CLEARXCUT

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Bei jemanden, der die Hardcore-Szene der Neunziger mitbekommen hat, könnte der Eindruck entstehen, dass die Straight-Edge-Bewegung nicht mehr so aktiv und präsent ist wie damals noch. Schlagzeuger Max von CLEARxCUT hat eine andere Sicht der Dinge, denn mit „Age Of Grief“ steht ein neues Album der deutschen Vegan-Straight-Edge-Hardcore Band an.

Als jemand, der selbst seit knapp dreißig Jahren straight edge lebt und die Zeit der Neunziger erlebt hat, wie ist es 2024 um die SxE-Szene in Deutschland bestellt?

Das ist gar nicht so einfach zu beantworten, wenn man seit Jahren in dieser „Bubble“ lebt und keinen objektiven Überblick hat. In meiner Wahrnehmung ist die Szene in Deutschland nach wie vor verhältnismäßig groß. Wir erleben auf unseren Konzerten und denen anderer Straight-Edge-Bands einen großen Andrang. Hier in Berlin haben Aktivistengruppen wie Berlin Straight Edge viele Anhänger. Insgesamt habe ich aber das Gefühl, dass die Anzahl der reinen Straight-Edge-Veranstaltungen und -Konzerte zurückgeht. Es werden Ausnahmen gemacht, wie zum Beispiel das Involvieren von Nicht-Straight-Edge-Bands, Ausschank von Alkohol und keine Rauchverbote in Venues. Ich möchte gerne glauben, dass man damit versucht, mehr Personen „reinzulassen“, um offener in den Austausch zu gehen und gegebenenfalls Interesse für die Sache zu erzeugen oder Vorurteile wie zum Beispiel Elitarismus aus dem Weg zu räumen. Realistischer wäre aber eher der kapitalistische Kontext: mehr Teilnehmer gleich mehr Geld. Ich würde mich jetzt aber auch überhaupt nicht als Experte hinstellen wollen. Das ist alles meine persönliche Wahrnehmung.

Eine ähnliche Frage zum Thema Vegan: Auch wenn man sich hier schon seit den Neunzigern damit auseinandersetzt, hat sich ja vieles verändert. Der vegane Lebensstil, den ich damals nur aus der Hardcore-Szene kannte, ist Teil des Mainstreams geworden. Hat sich da also was verbessert? Und hatten Vegan-Metal-Hardcore Bands daran einen Anteil?
Mainstream ist so negativ konnotiert ... zumindest in gesellschaftlicher Hinsicht. Ich bin überzeugt, dass in den letzten Jahren insgesamt das Bewusstsein für Klima-, Umwelt- und Tierschutz enorm angestiegen ist, weil ein nicht unerheblicher Teil der Menschen sich kritisch mit der Vergangenheit auseinandersetzt und reflektierter in eine derzeit aussichtslose Zukunft schaut. Die stetig wachsende Anzahl von vegan lebenden Personen ist natürlich der Wirtschaft aufgefallen und Firmen haben dahingehend für sich einen veganen Mainstream geschaffen. Und das ist meiner Meinung nach erst mal gar nicht so schlecht, gerade in Hinsicht auf Nahrungsmittel und Ersatzprodukte, die vielen den Umstieg erleichtern. Ich würde schon sagen, dass vegane Metal-Hardcore Bands ihren Beitrag geleistet haben, zumindest szeneintern und die Szene ist ja riesig. Dass wir mit unserer Musik und Message jetzt aber nicht den Schlager-Klaus vom Dorf erreichen, ist uns allerdings auch klar.

Ich kann mich erinnern, dass sich damals Leute aus der Szene gegen Jäger ausgesprochen haben, da wurden auch Hochsitze angesägt und Ähnliches. Heute ist der Aktivismus ein anderer. Wie sieht das bei dir aus? Hat sich in deiner Wahrnehmung etwas verändert, was die Haltung zu Straight Edge und Veganismus angeht?
Die Kritik am Beruf des Jägers hat auch heute noch aufgrund der verbreiteten Ansicht, er wäre nötig und sinnvoll, durchaus ihre Daseinsberechtigung. Das ist allerdings ein systemischer Irrglaube, das auszuführen würde jetzt aber den Rahmen sprengen. Ich selbst finde allerdings, dass Aktivismus, der das Leben anderer – egal welcher Spezies – in Gefahr bringt, seine Ziele und Wirkung verfehlt. Es benötigt auf jeden Fall ein gewisses Maß an Radikalität, aber nicht so. Du hast recht, der Aktivismus heutzutage ist anders. Ruhiger und dennoch bestimmt. Vieles hat sich verlagert und passiert vor allem medial und online, ist deswegen aber nicht weniger wirkungsvoll oder relevant. Ich lebe jetzt seit knapp zehn Jahren vegan und merke auch persönlich diese Veränderung. Ich war anfangs sehr wütend und das musste raus. Wer sich ganz frisch mit der Realität unseres Umgangs mit Tieren und Umwelt auseinandersetzt, kann das sicherlich nachvollziehen. Heute bin ich ruhiger geworden. Ich habe gelernt, dass man mit der Judgment-Keule und Fingerpointing die Leute nicht wirklich erreicht. Es bedarf konsequenter Aufklärungsarbeit und des Austauschs von Informationen und ich bin froh über die vielen Aktivismus-Gruppen, die diese Arbeit unermüdlich leisten. Und doch bin ich leider von Teilen der veganen Szene genervt: so viel Gebashe untereinander, „ich bin viel länger vegan, ich bin eine viel besser vegan lebende Person“, das Verbreiten von Fehlinformationen, zum Beispiel zum Wasserverbrauch, und die weiterhin vereinzelt bestehenden elitären Gruppen, deren Aktivismus darin besteht, Nicht-Veganern zu sagen, wie scheiße sie sind. Was man mit dieser Art von Selbstinszenierung lediglich erreicht, ist das fälschliche persönliche Wohlbefinden, etwas Gutes getan zu haben, aber langfristig ist den Tieren und der Umwelt damit nicht geholfen, weil es die Menschen eher abschreckt, so dass sich selbst vernünftig denkende oder aufgeschlossene Personen der eigentlich guten Argumentation komplett verschließen. Das alles lässt unsere Community leider in schlechtem Licht dastehen und Ähnliches lässt sich wohl auch über den Elitarismus der Straight-Edge-Szene sagen. Versteh mich bitte nicht falsch, ich stehe für kompromisslosen Veganismus und einen kompromisslos cleanen Lifestyle, aber ich denke auch, um jemanden dafür zu gewinnen, müssen wir von unseren hohen Rössern runter und den Menschen auf Augenhöhe begegnen, damit die Haltung uns gegenüber offener wird.