INSTITUT ZUR FREUNDLICHEN NUTZUNG VON KERNKRACH

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Freundliche Menschen führen keine Kriege

Die Welt dreht sich immer schneller im Kreis und das Spiel mit den Atomen hat derzeit schon wieder groteske Formen angenommen. Überall? Nein, nicht überall! Zwei Menschen aus der deutschen Provinz haben sich gefunden und beschlossen, diese Welt fortan mit exquisiter Musik zu beschallen. Heinz Stelte und Jörg Steinmeyer lieben die minimale, leicht naive, aber dafür sehr "individuelle" Elektronikmusik der frühen 80er. Einmal infiziert und verstärkt durch die zahllosen, positiven Reaktionen auf ihre liebevoll gestalteten Veröffentlichungen, hat sich Kernkrach in kürzester Zeit zu einen global agierenden und denkenden Label weiterentwickelt.


Seit wann gibt es Kernkrach, wer steckt dahinter und was macht ihr im "richtigen" Leben?


Jörg: Kernkrach gibt es seit Dezember 2002. Dahinter stecken Jörg Steinmeyer, Industriekaufmann aus Warendorf, und Heinz Stelte, Redakteur aus Bielefeld.

Was sagen denn eure Arbeitskollegen zu eurem Label/Hobby?

Jörg: Hm, die meisten denken eh, ich bin durchgeknallt. Was soll man auch erwarten, bei dem täglichen Dilettantentanz im Büro. Ein paar wenige finden das schon sehr interessant.

Heinz: Das finden die ganz spaßig, wenngleich sie mit der Sache nicht wirklich etwas anfangen können. Aber sie helfen gerne.

Ihr seid ja genau genommen kein "reines" NDW-Label. Wie würdet ihr eure Veröffentlichungsphilosophie beschreiben?

Heinz: Es gibt zwei Ableger: Einmal "Krach", den historischen für alte Sachen und Wiederveröffentlichungen und "Hertz" den aktuellen für neue Musik. Schwerpunkt ist in jedem Fall die (minimal-)elektronische Musik der frühen 80er Jahre. Auch bei den neuen Künstlern wird Wert darauf gelegt, dass sie sich in ihrer Musik auf diese Zeit beziehen. Das können musikalische Anleihen an die Stile jener Zeit sein, der Gebrauch von historischem Equipment oder eine geistige Nähe zu der Musik jener Zeit. NDW passt ja auch eher nicht zu uns, gefördert werden soll ja eigentlich "der unbekannte geniale Musiker" und die hat es ja reichlich gegeben. Man beachte nur die unzähligen Kassettenveröffentlichungen!

Was bringt gesunde Männer dazu, Schallplatten zu veröffentlichen?

Heinz: Gesunde Männer machen so was nicht!

Welche Krankheit wurde denn bei euch diagnostiziert?

Heinz: Wir leben ja im Zeitalter der Selbsthilfegruppen. Manche haben unruhige Beine, Angst vorm Einkaufen oder Depressionen nach einer Prostataoperation. Wir haben eben den Drang, komische Platten unter das Volk zu bringen, ein abgedrehtes Festival zu organisieren und eigenartige Musik zu produzieren. Das ist nicht weiter gefährlich, jedoch bisweilen ansteckend. Und da wir nicht den Krankenkassen und somit der Allgemeinheit zur Last fallen wollen, gibt es eben die Selbsthilfegruppe "Kernkrach".

Wie kam es zu dem Namen Kernkrach?

Jörg: Die Idee war schon seit den frühen 80ern da, also ein eigenes Plattenlabel zu gründen und unabhängig Musik zu präsentieren. Irgendwann, meistens des Nachts, schwebten dann auch diverse Namen im Kopf herum. Aus dem Ganzen wurde dann schließlich Kernkrach.

Komplett ausgeschrieben heißt es ja: "Institut zur freundlichen Nutzung von Kernkrach". Das klingt sehr naiv und ist wiederum ein typisches Namensspielchen, wie es damals üblich war.

Heinz: Klar ist es das! Am Anfang hatten wir auch noch Wert darauf gelegt, dass der Name stets vollständig erwähnt wird, schließlich haben wir einen Institutsleiter - Dr. Kernkrach - und eine Institutstippse, aber irgendwann hat sich das eben auf Kernkrach reduziert und das ist auch okay. Und Namensspielchen finden wir eben auch heute noch irgendwie lustig.

Wie sucht ihr die Künstler aus, die ihr dann zur Veröffentlichung zwingt?

Heinz: Zwang ist gut. Wir bekommen einiges zugeschickt von Leuten, die bei uns veröffentlichen möchten, oder Jörg spricht gezielt Musiker/Bands an, die wir gerne herausbringen möchten. Dann beraten wir, was zum Label passen könnte und wie die Cover aussehen könnten.

Gibt es eine Gruppe, die ihr unbedingt noch veröffentlichen wollt/müsst, und warum?

Jörg: Hm, so spontan eigentlich nicht. Es gibt natürlich noch die eine oder andere Band im Hinterkopf, aber da lassen wir uns nichts entlocken. Es gibt wirklich sehr viele unbekannte Bands/Musiker, die unserer Meinung nach klasse sind und die so gut wie niemand kennt. Wichtig ist halt, dass alle miteinander Spaß dabei haben.

Haben Künstler/Musiker schon einmal eine Wiederveröffentlichung verweigert?

Heinz: Ja, die wollen das dann in Eigenregie machen, weil sie vielleicht meinen, damit könnte man reichlich Geld verdienen. Dem ist aber leider nicht so.

Wie bereitet ihr die alten Aufnahmen für eine Veröffentlichung auf? Das meiste Material wurde ja auf billigem Equipment von den Leuten selber produziert und aufgenommen.

Jörg: Das Wesen der alten Stücke soll auch bei den Wiederveröffentlichungen erhalten bleiben. Die dürfen also auch durchaus billig klingen. Die alten Sachen werden entweder von uns selbst, von Bekannten oder aber von den Künstlern selbst aufbereitet.

Beim Durchhören eurer Veröffentlichung direkt hintereinander ist mir dann doch die eine oder andere Qualitätsschwankung aufgefallen. Ihr seid da nicht so penibel wie Frank von V.O.D.?

Heinz: Bei manchen Sachen, die uns in die Hände fallen, handelt es sich ja um Aufnahmen, die nicht nur 25 Jahre alt sind, sondern das Kassettenmaterial, meistens ein Chromdioxid-Billigtape, ist ja auch schon 25 Jahre in diversen Recordern gelaufen. Tontechnisch ist da nicht mehr viel möglich. Und das Ganze darf dann, so meinen wir, auch so klingen: 25 Jahre alt, im Wohnzimmer mit einem Billigrecorder mitgeschnitten und 25 Jahre abgenudelt. Wenn uns ein Stück gefällt, dann bringen wir das raus, egal, ob es knackt und rauscht. Die Musik steht eindeutig über der Tonqualität.

Es gibt ja ein recht gutes Netzwerk von NDW-Fans, produziert ihr speziell für die?

Jörg: Eigentlich produzieren wir nicht speziell für diese Gruppe, die meisten Kernkrach-Platten werden aber wohl in den Regalen der NDW-/Elektro-Fans stehen.

Wie finanziert ihr eure Veröffentlichungen und wie läuft der Vertrieb?

Jörg: Jede Veröffentlichung finanziert die Folgende, das klappt ganz gut. Der Vertrieb läuft hauptsächlich über das Internet und einige wenige Kleinvertriebe im In- und Ausland. Inzwischen gibt es einen festen Käuferstamm, der den Großteil einer Auflage abnimmt.

Die meisten Kernkrach-Veröffentlichungen sind ja irgendwie speziell verpackt. Wie wichtig ist euch diese Präsentation? Warum und wer macht sich die Mühe, die Sachen dann zusammenzubauen? Mal ehrlich, es nervt doch, wenn frisch bemalte Singlecover überall in der Wohnung herumliegen und man sich nicht mehr richtig bewegen kann ...

Jörg: Die Verpackung ist mindestens so wichtig wie der musikalische Inhalt. Es sollen ja nicht nur schmucklose Wiederveröffentlichungen sein, denn davon gibt es ja mittlerweile genug, sondern der "Geist jener Zeit" soll sich auch in der Aufmachung widerspiegeln. Damals wurden ja auch viele Platten besonders verpackt. Diesen Gedanken haben wir dann auch für unsere Hertz-Veröffentlichungen übernommen. Der Kunst sind keine Grenzen gesetzt. Natürlich denkt man sich dann bei der Umsetzung manches Mal: Hätten wir uns bloß was anderes ausgedacht, bei der 2 HEMDEN & 2 HOSEN-EP zum Beispiel, da mussten die alten Vinyl-LPs zersägt werden, oder bei dem Teppich-Cover der CHARLES LINDBERGH-EP. Aber die positive Resonanz auf unsere Cover entschädigt dann doch für die Mühen.

Woher nehmt ihr die Ideen für eine spezielle Covergestaltung? Vieles gab es ja in ähnlicher Art auch schon.

Jörg: Was uns nicht davon abhält, es in variierter Version noch einmal zu machen. Die Ideen für die Cover kommen spontan. Man muss nur mit offenen Augen durch den Alltag gehen. Die moderne Wegwerfgesellschaft gibt uns immer wieder den Anlass und die Inspiration.

Ist das nicht wieder nur was für Sammler und "Limited Edition"-Clubs?

Jörg: Das wird in der Praxis wohl so sein, ist von der Idee her aber nicht speziell für diesen Personenkreis gedacht. Wir verkaufen ja nicht nur das Cover, sondern eben auch Musik und die sollen die Leute hören. Es gibt auch welche, die wollen nur die Platte und beschweren sich darüber, dass die Platte nicht in den Plattenständer passt, was wir wirklich nicht verstehen können.

Wie gut verkaufen sich die einzelnen Veröffentlichungen?

Jörg: Wir lassen ja in der Regel nicht mehr pressen, als wir auch verkaufen können. Unsere Auflagen liegen immer so bei 300 Exemplaren und die verkaufen wir auch in relativ kurzer Zeit.

Ihr habt ja jetzt schon zweimal das Festival "Elektrosmog im Selbstversuch" veranstaltet. Was kommen da für Bands und was treffen sich dort für Menschen? Wie sind eure Erfahrungen mit Konzerten?

Heinz: Es kommen ja fast ausschließlich Bands/Musiker, die wir auch veröffentlichen oder veröffentlicht haben. Die fragen halt im Vorfeld an, ob sie spielen können. Natürlich hat es sich mittlerweile auch schon herumgesprochen. Bewerbungen für 2005 hatten wir daher auch von Bands/Musikern, die uns kennen, aber noch nicht bei uns veröffentlicht haben. Was für Menschen? Sehr unterschiedlich, Minimal-Elektro-Fans aus der ganzen Welt, kann man sagen. So waren beim zweiten Festival unter anderem Leute aus den USA, Belgien, Griechenland, Irland, Holland und ganz Deutschland da, und n atürlich Freunde der teilnehmenden Musiker, einige örtliche Musikinteressierte, altersmäßig sehr gemischt. Natürlich ist es schwierig und mit viel Arbeit verbunden, solch ein Festival auf die Beine zu stellen, und finanzierbar ist das nur, weil alle Bands auf eine Gage verzichten. Aber die Erfahrungen sind sehr positiv, es ist wie ein großes Familientreffen, sehr nett und freundlich.

Wie habt ihr die NDW persönlich erlebt?

Heinz: Für mich war es wie ein "musikalischer Urknall" nach all dem Jazzrock und Glamrock, den ich zuvor gehört hatte. Diese Botschaft "Das kannst du auch!", diese Abkehr von der Perfektion, diese rohe Intensität der Musik. Ich habe jede mögliche Mark in Platten von ZickZack, Ata Tak oder Rondo investiert, die damals in Ostwestfalen nicht so leicht zu bekommen waren. Zum ersten Mal kam bei mir auch der Wunsch auf, Konzerte zu besuchen. Die waren allerdings, muss ich im Rückblick sagen, ziemlich schlecht.

Jörg: Mir ging es fast genauso. Als dann Ende der 70er, Anfang der 80er die ersten deutschen Undergroundbands auf Vinyl herauskamen, wurde, wie bei Heinz, alles nur Mögliche an Kohle in die Platten investiert. Ob ZickZack, Ata Tak oder die kleinen Eigenauflagen, irgendwie fand ich das klasse. Den Majorlabels zeigen, dass es auch so geht. Hier bei uns auf dem Dorf hast du eh fast keine Chance gehabt, die gewünschten Platten zu kaufen. Da wurde dann einfach mal die 60 km nach Bielefeld getrampt, die Oma besucht und 20 DM abgestaubt und sofort in meinem Lieblingsplattenladen in Vinyl umgesetzt! Meistens bleibt dann ja auch noch ein wenig für ein schönes kühles Karlsquell Pils aus der Dose über.

... und ihr habt bestimmt auch selber Musik gemacht.

Heinz: Ja, ich hatte eine kurze Phase, in der ich ein Kassettenlabel betrieb und drei Veröffentlichung als SÜTTERLIN unter das Volk brachte. Tja, und da schließt sich der Kreis, heute bin ich wieder als SÜTTERLIN NACHF. aktiv - bei Kernkrach.

Jörg: Seinerzeit hatte ich mit alten Röhrenradios und diversen Kindermikros experimentiert. Verstanden hat es wohl damals niemand, warum eigentlich auch? Aufgenommen wurde damals immer mit einem Monoradiorekorder von Universum, die Älteren werden sich vielleicht noch erinnern. Leider sind diese Aufnahmen im Laufe der Zeit abhanden gekommen. Deshalb ist auch die Single von DER SPIELVERDERBER vom ZickZack-Label einer meiner liebsten Platten.

Was hat diese Zeit und die NDW so Faszinierendes an sich, dass es heute immer noch Menschen gibt, die sich für diese Musik begeistern?

Heinz: Es war alles möglich, ohne Vorkenntnisse, mit wenigen Möglichkeiten. Alle waren eine große Familie, ob Punker oder Elektroniker, selbst Free Jazz oder Schlager waren möglich unter dem Mantel New Wave. Das führte zu einer unbeschreiblichen Aufbruchstimmung, auch auf dem platten Land. Fanzines, Kassettenlabels, Festivals ... Selten war eine Musikszene so vereint und doch so vielschichtig und dynamisch. Es entstanden in dieser Zeit viele Stile und Stilrichtungen oder Herangehensweisen an die Musik, die bis heute nachwirken.

Jörg: Die Musik war ja weitestgehend geprägt von den Amis und englischsprachige Musik war angesagt. Die Musiker aus dem eigenen Land waren da ja in der Minderheit. Auf einmal tat sich eine Chance auf, sich in der eigenen Sprache zu präsentieren. Wie schon angesprochen, gab es unzählige Stilrichtungen, von genial bis total schräg. Aber das ist es halt, die Mischung macht diese Art von Musik doch eigentlich unverzichtbar oder?

Gibt es Austausch und Kontakte und Zusammenarbeit mit anderen Labels wie zum Beispiel V.O.D. oder WSDP?

Jörg: Auf jeden Fall, von eher weniger bis sehr eng. So kooperieren wir mit WSDP, mit Franck verbindet uns eine sehr enge Freundschaft, oder Back Again, deren Produkte wir über unseren Online-Shop in Deutschland vertreiben.

Ihr produziert ja auch Compilations - wie erfolgt dort die Auswahl? Wollen die Leute überhaupt noch Sampler kaufen und hören?

Heinz: Wir denken schon, dass die Leute noch Sampler hören wollen. Schließlich gab es in jener Zeit, die wir auf Kernkrach wieder beleben, nicht wenige Künstler/Bands, die entweder nur ganz wenig produziert haben oder nur ganz wenig Hörenswertes produziert haben, vielleicht nur ein Lied. Das aber sollte unserer Meinung nach durchaus noch einmal einem breiteren Publikum zugänglich gemacht werden. Da bietet sich eine Compilation natürlich an. Wir schauen dann immer: Was könnte zusammenpassen und suchen das gemeinsam aus. Und die Resonanz auf unsere Sampler war bislang durchweg positiv.

Wäre es nicht angebracht, die Compilations auf CD herauszubringen, alleine schon von der Spielzeit her? Und die meisten Leute besitzen ja gar keinen Plattenspieler mehr.

Jörg: Das sehen wir anders. CDs sind meiner Meinung nach "out". Jedes Kind kann sich ja mittlerweile die Dinger nach Lust und Laune zusammenstellen. Hässlich sind sie ja auch noch! Eine wirklich richtig gute Schallplatte zu machen, das ist Kunst. Zudem wird auch jeder interessierte Musikliebhaber einen Plattenspieler haben. Geplant für das nächste Jahr ist bei Kernkrach sowieso eine Complilation-LP, auf der dann "vergessene" Stücke der Kernkrach-Bands erscheinen werden. Schallplatten wird es immer weiter geben. Save the Vinyl!

Was ist wichtiger: Kassette, Vinyl oder CD?

Heinz: Das muss jeder für sich entscheiden. Bei mir die CD, weil ich halt viele Sachen, die ich derzeit höre, gar nicht auf Vinyl bekäme, aber auch, weil sie einfach praktisch ist. Doch auch die ist ja längst Geschichte.

Jörg: Hm, bei mir würde ich sagen: das gute alte Vinyl. Macht einfach mehr Spaß und hat einen gewissen Flair. Heutzutage hat ja niemand mehr Zeit, nur noch schnell von einem Termin zum anderen, basta. Mit einer Schallplatte muss man sich die Zeit nehmen. So komme ich dann halt mal für ein paar Minuten zur Ruhe, studiere das Cover und das Textheft, wenn es denn dabei liegt, und genieße die Musik.

Wie wichtig ist das Internet für eure Labelarbeit?

Jörg: Unabdingbar. Ohne Internet würde es Kernkrach wohl nicht geben. Wir haben uns über das Internet kennen gelernt und auch fast alle anderen Kontakte und Verkäufe laufen über das Internet.

Da hat dann wohl einer dem anderen eine Platte bei eBay vor der Nase weggeschnappt?

Heinz: Ja, so ähnlich war es wohl. Wir haben zumindest festgestellt, dass wir auf die eine oder andere Scheibe beide geboten haben, haben uns eMails geschrieben und festgestellt, dass wir ja gar nicht soo weit von einander entfernt wohnen. So nahm Kernkrach seinen Lauf, ja, eBay ist der Schuldige.

Ihr sammelt doch bestimmt auch Schallplatten. Was sind dort eure Fachgebiete und warum sammelt ihr überhaupt Schallplatten?

Jörg: Das Sammeln ist eine Krankheit, die vor über 30 Jahren angefangen hat und sich bis heute nicht abstellen lässt. Das, was ich mit Kernkrach veröffentliche, ist auch das, was ich musikalisch über alles liebe. Natürlich hängen auch viele Erinnerungen und Geschichten an den Platten.

Heinz: Ich sammele eigentlich nicht, es haben sich nur im Laufe der Jahre einige Sachen angehäuft.

Warum sind die meisten Schallplattensammler Männer?

Jörg: Eine gute Frage, die sich nur schwer beantworten lässt. Wir können nur darauf hinweisen, dass sowohl Herren als auch Damen zu unseren Kunden zählen.

Gibt es verrückte Geschichten zu eurem Hobby?

Jörg: Ha, geile Frage! Natürlich: Als ich von meiner Oma wieder mal ein paar Mark zugesteckt bekommen habe, rannte ich gleich los zu meinem Plattenladen. Übrigens hieß der Phonac und befand sich in Bielefeld am Kesselbrink. Ich entschied mich für die LP von Xao Seffcheque "Sehr gut kommt sehr gut". Der Verkäufer schaute mich an und versuchte mir zu erklären, dass das keine Musik wäre und dass nur Kranke so etwas kaufen würden. Andererseits war er froh, dass er diese Platten nun endlich los war. Im gleichen Laden, ein wenig später, stand die LP "Eddies Salon" von ZK für schlappe 4,99 DM. Und nicht nur eine, sondern mindestens 20 bis 30 Stück gestapelt. Und mein Bruder und ich diskutierten, ob wir alle oder nur eine nehmen sollen? Wir nahmen nur eine ...

Heinz: Ich habe einmal bei BAM in Lippstadt eine LP von Mari Wilson gekauft, da hat der Verkäufer einen Lachanfall bekommen. Er hatte dadurch nämlich eine recht stattliche Wette gewonnen. Ein Freund des Verkäufers hatte mit ihm gewettet, dass niemals jemand diese Platte, es gab natürlich auch nur eine davon in der ganzen Stadt, kaufen würde, denn sie hat ein recht eigenwilliges Cover. Ich habe dem Freund einen Strich durch die Rechnung gemacht und die Platte ist übrigens sehr gut. Ein anderes Mal bin ich in Bielefeld, etwa zur gleichen Zeit, von einem anderen Kunden im Plattenladen beschimpft worden, weil ich ihm die Debüt-LP von LARAAJI vor der Nase wegschnappte. Es gab in der ganzen Stadt wieder nur diese eine.

Welche teuren und obskuren Sammlerstücke, die bei euch zu Hause verstauben, braucht niemand, da sie musikalisch so grauenhaft sind, dass man sie am liebsten verbrennen würde?

Jörg: Puh, so spontan fällt mir da nichts ein. Vielleicht die erste Single von Dieter Bohlen?

Heinz: Keine Ahnung, ich besitze eigentlich keine teuren Sammlerstücke. Ich habe die einzige LP der Gruppe PEGASUS, einer Artrock-Combo aus Lippstadt von 1975, die ist wohl schon recht teuer und ganz, ganz schlecht.

Was sagen denn eure Frauen, Lebenspartner oder Kinder zu eurem Hobby?

Jörg: Och, dat läuft. Helfen ja alle mit beziehungsweise werden zwangsverpflichtet. Schließlich war die Krankheit ja schon vorher da.

Heinz: In guten Momenten toll, in stressigen Momenten genervt. Meine Frau darf sich jedoch nicht beschweren, da sie für SÜTTERLIN NACHF. zwangsverpflichtet wurde und somit an allem künftigen Ruhm beteiligt ist.

Wie beurteilt ihr die aktuelle Musikszene? Besonders deutschsprachige Bands verzeichnen ja einen regen Zulauf.

Jörg: Sehr gut. Die Hörer haben den Zukunftstrend entdeckt und zeigen den Majorlabels die Grenzen auf. Freue mich über jede neue Band, die aus diesem Umfeld kommt!

Heinz: Gerade im Elektronikbereich gibt es eine Unmenge an Aktivitäten mit durchaus hörbaren Ergebnissen, wie zum Beispiel Justus Köhncke, DJ Koze, PLEMO, JEANS TEAM. Wenn man jedoch seit mehr als drei Jahrzehnten aufmerksam die Musikszene verfolgt, wird die Suche nach neuen Strömungen immer schwieriger.

Gleichzeitig wird die Diskussion über deutschsprachige Musik wieder direkt mit einer nationalen Identität verknüpft und es gibt auch direkt wieder eine Gegenbewegung. Es sind jetzt über 25 Jahre seit der NDW vergangen und immer noch taucht diese Diskussion wieder auf. Wie steht ihr dazu?

Jörg: Diese Diskussion, Radioquote für deutschsprachige Musik und so weiter, interessiert uns nicht. Man kann ja nicht "deutsche Musik" mit "gute Musik" gleichsetzen. Es gibt auch genügend einheimischen Quatsch. Eine nationale Identität über Popmusik aufzubauen - was ja tatsächlich in manchen Medien versucht wird - ist doch sehr fragwürdig und wackelig. Wenn zum Beispiel Peter Maffay, oder irgendwer sonst, via Fernsehen mir in dieser unsäglichen Werbekampagne zuruft: "Du bist Deutschland!", dann kann man doch nur antworten: "Ach nee, lass mal. Da bin ich lieber was anderes." Auch wenn wir natürlich viel nationalen Stoff veröffentlichen, agiert Kernkrach international. Wir haben Anfang 2005 eine Single der griechischen Band HUMAN PUPPETS rausgebracht, arbeiten mit holländischen, amerikanischen oder französischen Künstlern und Vertrieben zusammen und hatten auf dem letzten Festival einen großen Anteil an Besuchern aus dem Ausland.

Was bringt uns die Zukunft an Veröffentlichungen von Kernkrach?

Heinz: Vielleicht werden wir etwas internationaler, denn wir bekommen vermehrt Sachen aus dem Ausland zugeschickt. Und die eine oder andere historische Musikperle schlummert auch noch in den Archiven und wird wohl in näherer Zukunft das Licht der Kernkrach-Welt erblicken.