SHELL CORPORATION

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Niemand wird mit Punkrock reich

Das berüchtigte Album Nummer drei zeigt oft, ob eine Band ihre Einflüsse hinter sich lassen kann und einen eigenen Charakter besitzt. Musikalisches Hörnerabstoßen eben. THE SHELL CORPORATION (deutsch: Briefkastenfirma) aus Los Angeles haben das in Form des neuen Albums „Fucked“ via Gunner Records getan. Vor ihrem Konzert im Düsseldorfer AK47 erzählten Sänger Jan und Gitarrist Curtiss, warum der tägliche Kampf gegen Windmühlen auch manchmal beinhaltet, anderen Leuten ans Bein zu pinkeln.

Habt ihr noch nie aufgrund des Namens Stress mit dem Ölkonzern Shell bekommen?

Curtiss:
Wir haben es wirklich versucht, aber es klappt nicht. Manchmal schreiben uns Leute und beschweren sich über die Tankstellen. Ich antworte dann gerne im Namen von Shell und verspreche ihnen Gratisbenzin. Einige sind dann furchtbar enttäuscht, wenn das nicht funktioniert. Ansonsten gab es zwischen Shell und uns keine Berührungspunkte.

Eine Briefkastenfirma tritt nur dann in Aktion, wenn man Geld verschwinden lassen oder waschen möchte. Eine Tour in Europa ist doch heutzutage für eine Punkband der ideale Weg, um Geld zu verbrennen, oder?

Jan:
Richtig! Und wir verbrennen dabei das Geld aus unseren richtigen Jobs. Recycling.

Curtiss: Der Unterschied zur richtigen Geldwäsche ist nur, dass wir unser Geld niemals zurückbekommen. Irgendwo haben wir da einen Fehler im Konzept.

Und dann nörgeln deutsche Fans auch noch über eure sloppy gespielten Live-Konzerte?

Curtiss:
Genau! Einer dieser Typen ist sogar heute Abend wieder hier, ich habe ihn schon gesehen. Patrick heißt er. Auf der letzten Tour war er bei einer Show, bei der wir total ausgelaugt und müde waren. Das war dann keine Glanzleistung. Er meinte dann, wir seien ganz gut, würden aber die Fills immer verpassen. Und ich war so kaputt und dachte nur „Verpiss dich doch einfach“, haha.

Jan, dein Pseudonym ist Jan Quixote. Quixote steht für den anachronistischen Kampf eines tragischen Helden in einem Umfeld, das seine Werte nicht mehr teilt. Inwiefern beziehst du das auf dich oder die Band?

Curtiss:
Genau das bedeutet es, im Jahr 2018 in einer Punkband zu spielen!

Jan: Ein Kampf gegen Windmühlen. Bei mir kommt noch hinzu, dass ich tatsächlich als Techniker für Windkraftanlagen gearbeitet habe. Darum reizt mich diese Analogie doppelt. Niemand wird mehr mit Punkrock reich. Die Neunziger sind lange vorbei. Das war uns von Anfang an klar. Geld war niemals eine Motivation. Wir wollen das einfach tun. Wir haben die Möglich keit zu touren, treffen so viele Leute. In den USA kennen wir in jeder mittelgroßen Stadt jemanden, der etwas organisieren kann. Das fühlt sich super an. Egal wohin du kommst, du hast überall einen Freund.

Curtiss: Selbst bei den augenscheinlich erfolgreichen Bands läuft es finanziell nicht wirklich gut. Ich glaube, das trifft generell auf den Rockbereich zu. Der angenehme Nebeneffekt davon ist, dass alle, die dabeibleiben, wirklich dafür brennen. Man macht es aus Überzeugung und Liebe zur Sache. Das tust du doch nicht, wenn du dir davon einen monetären Gewinn versprichst. Gunnar von Gunner Records denkt da genauso. Er will dabei helfen, gute Musik von netten Menschen herausbringen.

Jan: Wo es kein Geld zu verdienen gibt, lassen Arschlöcher sich nicht blicken.

Curtiss: Und das trifft zu großen Teilen auch auf die Bands zu. In keiner hart tourenden Band findest du noch wirkliche Arschlöcher. Bei den Fanzines ist es doch ähnlich. Vom Ox habe ich sogar schon in den USA gehört, auch vor etlichen Jahren schon. Jans alte Band FIXTURES hatte auch schon mit euch zu tun. Ähnlich wichtig wie das Maximunrocknroll, das gibt es auch schon ewig. Wobei die Typen heute genauso seltsam sind wie früher. Du musst dir mal die Reviews durchlesen. Da scheint es in der Hauptsache darum zu gehen, welche Bands sie am miesesten finden. Oh Mann!

Ihr habt bei den „Bridge City Sessions“ mitgemacht, einer soundtechnisch sehr guten Live-Serie bei YouTube. Werden die Sachen auch veröffentlicht?

Jan:
Wieder so ein freundschaftlicher Kontakt. Wir haben von Anfang an in Portland gespielt, da werden die Sessions aufgenommen. Befreundete Bands haben das vor uns auch schon gemacht. Dort gibt es ein Aufnahmestudio, eine Druckerei, ein paar Künstler arbeiten dort auch. Es ist eine Art lockeres Kollektiv. Sie haben Bands produziert, von den Einnahmen ihr Equipment erneuert und können jetzt auf einem sehr hohen Niveau produzieren. Für viele tourende Bands ist die „Bridge City Session“ mittlerweile ein fester Bestandteil der Tour.

Curtiss: Ich weiß nicht, ob eine Veröffentlichung geplant ist, aber sie sollten das wirklich machen. Das nur auf YouTube zu zeigen, ist fast zu schade.

Der Titel eures neuen Albums ist schlicht „Fucked“. Wer ist damit gemeint? Wir? Ihr? Die ganze Welt?

Jan:
So ist es! Alle drei!

Curtiss: Es ist natürlich kein cleverer Titel. Aber Cleverness erzeugt Hoffnung. Wir und unsere Freunde sind im Moment eher pessimistisch, was die Zukunft betrifft. Wir schauen in den Tunnel, aber können das Licht am Ende nicht sehen. Dieses Gefühl wollten wir einfach beim Namen nennen.

Die dritte Platte zeigt oft, ob eine Band ihren eigenen Sound finden und sich von Einflüssen lösen kann.

Jan:
Klingen wir nicht mehr wie BAD RELIGION?

Curtiss: Oder BILLY TALENT? Wo dieser Verweis herkommt, ist mir völlig schleierhaft. Ich kannte die überhaupt nicht, keinen einzigen Song. Ich weiß auch rein gar nichts über die Band. Aber gehört habe ich den Vergleich schon öfter.

Jan: Vielleicht haben die Jungs von BILLY TALENT ja auch gerne BAD RELIGION und PROPAGANDHI gehört und wir sind zufällig über Umwege bei einem ähnlichen Ergebnis angekommen. Kann sein. Aber ich könnte dir bis heute keinen einzigen Songtitel von denen nennen.

Mich erinnert das neue Album neben BAD RELIGION vor allem an COMMON RIDER. Dazu kommt eine sehr eigene Note. Dein Gesang hat große Ähnlichkeiten mit dem von Jesse Michaels.

Jan:
Echt? Danke, das nehme ich als Kompliment. Anfangs wollten wir eher wie AMERICAN STEEL oder JETS TO BRAZIL klingen. Das hat aber anscheinend nicht geklappt, haha.

Curtiss: Wir wollten unsere Shows kohärenter und energischer machen. Wir sind eine Live-Band und darauf sollte beim Songwriting der Fokus liegen. Wir kennen uns, seit wir elf Jahre alt sind, daher verändern wir uns quasi symbiotisch und nicht unabhängig voneinander. Bei diesem Album haben wir zum ersten Mal nur das gemacht, worin wir wirklich gut sind, und das weggelassen, das wir nur gerne können würden. Mein Freund Billy hat schon immer gesagt, dass es scheiße klingt, wenn wir Reggae spielen, haha. Scheint eine guter Plan gewesen zu sein. Das Resultat klingt nach einer eigenständigen Band.

Das Album wirkt auf mich bezüglich der Reihenfolge der Songs gut arrangiert.

Jan:
Hört man das? Schön, das war unsere Absicht!

Curtiss: Wir haben das Songwriting aufgeteilt. Früher haben wir uns das komplett geteilt und daher klangen unsere ersten beiden Platten, also ob sie von zwei unterschiedlichen Bands stammen würden. Dieses Mal hat Jan das Grundgerüst der Songs akustisch geschrieben und ich habe sie später in ein bandfähiges Gewand gehüllt. So haben wir jeweils die Stärken des Einzelnen genutzt. Ich hasse es, Songs zu schreiben, und Jan hasst es, sie zu arrangieren. So entstand dieser eigene Sound, den du eben angesprochen hast.

Jan: Einige Songs haben sich beim Arrangieren komplett verändert. Ich hatte eher Balladen oder Reggae im Kopf. Und dann entstanden daraus Uptempo-Nummern und ich dachte nur: Oh! Das hat er daraus gemacht? Cool!

Curtiss: Stimmt. „I came for the waters“ zum Beispiel ist der härteste Track auf dem Album und klang vorher wie ein PINK FLOYD-Song. Super langsam, mit spaciger Gitarre.

„One last thing“ ist ein schönes Lied über Beziehungen. Ohne Selbstmitleid und mit wieder erstarkendem Selbstbewusstsein. Ein Trennungssong?

Jan:
Ja. Als ich das Stück schrieb, war ich in einer wirklich schlechten Verfassung. Ich wollte mir mit dieser Fuck-You-Attitüde ein bisschen aus dem emotionalen Loch heraushelfen. Darüber hinweg war ich erst Monate später. Der Song sollte vorwegnehmen, wo ich zu diesem Zeitpunkt schon gerne gewesen wäre. Es war eine Zielmarke für mich.

Euer Video zu „Kumbaya“ ist das subversivste und offensivste Video, das ich seit langer Zeit gesehen habe. Ihr scheint die Leute buchstäblich anpissen zu wollen.

Jan:
Danke! Gut so!

Curtiss: Der Plan war wirklich, etwas Grenzwertiges zu machen, und niemand hatte bislang Donald Trumps Piss-Tape satirisch aufgegriffen. Wie ist das möglich? Völlig unverständlich eigentlich.

Jan: Die Idee kam auf Tour. Curtiss meinte, das Piss-Tape wäre ideal. Wir fanden die Idee in Ordnung, haben aber nicht gedacht, dass er es wirklich durchzieht. Hat er aber doch.

Curtiss: Ich fand es notwendig. Als ich das Video am Computer zusammengebastelt habe, kamen mir schon ein paar kleine Zweifel. Kommen wir damit durch? Prügeln uns irgendwelche Rednecks dafür die Scheiße aus dem Leib? Aber man muss die Leute zwischendurch mal vor den Kopf stoßen.

Jan: Das hat auch funktioniert. Wir haben jetzt ein paar rechtsradikale Trolle auf unserer Facebook-Seite. Und ich habe ein neues Wort gelernt: Soyboy. Wenn man zu viel Soja isst, schadet das der Männlichkeit, weil Soja Östrogen enthält. Deshalb sind wir so verweichlicht. Für die Rechten ist das offenbar die neue Universalbeleidigung für Linke. Tofu macht uns alle zu Betamännchen.

Curtiss: Das mit den Östrogenen stimmt ja, aber man müsste buchstäblich schon einen ganzen Berg an Tofu essen, um überhaupt einen messbaren Effekt zu bekommen. Abgesehen davon ist Soja in unglaublich vielen Lebensmitteln enthalten, insbesondere in Fastfood. Jeder Durchschnittskonsument isst mehr Soja als ein Vegetarier.

Stichwort Politik: Euer Song „Von Braun waltz“ handelt vom deutschen Physiker Wernher von Braun, der erst für die Nazis und dann für die Amerikaner in der Raketenforschung gearbeitet hat. Er sah sich rein als Wissenschaftler und lehnte jegliche politische und ethische Verantwortung ab. Wer sind die heutigen von Brauns?

Jan:
Schwierige Frage! Was den direkten Vergleich mit der heutigen Rüstungsindustrie betrifft, weiß ich natürlich nicht, ob die USA an geheimen Waffensystemen arbeiten. Denkbar ist das schon.

Curtiss: Den ganzen K.I.-Komplex würde ich da nennen.

Jan: Stimmt! Es mehren sich in der Wissenschaft die Stimmen, die vor künstlicher Intelligenz warnen und prognostizieren, dass sie unser Untergang sein könnte. Was passiert, wenn die Maschinen merken, dass wir Menschen ein Haufen Trottel sind, und beschließen uns loszuwerden? Dann wird das Terminator-Szenario wahr, haha. Bei Wernher von Braun fasziniert mich die Dichotomie. Klar, er sollte die Technologie für kriegsentscheidende Waffentechniken liefern, zuerst für die Deutschen, dann für die Amerikaner. Aber ohne diese Forschung und sein Genie wären die Menschen vor Jahrzehnten nicht zum Mond oder heutzutage zum Mars gekommen. Und ohne den Versuch, uns gegenseitig umzubringen, gäbe es in Zukunft vielleicht nicht die Chance, uns zu einer multiplanetaren Spezies zu machen. Auf der Erde werden wir über kurz oder lang aussterben.

Das ist das grundlegende Dilemma von Technologie, alles ist Waffe und Werkzeug zugleich. Gilt das eurer Meinung nach auch für Musik?

Curtiss:
Heute nachmittag in Köln haben Teenies auf der Straße über fette Bluetooth-Boxen eine unsägliche Musik gehört. Das kam einem bewaffneten Angriff schon recht nahe. Wir werden langsam dünnhäutige Rentner, die sich von so etwas belästigt fühlen.Was das Offensive betrifft, hat Rap dem Punk den Rang abgelaufen. Hast du den neuen Childish Gambino-Clip gesehen? „This is America“? Es ist fantastisch. Das wäre das perfekte Punkrock-Video. Leider ist es aber Rap. Sie treffen und fordern die Leute mit ihrer Musik. Eine Waffe ist das vielleicht nicht, aber ein Instrument des Wandels. Musik hilft dir eher dabei, Dinge zu verstehen, anstatt direkt politisch aktiv zu werden. DEAD KENNEDYS, BAD RELIGION, PROPAGANDHI haben meinen Blick auf die Welt erweitert. Kambodscha als vergessener Hinterhof der Welt oder die Auswirkungen des Imperialismus zum Beispiel. Und BAD RELIGION zu hören erweitert dein Vokabular enorm.

Jan: Ich möchte Musik im Allgemeinen und mich im Speziellen nicht zu ernst nehmen. Es ist nur Musik. Es ist nur Punkrock, keine hohe Kunst. Hauptsächlich sollte Musik Spaß machen. Wenn sie dich packt oder dir durch eine schwere Zeit hilft – perfekt. Mehr muss sie nicht sein.