TIM BARRY

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Richmond Warrior

In den letzten sechs Monaten entdeckte ich AVAIL für mich. Und auch auf das Risiko hin, dass ich damit als Spätstarter dastehe, muss ich sagen, dass ich erst zum Fan der Band wurde, als ich die Neuveröffentlichungen der AVAIL-Alben "Dixie", "4 AM Friday" und "Over The James" in die Finger bekam. Fand ich das Quintett aus Richmond, Virginia vorher bloß gut, kapierte ich plötzlich das Außergewöhnliche an dieser Band. Kurz darauf bekam ich auch die CD "Laurel St. Demo 2005" von AVAIL-Sänger Tim Barry in die Hände. Die dort enthaltenen Stücke zeigen Tim Barry von seiner Singer/Songwriter-Seite. Er hat Gitarre und die Gesangslinien alleine eingespielt, von Freunden und Familienmitgliedern aber Unterstützung an Drums, Violine, Mandoline und Cello erhalten. Es entstanden Stücke, in denen sich die Springsteen'sche Lagerfeuerromantik mit dem engagierten Charakter diverser Folkmusiker paart. Darüber hinaus entsteht durch Tim Barrys rauhe Stimme eine melancholische Atmosphäre, die viele der Songs trägt. Man sollte versuchen, nicht viel oder besser gar nichts von AVAIL in Tim Barrys Solo-Stücken zu suchen, denn diese sind alles andere als akustische Ver sionen der Punkrock-Songs seiner Hauptband. Die Songs berühren mich auf eine andere Weise als AVAIL-Stücke, sie erscheinen viel nachdenklicher, und gerade durch die Reduktion der Songs auf akustische Instrumente wirken die Stücke auf ganz eigene Art und Weise kraftvoll. Grund genug, mit Tim Barry auf seiner im Mai in Europa absolvierten Solo-Tour zu frühstücken.


Tim, welche Impressionen nimmst du von deiner ersten Solo-Tour mit, die kurz vor dem Ende steht?

Diese Tour war für mich und LA PAR FORCE, die mich als Band bei den Shows begleiteten, ein Lernprozess. Ich kam alleine nach Europa, nach Bayern, um genau zu sein. Dort haben LA PAR FORCE und ich dreimal geprobt und sie haben alle Songs gelernt, die ich für "Laurel St. Demo 2005" aufgenommen habe. Ich lernte, mit einer neuen Band zu spielen und zu touren. LA PAR FORCE stellten sich auf ein für sie gänzlich neues Set ein, beides zusammen ist der erste Teil dieses Lernprozesses. Der zweite Teil war, dass ich durch diese Tour ein neues Gefühl des Tourens erlernt habe: Die Konzerte fanden in sehr kleinem Rahmen statt und waren daher sehr entspannt. Dies gab den Shows eine ganz eigene Qualität, die anders ist, als die von AVAIL-Shows.

Was meinst du damit?

Haha, weißt du, bei AVAIL-Shows muss ich aufpassen, dass Stagediver mir beim Absprung nicht ins Gesicht treten und derlei. Das war bei diesen Shows nicht so.

Du hast mal gesagt, dass die Songs, die du für "Laurel St. Demo 2005" aufgenommen hast, Stücke seien, die niemals zu AVAIL-Songs werden könnten. Warum?

Ich weiß, dieses Statement steht in einem gewissen Kontrast zu Statements von anderen Punk-Musikern, die auch Akustik-Soloalben veröffentlicht haben, denn viele von ihnen sagten, dass ihre Akustik-Alben zeigen, dass alle Songs ihrer Hauptbands prinzipiell nur mit einer Akustikgitarre gespielt werden könnten. Und das trifft auch auf gut vierzig Prozent aller AVAIL-Songs zu. Ihr Grundgerüst beruht auf Melodien, die auf einer Akustikgitarre gespielt wurden, folglich könnte man diese Songs problemlos auf den Klang einer Akustikgitarre reduzieren. AVAIL-Songs im Allgemeinen entstehen aber aus einem gemeinschaftlichen Songschreibeprozess heraus: Joe, unser Gitarrist, und ich schreiben viel, aber auch die anderen drei haben großen Einfluss auf die Entwicklung der Stücke. Gemeinsam haben wir einen Vibe entwickelt, der typisch für AVAIL ist und alle Songs der Band ausmacht. Diese Gefühlsebene der Songs können nur wir gemeinsam schaffen. Das bedeutet, wenn man einen akustischen Song spielt, dann muss er von uns allen gemeinsam geschrieben sein, um sich wie ein AVAIL-Stück anzufühlen. Nun habe ich die Stücke für "Laurel St. Demo 2005" alleine geschrieben, ohne dass die anderen daran beteiligt waren. Daher haben diese Stücke - und das ist eine wertneutrale Aussage - nicht den typischen AVAIL-Vibe und würden nicht als AVAIL-Songs funktionieren. Ich denke auch nicht, dass die Stücke sich dann wie AVAIL anfühlten, wenn wir sie aus dem akustischen Soundgerüst herausheben und in einen von verzerrten Gitarren dominierten Sound importieren würden.

Hat der Bekanntheitsgrad von AVAIL deine Soloarbeit beeinflusst?

Ich sage es dir ganz ehrlich: Im Grunde wollte ich "Laurel St. Demo 2005" niemals veröffentlichen, weil die Songs meinem Freundeskreis und meiner Familie vorbehalten bleiben sollten. Es sind Stücke, die ich gemeinsam mit Freunden bei intimen Jam-Sessions entstanden und die eine eigene musikalische Welt darstellen, abseits von der Welt von AVAIL. Die Stücke entstanden bei mir zu Hause in Richmond, Virginia, und wenn ich daheim bin, vergesse ich, dass AVAIL eine recht bekannte Band sind. Das liegt daran, dass ich dort lebe wie ein ganz normaler Mensch, der mit seinen Mitmenschen kommuniziert, wie jeder andere auch. Ich war da gedanklich weit weg von der AVAIL-Welt. Deswegen stellte ich mir nicht die Frage, ob meine Akustiksongs veröffentlicht werden sollten. Schließlich setzte ich nach Fertigstellung der Songs die Newsmeldung auf die AVAIL-Website, dass ich einige Solo-Songs fertig hätte und jeder, den diese interessieren, sie für drei Dollar bestellen könnte. Ich rechnete nicht damit, dass ich in Kürze zehn Bestellungen pro Tag erhalten würde. Ich lief jeden Tag zu meinem Nachbarn, um zehn CDs zu brennen, einzupacken und zu versenden, denn ich habe keinen CD-Brenner. Aufgrund dieser Nachfrage boten immer mehr Labels an, die Songs zu veröffentlichen, und um mich und meinen Nachbarn vom täglichen Brennen, Einpacken und Verschicken zu erlösen, entschloss ich mich, das Demo, entgegen meiner eigentlichen Absicht, zu veröffentlichen. Auf den kreativen Prozess der Songentstehung hatte die Popularität von AVAIL keinen Einfluss, wohl aber auf alles, was danach geschah. Ob du es glaubst oder nicht, mich hat diese Nachfrage nach den Songs sehr überrascht und es überrascht mich immer noch, dass Menschen interessiert daran sind, was ich neben AVAIL mache.

Warum?

AVAIL ist zwar eine bekannte, aber keine große Band wie etwa NOFX. In den USA spielen wir in Clubs, die zwischen 200 und 900 Menschen fassen, und in Europa finden unsere Konzerte in noch kleinerem Rahmen statt. Darüber will ich mich nicht beklagen, es ist nur so, dass ich aufgrund der Größe unserer Konzerte in den USA und Europa nicht damit gerechnet habe, dass ich solch starken Rücklauf auf mein Posting auf der AVAIL-Website erhalte. Abgesehen davon, weiß ich selber, dass nicht jeder alles mag, was eine Band macht, und das ist gut so. Es war aber ein zweiter Grund, warum ich eine solch große Beliebtheit des Demos nicht erwartet habe: Ich rechnete nicht damit, dass Fans des Punkrock-Sounds von AVAIL meine akustischen Stücke mögen würde. Nun, es kam anders, und das ist schön.