ABWÄRTS

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Rom und der Rasenmäherstaat

"Computerstaat" ist eine der wichtigsten deutschen Punk-Singles, mit "AmokKoma" und "Der Westen ist einsam" schufen die Hamburger zwei Klassiker des deutschsprachigen Punkrocks. Frank Z(iegert) ist seit 1979 Alleinherrscher von ABWÄRTS, bei denen einst FM Einheit und Mark Chung spielten, entwickelte einen ganz eigenen Sound zwischen Punk, Rock, New Wave und Industrial, der die Band durch diverse Höhen und Tiefen, Pausen und Besetzungswechsel bis in die Gegenwart getragen hat. Seit 2004 hat Frank Z mal wieder Blut geleckt, Rod von den ÄRZTEN war an diesem Comeback nicht ganz unschuldig und ist seitdem auch als Gitarrist in der Band aktiv, und nach "NuProp" von 2004 sowie dem letztjährigen Best Of-Release "Breaking News" ist seit ein paar Wochen mit "Rom" auch ein neues Album am Start Ich traf mich mit Frank Z in einer Kneipe in Essen, wo der Ex-Hamburger und Wahl-Berliner bei seiner Freundin zu Besuch war.

Frank, ich dachte, mit den Jahren wird man etwas weniger wütend. Wenn ich mir deine Texte durchlese, bestätigt sich diese Vermutung allerdings nicht.


Ja, es heißt immer, man werde ruhiger. Das mag ja auf emotionale Sachen zutreffen, aber in der Musik kommt es wohl darauf an, wie saturiert jemand ist, ob er überhaupt noch irgendwas will. Aber wenn einer auf eine zwanzigjährige Karriere zurückblicken kann und eine Villa auf Mallorca hat, dann wird der möglicherweise einen anderen Blickwinkel haben als ich.


Das betrifft ja durchaus auch Leute aus deiner Generation und mit einem ähnlichen Szene-Hintergrund, ob man da jetzt nach Düsseldorf schaut oder zur Band von einem deiner Mitmusiker. Die haben so viel Geld verdient, die müssten heute keine Platten mehr machen.

Na ja, manchmal wäre es auch besser, sie würden keine mehr machen. Aber ich habe, ehrlich gesagt, bis heute nicht rausbekommen, wie Musik eigentlich funktioniert, warum bestimmte Dinge so gelaufen sind, wie sie gelaufen sind. Da kann man nur Mutmaßungen anstellen, was nun massenkompatibel ist und was nicht, doch bewusst angehen, kann man so was nicht, davon bin ich überzeugt. Kann sein, dass es eine stillschweigende Übereinstimmung gibt von Leuten, die Stücke schreiben, dass die bestimmte Sachen ähnlich reflektieren, aber letztlich sind das Phänomene, die ich nie verstehen werde, etwa warum zu Grönemeyer 80.000 Leute rennen. Das verstehe ich nicht - nicht dass ich den jetzt extrem scheiße finde, sondern das Phänomen an sich. Wieso identifizieren sich die Leute so stark mit dem? Weil der sagt, was sie denken? Oder formuliert er ihr Nachdenken? Oder stehen die für so einen gewissen gesellschaftlichen Konsens, mit dem sie mir auch den Buckel runterrutschen können, wie neulich, als Grönemeyer, Bob Geldof und Bono vor dem G8-Gipfel ihren Sermon abgesondert haben. Dass es in Afrika nicht zum Besten steht, das wissen wir alle, da verstehe ich nicht, wie diese drei Typen da noch das Bewusstsein dafür schärfen sollen. Ich finde das sehr fragwürdig.


Vielleicht ist es aber auch so, dass unsereins so sensibilisiert ist, dass man nicht wahrnimmt, wie wenig die Leute sich allgemein der Problematik bewusst sind.

Ja, aber dann müsste man auch ganz klar ansprechen, was für eine Rolle die G8-Länder in Bezug auf Afrika spielen, was der globalisierte Kapitalismus bedeutet, inwiefern sich die Politik heute gegenüber der von vor dem Zweiten Weltkrieg unterscheidet. Da wurden ja die Grundlagen für die heutigen Probleme, die heutige Ausbeutung gelegt. Da müsste man, bevor man überhaupt zu reden beginnt, erst mal Klartext reden und verlangen, dass der Westen aufhört, diese ganzen Marionettenregierungen zu unterstützen. Der Ansatz müsste also ein komplett anderer sein als der, da mal wieder Kohle hinzuschaufeln. Das läuft derzeit alles noch auf der Basis "Brot für die Welt", mal ein bisschen was spenden, und das kann es nicht sein. Aber sagt man so was, ist man gleich wieder der Miesmacher, der alles scheiße findet. Neulich lief irgendwo eine Talkshow, wo Campino zu diesem Hilfskonzert für Afrika und Geldof befragt wurde, und der reagierte da gleich ganz bissig auf Kritik.


Aber was gibt es für Alternativen?

Ach, man muss doch nicht immer eine Alternative haben, um erst mal zu sagen, was einem nicht passt. Und da finde ich, dass der Ansatz bei Afrika doch auf einem etwas revolutionäreren Level liegen müsste, statt immer nur ein bisschen Geld zu verteilen.


Stellt sich die Frage, ob Bands und Musiker überhaupt eine besondere Verantwortung tragen.

In meinem Fall kann ich sagen, dass sich die Leute, die sich unsere Texte anhören, durchaus für die Themen interessieren, weil die sie auch selbst betreffen. Ich schreibe eben keine Texte über Afrika oder was sich sonst am anderen Ende des Globus ereignet. Stattdessen wird thematisiert, was in dieser geistesarmen Gesellschaft so vor sich geht. So was ist durchaus auch politisch, und so was interessiert, weil es einen selbst betrifft. Einen wirklich kritischen Ansatz kann man meiner Meinung nach nur haben, wenn das aus einer eigenen Betroffenheit kommt, etwa wenn jemand aus dem engeren Umfeld auf Hartz IV gesetzt wird und man die gesellschaftlichen Veränderungen ganz direkt zu spüren bekommt.


In einem deiner Texte redest du vom "Rasenmäherstaat". Ist das der Nachfolger des "Computerstaats"?

Der Ansatz stammt aus der ganzen Berlusconi-Geschichte: Die pseudodemokratischen Prinzipien werden immer mehr ausgehöhlt, bei gleichzeitiger Anhäufung medialer Macht. Auch bei uns wird der Kanzler doch längst von den Medien gemacht, es liegt immer mehr Macht bei Springer, Gruner & Jahr und Augstein-Verlag. Gleichzeitig wird uns das Gefühl vermittelt, wir mit unserer Demokratie hier, wir seien doch sicher, hier könne nichts passieren. Wie schnell das aber außer Kontrolle geraten kann, das habe ich versucht in "Lucky Fucky" in Kurzform darzustellen, in drei Minuten.


Punk trat in den 70ern sehr nihilistisch auf, doch mit der Zeit waren immer mehr Bands bereit, irgendwie Verantwortung zu übernehmen, was man an sehr engagierten Texten erkennen kann. Nix mehr mit "I don't care" und "No future". Und statt Zerstörung gibt es reichlich Sozialarbeiter und Lehrer unter den Punks.

Also für mein Umfeld kann ich das, was du da sagst, nicht wirklich bestätigen, das mag vielleicht eher für Leute gelten, die aus den 80ern kommen und sich irgendwann umorientieren mussten, weil für sie Punkhaltung der ersten Stunde zu destruktiv war. Nicht jeder wollte sich Sid Vicious-mäßig die Kugel geben. Und es konnte auch nicht jeder sein Leben lang Musik machen, weshalb man sich konsequenterweise mit einem positiven Ansatz weiterentwickeln musste. Der komplett destruktive Ansatz war sicher nichts für jeden, obwohl ich eine Menge Leute kannte, die sich mittlerweile die Radieschen von unten anschauen und das nicht so gepeilt haben. Die rein destruktive Attitüde des ursprünglichen Punkrocks, die ja durchaus auch politisch war, ist von den Medien seinerzeit aber auch ignoriert worden, da ging es vor allem um den modischen Aspekt und darum, wie schnell man das vermarkten kann und ein paar Dollars rausziehen kann. Die politische Attitüde hat da nicht interessiert, die wurde verschwiegen. Daran hat sich aber auch bis heute nicht viel geändert, schau dir diese ganzen amerikanischen Pop-Punk-Bands an. Da sind GREEN DAY eine große Ausnahme, deren letztes Album ja richtig gute Statements enthielt. So einer Band gönne ich den Erfolg, und letztlich ist das eine ganz andere Dimension, wenn so eine Band in den USA solche politischen Statements abgibt, als wenn hier bei uns jemand das macht, sich mit Bob Geldof und Bono auf eine Bühne stellt und Afrika retten will. Ich finde es jedenfalls gut, dass es auch in den kommerziell erfolgreichen Bereichen von Punkrock so einen Facettenreichtum gibt. Da sagt man sich, das ist doch noch was an Substanz vorhanden.


Wie ist denn dein heutiges Verhältnis zu Punkrock? Ist das noch ein aktiver Teil deines Lebens oder nur ein Thema, das mal in einem Interview angesprochen wird?

Auf jeden Fall Ersteres! Wir definieren uns ja auch als Band so, machen musikalisch eindeutig etwas, das in die Richtung geht. Wobei wir uns bewusst nicht an Drei-Akkord-Geschichten aufhalten, sondern das ein Stück weiterführen. Dahinter steckt natürlich auch eine gewisse Philosophie, eine Geisteshaltung, sonst würde man das so nicht überzeugend machen können.


Der Titel des neuen Albums ist "Rom". Sehe ich das richtig, dass das eine Anspielung auf die USA ist?

So ist es, und da sehe ich extrem interessante Parallelen zum Römischen Imperium. Rom war ein Konstrukt, das einerseits extrem gewalttätig war, andererseits auch sehr filigran und anfällig. Von den technischen Möglichkeiten her - die übrigens längst nicht so wichtig sind, wie man denkt - hatten die längst nicht das Potenzial der Vereinigten Staaten heute, aber sie hatten eine vergleichbare Machtpolitik. Vergleichbar ist auch, dass es ab einem gewissen Punkt Degenerationserscheinungen gab, die Römer waren völlig überfressen - ein Zufall, dass die fettesten Menschen heute in den USA leben? Das Konstrukt des Römischen Reiches wurde immer unüberschaubarer und unkontrollierbarer, es gab immer mehr Konflikte und Kriege, wo sich die Römer zurückziehen mussten. Genau wie die Amerikaner sich irgendwann aus Irak und Afghanistan werden zurückziehen müssen, und so drängt sich der Vergleich mit Rom geradezu auf. Und was ist heute von Rom übriggeblieben? Ein paar schöne Ruinen. Ich bin aber sicher kein Hellseher, weiß nicht, wie lange das mit den USA noch gehen wird, aber auf ewig wird das sicher nicht so weitergehen.


Interessanterweise haben die FEHLFARBEN gleichzeitig mit euch ein neues Album veröffentlicht. Beide Bands begannen zur gleichen Zeit, die in Düsseldorf, ihr in Hamburg. Gibt es da eine Beziehung?

Nee, da gab es noch nie eine Beziehung. Das war und ist eine andere Welt, eine andere Szene. Letztes Jahr haben wir mal zusammen auf einem Festival gespielt, aber das war ehrlich gesagt nicht so prickelnd. Nur weil wir zur gleichen Zeit angefangen haben, verbindet uns noch lange nichts.


Zumindest gibt es die Verbindung, dass beide Bands einst die Lieblinge der intellektuellen Musikpresse waren. Euch hat die Spex in den Achtzigern geliebt, doch heute sind die "Popkulktur"-Blätter, fürchte ich, kaum noch an euch interessiert. Was ist da auseinander gelaufen?

Das ist ein interessantes Thema. Ich bin ja der Meinung, dass die Rolle, die die Presse bis vor zehn Jahren spielte - speziell in diesem Lifestyle-Bereich - immer geringer geworden ist. Der Hauptgrund dafür ist, dass sich die Kommunikation der Menschen, die Musik außerhalb des Mainstreams konsumieren, verändert hat. Heute gibt es Internetforen, wo sich die Leute austauschen können, eigene Textbeiträge erstellen können, sich von den Lifestyle-Gazetten emanzipiert haben, was man ja schon an deren Auflagenzahlen sehen kann.


Die Meinungsführerschaft, die manche Mitte der 80er noch hatten, ist also futsch.

Was Musik anbelangt, würde ich das so sehen. Aber ich sehe durchaus noch einen Sinn darin, sich mit Leuten wie dir zu unterhalten. Und was so ein Typ von Rock Hard oder Visions denkt, geht mir komplett am Arsch vorbei. Ich merke halt, dass auf unseren Konzerten auch eine Menge Siebzehnjähriger rumstehen, und die sind da sicher nicht, weil die im Intro was über uns gelesen haben, haha, da steht ja noch nicht mal was über uns. Die Kids informieren sich anders, die tauschen sich anders aus, und dabei ist der wichtigste Aspekt, dass das Internet heute einen zusätzlichen, früher nicht gekannten Kanal darstellt. Der Ansatz des Internets ist dabei ein grundsätzlich anarchischer: Die früher nur in eine Richtung funktionierende Kommunikation klassischer Medien wurde durch die Möglichkeit der Interaktion abgelöst, und die gab es davor schlichtweg nicht. Da war der Konsument das "Opfer", auf den die medialen Bomben abgeworfen wurden, und das hat sich grundlegend geändert. Klar kann das heute auch noch so sein, und geschätzte 98 Prozent des Internets sind kommerziellen Interessen unterworfen, aber trotzdem gibt das Internet einmalige Möglichkeiten. Früher konntest du höchstens einen Leserbrief schreiben, der mit viel Glück gekürzt abgedruckt wurde.


Außerhalb davon gab es nur die Fanzines, wo quasi jeder "zurückschreiben" konnte.

Ja, somit waren Fanzines so eine Art minimalistische Vorstufe des Internets.


Fühlst dich heute angesichts des Textes von "Computerstaat", dem wohl bekanntesten ABWÄRTS-Lied aus dem Jahre 1980, als Prophet ...?

Also das, was ich da beschreibe, hat nichts mit einer Vorhersage zu tun, das war ja alles schon eingetreten. Es gab die Rasterfahndung, die Fahndungsakten wurden auf EDV umgestellt, und damals hat das Thema keiner mal in Textform gebracht, das zu Musik verarbeitet. Damals fingen in Deutschland ja gerade die ersten Punkbands an, auf Englisch zu singen, und ansonsten wurden die Texte von irgendwelchen Schwachsinnsthemen dominiert. Und ansonsten gab es TON STEINE SCHERBEN, und die wissen wahrscheinlich bis heute nicht, was ein Computer ist, hahaha.


"Rom" hat einen sehr eigenwilligen Sound, ist sehr knackig und hart. Was hat es damit auf sich?

Das hängt damit zusammen, dass wir mit sehr moderner Technik arbeiten, und deshalb klingt das auch nicht, als ob es vor 20 Jahren aufgenommen wurde. Wir setzen hier und da Samplings ein, mit draufgedubbten Sounds, und das ergibt sich allein durch die Arbeits- und Herangehensweise. Aber eigentlich machen wir ja konventionelle Rockmusik, und da kommt es auf die Songs an, und wenn die nicht gut sind, kannst du noch so eine gute Produktion haben, die kannst du trotzdem vergessen. Und da ist es dann eben die Produktion, die letztlich den Unterschied ausmacht. Beim letzten Album hatten wir alles schneller eingespielt, diesmal hat sich das über ein Jahr gezogen, wir hatten genug Zeit, und das hört man. Ich finde, man muss das Beste geben, weil es immer Leute gibt, die raushören, wie viel Mühe man sich gegeben hat. Und das ist auch für mich selbst wichtig, gerade auch in Zeiten, wo man sich fragt, was für einen Sinn eine CD überhaupt noch macht, wo die Industrie darauf wartet, was das neue Medium sein wird. Man arbeitet da in so einer Interimsphase, weiß nicht genau, woran man ist, und fragt sich angesichts der CD-Verkaufszahlen, was der ganze Scheiß überhaupt soll. Man muss sehen, wie sich das entwickelt, denn die Situation ist für Bands wie unsereins sehr schwierig geworden.


Existenzbedrohend?

Auf jeden Fall. Es ist ein Unterschied, ob du statt 30.000 CDs nur 5.000 verkaufst. Das Konsumverhalten der Leute hat sich auch verändert, die kaufen sich statt der CD lieber ein T-Shirt. Klar gibt es auch noch die Sammler, die Massen von Vinyl zu Hause haben, aber dieses Bedürfnis haben viele Menschen nicht mehr. Diese Entwicklung ist halt so, und ich kann schlecht von den Vorteilen des Mediums Internet schwärmen und mich dann darüber beschweren, dass es auch Nachteile gibt.


Was ist für dich die Konsequenz?

Man muss sehen, wie man mit seiner Musik in Zukunft die Miete bezahlen kann. Für mich stellt sich das Problem eher als für die beiden anderen in der Band, und wenn nicht, dann muss man sich was anderes suchen, Musik eventuell als reines Hobby betreiben. Was letztlich schade wäre, denn für ein reines Hobby kann man nicht so viel Zeit aufwenden.


Hast du denn außerhalb der Band was?

Ach, da ergibt sich schon was, ich wohne ja in Berlin, habe früher schon mal in einer Internetfirma gearbeitet, ein paar Sachen produziert. Man muss sich eben den neuen Gegebenheiten stellen.


Frank, danke für das Interview.