OLD FIRM CASUALS

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Casual Rock'n'Roll

Mit „Holger Danske“ hat die in San Francisco ansässige Band um Lars Frederiksen im Februar ihr neues Album veröffentlicht, das nach „This Means War“ von 2014 tatsächlich erst das zweite ist. Zwar erschienen seit 2011 auf zig Labels zig Singles, EPs und Split-Releases, ein Album ist aber eben doch ein zentrales Element im Schaffen einer Band. Ich spreche mit Casey Watson, Bassist und Sänger, sowie Lars Frederiksen über die Platte, Punk und das Leben generell.

Ihr seid gerade in England unterwegs, und wenn ich das so spöttisch sagen darf, verkauft ihr damit den Briten die Musik, die sie selbst mal erfunden haben.

Casey:
Wir sind ja nicht in erster Linie eine Oi!- oder Punkband, sondern eine Rock’n’Roll-Band. Wir machen unser eigenes Ding, darauf stehen die Leute. Einige der Shows der Europatour waren sogar ausverkauft, überall war es voll, die Reaktionen sind super.

Euer neues Album ist ja auch wirklich gelungen, ein gutes Stück entfernt von da, wo ihr einst angefangen habt. Ist das einfach so passiert oder habt ihr gezielt darauf hingearbeitet?

Casey:
Wir haben darauf hingearbeitet. Wir haben ja alle ganz unterschiedliche musikalische Vorlieben, die von Punkrock und Oi! über Hardcore bis zu Heavy Metal, Death Metal, Seventies-Rock’n’Roll und Country reichen. Wir haben diesmal einfach nur die ganzen Einflüsse eingebracht und das Ergebnis waren ein paar schnelle, wütende Songs sowie ein paar harte Rock’n’Roll-Nummern. Das hat sich ganz natürlich ergeben, und das Ergebnis ist super. Ein paar der Songs haben schon ein paar Jahre auf dem Buckel, wir schreiben ständig neue Stücke, und so spiegelt das Album eine lange Entwicklung wider, die wir seit einiger Zeit durchlaufen, die man aber von außen vielleicht nicht immer so wahrgenommen hat, die sich aber auf der „Wartime Rock’n’Roll“-EP von 2017 schon abzeichnete.

Lars: Das ging so richtig los, als Gabe zur Band kam. Seitdem gehen wir anders ans Songwriting heran, wir erzwingen nichts mehr. Wir versuchen nicht mehr auf Biegen und Brechen etwas zu erreichen, sondern geben uns dem Vibe hin. Der Song „Zombies“ etwa entstand schon zu Zeiten von „A Butchers Banquet“, aber irgendwie passte der damals noch nicht. Stücke wie „Wartime rock’n’roll“ oder „Noddy holder“ passten damals besser zu uns. Das ging seitdem ganz automatisch weiter, jeder brachte seine Ideen ein, Musik wie Texte, und daraus entstehen dann die Songs. Alle in der Band haben es drauf, Casey und Paul haben eher einen Hardcore-Background, Gabe kommt aus dem Punk, und wir alle mögen auch Sachen wie AC/DC, SLADE und ROSE TATTOO, also diesen Street-Rock’n’Roll. Für uns ist die Musik, die wir selbst machen, eine Interpretation all der Musik, die wir mögen – und wir nennen es „Casual Rock’n’Roll“.

Eure bisherigen Platten erschienen alle auf Labels, die in der Oi!-Szene beheimatet sind. Das neue Album ist nun in Europa auf Demons Run Amok raus, einem eher in der Hardcore-Szene angesiedelten Label. Ein bewusster Schritt raus aus einer bestimmten Ecke?

Casey:
Wir sind alte Männer, alle über vierzig, und machen diesen Underground-Rock schon unser ganzes Leben. Und davon werden wir uns nie, nie entfernen, das ist Teil meines Lebens, Teil meiner Lebensweise. Wir machen mit dieser Band einfach, was wir wollen, und haben uns diesmal mit dem Songwriting besonders angestrengt, haben alle Einflüsse eingebracht, die wir so haben, und das Album ist nun das Ergebnis, auf das wir total stolz sind und das wir nun der Welt präsentieren.

Lars: Wir kümmern uns einen Scheiß um irgendwas anderes als darum, gute Musik zu machen – Musik, die wir uns auch selbst mit Genuss anhören wollen. Es kratzt mich nicht im Geringsten, ob irgendjemand ein Problem damit hat. Wie Casey schon sagte, machen wir alle das schon so lange, drei Viertel unseres Lebens. Wir orientieren uns nicht an der Masse, sondern an dem, was wir wollen. Klar sind wir tief in dem von dir erwähnten Genre verwurzelt, aber du kannst mir nicht erzählen, dass SLADE, ROSE TATTOO oder IRON MAIDEN nicht genauso rauh und „von der Straße“ sind wie THE LAST RESORT oder SOCIAL DISTORTION oder COCK SPARRER. Das ist alle die gleiche Art von Kunst. Oder nimm den Skinhead-Reggae und was noch sonst so an Einflüssen in unserem Sound steckt, das macht die Musik für uns einzigartig.

Abgesehen von aktuellem Chart-Müll stelle ich fest, dass ich mit den Jahren musikalisch toleranter geworden bin. Früher war ich da festgefahrener. Wie ist das bei euch?

Lars:
Wir waren schon immer recht breit aufgestellt, mögen harte Rock’n’Roll-Musik, ob nun MADBALL, AGNOSTIC FRONT, AC/DC oder THE LAST RESORT. Und das findet in unseren Songs immer seinen Widerhall. Aber ich mag auch VENOM oder SLAYER, ohne dass man das unserer Musik anhören muss, genau wie die Tatsache, dass Casey auch mal Rap hört, ohne dass das bei uns durchschlägt. Wir wollen Street Music spielen, zu der man mit dem Fuß mitwippen kann.

Casey: Ich bin in den Siebzigern in Kalifornien aufgewachsen, meine Eltern hörten EAGLES, Bob Seger, Jackson Browne, AC/DC, und seitdem ist diese Musik Teil meines Lebens – genau wie AGNOSTIC FRONT und SLAYER. Die werden immer da sein, genau wie die BYRDS und die BEACH BOYS.

Lars: Wenn du ein Mensch bist, für den Musik wichtig ist im Leben, dann geht es dir doch letztlich immer um den Song und erst in zweiter Linie darum, von wem der ist, ob der ein Skinhead ist, einen Iro trägt oder ganz normal aussieht. Meine Kids stehen gerade auf Metal, darauf gehen die ab, und die interessiert es überhaupt nicht, dass ich mein Leben dem Punkrock verschrieben habe. Wichtig ist nur, dass dich die Musik bewegt, das will ich damit sagen. Wobei es natürlich ein Punkt ist, dass wir uns einem Genre bewegen, wo auch die Substanz eine Rolle spielt.

Apropos ... sobald wir irgendwas zu OLD FIRM CASUALS posten, kommt irgendwann ein Hater-Kommentar, und sei es nur wegen deiner Freundschaft zu STOMPER 98. Musik, Bands lösen bei vielen Leuten starke Gefühle aus, in den Social Networks schlägt sich das dann nieder.

Lars:
Ich schenke dem ganzen Scheiß keine Aufmerksamkeit mehr. Die Leute, die mich kennen, die wissen, was ich in meinem Leben gemacht habe. Diese neue Album „Holger Danske“ ist meinem Onkel Vigo gewidmet, der im Zweiten Weltkrieg in der dänischen Widerstandsbewegung gegen die Nazis gekämpft hat, und das dem ganzen Album zugrunde liegende Thema ist der Kampf gegen den Faschismus. Die Leute, die ein Problem mit mir haben, die treten mir nie persönlich gegenüber, die posten immer nur irgendwas im Internet, und das lese ich nicht. Ich ignoriere das, und ehrlich gesagt ist es Zeitverschwendung, überhaupt darüber zu reden. Wenn man sich meine Biografie anschaut, kann man sehen, wo ich ganz unmissverständlich politisch stehe – ich war immer schon antirassistisch und antifaschistisch eingestellt, ich trete ein für Frauenrechte. Echt, warum soll ich auf solche Fragen überhaupt antworten? Es gibt nichts, wofür ich mich entschuldigen muss, ich schulde niemandem eine Erklärung.

Casey: Das sehe ich genauso, und wie Lars schon sagte, schau dir die neue Platte an. Antifaschismus, Frauenrechte, Transgenderrechte, Menschenrechte – dafür sind wir schon immer eingetreten. Wenn die Leute sich über irgendwen das Maul zerreißen wollen, dann sollten sie sich jemanden aussuchen, bei dem das sinnvoll ist. Es wird immer Hater geben, das habe ich schon vor langer Zeit gelernt. Schau mal bei YouTube ein beliebiges AC/DC-Video ein, da sind zig Kommentare, und irgendwer schreibt dann einen Scheiß – bei AC/DC, der größten Rock’n’Roll-Band aller Zeiten! Wie sollen wir da eine Chance haben? Und so versuchen wir einfach nur gute Menschen zu sein und gute Musik zu machen. Sowieso ist meine Erfahrung, dass für die allermeisten Kritiker die simple, alte Erklärung greift: Das ist ja nur der Neid. Von Menschen, deren Leben so langweilig ist, dass sie über das Leben anderer reden müssen, damit sie sich besser fühlen.

Lars: Genau. Wenn du uns nicht magst – fuck off! Ich habe keinen Bock mehr auf solche Diskussionen. Jeder weiß, dass STOMPER 98 eine linke Band sind. Die dürfen sich seit Jahren irgendwelchen Scheiß anhören von Leuten, die den Kopf in ihrem eigen Arsch stecken haben! So, nächste Frage!

Lars, du erwähntest eben schon Holger Danske. Diese historische Person ist auf dem Cover abgebildet, war ihrerseits aber Namensgeber für eine antifaschistische dänische Widerstandsgruppe im Zweiten Weltkrieg.

Lars:
Zuerst sollte das Album „Zombies“ heißen, wie der letzte Track. Je mehr wir aber an dem Album arbeiteten, desto mehr fand ich Gefallen an der Idee es nach Holger Danske zu benennen, dessen Bild auch auf Shirts der dänischen Fußball-Nationalmannschaft zu sehen war und mit dessen Namen eine Fabel aus der dänischen Geschichte verbunden ist. Ich erzählte meiner Mutter von meinen Überlegungen und die antwortete, ob ich nicht wüsste, dass mein Onkel Vigo im Zweiten Weltkrieg Teil einer Widerstandsgruppe mit diesem Namen gewesen sei. Das überraschte mich, aber meine Mutter hat noch nie viel mit mir und meinem Bruder über die schlimmen Dinge geredet, die sie als Kind im Zweiten Weltkrieg miterleben musste – viel Tod und Zerstörung, die der Faschismus mit sich brachte. Das zugrundeliegende Thema des Albums ist der Widerstand gegen faschistische Denkweisen, wie versucht wird, einem zu verbieten, was man sagen und denken darf und was nicht. Es geht um das uramerikanische Prinzip von Freedom of Speech. All die Jahre wurde dieses, gerade auch von der Linken, immer verteidigt, doch in den letzten Jahren kam die Tendenz auf, es okay zu finden, diese unbedingte Redefreiheit einzuschränken. Davon halte ich nichts, ich will doch wissen, wer mein Feind ist. Wenn jemand Faschist oder Rassist ist, soll sich der nicht verstecken können – nur wenn ich weiß, was jemand denkt, kann ich den auch ins Visier nehmen.

Casey: Dass man alles sagen kann, was man sagen will, heißt ja, dass man auch mit den Konsequenzen leben muss. Mein Standpunkt zum Thema Faschismus ist, dass sobald man Menschen vorschreibt, was sie denken, sagen, tragen dürfen, wie sie sich verhalten sollen, in welche Kirche sie zu gehen haben, zu welchem Gott sie beten sollen, dann ist das Faschismus. Schau im Lexikon die Bedeutung nach!

Lars: Und schaut euch die Texte an. Dann wird auch klar, worüber wir bei dieser Platte reden. Und dazu passt dann auch die Mythologie hinter dem Namen Holger Danske: Es ist an der Zeit, dass jemand aufsteht und gegen all das vorgeht.

Punk war in der grauen Vorzeit mal sehr rücksichtslos, wild, provozierend und unverantwortlich. Heute dagegen klingen viele Punkbands wie Stützen der Gesellschaft, sind sehr verantwortlich und engagiert.

Lars:
In unserer Musik wird es immer diese „Scheiß auf alles“-Attitüde geben. Und das kommt daher, dass wir unser ganzes Leben lang schon mit irgendwelchen Vorurteilen zu kämpfen haben. Ich musste immer für meine Einstellung geradestehen, wurde dafür körperlich angegangen, was etwas ganz anderes ist, als wenn jemand im Internet Scheiße über dich verbreitet. Und dann merkst du irgendwann, der Zeitpunkt liegt bei mir schon viele Jahre zurück, dass du nach solchen Erfahrungen zu einer Stimme der Vernunft geworden bist. Ich musste ständig Kämpfe verschiedenster Art austragen, und die echte Essenz meines Lebens ist Punkrock, Hardcore, der Underground. Und mit so einem Hintergrund hast du eben Einblicke, die jemand mit einer Mainstream-Biografie nicht hat. Im Punkrock schlagen sich so viele frische Ideen nieder, die Menschen außerhalb davon nicht kennen lernen. Punkrock ist ein wundervoller Lernort, man lernt, für seine Ideen einzustehen, schließt Freundschaften – es ist für mich das Modell, wie die Gesellschaft sein sollte. Und deshalb lebe ich mein Leben nach und mit dieser Punk-Moral. Und je älter ich werde und je abgefuckter die Welt wird, desto mehr bringe ich meine Stimme zu Gehör.

Casey: Jeder in der Band hat seine politische Meinung, aber uns eint, dass wir das System hassen – ganz egal, ob der Präsident ein Republikaner oder ein Demokrat ist. Unser Justizsystem funktioniert nicht, unser Wahlsystem funktioniert nicht, wie sollen wir da auf faire Behandlung hoffen?

Lars: Ich beurteile niemanden danach, woran er glaubt, auch wenn ich Religion und Gott und das alles für totalen Blödsinn halte. Ich bin aber durchaus ein spiritueller Mensch, ich glaube daran, dass man sich um die verdammte Erde kümmern muss. Ich bin stolz auf meine heidnischen Wurzeln, daraus ziehe ich meine Spiritualität.

Casey: Es gibt den alten Punk-Spruch „You don’t have to fuck people over to survive“, und das ist meine Maxime.

Lars: Unsere Kirche, unsere Partei ist die Musik.

Casey: Vote for the Casual Rock’n’Roll Party!

 


Diskografie

„We Want The Lions Share“ (7“, Randale, 2011) • „Army Of One“ (7“, Oi! The Boat, 2011) • „For The Love Of It All ...“ (LP/CD/Comp, Oi! The Boat, 2013) • „This Means War“ (LP, Oi! The Boat, 2014) • „A Butchers Banquet“ (12“/CD, Oi! The Boat, 2016) • „Wartime Rock’n’Roll“ (12“/CD, Rebellion, 2017) • „Holger Danske“ (CD, Demons Run Amok, 2019)