SAMIAM

„Sam, yes, I am!“

Mal ehrlich: Irgendwie hatte so ziemlich jeder unsere geliebten SAMIAM abgeschrieben, als sie letztes Jahr von Atlantic gedroppt wurden. Im Zuge des vom GREEN DAY-Erfolg angestichelten Signingwahns waren die Meister des melancholisch-kraftvollen Post-Punks seinerzeit von Atlantic an Bord geholt worden, doch nach dem Hire & Fire-Prinzip war es mit der Major-Herrlichkeit dann ruckzuck wieder vorbei: 50.000 verkaufte Exemplare des ’94er-Albums „Clumsy“ waren den Krämerseelen aus der Buchhaltung nicht genug, also weg mit der Band. SAMIAM standen plötzlich vor dem Nichts, denn Majorverträge sind nun mal ein Pakt mit dem Teufel. Der „Clumsy“-Nachfolger „You Are Freaking Me Out“ war nämlich schon im Kasten, zehntausende Dollar für die Produktion ausgegeben worden, und es kursierten bereits Vorab-Tapes, als der Release mal eben gecancelt wurde. Und wenn schon Atlantic keinen Spaß mehr an SAMIAM hat, sollte auch niemand anderes sich an ihnen erfreuen können. Denn der Dropping-Arschtritt war den Herren nicht genug, nein, Atlantic bemühte sich nach Kräften, so eine hohe Ablösesumme für die, rein rechtlich, nach wie vor an sie gebundene Band zu fordern, dass es letztendlich unmöglich schien, ein Label zu finden, das bereit und finanziell in der Lage war, die Band freizukaufen. Letztendlich wurde dann doch noch alles gut: Peter Ahlqvist, Chef des Schweden-Labels Burning Heart Records und SAMIAM-Fan der ersten Stunde, dealte so hartnäckig mit den Atlantic-Bossen, dass die sich schließlich erweichen ließen und SAMIAM gegen entsprechende Bezahlung gehen konnten. So erschien Ende Juni doch noch das seit einem Jahr auf Eis liegende Album auf Burning Heart, wenn auch offiziell nur außerhalb der USA. Nach diesen einleitenden Worten nun die SAMIAM-Story aus dem Munde von Gitarrist Sergie Loobkoff.

Ich schätze mal, dass ihr nach dem Deal mit Burning Heart jetzt wieder etwas freudiger durch’s Leben geht.

Allerdings! Ich meine, wir haben die Band ja nicht aufgelöst, nachdem wir von Atlantic gedroppt worden waren, aber wir waren wie gelähmt. Die Zukunft der Band erschien uns rabenschwarz: Wir hatten die neue Platte aufgenommen, alles war fertig, und wir konnten nichts anderes tun, als rumsitzen und warten.

Wie kam es zum Rausschmiss?
Naja, die Sache ist eigentlich ganz unspektakulär und wir sind auch nicht die erste Band, der so etwas widerfahren ist, wie ich jetzt weiß. Trotzdem stellst du dir natürlich nicht vor, dass gerade dir sowas passiert. Aus unserer Perspektive lief nach der Veröffentlichung von „Clumsy“ alles ganz normal, ja es lief sogar ganz gut für uns. Im Frühsommer letzten Jahres geriet Atlantic, unser Label, dann aber in finanzielle Schwierigkeiten. Ich weiß nicht, wie die Situation der Musikindustrie in Deutschland ist, aber in den USA kursierten zu dieser Zeit in der Wirtschaftspresse schon länger Meldungen über die miserable Ertragslage dieser Branche. Und schließlich zog man bei Atlantic die Notbremse und warf in drei Wellen einen Teil der Bands raus. An jedem dieser drei Freitage bekamen so je 20, 30 Bands den Flug. Wir waren bei der zweiten Welle dabei und konnten uns immerhin damit trösten, dass es Bands, die viel größer waren als wir, auch nicht besser erging.

Hast du ein Beispiel parat?
Ja. Nimm etwa diese Southern-Rockband SCREAMING CHEETAH WHEELIES. Die haben die gleiche Management-Firma wie wir, und obwohl sich ihre Platte im ersten Monat 120.000 mal verkauft hat, wurden sie rausgekickt. Die hatten allerdings Glück und fanden schnell ein neues Label – im Gegensatz zu uns. Die Atlantic-Begründung für unseren Rausschmiss war, dass sie für „Clumsy“ und die Produktion von „You Are Freaking Me Out“ schon so viel Geld ausgegeben hatten, dass sie keine Chance sahen, die Ausgaben wieder reinzuholen. Also betrieben sie ganz nüchtern kalkulierte Schadensbegrenzung und setzten uns auf die Abschussliste.

Von einem rein wirtschaftlichen Standpunkt aus gesehen, macht das natürlich Sinn.
Schon, aber ich frage mich auch, was denn letztendlich blöder war: Uns rauszuwerfen, nachdem sie schon 100.000 Dollar für Toursupports und Plattenaufnahmen ausgegeben hatten, oder schon die Entscheidung, uns überhaupt zu signen.

Lief „Clumsy“ in den USA denn so miserabel? In Deutschland würde mich das nicht wundern, denn hier hat Atlantic keine Promotion für das Album gemacht, keine Anzeigen geschaltet, und ich weiß nicht mal, ob die CD hier überhaupt erschienen ist.
Nein, soweit ich weiß, ist „Clumsy“ in Europa nie veröffentlicht worden, obwohl uns das zugesagt worden war. Ich habe auf der Tour letztes Jahr nämlich niemanden getroffen, der eine Euro-Pressung besitzt. Und das ist doch dämlich, denn die Leute von Burning Heart Records haben uns erzählt, allein sie hätten über 1.000 CDs aus den USA importiert und über ihren Mailorder verkauft. Hier in den USA wurden wohl rund 50.000 Platten verkauft, und das ist zumindest für SAMIAM mehr als wir je von den drei Platten auf New Red Archives verkauft hatten. Angesichts des Werbeaufwands, den Atlantic zumindest in den USA getrieben haben, war das aber wohl doch nicht so viel.

Wie stellte sich eure Situation nach dem Rausschmiss dar?
Atlantic hatte die Aufnahmen zum neuen Album bezahlt und so gehörten sie auch ihnen. Sie sagten uns, wenn jemand anderes die Platte rausbringe wolle, müsse er ihnen die Aufnahmen abkaufen, und sie nannten einen Preis von über 100.000 Dollar plus einen prozentualen Anteil am Verkaufserlös der CD. Anfangs waren sie sogar noch unverschämter und forderten einen Preis, den gar niemand bezahlen konnte. Der Grund war, dass zu Beginn der Sache noch eine ganze Menge Labels an uns interessiert waren, und die wollten sie wohl abschrecken. Das schafften sie dann auch. Trotzdem ließen wir uns anfangs nicht entmutigen, und so gingen wir nach der letztjährigen Europatour gleich in den USA auf Tour, spielten die „Warped“-Festivals und waren sehr optimistisch, bald ein neues Label zu finden. Denn ehrlich gesagt, war uns der Abschied von Atlantic nicht schwergefallan, da sie uns in den Monaten zuvor miserabel behandelt hatten und auch mit befreundeten Bands wie JAWBOX und BAD RELIGION übel umgesprungen waren. Bald merkten wir dann aber, dass es so schnell nichts wird mit einem neuen Label, wir hingen völlig in der Luft und das drückte natürlich die Stimmung.

Dann kamen Burning Heart ins Spiel.
Glücklicherweise. Wir haben Peter getroffen, als MILLENCOLIN dieses Jahr in San Francisco spielten, und nachdem wir ihm die Situation geschildert hatten, gab Peter bei Atlantic ein so lächerlich niedriges Angebot ab, dass wir keinerlei Erfolgschance sahen. Doch unglaublicherweise ließ Atlantic sich darauf ein. Ich denke, das lag daran, dass die in Burning Heart keinen Konkurrenten sehen und sie glauben die Schmach, dass eine von ihnen wegen Erfolgslosigkeit gedroppte Band bei einem anderen Major groß rauskommt, so erspart bleibt. Die einzige Einschränkung ist, dass Burning Heart die Platte nicht in den USA veröffentlichen darf. Derzeit arbeiten wir aber daran, ein Label für die USA zu finden, denn auf Importe angewiesen zu sein, hilft uns hier nicht viel weiter. Die letzte Platte kam vor drei Jahren, und in diesem schnellebigen Markt dürften wir da schnell untergehen. Wir haben zwar einige hartnäckige Fans, sind aber sicher keine Band, auf die die Masse gewartet hat.

Zumindest in Deutschland halten euch aber ein paar hundert Fans seit Jahren treu die Stange.
Ich weiß, und weil das bei euch, in anderen Ländern und den USA der Fall ist, haben wir trotz aller Schwierigkeiten nicht aufgegeben, sondern durchgehalten. Diese Leute bilden seit acht Jahren – so lange gibt es SAMIAM mittlerweile – eine solide Basis, die uns von anderen Bands unterscheidet. Es gibt nämlich genug Beispiele für Bands, die aus dem Nichts kommen, 500.000 Platten verkaufen, überall im Radio gespielt werden, dann wieder verschwinden und zwei Jahre später, falls es sie noch gibt, keine fünfzig Leute mehr zu ihren Shows locken können. Wir haben das Glück, dass es überall da draußen Leute gibt, für die wir eine ihrer absoluten Lieblingsbands sind. Das soll jetzt nicht angeberisch klingen, ich weiß nur einfach, dass es so ist. Wir waren zum Beispiel vor ein paar Wochen für einige Konzerte in Schweden, und wir haben überall Leute getroffen, die sich vor Begeisterung, uns endlich mal live sehen zu können, beinahe in die Hosen gemacht haben. Das hat mich wirklich gerührt, und mir war es richtig peinlich, dass die uns für eine große Band hielten. Das sind wir gar nicht, denn ich glaube, wenn wir in Schweden in einer Kleinstadt 200 Leute ziehen, ist das mehr als wir beispielsweise in New York erwarten können. Das habe ich auch den Leuten, die uns ansprachen, zu erklären versucht.

Haben sich die ganzen Querelen auf euer Line-up ausgewirkt oder seid ihr noch das alte Team?
Wir sind immer noch die fünf Leute, die auch letztes Jahr in Europa waren. Von der Urbesetzung sind wie gehabt ich an der einen und James Brogan an der anderen Gitarre dabei, sowie natürlich Jason Beebout, der Sänger. Wir drei haben auch 95% der Songs geschrieben. Aaron Rubin, der Bassist, ist seit ’93 dabei und war vorher bei MR. T EXPERIENCE. Und MP, unser neuer Schlagzeuger, ist seit ungefähr zwei Jahren dabei.

Weißt du eigentlich, dass schon seit Monaten Tape-Kopien und selbstgebrannte CDs des „You Are Freaking Me Out“-Albums kursieren?
Oh ja, das ist nicht nur in Deutschland, sondern auch in den USA so. Als wir auf Tour waren, stießen wir überall auf Leute, die die Platte schon auf Tape hatten. Ich weiß auch, wie das kommt: Zwei oder drei Songs waren im Herbst ’96 auf irgendwelchen Promo-Samplern erschienen, und es wurden zu der Zeit auch schon Advance-Tapes des Albums rausgeschickt, bevor sie uns dann droppten. Ich finde es schön für uns, dass in Zeiten, wo die Leute ja wirklich jeden Monat von Dutzenden neuer Platten überschwemmt werden, jemand so auf eine Band steht, dass er sich die Mühe macht, sich auf Umwegen eine wahrscheinlich recht schlechte Tape-Kopie unseres Albums zu besorgen. Solche Phänomena sind es aber, die mir den Spaß an der Band erhalten. Warum sollte man sich auch sonst stundenlang ins Auto quetschen und quer durchs Land fahren, nur um dann in irgendwelchen kleinen Städten in gammligen kleinen Clubs zu spielen? Da stehtst du dann und fragst dich, was du eigentlich machst. Du könntest schließlich zuhause sein, mit deinen Hunden spielen und ein „vernünftiges“ Leben führen. Aber dann spricht dich jemand an, erzählt dir, was ihm deine Band bedeutet, und du weißt, dass du das Richtige tust.

Gut zu wissen. Immerhin hat dich die Band bisher davon abgehalten, einen „richtigen“ Job zu ergreifen.
Stimmt. Wir gründeten SAMIAM ’89, ein Jahr später war ich mit dem College fertig und wir hatten unsere erste Platte draußen. Wir gingen dann gleich in den USA und Europa auf Tour, und in den ersten Jahren hatte ich doch starke Zweifel, ob die Band die richtige Entscheidung war. Zum Beispiel an diesem Abend in Oslo: Du hast ein Konzert vor gerade mal 60 Leuten gespielt, die es alle beschissen fanden, bist tausende Kilometer von Zuhause entfernt und fragst, ob du nicht was anderes machen solltest. Mittlerweile weiß ich jedoch, dass ich die richtige Entscheidung getroffen habe, und das ist angenehm. Außerdem habe ich mir in den letzten Jahren auch außerhalb der Band eine Existenz aufgebaut und mache am Macintosh-Computer Graphik-Arbeit für andere Bands, also Booklets, Poster und so weiter. Zusätzlich arbeite ich auf dem gleichen Gebiet noch für eine andere Firma.

Wie bewertest du euer neues Album im Vergleich mit „Clumsy“? Als ich „Clumsy“ die ersten Male hörte, war ich zugegebenermaßen etwas enttäuscht, denn ich fand es irgendwie glatter als die Sachen davor.
Ich finde, dass „You Are Freaking Me Out“ nicht weit von „Clumsy“ entfernt ist. Der große Sprung war für uns vielmehr von den ersten drei Platten auf New Red Archives zu „Clumsy“. Wir sind da wirklich viel, viel besser geworden. Aber bitte, da kann man auch anderer Meinung sein, und ich habe wirklich schon stundenlang mit Leuten diskutiert, die da völlig anderer Meinung sind. Mein Problem mit den ersten drei Scheiben ist, dass wir da noch keinen so guten Schlagzeuger wie Vic bzw. MP hatten. Und wenn du die erste Platte hörst, wirst du merken, dass der Groove einfach noch nicht stimmt und wir ständig unmotivierte Tempowechsel hatten. O.k., ich mag selber jede Menge früher Platten anderer Bands, die ebenfalls voller Fehler sind, aber bei unseren eigenen sehe ich das halt anders. Zudem wird man als Musiker auch immer anspruchsvoller und braucht ein entsprechendes Budget, um ein Album vernünftig aufnehmen und abmischen zu können. So konnten wir bei „You Are Freaking Me Out“ beinahe optimal arbeiten, während wir bei „Billy“ einfach nicht genug Geld zur Verfügung hatten, um unsere Vorstellungen umzusetzen. Der Effekt war damals, dass die Gitarren so schwachbrüstig klangen, dass wir von einigen Leuten verdächtigt wurden, wir seien eine seichte Popband geworden. Die andere Sache ist, dass wir bei den ersten drei Platten ein ganz anderes Songwriting hatten. Wir gingen damals nämlich nach dem „Stream of consciousness“-Prinzip vor, schrieben also jede Idee auf, die wir hatten, fassten alles zusammen und machten daraus dann das Album. Das ist der Grund, weshalb selbst die besten Songs auf diesen Platten etwas vage sind und ich die anderen zum Teil richtig schlecht finde. Ich verlange aber nicht, dass jemand anderes das genauso sieht. Trotzdem bin ich der Meinung, dass „Clumsy“ und „You Are Freaking Me Out“ unsere beiden besten Platten sind, weil wir da unser Bestes geben konnten. So haben wir für das aktuelle Album über 30 Songs geschrieben, befanden dann aber nur zwölf für gut genug. Die anderen haben wir weggeschmissen, ohne Rücksicht darauf, von wem er kam. Davor war immer jeder von uns darauf bedacht, dass keiner seiner Songs rausgeschmissen wird, da nahmen wir das sehr persönlich. Natürlich kann man lange darüber diskutieren, ob die neuen Songs wirklich besser sind, Fakt ist aber, dass sie handwerklich besser gemacht sind, besser strukturiert und so.

Das aktuelle Album entstand bereits vor über einem Jahr. Habt ihr schon Pläne für eine neue Platte?
Keine konkreten. Wir haben aber schon mehrere neue Songs geschrieben. Doch da wir bis Ende September in Europa touren, danach mit MILLENCOLIN nach Japan gehen und Anfang ’98 noch in Australien touren, wird es noch etwas dauern bis zum neuen Album. Vorher wollen wir natürlich ein Label für die USA finden und dort noch etwas touren.

Ich habe gehört, euer aktuelles Album soll in einer limitierten Auflage als 7“-Box erscheinen.
Das stimmt. Martin von BeriBeri Records wird diese Single-Box herausbringen. Eigentlich wollten wir auf Burning Heart auch eine LP-Version machen, aber die Computerdateien für das Cover-Layout existieren nicht mehr und so ist es unmöglich, ein schönes LP-Cover von der CD zu reproduzieren. Ich hatte dann die Idee, diese Single-Box zu machen, aber Burning Heart war das zu teuer. Als mich Martin von BeriBeri dann im Frühjahr in San Francisco besuchte, war er von der Idee begeistert und sagte, er wolle die Box machen. Tja, und so wird es jetzt passieren.