SAMIAM

Foto© by Joachim Hiller

Eine Band ist wie eine Zigarette

Gitarrist Sergie Loobkoff sitzt entspannt und in Plauderlaune in seinem Homeoffice an der Westküste der USA. Nach und nach schalten sich auch Gitarrist Sean Kennerly und Sänger Jason Beebout aus anderen Teilen des Landes zum Gespräch dazu, bei dem es neben dem neuen Album „Stowaway“ vor allem auch um das 35-jährige Bestehen der Band geht. Eine lange Karriere, bei der sie erstaunlich wenig Kompromisse eingegangen sind.

Dieses Jahr feiern SAMIAM ihren 35. Geburtstag. Denkt ihr darüber häufig nach?

Jason: Natürlich ist mir diese Tatsache bewusst, aber ich reflektiere das nicht großartig. Ich fühle mich ohnehin noch wie derselbe Idiot, der ich mit 25 war. Nur die Klamotten von damals passen nicht mehr.
Sean: Wenn man so lange eine Band hat, macht man sich definitiv keine Gedanken mehr darüber, was andere so treiben, was gerade angesagt ist oder ob man da mithalten kann.
Jason: Nach 35 Jahren ist man mit dem Thema durch, sich immer wieder zu fragen, ob man den Leuten gefällt oder was man dafür tun muss.
Sergie: Das haben wir uns aber ohnehin nie gefragt. Natürlich gab es Leute, die uns mochten, aber wir haben es nie darauf angelegt.

Auch auf der Bühne wart ihr nie eine Band, die übermäßig mit dem Publikum interagiert und sich ständig überschwänglich bedankt. Als ich euch vor zwanzig Jahren gesehen habe, hat mich das etwas irritiert, aber mit der Zeit eher beeindruckt.
Jason: Generell fühle ich mich nicht wohl damit, Komplimente zu machen oder welche zu bekommen. Lass es mich so sagen: Ich kann mit jemandem still in einem Raum zusammensitzen, ohne dass ich zwanghaft kommunizieren müsste, um mich wohl zu fühlen. Ich bin kein undankbarer Mensch, aber ich muss auch nicht ständig alles verbalisieren.
Sergie: Es ist nicht so, als hätte ich mich nicht schon unzählige Male auf der Bühne zu Jason gebeugt und ihn gebeten, doch mal einen Shoutout für die Vorband zu machen. Und er bedankt sich wortwörtlich bei der „ersten Band“, weil er den Namen nicht auf dem Schirm hat. Wir waren schon mit Bands auf Tour, die jeden Abend an derselben Stelle im Set die immer gleiche Rede gehalten haben und außer den Fans auch noch dem Club gedankt haben und man solle doch dem Barmann genug Trinkgeld geben und so weiter. Es war irgendwann nur noch einschläfernd. Nun, Jason ist eben das komplette Gegenteil davon.
Jason: Aber es freut mich, dass du das zu schätzen weißt. Danke, danke, danke!

35 Jahre Bandgeschichte sind eine Leistung, aber wie viel bereut man nach so einer langen Zeit?
Sean: Oh, die Liste ist lang. Es fühlt sich schon so an, dass die Band ein Erfolg ist, aber gleichzeitig ist es auch eine Geschichte des Scheiterns. Von einem geschäftlichen Standpunkt aus gesehen, allein was das Geld oder auch was unsere Popularität betrifft, kann man die Sache nicht schönreden. Für unser persönliches Wohlbefinden und die kleine Gruppe von Followern haben wir aber alles richtig gemacht. Ich glaube allerdings, dass fast jede Band so etwas sagen würde. Es gibt Momente, da möchtest du nur noch heulen, und im nächsten Augenblick haben wir uns alle lieb. Man muss sich also immer wieder fragen, ob es noch Spaß macht, und manchmal kann das eine schwierige Frage sein.
Jason: Es muss um den Spaß gehen, denn wir verdienen kein verdammtes Geld damit. Es ist ein bisschen wie Zigaretten rauchen: Es schmeckt nicht gut, aber es befriedigt ein bestimmtes Bedürfnis. Wobei, die ersten Zigaretten machen auch keinen Spaß. Vielleicht ist es mehr wie Heroin?
Sean: Du meinst also, dass wir nur noch dabei sind, weil wir süchtig nach SAMIAM sind?
Jason: Genau, wir sind eine Gruppe von Meth-Süchtigen.
Sergie: Wir machen das nur, weil wir keine Kraft haben, uns von der Band zu lösen.

Anscheinend seid ihr aber noch nicht gänzlich im Sumpf eurer Sucht versunken. „Stowaway“, das zwölf Jahre nach seinem Vorgänger erscheint, klingt frischer, als man es von einer Punkband mit so einer langen Geschichte erwarten würde.
Jason: Einerseits gibt es da schon eine große Komfortzone, in der Sean, Sergie und ich unsere Songs schreiben, aber trotzdem hat die lange Zeit zwischen den Alben dafür gesorgt, dass wir uns viele Dinge ganz neu erarbeiten mussten. Ich hatte teilweise einfach vergessen, wie ich das früher gemacht hatte. Dadurch habe ich vieles ausprobiert, neu oder anders gemacht. Was mir gefällt, ist, dass die Songs der Platte mich an ganz verschiedene Phasen der Band erinnern.
Sean: Das stimmt. Der Song „Shut down“ zum Beispiel, den Sergie geschrieben hat, könnte so auch in den Neunzigern entstanden sein, aber dann gibt es auch wieder ganz andere Einflüsse.
Jason: Die Songs sind erkennbar unterschiedlich. Während andere Bands an ihrem Signature-Sound feilen, verfolgen wir immer wieder einen anderen Ansatz.

BAD RELIGION könnten das auf jeden Fall nicht von sich behaupten.
Jason: Aber die Leute lieben BAD RELIGION und sie werden auch immer das bekommen, wonach sie suchen.
Sergie: Ich würde bestimmt nicht behaupten, dass SAMIAM die beste Band der Welt sind, aber wir haben uns zumindest nie bei irgendwelchen Trends angebiedert. 1994 hätte es uns wahrscheinlich sehr geholfen, wenn wir mehr wie GREEN DAY, THE OFFSPRING oder BAD ­RELIGION geklungen hätten, aber wir haben eben immer nur wie SAMIAM geklungen. Hätten wir uns damals anders verhalten, wäre uns das zu dem Zeitpunkt wahrscheinlich zugute gekommen, aber heute würde man sich an uns nur noch als Trittbrettfahrer erinnern. Stattdessen haben wir uns behauptet, machen immer noch neue Platten und die Leute erkennen uns für das an, was wir sind.

Wie lange werdet ihr noch die Strapazen des Tourlebens auf euch nehmen?
Jason: Ich bin 52 Jahre alt, eigentlich bin ich jetzt schon zu alt dafür. Würden wir mehr Geld verdienen, könnten wir es uns wahrscheinlich angenehmer gestalten, aber so ist es ein Van und Übernachtungen in schäbigen Hotels. Zumindest schlafen wir aber nicht mehr bei irgendjemandem auf dem Fußboden.
Sergie: Allgemein habe ich mehr über das Altern nachgedacht, als ich in meinen Dreißigern war. Jetzt weiß ich, dass ich die Reißleine exakt dann ziehen werde, wenn ich merke, dass die Leute sich über mich lustig machen.