TEN FOOT POLE

Alte Schule – In echt!

Es soll ja auch Menschen geben, die noch was anderes im Kopf haben als Punkrock. Scott zum Beispiel, der frühere Sänger der L.A.-Band, der heute bei PULLEY mitmischt: seine Schäfchen bringt der als Profispieler bei den Dodgers ins Trockene, und deshalb stieg er auch vor einiger Zeit aus. Gitarrist Dennis übernahm dessen Part, scheint aber nicht weniger unter Stress zu stehen.

Als er mich anruft, ist es in L.A. nach Mitternacht und er seit 18 Stunden am Rotieren. Was er denn mache, frage ich. „Erstmal kümmere ich mich um alles in der Band: Ich singe, spiele Gitarre, schreibe die Songs, verwalte die Finanzen, buche Konzerte, bin unser Manager, und so weiter. Außerdem arbeite ich noch als Toningenieur und bin Aushilfslehrer. Das sieht dann so aus, dass ich abends ein Konzert mische und am nächsten Morgen um sechs raus muss, um zu unterrichten.“
Wie? Eine Epitaph-Band, die sich noch um ihre Miete sorgen muss? Der öffentliche Eindruck geht ja doch eher in die Richtung, dass man in diesem Fall endgültig auf der Sonnenseite steht. „Jaja, es soll Leute geben, die das glauben. Ich arbeite im Schnitt 16 Stunden am Tag und habe da einen ganz anderen Eindruck. Heute werden es sogar zwanzig Stunden. O.k., manche Leute würden eine Bandprobe vielleicht nicht als Arbeit ansehen, aber es strengt doch an.“
Und wie war das gleich mit dem Job als Lehrer? „Ich bin Aushilfslehrer“, erklärt Dennis. „Ich habe an der Uni in Berkeley einen Abschluss in Rhetorik. Das hat zwar eigentlich nichts mit dem Lehrerberuf zu tun, aber da die gerade gesucht werden, haben sie mich genommen. Wenn ein normaler Lehrer krank wird, rufen sie mich an und ich helfe ein paar Tage aus. Das ist ein cooler Job, und der Grund, weshalb ich ihn mache ist, dass ich nicht nur als Sänger in einer Punkband mit der „jüngeren Generation“ zu tun haben will. Ich bin jetzt 28, und irgendwie habe ich manchmal das Gefühl, mich nur noch schwer in die fünfzehn-, sechzehnjährigen Kids auf unseren Konzerten hineinversetzen zu können.“
Irgendwie zwiespältig wird es allerdings, wenn man einerseits auf der Bühne den aufmüpfigen Punk mimt, andererseits als Lehrer eben solche Leute disziplinieren soll. Dennis lacht: „Erst heute haben mich ein paar Kids in meiner Highschool-Klasse erkannt – trotz Krawatte! Die meinten, ob es zufällig sein könnte, dass ich bei TEN FOOT POLE singe. Ich gab es zu, und sie fanden es wohl ziemlich komisch. Die fragten natürlich auch, wieso ich es denn trotz unseres Epitaph-Deals nötig hätte, arbeiten zu gehen: „Aren’t you guys rich?“. Ich meinte dann, ich würde den Job nur zum Zeitvertreib machen, weil ich darauf stehe, von Teenies mit Papierknöllchen beworfen zu werden.“
Doch wie geht man mit seiner Punk-Grundattitüde um, dass Autoritäten aller Art erstmal Scheiße sind, wenn man plötzlich selber eine ist? „Ich habe früher natürlich auch die Lehrer gehasst“, gibt Dennis zu. „Allerdings nicht alle, und nicht allein aus dem Grund, weil sie die Autorität waren. Wenn nämlich ein Lehrer fair und gerecht ist, gibt es keinen Grund, sich mit ihm anzulegen. Ich weiß aber auch noch ganz genau, wie ich mich mit irgendwelchen blöden Aushilfslehrern angelegt habe. Das Problem ist eher das amerikanische Schulsystem: Der gleiche Lehrer verhält sich in einer guten Klasse mit engagierten Schülern ganz anders als in einer mit Problemfällen.“
Themenwechsel. Die Epitaph-Labelmates NEW BOMB TURKS tauften ihr letztes Album „Scared Straight“ – angeblich ohne sich der Tatsache bewusst zu sein, dass Dennis und Steve anno ’83 eine Band dieses Namens gegründet hatten. „Ich fand es lustig, dass die Turks damit ankamen.“, lacht Dennis. „Wir hatten bei unserem ersten Epitaph-Album überlegt, ob wir es nicht „No FX“ nennen sollen, nur um überall Verwirrung zu stiften, hehe. Ich möchte wetten, dass uns das 50.000 verkaufte Platten gesichert hätte. „Obwohl SCARED STRAIGHT bzw. TEN FOOT POLE schon seit den frühen Achtzigern dabei sind, ging es mit ihrer „Karriere“ erst nach dem zweiten Album von 1994 (ein Jahr zuvor hatten sie ihr selbstproduziertes Debüt „Swill“ veröffentlicht) los. Eine auf den fahrenden Melodic-Punk-Zug aufspringende Band waren TEN FOOT POLE zwar nicht, aber der Kontext stimmt schon. Inmitten all der Lala-Bands aus Kalifornien und Schweden scheint sich Dennis allerdings nicht wohlzufühlen: „Ich finde, dass sowohl die Fat Wreck-Bands, wie all diese schwedischen Formationen, eher Metal, während wir langsam und rockig spielen. Ob dieser ganze Melodic Punk-Boom schon wieder vorbei ist, weiß ich nicht. Vielleicht haben auch nur die ganzen Leute, die über Musik schreiben, die Nase voll. Wir lassen uns einfach mal überraschen, was mit unserem neuen Album „Unleashed“ passiert.