BROADWAY CALLS

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Making Pop-Punk political again!

Trotz zuckersüßer Melodien einen politischen Anspruch haben und ein düsteres Weltbild zeichnen – die DOPAMINES sind dafür Spezialisten, aber eben auch BROADWAY CALLS aus Portland, Oregon. Vielleicht ist es der Tradition einflussreicher Hardcore-Bands ihrer Heimatstadt geschuldet, dass das Trio sich nicht klassischen Bubblegum- und Surf-Themen widmet. Nach knapp sieben Jahren Tonträgerabstinez wird jetzt etwas von einem neuen Release gemunkelt. Wir erkundigten uns bei Sänger und Gitarrist Ty nach den neuesten Entwicklungen.

Ty, wo erwische ich dich gerade?


Zu Hause. Ich habe einen großartigen Start in den Tag gehabt. Bin zu Hause aufgewacht, habe mir die neuen Mixe unserer bald erscheinenden Platte angehört, mit meinem Hund Desmond rumgehangen, Kaffee getrunken und Pot geraucht.

Ihr habt euch mit der Band eine längere Pause gegönnt. Warum seid ihr kürzer getreten? Und wie kam es dazu, dass ihr jetzt doch wieder Lust habt, neues Material zu schreiben?

Ja, als 2013 „Comfort/Distraction“ herauskam, war ich wirklich glücklich damit. Ich dachte, es sei unsere beste Platte, aber nach ein paar Touren war etwas die Luft raus. Wir haben noch einmal Nordamerika und Westeuropa besucht, und dann wollte ich nicht mehr unterwegs sein. Ich hatte so viel Scheiße im Kopf, die ich verpacken musste. Ich habe mir viel Zeit genommen und musste an einen Punkt kommen, wo die Band keine Belastung mehr für mich ist. Wo ich mich nicht schuldig fühle, wenn ich nicht auf Tour bin. Wo ich keine Missgunst gegenüber anderen Bands empfinde, wenn ich glaube, dass wir bei einer Show übergangen wurden. Ich hasse den „Plattenzyklus“ und die kapitalistische Geschäftsseite der Musikindustrie. Das hat mir Kopfkino bereitet, und so habe ich mir die eine Auszeit genommen. Wir haben uns als BROADWAY CALLS aber nie getrennt. Wir haben einfach aufgehört, so viel zu touren. Die anderen Jungs in der Band haben Familien und Firmen, um die sie sich kümmern müssen. Es machte einfach auf so vielen Ebenen keinen Sinn, das Tempo, das wir seit 2006 hatten, aufrechtzuerhalten. Aber wir haben nie aufgehört, Shows zu spielen, wenn wir darum gebeten wurden. Wir haben uns entschieden, eine weitere Platte zu machen, weil wir uns die Zeit genommen hatten, zuerst einmal die persönlichen Dinge in unserem Leben zu ordnen.

Eine Auszeit ganz ohne Musik? Ernsthaft?

Nebenbei haben wir alle weiter Musik gemacht. Josh und Adam haben eine Country-Band namens WONDERLY ROAD. Sie haben eine sehr gute LP aufgenommen und sind bereit für mehr. Ich habe keine Ahnung, warum sie nicht schon längst damit durchstarten. Ich habe mit einigen sehr guten Freunden aus Portland eine Hardcore-Band namens DEAD TROPICS gegründet. Wir haben eine EP mit Jack Shirley aufgenommen und einige kleinere Konzerte gespielt. Ich liebe es, einfach nur Gitarre zu spielen und zu shredden, ohne mir Gedanken über den Gesang machen zu müssen.

Nach Hardcore wieder Pop-Punk. Ein Genre, in dem es schwierig ist, ein Alleinstellungsmerkmal zu haben. Der Sound ist sehr limitiert.

Nein, das glaube ich überhaupt nicht. Es gibt alle möglichen seltsam unterschiedlich klingenden Pop-Punk-Bands auf der ganzen Welt. Das Problem ist die Trennung der Szenen. Die Leute ignorieren Bands, die sie lieben könnten, wegen der unsichtbaren Linien auf den Landkarten. Guckt über den Tellerrand! Wir versuchen, mit Hardcore-Bands, Pop-Bands und Country-Bands zu spielen. Wenn man zu Menschen außerhalb der eigenen Szene durchdringen kann, ist das ein Erfolg. Und ich denke, das schafft man mit guten Texten und einer guten Live-Show.

Was fasziniert dich an dieser Art von Musik?

Sie ist so einfach zu spielen. Das meintest du wahrscheinlich auch mit dem Wort „limitiert“, oder? Drei oder vier Akkorde machen die besten Popsongs aus, aber man kann so viele verschiedene Dinge mit Melodie und Text machen, die einen einfachen Song großartig werden lassen können. Ich spiele Pop-Punk in unterschiedlichsten Formen, seit ich zwölf Jahre alt bin und meinen ersten NIRVANA-Song gelernt habe. Seit einem Vierteljahrhundert dieselben vier Akkorde! Und ich werde immer noch besser im Schreiben von Songs. Das fasziniert mich.

Welche Relevanz hat Pop-Punk im Jahr 2020 noch? Ist er nicht ein nostalgischer Soundtrack für Thirtysomethings geworden?

Nein! Laute Gitarren und einfache Texte werden nie irrelevant sein.

Stichwort: einfache Texte. Pop-Punk ist häufig inhaltlich wenig politisch. Bei euch ist das etwas anders. In dem Son „Be all that you can’t be“ kritisierst du etwa das amerikanische Militär und seine Rekrutierungsmethoden. Siehst du euch als eine politische Band?

Ich würde nie für Adam und Josh über ihre Politikauffassung sprechen, weil ich nicht möchte, dass jemand das für mich tut. Aber ja, da ich die Texte schreibe, betrachte ich uns als eine politische Band. Ich habe immer Antikriegslieder und wütende Songs darüber geschrieben, wie Amerika die Welt missbraucht. Meiner Ansicht nach sind die Rekrutierungsaktivitäten des US-Militärs an öffentlichen Schulen eine vom Steuerzahler finanzierte Form des Kindesmissbrauchs. Es ist der Staat, der die armen, unterprivilegierten Kinder zu Mördern ausbildet. Es ist ekelhaft, deshalb habe ich ein Lied darüber geschrieben. Ich habe auf unseren Shows mit Leuten oft hitzige Gespräche darüber geführt, und so manche Abwehrhaltung gegenüber meinem Standpunkt aufweichen können. Dafür lohnt es sich schon.

Findest du, dass Pop-Punk generell politischer sein sollte? In seiner Einfachheit erinnert er mich oft an Singer/Songwriter-Musik, die auch sehr engagiert sein kann.

Auf jeden Fall. Billy Bragg war definitiv eine große Inspiration für mich. Auch hier geht es nur um drei oder vier Akkorde. Ich schreibe immer noch eine gute Anzahl an Liebesliedern, denn das ist für mich eine wichtiges emotionales Ventil, um mit mir und der Welt klarzukommen. Am meisten haben mich immer wütende Protestsongs und die süßesten Liebeslieder angezogen. Also versuche ich, mich beidem zu widmen. In letzter Zeit haben meine politischen Texte zwar einen sehr aggressiven, düsteren Ton bekommen, andererseits waren meine Liebeslieder noch nie süßer.

Ich habe Ende 2018 neue viel versprechende Songs von euch bei der Bridge City Session auf YouTube gesehen. Wartet da eine neue 7“?

Diese Lieder werden es alle auf unsere kommende LP schaffen, die dieses Jahr auf Red Scare Industries aus Chicago herauskommen wird. Sie waren als Label unsere erste und einzige Wahl für eine Zusammenarbeit, und wie durch ein Wunder haben sie ja gesagt. Zu unserer Europatournee gibt es aber auch eine 7“. Ein Liebeslied namens „Meet me on the moon“ und auf der Flipside eine neu aufgenommenen Version unseres alten Songs „Call it off“.

Plant ihr, mit einem guten Label im Rücken die Band als Vollzeitjob zu betreiben?

Ich habe nicht vor, so viel wie früher auf Tournee zu gehen. Ich glaube, dass sowieso niemand mehr so hart tourt. Die meisten Bands haben erkannt, dass man sich mit ein paar sechswöchigen Touren pro Jahr schnell selbst schnell verheizen kann. Aber wir haben vor, Shows auf der ganzen Welt zu spielen. Wir werden es einfach klüger angehen als früher und aus unseren Fehlern der Vergangenheit lernen. Berufsmusiker sein ist etwas, das man nicht auf die leichte Schulter nehmen darf. Wenn wir es uns leisten könnten, neben unseren Jobs Musik zu machen und dann vielleicht damit Geld zu verdienen, wäre das schön, aber wir betrachten das nicht als selbstverständlich.

Ihr kommt mit den FLATLINERS auf Tour nach Europa. Verbindet euch eine spezielle Freundschaft?

Ja, wir lieben die FLATLINERS! Sie gehören zu den besten Freunden, die wir durchs Musikmachen gewonnen haben. Mit ihnen waren wir ein paar Mal in Nordamerika unterwegs und tatsächlich haben wir ihre Tour zum Album „Cavalcade“ vor zehn Jahren als Support begleitet. Deshalb ist es so cool, dass sie uns dieses Jahr nach Europa bringen, um den zehnten Jahrestag dieser Killerplatte zu feiern. Der Kreis schließt sich sozusagen.

Ihr wart auch mehrfach mit ALKALINE TRIO unterwegs. Hand aufs Herz: Wo gefällt dir Matt Skiba besser – bei Alk-3 oder BLINK-182?

Ich habe Skiba mit BLINK-182 im vergangenen Sommer zweimal gesehen, als sie mit Lil Wayne auf Tournee waren, und ehrlich, er ist der Hammer in dieser Band. Seine Stimme hat nie stärker geklungen. Aber ALKALINE TRIO sind für immer und ewig meine Favoriten. Wenn etwas Neues von ihnen rauskommt – ich bin der Erste, der es hat.