FIREWATER

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Postkarten von der anderen Seite der Welt

Die Geschichte zu "The Golden Hour", dem neuen Album von FIREWATER, liest sich spannender als mancher Roman: Die vier Jahre zwischen dem letzten Album und diesem hat Tod Ashley, Sänger und musikalisches Mastermind der Band, damit verbracht, in der Welt herumzureisen, auch zu Orten, "auf die Amerikaner sonst nur Bomben fallen lassen". In Städten des Nahen Ostens oder Indiens begab er sich ins billigste Hotel, fragte nach Orten, an denen Musik gespielt wird, schnappte sich anschließend die Musiker, stellte ein Mikrofon in einen Raum und drückte auf Aufnahme. Aber für Tod ging es auf dieser Reise um viel mehr, als nur um Musik - es ging um eine Flucht aus seinem alten Leben und darum, sich auf die Spuren dessen zu begeben, was die Mächtigen in seinem Heimatland in der Welt umtrieb. Nach drei Jahren also kehrte Tod mit einem Album im Gepäck zurück, das gefärbt ist von den Anekdoten und Episoden, die der Musiker erlebt hat. Kennt man die Geschichte hinter "The Golden Hour", dann wird es schwierig, sich der Faszination des Albums zu entziehen, dann begibt man sich mit jedem Durchlauf mit Tod auf die Reise. Die Geschichte soll er aber doch lieber selbst erzählen. Jedenfalls größtenteils.



Die Abreise

Wenn jemand sein Land für mehrere Jahre verlässt, dann muss er dafür triftigere Gründe haben als den, Inspiration für ein neues Album zu finden. Tod hat es zudem in staubige und arme Länder gezogen, mit vielen seiner Freunde und Verwandten hat er also gleichzeitig den ganzen Luxus und Wohlstand der Vereinigten Staaten hinter sich gelassen. Gehörte das spartanische Leben mit zum Plan?

"Ich habe in einem fensterlosen Raum in Bushwick, Brooklyn gewohnt. Das ist nicht das, was man unter Luxus versteht. Insofern war es kein Problem, all das Gepäck zurückzulassen. Ich wollte meinen Besitz auf das reduzieren, was ich bei mir tragen konnte. Es war sehr befreiend, plötzlich obdachlos und heimatlos zu sein, ohne Verpflichtungen oder Einengung. Ich konnte gehen, wohin auch immer mich der Wind trägt.

Als ich die Entscheidung getroffen habe, Amerika zu verlassen, hatte ich mich just von meiner Frau getrennt, George W. Bush wurde gerade wiedergewählt und New York, in den letzten zwanzig Jahren meine Heimat, war ein kalter und fremder Ort geworden. Ich war extrem deprimiert. Die Skyline von New York wirkte auf mich wie eine schlechte Fototapete. Ich hatte die Wahl, mich entweder umzubringen oder abzuhauen. Also habe ich alles eingelagert, was ich besitze, und das Land mit ein paar Klamotten und einem Laptop verlassen.

Meine ursprüngliche Idee war es, den Landweg von Delhi nach Istanbul zu nehmen, und dabei ungefähr der Migrationsroute der Roma von Indien nach Europa zu folgen. Unterwegs wollte ich Notizen für einen Reiseroman machen, und, falls sich die Gelegenheiten ergeben sollten, einheimische Musiker mit dem Laptop aufnehmen."



Die Reise

Wenn jemand eine Reise tut, dann kann er was erzählen. Genau das hat Tod getan, all seine Eindrücke aufgeschrieben und in einem Blog veröffentlicht. Darin gibt es viele Anekdoten aus dem Alltag zu lesen, wie zum Beispiel die von der Armbanduhr, die verschwand, obwohl kein Mensch und kein Tier in der Nähe gewesen ist; oder die vom Soldaten am Khyber-Gebirgspass zwischen Afghanistan und Pakistan, der Tod ein Gewehr in die Hand drückte und ihm stattdessen die Kamera wegnahm, um ein Foto von ihm zu schießen. Tod Ashley erzählt davon, wie er seinen Alltag meistert, ohne die meisten Menschen um sich herum zu verstehen, und er zeigt, wie weit man in solchen Ländern mit ganz wenig Geld kommt. Aber obwohl am Ende der Reise ein Album fertig aufgenommen war, geht es in diesen Reiseberichten nur selten um Musik.

"Als ich mich auf die Reise begab, war ich gar nicht sicher, ob ich je wieder Musik machen wollte. Ich hatte den Kopf voller Ideen für Songs, aber ich wusste nicht, ob ich mir wirklich den Stress machen wollte, noch mal ein Album zu veröffentlichen, mit dem ganzen ‚Business‘, das damit verbunden ist. Meine Idee war, alle Musiker aufzunehmen, die ich traf, aber ich hatte keine Ahnung, ob das überhaupt möglich war. Ich kannte ja niemanden, bevor ich angefangen hatte, und ich habe mich rein auf den Zufall und günstige Umstände verlassen. Als es funktioniert hat, war ich ziemlich glücklich.

Ich schätze, was ich auf der Reise wirklich zu erreichen hoffte, war, Leute persönlich zu treffen und mit ihnen von Mensch zu Mensch in Beziehung zu treten, anstatt gezwungenermaßen zu akzeptieren, was die Zeitungen in den USA über sie schreiben. Außerdem habe ich gehofft, ich könnte auf diese Weise die muslimische Kultur besser verstehen lernen. Was das Letztere angeht, war ich weniger erfolgreich, ich muss da noch einen weiten Weg gehen. Aber ich habe sehr viele coole Menschen getroffen - Musiker und auch andere."

Wenn jemand sich auf solch eine Reise begibt, kann er auch mal in lebensbedrohliche Situationen geraten. Die gab es auch, aber nicht unbedingt dort, wo man es vermuten würde. Gefahr ging nämlich nicht von der Wildnis aus, sondern von den Menschen.

"In Jaipur in Indien bin ich mal bei einer einheimischen Familie zum Tee gewesen. Was zuerst wie eine freundliche Einladung aussah, wurde ziemlich schnell ziemlich unangenehm, als man mir ein spezielles Gericht ‚nur für mich‘ serviert hatte. Nach ein paar herzhaften Bissen habe ich gemerkt, dass dieses höllisch scharfe Gericht einen deutlichen medizinischen Nachgeschmack hatte, wie von einer zerbröselten Tablette. Als dann die Welt vor meinen Augen verschwamm, habe ich begriffen, dass man mir Drogen ins Essen gemischt hatte. Ich bin also aus dem Haus gewankt, und da hat die Wirkung erst richtig eingesetzt. Die Angst und das Adrenalin waren das Einzige, was mich vorm Zusammenklappen bewahrt hat. Irgendwie habe ich dann den Weg durch die verwinkelten kleinen Straßen zu meinem Hotel gefunden, und in die folgenden paar Tage habe ich nur damit verbracht, meinen Rausch auszuschlafen. Wer weiß, was man mir da gegeben hat.

Der Khyber-Gebirgspass war mir auch nicht geheuer. Wenn ich dort zufällig eine Frau fotografiert hatte, hat mir mein Fahrer immer wieder gesagt, ich solle die Kamera weglegen. Offenbar wird man für so was in den Provinzen an der Grenze erschossen. Da liefen eine Menge Leute mit Waffen herum. Hat mich irgendwie an die USA erinnert."



Das Album und die Tour



Oben wurde schon beschrieben, wie Tod seine Musiker rekrutiert und wie er viele der Tonspuren gesammelt hat. Das ist nur die halbe Wahrheit, denn oft haben auch alte Bekannte ausgeholfen - Schlagzeuger Tamir Muskat etwa, früher schon in Diensten FIREWATERs, oder Gitarrist Uri Kinrot, der auch auf der anstehenden Europatour aushilft -, unter professionellen Bedingungen in türkischen und israelischen Tonstudios. Vieles auf dem Album aber ist authentisch und spontan entstanden. Probleme bei der Kommunikation mit den einheimischen Musikern führten oft dazu, dass die Aufnahmen eine Eigendynamik entwickelten und das Ergebnis völlig anders war, als Tod es geplant hatte. Für den Reisenden war es also spannend zu sehen, was aus seinen Song-Ideen wurde, und für den Hörer ist es faszinierend nachzuvollziehen, wie Tods Erlebnisse seine Musik beeinflusst haben. Trotz aller widrigen Umstände, die er vorgefunden hat, ist er sich aber sicher, dass er alles genauso noch einmal machen würde.

"Ungefähr die Hälfte der Songs habe ich in NYC geschrieben, während sich der innere Druck so weit aufgebaut hat, dass ich die USA verlassen habe. Die andere Hälfte ist unterwegs entstanden. Manches davon waren grobe Ideen, die sich verfestigt haben, als ich die richtigen Rhythmen gefunden habe, zu denen man sie spielen musste. Ein kleiner Anteil der Songs würde nicht existieren, wenn ich die Reise nicht gemacht hätte - ‚This is my life‘ ist ein Beispiel dafür.

Das nächste Album ist schon zu zwei Dritteln fertig, und ich will meinen ursprünglichen Plan für die Reise unbedingt noch vollenden. Beim nächsten Album werde ich da ansetzen, wo ich diesmal aufgehört habe, und über Peshawar in Pakistan hoffentlich durch Afghanistan, Iran und die Türkei reisen, mit Ziel Istanbul."

Besonders stolz ist Tod übrigens auf die Tatsache, dass auf seinem Album Pakistani und Israelis zusammenarbeiten, obwohl beide Länder nicht miteinander können. Völkerverständigung pur, und dazwischen ein Weißer, der sich selbst als "gefallenen Christen" bezeichnet.

"Die Kultur, in der ich groß geworden bin, ist eine christliche. Ich bin kein Christ. Ich bin ein großer Fan vieler Lehren von Jesus, aber viele so genannte Christen scheinen ihnen gar nicht folgen zu wollen. Für die nahe Zukunft ergibt sich nun das Problem, dass verständlicherweise nicht alle Musiker, die an den Aufnahmen beteiligt waren, die anstehende Europatour mitmachen werden. Für das Konzept FIREWATER aber bedeutet das gar keine große Veränderung gegenüber der üblichen Arbeitsweise. Die Band ist eine sich fortlaufend verändernde Zusammenarbeit einer großen Gruppe aus Freunden. Wir praktizieren eine ‚Politik der offenen Tür‘, jeder kann also kommen und gehen, wie es für ihn gerade am besten ist."



Ein Letztes noch

Schaut man mal auf die MySpace-Seite der Band, dann taucht dort in der Rubrik "Einflüsse" als negativer Aspekt "Infotainment" auf. Witzigerweise bedient sich Tod in einem YouTube-Video zur Entstehung des Albums einer ganz ähnlichen Spielart, die er "Infomercial" nennt.

"Ja, ich wollte die Leute über das Album und die Geschichte dahinter informieren. Zu diesem Zeitpunkt war ich in Indonesien, ein Video schien mir also das beste Mittel dafür zu sein. Wenn ich von ‚Infotainment‘ spreche, beziehe ich mich allerdings mehr auf den Scheiß, der in meinem Land als ‚Nachrichten‘ durchgeht: diese irrsinnige Promi-Besessenheit. Ich habe keinen Plan, wer diese ganzen Leute sind oder warum sich alle anderen Leute für sie interessieren. Das meiste in der Pop-Kultur finde ich spektakulär uninteressant."

Dies alles ist nur ein kurzer Auszug, nur ein Bruchteil dessen, was um das Album herum geschehen ist. Um die ganze faszinierende Geschichte zu erfahren, gilt es, den Blog zu lesen, das Infomercial anzuschauen und sich dabei das Album anzuhören. Der Aufwand lohnt sich.

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