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LITURGY

93696

Mit „Renihilation“ und „Aesthethica“ hatte Hunter Ravenna Hunt-Hendrix 2009 und 2011 unter dem Namen LITURGY zwei Platten aufgenommen, die Black-Metal-Charakteriska geschickt übernahmen, aber die üblichen damit einhergehenden Klischees ignorierten und das Gerne damit klangtechnisch erweitern konnten. Für Metal-Puristen, denen ja selbst WOLVES IN THE THRONE ROOM mit ihrem ästhetischen Weiterdenken von Black Metal oft schon zu weit gehen, waren LITURGY natürlich nur irgendwelche Hipster aus Brooklyn, denen ihre Beschäftigung mit Philosophie und klassischer Kompositionslehre irgendwie zu Kopf gestiegen war, denn mit der Musik gingen auch musiktheoretische Exkurse von Hunt-Hendrix einher. Aber alleine schon wegen der unglaublichen Intensität und fast sakralen Wucht von LITURGY wurde „Aesthethica“ in diesem Heft und auch anderswo zu Recht als Meisterwerk bezeichnet. Auf „Aesthethica“ folgte 2015 „The Ark Work“, bei dem Chefdenkerin Hunt-Hendrix kein reines Selbstplagiat im Sinn hatte, sondern ihre musikalischen Ideen von „transcendental black metal“ stilistisch deutlich radikaler umsetzte und ein brutal sperriges Album präsentierte, bei dem von Rap bis Kirchenmusik scheinbar alles denkbar war, aber das dafür die schmerzhaft verdichtete Intensität von „Aesthethica“ vermissen ließ. Diese zerfranste Form von Artrock begeisterte mich deutlich weniger, und danach verlor ich LITURGY aus den Augen. Das aktuelle Doppelalbum „93696“ erschien jetzt wie „Aesthethica“ und „The Ark Work“ wieder bei Thrill Jockey und bietet Hunter Ravenna Hunt-Hendrix viel Raum, um sich stilistisch auszutoben. Am fast schon etwas parodistisch anmutenden Keifgesang hat sich nicht viel verändert, musikalisch ist „93696“ auf jeden Fall ein spannender Trip, bei dem Black Metal, Breakcore, Prog und Neo-Klassik mit avantgardistischer Lust an der Dekonstruktion miteinander verschmelzen. Im Bemühen um maximale Intensität lassen LITURGY ihrer Musik aber immer noch genug Luft zum Atmen und im Gegensatz „Aesthethica“ ist der musikalische Fokus deutlich breiter gefasst. Das mag man als artifiziellen akademischen Größenwahn verdammen, aber „93696“ besitzt darüberhinaus auch eine deutlich spürbare emotionale Qualität, die mich letztendlich doch wieder begeistert.