Peter Bagge

Peter Bagge ist ein Geschichtenerzähler, dessen witzige Stories bis ins letzte Detail durchkomponiert sind. In seiner Funnyserie Hate vermischt er fiktiven Klamauk mit autobiographischen Elementen, dabei achtet er stets darauf, zehn Jahre älter als seine Hauptfigur Buddy Bradley zu sein, so daß er immer einen ironischen Abstand zu dessen Erlebnissen besitzt. So bieten Buddys Abenteuer, über den vordergründigen Spaß hinaus, auch eine interessante Reflektion der amerikanischen Gesellschaft. Obwohl sich Buddy weder bei Familienzwistigkeiten, noch beim Managen einer Rockband als strahlender Saubermann ohne Fehl und Tadel erweist, wird ihm die häufige Beschreibung als zynischer Loser nicht gerecht. Wenn er sich eine der üblichen zwischenmenschlichen Fiesheiten erlaubt, befallen ihn stets sofort Skrupel, und letztendlich zeigt es sich immer wieder, daß Buddy Bradley wesentlich moralischer ist als sein degeneriertes Umfeld.

Ein erster Versuch, diese witzige Situationsbeschreibung der Generation X auch hierzulande zu veröffentlichen, wurde 1994 vom Carlsen Verlag unternommen. Noch vor dem Heftchenboom am Kiosk setzten die Hamburger auf alternative Vertriebswege, z.B. über Plattenläden, um neue Comic-Leser anzusprechen. Doch Leck Mich war mit 9,90 DM einfach zu teuer, um eine breite Käuferschicht zu ereichen, und der penetrant vorgetragene Grunge-Bezug kam zu spät, da diese Musikwelle bereits wieder abflaute. So floppte das S/W-Heft nach acht Ausgaben, allerdings mit einer verkauften Auflage, bei der mancher Kleinverleger noch in Begeisterung ausgebrochen wäre. Man muß es Carlsen aber zu gute halten, daß sie, zumindest in den Sammelbänden, die Handlung bis Hate Nr. 15 komplett veröffentlicht haben. An dieser Stelle gibt es auch im Original einen inhaltlichen Schnitt, denn Buddy und seine Freundin Lisa verlassen in dieser Ausgabe Seattle, um zu seiner Familie nach New Jersey zu ziehen.

Trotzdem hätten sich schon damals viele Kenner der Szene gewünscht, daß die Serie bei einem der Berliner Kleinverlage erschienen wäre, die mit ihren US-Independent-Veröffentlichungen überhaupt erst die Grundlage für diesen Carlsen-Vorstoß gelegt hatten. Ein kleiner Verlag ohne großen Mitarbeiterstamm kann auch bei geringerer Auflage kostendeckend veröffentlichen, deshalb wird die Serie nun bei Jochen Enterprises fortgeführt, die die Handlung nahtlos aufnehmen, und unter dem Titel Krass ab sofort von Buddy Bradleys neuen Abenteuern in New Jersy berichten - Grund genug, sich einmal näher mit dem Werdegang von Peter Bagge und seinen Comics zu beschäftigen.

Die frühen Jahre

Peter Bagge wurde am 11.12.1957 im Westchester County, im Einzugsgebiet von New York, geboren. 1977 zog er nach Manhattan, um dort zwei Jahre lang die New Yorker School of Visual Arts zu besuchen. Um seinen Lebensunterhalt zu verdienen war er in dieser Zeit mit diversen Teilzeitjobs beschäftigt, doch bereits ab 1980 veröffentlichte er in jedem Magazin, das seine Cartoons ankaufte. Unter diesen ersten Abdruckmöglichkeiten befinden sich so skurrile Hefte wie die Pornomagazine Screw und Video X, das Hanffachblatt High Times, aber auch das MAD-Imitat CRACKED. Später veröffentlichte Bagge auch in Robert Crumbs Magazin Weirdo, das er einige Zeit später sogar als Herausgeber betreute.

Seattle

Da die Mieten in New York zu hoch wurden, zogen Peter und seine Frau Joanne 1985 nach Seattle, wo sie aus Kostengründen bei der Familie seiner Schwägerin wohnten. Während Joanne mit ihrer Schwester ein Geschäft eröffnete und so den größten Teil des Familieneinkommens bestritt, startete Peter sein erstes Magazin bei dem Independent-Verlag Fantagraphics. In Neat Stuff entwickelte Bagge mehrere wiederkehrende Hauptfiguren, u.a. die Familie Bradley, deren Geschichten in Deutschland beim Alpha Verlag erschienen. Die Erlebnisse der Bradleys basierten zum Teil auf Peters eigener Familie und besonders Buddy besaß bereits autobiographische Züge.

1990 setzte Bagge einen Schlußstrich unter die Ostküstenjugend von Buddy Bradley und versetzte den Ort der Comic-Handlung ebenfalls nach Seattle. Aus dem magazinformatigen Neat Stuff wurde das normalformatige Hate, in dessen Mittelpunkt nun Buddy stand, der, wie sein Schöpfer, die Familie verlassen hatte, um an die Westküste zu ziehen.

1991 hatte Bagge die Idee, Buddy und seinen Kumpel Stinky eine Rockband managen zu lassen. Dank seiner Kontakte zu dem Plattenlabel Sub Pop Records kannte sich Peter gut genug in der lokalen Musikerszene aus, um mit ironischem Abstand Themen wie Groupies, Gästeliste, Freibier, Konzerttour und Fanzinemacher durch den Kakao zu ziehen. Die zweiteilige Geschichte "Follow that dream" lief in Hate Nr. 8 und 9, die bis heute zu den bestverkauften Ausgaben der Serie gehören.

Im Zuge des Grunge-Booms, der sich Anfang der 90er über die ganze Welt verbreitete, rückte auch andere alternative Unterhaltung aus Seattle in den Mittelpunkt des Interesses. Bruce Pavitt und Jon Poneman von Sub Pop karrten regelmäßig Journalisten vor Peters Haustür, wohlwissend, daß es auch für ihr Label gut war, wenn Seattle plötzlich als Hochburg jeglicher Independentkultur dargestellt wurde. Das grundsätzliche Medieninteresses an Seattle und diverse Plattencover Bagges für Sub Pop sorgten dafür, daß Hate weit über den Bereich der normalen Comicfans hinaus ein alternatives Publikum fand.

Doch schon bald passierte in Seattle dasselbe wie in der einstigen Hippiehochburg San Francisco. Nachdem die Szene nationale und internationale Aufmerksamkeit erregt hatte, kamen immer mehr junge Leute in die Stadt, um an dem hier propagierten Lebensgefühl teilzuhaben. Die überlaufene Szene wurde immer stärker ausgebeutet und schließlich eine Karikatur ihrer selbst.

Wieder auf dem Lande

Peter Bagge wurde der ganze Seattle-Rummel bald zuviel und er schickte Buddy zurück nach New Jersey. Ein kluger Schachzug, denn so blieb Hate auch nach dem Abklingen der Grungewelle erfolgreich. Und schon bald begannen die ersten Fernsehproduzenten bei dem Zeichner anzuklingeln, mit der Idee, aus Hate Trickfilme im Stil von The Simpsons und Beavis & Butt-Head zu machen. Peter war eher an einem Spielfilm interessiert, wollte sich aber die Gelegenheit zu einer Animation seiner Charaktere nicht entgehen lassen. Da ihm die kompromißlose Härte des Filmgeschäfts bewußt war, wandte er sich an Simpsons-Schöpfer Matt Groening, der ihm die Adresse einer Anwältin und den Rat gab, keine Verträge ohne ihre Zustimmung zu unterschreiben. MTV erhielt schließlich eine Option auf die Filmrechte und arbeitete längere Zeit an einer Animation von Buddy Bradleys Abenteuern. Nach einigen (wenig aussagekräftigen) Testvorführungen wurde das Projekt aber leider abgeblasen.

Zwischenzeitlich wurde jedoch ein anderer Traum von Peter Bagge erfüllt: ein regelmäßig erscheinendes, vierfarbiges Heft. Mit der Nr. 16 stellte er Hate auf Farbe um, gleichzeitig wuchs der Inhalt von drei auf vier Panelreihen pro Seite. Um den erhöhten Arbeitsaufwand zu bewältigen, ließ er seine Vorzeichnungen nun von Jim Blanchard inken. Dies paßte Bagge besonders deswegen sehr gut, weil er gerne Pencils zeichnete, aber das inken haßte.

Im Juni dieses Jahres erschien mit der Nr. 30 die vorläufig letzte Hate-Ausgabe, in der Buddy den Hafen der Ehe ansteuert. Ab diesem Punkt gibt es eigentlich hunderte von Möglichkeiten, wie die Lebensgeschichte von Buddy und Lisa weitergehen könnte. Bagge könnte z.B. zeigen, wie Buddy und Lisa in eine völlig neue Lebensphase treten, heiraten, ihr Baby bekommen usw., doch der Zeichner hatte seine Zweifel, ob es genügend Leser gibt, die an solchen Geschichten interessiert sind. Außerdem möchte er weiterhin eine Abstand von zehn Jahren zwischen Buddys und seinem eigenen Leben halten.

In den letzten Jahren verspürte Peter Bagge auch immer weniger Lust, 8-10 Stunden am Tag über dem Zeichentisch zu hängen. Das Schreiben von Stories fällt ihm dagegen leicht und befriedigt ihn am Ende genauso, als wenn er den Comic komplett alleine gestaltet hätte. Ein erster Schritt, sich von Arbeit zu entlasten, bestand natürlich in der Zusammenarbeit mit dem Inker Jim Blanchard, aber nach dem Ende von Hate möchte Peter seine Comics lieber wieder ganz alleine zeichnen, oder sich völlig auf die Position des Texters zurückziehen.

In der Vergangenheit agierte Peter bereits mehrfach als "bloßer" Texter, u.a. in einigen Zweitgeschichten von Hate, aber auch in einer Simpsons-Halloween-Story, die bei Dino als "Die Exorschwester" in Bart Simpsons Horror Show Nr. 2 erschienen ist.

Die Zukunft

Zur Zeit schreibt Peter Bagge an einer monatlichen Serie für DC mit dem Titel Yeah!, in der es um eine All-Girl Rockband geht. Die Story ist dabei sowohl von Comics und Fernsehserien der späten 60er und frühen 70er, als auch vom aktuellen Spice Girls-Phänomen inspiriert.

Gilbert Hernandez, eine weitere Größe des US-Independent-Comics, wird die ersten sechs Folgen dieser Serie zeichnen, und die erste Geschichte liegt bereits vor. Der Verlag möchte aber erst vier komplette Hefte Vorlauf haben, bevor er mit den Vorbereitungen für die Veröffentlichung beginnt, deshalb wird diese Serie nicht vor Juli 1999 erscheinen. Bisher ist auch noch nicht klar, ob Yeah! unter dem DC-Logo oder bei Vertigo veröffentlicht wird. Eventuell wird ein drittes Imprint aus der Taufe gehoben.

Die neue Serie richtet sich, im Gegensatz zu Hate, nicht an Erwachsene, sondern ist eher für Kinder und Jugendliche gedacht, denn Peter wollte etwas völlig anderes machen als in den Jahren zuvor. Bagge, der sich niemals träumen lassen hätte, einmal für einen Mainstreamverlag wie DC zu arbeiten, freut sich darüber, einen monatlichen Titel zu gestalten, bei dem er die gleiche kreative Freiheit wie bei Fantagraphics genießt.

Nachdem die MTV Option für Hate verfallen ist, schreibt er außerdem an einem neuen Drehbuch für eine Zeichentrickserie, die diesmal für den Kabelsender HBO geplant ist.

Hate in Deutschland

Nachdem der Carlsenverlag die Veröffentlichung mit Hate Nr. 15 abgebrochen hat, wird die Serie nun unter der optimalen Betreuung von Jochen Enterprises weitergeführt. Leider kann aus Kostengründen nur in s/w gedruckt werden, aber ein Blick auf die deutsche Version beweist, daß die von Jim Blanchard geinkten Seiten auch ohne Farbe ihren vollen Charme entfalten. Die sorgfältige Bearbeitung des Heftes zeigt sich z.B. darin, daß die Jochens das Originallettering von Peter Bagge in einen Computerzeichensatz umwandlen ließen, der zukünftig weltweit bei Übersetzungen von Bagge-Stoffen eingesetzt wird. Aber auch die gelungene Übersetzung von Oliver Naaz macht das Heft zu einer Pflichtlektüre für jeden Freund des US-Undergrounds.

Einen besonderen Bonus, der das Heft auch für Sammler der Originalgeschichten interessant macht, stellen aber zweifellos die neuen Buddy Bradley-Geschichten von deutschen Zeichnern da. Kaum zu glauben, aber richtig gehört: Mit dem Einverständnis von Peter Bagge präsentieren deutsche Künstler wie Guido Sieber, Claus Cornfield und Phil Tägert regelmäßig ihre eigene Version von Buddy Bradley, mit exklusivem, bisher unveröffentlichtem Material - da werden sicherlich einige US-Leser neidisch auf die deutschen Ausgaben schauen.

Bernd Frenz