YELLOW UMBRELLA

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Capitalism feeds on individual depression

YELLOW UMBRELLA gab es subjektiv irgendwie schon immer und vielleicht könnte man ihre zwischenzeitliche Auflösung auch als sanften Hinweis verstehen, sich doch noch mal bewusst zu machen, was man eigentlich an ihnen hat. Als ob das nicht gereicht hätte, gibt es jetzt mit "Little Planet", der ersten Platte nach der Reunion, noch einen bestechenden Grund mehr, nie, nie, nie wieder zu vergessen, dass YELLOW UMBRELLA zu den besten Ska- und Reggae-Bands Europas zählen. Aber sind das überhaupt noch die alten, vertrauten YELLOW UMBRELLA? Mit Bernhard Lanis (Ex-WESTERN SPECIAL) und Alex Buck (Ex-COURT JESTER'S CREW) hat man sich ehemalige Mitglieder gleich zweier aufgelöster Spitzenbands ins Boot geholt - klar, dass das nicht folgenlos blieb. Und die wesentliche Folge aus meiner Sicht: "Little Planet" ist das bisher abwechslungsreichste, eingängigste und cleverste YELLOW UMBRELLA-Album. Sänger und Keyboarder Jens Strohschnieder, Posaunist Thomas Hellmich und Schlagzeuger Gero Dumrath beantworteten via E-Mail meine Fragen zur neuen Platte, der Ska- und Reggae-Szene im Allgemeinen und dem schwierigen Spagat zwischen Frohsinn und Tiefgang.


Wie beurteilt ihr die Entwicklung der Ska-Szene, seit ihr sie aktiv erlebt?


Jens: Ich denke, es gab eine Verschiebung: weg vom britisch geprägten Punk-Ska hin zum eher jamaikanisch beeinflussten Ska, der näher am Rocksteady und Reggae ist. Insgesamt beherrschen heute viele Musiker ihre Instrumente wesentlich besser, auch das ist sehr erfreulich. Trotzdem hat der Ska nicht seinen Underground-Status eingebüßt. Das kann man gut oder schlecht finden. Ich finde es gut, weil die Musik sich nicht an die großen Konzerne mit ihrer ausschließlich verwertungsorientierten Logik verkauft hat. Andererseits gibt es immer wieder Phasen, in denen alle, also Ska-Bands, Veranstalter, Indielabels und so weiter, echt schwierige Zeiten durchmachen.

Thomas: Großartige kommerzielle Entwicklungen habe ich, seit ich dabei bin, ungefähr seit 1993, nicht beobachten können. Absolut kein Vergleich zur Reggae-Szene. Es gab mal einen kleinen Boom Anfang der 90er Jahre und letztes Jahr dachte ich auch, jetzt knallt's. Dann ist aber nur die Dresdner Szene explodiert. Erstaunlich ist aber, wie Ska sich über die Jahrzehnte hinweg still und heimlich international in allen Kulturen, Kontinenten und Ländern etabliert hat. In jeder größeren Stadt der Welt kann man mittlerweile am Wochenende ein Ska-Konzert besuchen und es gibt mindestens eine lokale Ska-Band. Es gibt indonesische Ska-Bands, türkische Ska-Bands, jüdische Ska-Bands, arabische Ska-Bands, japanische Ska-Bands, dänische Ska-Bands, russische Ska-Bands, ja sogar österreichische Ska-Bands! Das fasziniert mich.


Ihr hattet euch zwischenzeitlich aufgelöst, wo lagen die Ursachen dafür, und was waren dann wiederum die Gründe, die Band zu reaktivieren?

Jens: Stell dir vor, du spielst 100 bis 200 Konzerte im Jahr. Der Geburtstag deines besten Freundes? Sorry, wir haben ein Konzert. Die Hochzeit einer Freundin? Sorry ... und so weiter. Es gibt seit den Siebzigern eine extrem romantische Verklärung des Musikmachens. Ehrlich gesagt, sind acht Stunden Fahrt im von Männerschweiß geschwängerten Tourbus nur mittelsexy. Gleichzeitig sind Konzerte archaische bis orgiastische Momente. Menschen kommen zusammen, tauschen große Mengen Energie aus, tanzen, befreien sich, verlassen rationale Ebenen. Großartig! Wir wollen das weiterhin. Dosiert. Und auf den Geburtstag des Freundes gehen. Und deshalb treffen wir uns jetzt nur ein paar Monate im Jahr, um zu feiern, zu tanzen ...


Wie würdet ihr selbst die Unterschiede von "Little Planet" zu den Vorgängern beschreiben?

Jens: Für mich persönlich war es der größte Schritt, die Produktion laufen zu lassen. Wenn du ein Lied komponierst, dann hörst du es schon im Kopf. Dann kommen die anderen Musiker hinzu, gießen ihre Interpretation mit in den Topf, dann kommt der Sound-Mensch und sagt, er hört das ganz anders. All das ist gut! Mit anderen Worten: ich war beim Abmischen nicht mehr im Studio. Hat lange gedauert, aber ich habe gelernt, dass es besser ist so.

Gero: Wenn es etwas gibt, das wir bei dem neuen Album bewusst getan haben, dann wohl am ehesten, so wenig wie möglich zu tun. Das Resultat ist eben so wie wir sind: direkt.


Wenn ihr gezwungen gewesen wärt, das Album kürzer zu halten, bei welchen drei Songs hättest ihr auf keinen Fall zugelassen, dass sie rausfliegen?

Jens: Erst alle Perlen zusammen ergeben die Kette, so wie sie ist! Mir persönlich gefallen aber gerade die Songs, die nicht von mir sind, sehr gut: "M" von Bernard und "Capitalism" von Alex.

Thomas: Ich hätte mich nur schwer von "M", "Tempus fugit" und "The world is not fair" trennen können.


Ihr habt mit "Germaican" einen Text, der sich über eine bestimmte Sorte deutscher Möchtegern-Rastas lustig macht. Glaubt ihr, ein Teil eures eigenen Publikums könnte sich davon angesprochen fühlen?

Gero: Das war Sinn und Zweck der Übung. Wer sich davon angesprochen fühlt, hat's nicht anders verdient.

Jens: Wir haben ein sehr humorvolles Publikum. Die Message ist doch klar: Nur weil du Dancehall-Musik magst, musst du nicht Schwule scheiße finden und automatisch jeden dunkelhäutigen Menschen mögen, auch im Ska- und Reggae-Bereich gibt es Gesinnungsfaschisten. Jeder sollte frei zu dem stehen, was ihm gefällt. Ich will kein Herr sein und kein Knecht, das ist mein Wille und mein Recht!


Ihr sprecht da die Homophobie im Reggae an. Wie haltet ihr es persönlich mit Künstlern, von denen derartiges bekannt ist, wie erlebt ihr das in der Szene generell?

Jens: Glücklicherweise erleben wir das gar nicht. Ich will nicht behaupten, dass die Reggae-Szene in Europa frei ist von Rassismus, Sexismus oder Homophobie, aber es gibt doch ein großes Maß an "Awareness". Denn dieser Scheißmachismo, der da aus Jamaika rüberschwappt, spiegelt die Probleme dort wider: Jamaika ist der letzte Vorposten in Sachen Drogenschmuggel in die USA. Dieser Handel ist das absolute Haifischbecken. Die Selbstdarstellung als Gangster soll die Härte in diesem Geschäft demonstrieren. Albern. Generell glaube ich: Je maskuliner eine Kultur, desto gewalttätiger und archaischer ist sie.

Thomas: Ich denke wirklich, dass das ein Problem in der Reggae- und Dancehall-Szene ein Problem ist. Zum Glück nicht in der Ska-Szene. Besonders skurril war für mich eine Situation auf dem Summer Jam 2004. Ich war mit kanadischen Freunden da, die eigentlich zum Christopher Street Day am Tag darauf gehen wollten und die ich zu ihrem ersten Reggae-Konzert überredet habe. Da betritt Bounty Killer die Bühne, schreit "Fire pon di battyman!" - "battyman" ist eine abfällige Bezeichnung für Homosexuelle - ins Mikro und 30.000 Kiddies fangen an zu jubeln. Da habe ich mich gefragt, haben die das alle gerade nicht verstanden oder sind das alles Nazis? In diesem Moment ist mir bewusst geworden, dass da was gewaltig schief läuft. Und natürlich hab ich die ganze Zeit gebetet: Hoffentlich verstehen die Kanadier kein Patois! Haben sie zum Glück nicht und danach kam Lee Perry und hat nette Geschichten über seinen Psychiater und über Salat erzählt, aber seitdem habe ich das Bedürfnis, diesem dumpfen Trend etwas entgegenzusetzen.


Eure Musik ist vornehmlich lebensfroh und tanzbar, gleichzeitig habt ihr auch nachdenkliche und politische Texte. Wirken sich ernste Themen bei einem Konzert nicht negativ auf die Stimmung aus? Besteht umgekehrt die Gefahr, dass es manchem durch diesen unbeschwerten Zugang erleichtert wird, Politik nur als schmückendes Beiwerk zu einem bestimmten Lifestyle zu sehen?

Jens: In den 70ern war ein verbreiteter Slogan: "Alles ist politisch". Wir haben uns nie einen Teufel darum geschert, ob irgendwas zusammenpasst. Wir sind keine politische Band und sagen trotzdem, was wir denken. Und ich habe vergessen, wer es gesagt hat, aber gut fand ich immer den Spruch "Es ist nicht meine Revolution, wenn ich dazu nicht tanzen kann."

Gero: Jens, unser Haupttexter und Sänger, ist sich seiner Verantwortung als Sprachrohr in Extremsituationen schon bewusst. Wir geben dem Zuhörer ja nur Denkanstöße, reiten nicht auf der Problematik herum. Wer interessiert ist und auf die Texte hört, kann sich damit auseinandersetzen. Wenn jemand nur tanzen will, bitte schön, dann sind die Lyrics doch auch egal.


Ihr habt mittlerweile ein sehr großes Songrepertoire. Wird es nicht immer schwieriger, live sowohl möglichst viele Publikumslieblinge wie auch neuere Songs sowie eure eigenen Favoriten unterzubringen?

Jens: Ja, deshalb haben wir am Anfang unserer Tour auch so dermaßen lange Konzerte gespielt, dass jemand meinte: Ihr macht das Publikum kaputt.

Gero: Ja, das wird schwieriger, je mehr Songs dazukommen. Wenn es jetzt eine richtig promotete Single mit Videoclip und Airplay gäbe, wäre klar, das müssen wir spielen. So schauen wir halt auf die Publikumsreaktionen und achten darauf, was uns am meisten Spaß macht. Wir haben wegen der Setlist auch innerhalb der Band immer wieder Diskussionen.


Schätzt ihr euer Publikum als typisches Ska/Reggae-Publikum ein, oder gibt es Abweichungen?

Thomas: Ich finde, unser Publikum ist sehr intelligent, sehr gut aussehend und immer gut angezogen. Unser Publikum ist eine Zierde der Menschheit. Wir sind sehr stolz auf unser Publikum. Wenn wir es nicht hätten, gäbe es uns nicht als Band und vielleicht auch nicht als Menschen. Wir verdanken unserem Publikum alles.


Auf welche Band, die nicht aus dem Offbeat-Sektor stammt, können sich alle YELLOW UMBRELLA-Mitglieder wohl am ehesten einigen?

Thomas: Vielleicht die BEATLES? Oder Amy Winehouse?

Gero: Puh, Walgesänge? Neulich hat es die neue QUEENS OF THE STONE AGE ziemlich lange im Bandbus-CD-Wechsler ausgehalten ...


Gibt es hoffnungsvolle, jüngere Bands aus Dresden und Umgebung, die ihr empfehlen möchtet?

Jens: Es gibt viele junge Bands, das freut uns sehr, schließlich sind wir ja schon 13 Jahre dabei und haben vielleicht auch ein bisschen mitgeholfen, die Musik bekannt zu machen. Zu nennen wären KEN GURU AND THE HIGHJUMPERS und THE HAUREINS.