ihr habt die Platte live im Studio eingespielt und nicht in Form von sich wochenlang hinziehenden Aufnahmesessions.
Speedo: Kevin arbeitet ausschließlich so, wir wollten die Platte so einspielen, AEROSMITH, JOURNEY und SILVERCHAIR wurden auch so aufgenommen, also ... Nach drei Tagen im Studio war alles gelaufen, was auch daran lag, dass wir die Songs vorher ausgiebig geübt hatten. Danach haben wir noch gemischt, drei Songs am Tag, und das war’s dann. Ich glaube, diese wochenlangen Studioaufnahmen, für die viele Bands Unmengen Geld rausblasen, sind nur auf die BEATLES zurückzuführen: Die machten das so, sie waren gut, also muss das Ergebnis ja dann auch gut sein. Wir haben uns dagegen bei dieser Platte auf die Songs und das Spielen konzentriert: Die Songs sollten für sich selbst sprechen können, die musikalische Ausführung stimmig sein und die Produktion so klar, dass man detailliert heraushören kann, was da passiert.

Der Opener des Albums, das begeisternde „Eye on you“, ist ein Duett zwischen Speedo und Holly Golightly von THEE HEADCOATEES. Wie habt ihr zusammengefunden?
Speedo: Am Ende der letzten Europatour, so vor anderthalb Jahren, waren wir in London und nahmen ein paar Songs auf. Zuvor hatten wir Holly getroffen, mit den Headcoatees eine Show gespielt, Konzerte von ihnen besucht und uns angefreundet. Und so fragten wir, ob sie nicht ein paar Songs mit uns aufnehmen wolle – mit dem Resultat, dass sie bei sechs der acht Songs mitsang. „Eye on you“ ist während dieser Session entstanden und wir fanden es so gut, dass wir beschlossen, es für dieses neue Album aufzusparen.

Auf der Rückseite des CD-Booklets sowie auf euren Pressefotos posiert ihr bzw. Speedo mit einem Tiger – mich erinnert das ja an Siegfried und Roy ...
... mit dem Unterschied, dass deren Tiger weiß sind. Der Tiger gehört Speedo bzw. seiner Familie. Seine Verwandten haben in den Bergen außerhalb von San Diego eine Wildtierfarm. Sie züchten dort vom Aussterben bedrohte Tierarten, unter anderem eben auch Tiger. Sie finanzieren sich, indem sie die Tiere an Zoos und Parks verkaufen, und wenn wir mal Geld brauchen, jobben ein paar von uns auch dort – Scheiße aus dem Käfig schippen und so.

Und von wem stammt das Coverartwork?
Das ist von Rick Froberg, der früher der Sänger von DRIVE LIKE JEHU war, du weißt schon, die Band, bei der Speedo Gitarre spielte. Die Band gibt es zwar nicht mehr, aber Rick Froberg ist immer noch ein guter Freund von uns und außerdem ein sehr guter Künstler.

Ihr seid große Vinylfans, deshalb die Frage, ob auch das neue Album wieder im 12“-Format erhältlich sein wird.
Natürlich: in den USA erscheint das Vinyl auf Sympathy For The Record Industry, und in England wird es wohl über Elemental erscheinen. Virgin in Deutschland werden aber kein Vinyl pressen. Auf die Verkaufszahlen hat Vinyl sowieso kaum noch Einfluss – beim letzten Album waren es ungefähr 5%.

Wenn wir beim Thema Vinyl sind: Ist euer Back-Catalog, die Platten auf Headhunter, derzeit erhältlich?
Speedo: Schwer zu sagen: Nur noch „Paint As Fragrance“ ist auf Headhunter. „Circa: Now“ wurde von Interscope gekauft, aber wie „All Systems Go“ derzeit wohl nicht zu haben. Die Pflege des Back-Catalogs genießt bei Interscope keine große Priorität, solange du als Band nicht wirklich viele Platten verkaufst. Wir finden das auch nicht gut, aber was sollen wir machen?