COLD YEARS

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Hoch hinaus!

COLD YEARS könnten das nächste große Ding werden. Die schottische Band macht auf ihrem neuen Album „Goodbye To Misery“ einen Punkrock-Sound, der mal an THE MENZINGERS, mal an THE GASLIGHT ANTHEM erinnert – und doch ganz klar eigene Akzente setzt. Obendrein haben Ross Gordon (voc, gt), Louis Craighead (bs), Finlay Urquhart (gt) und Fraser Allan (dr) jetzt auch noch das gleiche Management wie Brian Fallon und Co. in ihren Anfangstagen. Die Voraussetzungen für einen kometenhaften Aufstieg scheinen also geschaffen. Im Interview verrät Ross, wie hoch er mit COLD YEARS hinaus will.

Ross, du bist aus Aberdeen weggezogen und lebst jetzt in Glasgow. Es ist das erste Mal, dass du deiner Heimat so richtig den Rücken gekehrt hast. Warum?

Ich hatte echt keine Lust mehr auf Fernbeziehung. Deshalb bin ich vor einem Jahr hierher gezogen. Es war ein großer Schritt für mich, aber genau der richtige. Ich vermisse Aberdeen, es wird immer meine Heimat bleiben. Aberdeen liegt mir im Blut. Vor allem die Menschen fehlen mir. Aber es war einfach an der Zeit. Vor kurzem ist auch unser Bassist Louis hierher gezogen. Jetzt leben zwei Drittel der Band in Glasgow.

Und was macht ihr dort so?
Tagsüber arbeite ich als Einkäufer, und abends kümmern wir uns um COLD YEARS.

Was genau kaufst du ein?
Ach, Glasflaschen, Whiskeyflaschen, Ginflaschen, so ein Zeug. Aber das ist extrem kompliziert geworden. Die Wirtschaft, die ganze Welt spielt einfach verrückt. Der Brexit hat alles schwieriger gemacht. Es kotzt mich einfach nur noch an.

Was meinst du damit?
Schottland ist vom Brexit sehr stark betroffen. Die Industrie ist drastisch eingebrochen, die Energiekosten radikal gestiegen, die Autos viel teurer und die Hauspreise unbezahlbar. Der Brexit war der größte Fehler, den das Land je gemacht hat.

Dabei haben die Schotten ja mehrheitlich für den EU-Verbleib gestimmt.
Ja, mehr als 60% wollten drin bleiben. Das spaltet. Es ist nicht meine Regierung, nicht meine Queen, nicht meine Monarchie, nicht mein Land.

Das passt zu eurem neuen Song „Britain is dead“. Darin sagst du, dass es keinen einzigen Grund gibt, stolz auf das Vereinigte Königreich zu sein. Mal anders gefragt: Worauf bist du denn stolz?
Ich bin stolz darauf, Schotte zu sein. Ich bin stolz darauf, Teil einer toleranten Gesellschaft zu sein, die Einwanderer willkommen heißt und sogar für sie auf die Straße geht und protestiert. Ich bin stolz darauf, nicht dem Right-Wing anzugehören und nicht diese menschenverachtenden Ansichten zu vertreten. Ich bin stolz auf die Punk-Community, die wir hier haben. Für mich bedeutet Schotte zu sein vor allem eines: anders zu sein. Und deshalb bin ich ganz sicher nicht stolz auf das, was südlich von unserer Grenze abgeht.

Wie wirkt sich der Brexit auf euch als Band aus?
Das ist ein riesiges Problem. Du musst für eine Tournee mega viel Papierkram erledigen, die Steuern sind viel höher, du brauchst für jedes Land eine eigene Aufenthaltsgenehmigung. Um es kurz zu machen: Für uns ist es mittlerweile einfacher und günstiger, durch die USA zu touren als durch Europa. Das ist ein Desaster. Wir haben aber noch Glück, dass wir so viel Unterstützung bekommen und ein tolles Management haben. Es gibt so viele Bands, die das nicht haben und für die es dadurch nahezu unmöglich geworden ist, in Europa zu touren.

Okay. Genug über den Brexit gesprochen. Nächstes Thema: Corona.
Haha. Oh, Mann. Du schaffst mich.

Euer erstes Album „Paradise“ ist vor der Pandemie erschienen, das zweite „Goodbye To Misery“ mittendrin. Worin liegen die Unterschiede?
Das erste Album ist in einer völlig anderen Lebensphase entstanden: Ich befand mich in einer toxischen Beziehung, ich hatte einen Job, der mich unglücklich machte, ich trank zu viel, ich feierte zu viel, ich lebte noch immer in meinem Heimatort, der mich mehr und mehr einengte. Es war einfach eine andere Zeit. Dennoch haben wir extrem hart an unserem Debütalbum gearbeitet, viele Opfer gebracht. Und dann – als es endlich so weit war und das Album gerade erschienen ist – brach die Pandemie über uns herein. Das bedeutete: Wir konnten nicht touren, wir konnten unsere neuen Songs nicht live spielen. Das war hart. Und dann rief unser Label an.

Und hat was gesagt?
Die Wahrheit: Dass wir wahrscheinlich in den nächsten ein, zwei Jahren nicht touren werden.

Und?
Und dass es doch eine gute Idee wäre, direkt ein neues Album nachzulegen.

Wie habt ihr reagiert?
Wir haben sie gefragt, ob sie verrückt geworden sind. Das war erst einmal ein total absurder Gedanke für uns. Aber irgendwann wurde uns klar, dass sie recht hatten. Es ergab Sinn, an einem neuen Album zu arbeiten. Also haben wir uns dran gemacht.

Und herausgekommen ist „Goodbye To Misery“. Warum ist es anders als der Vorgänger?
Die Pandemie hat mit all ihren Lockdowns dafür gesorgt, dass ich mich mehr mit mir selbst beschäftigen musste. Ich saß also auf dem Sofa und habe überlegt, was ich in meinem Leben ändern sollte. Und dann habe ich das gemacht. Früher habe ich viel Zeit damit verschwendet, wütend zu sein. Auf alles und jeden. Das ging schon in meiner Kindheit los, und ich hatte mich nie wirklich damit auseinandergesetzt. Das ist heute anders. Ich habe hart an mir gearbeitet – auch mit therapeutischer Unterstützung – und mittlerweile kapiert: Wut und Gewalt bringen dich im Leben nicht weiter. Aber Hoffnung und Optimismus schon. Das heißt natürlich nicht, dass ich nie mehr wütend werde. Das passiert schon noch ab und zu.

Wann zum Beispiel?
Na ja, wenn ich mir den kleinen Zeh an der Türkante anhaue, dann könnte ich ausrasten. Haha! Aber ich denke, das ist auch legitim und nicht schlimm.

Du sprichst von Hoffnung und Optimismus. Geht es darum auch auf dem neuen Album?
Ja, absolut. Hoffnung, Freude und Positivität – darum geht’s. Nach dieser harten Zeit, die hinter uns und noch immer vor uns liegt, wollten wir definitiv kein melancholisches Album machen. Es geht uns doch allen so: Musik kann deine Stimmung verändern, Musik kann deine Wahrnehmung verändern, Musik ist immer für dich da – in deinen besten und schlechtesten Zeiten. Und genau das wollten wir uns zunutze machen – und den Leuten ein positives Gefühl mitgeben. Wenn wir es schaffen, auch nur einen Funken Optimismus zu zünden, dann haben wir alles richtig gemacht.

Klappt es bei dir selbst, wenn du das Album hörst?
Ja. Ich bin extrem glücklich mit „Goodbye To Misery“. Ganz ehrlich: Das ist wohl das erste Album, an dem ich selbst mitgewirkt habe, das ich mir auch anhören kann. Haha! Es gibt mir wirklich ein sehr gutes Gefühl und strotzt vor Energie.

Jetzt geht ihr endlich auf Tour. Wie sieht euer Jahr aus?
Wir sind für einige Konzerte in Deutschland, touren dann mit Laura Jane Grace durch Österreich, Italien, die Schweiz, Polen, Tschechien, Frankreich, Belgien sowie Großbritannien. Danach kommen wir im August noch mal nach Deutschland – wieder mit Laura Jane Grace. Heißt: Wir spielen einerseits in kleinen Clubs, andererseits aber auch vor größeren Mengen. Und dann sind wir noch auf einigen Festivals vertreten. Das ist die perfekte Mischung! Ich kann es ehrlich gesagt kaum erwarten, endlich wieder live vor einem Publikum zu spielen. Dafür lebt man ja schließlich als Musiker. Es war echt hart, das so lange nicht machen zu können.

Umso schöner, dass es jetzt wieder möglich ist! Ihr spielt dieses Jahr mal vor 150 Leuten, mal vor ein paar tausend. Wo soll die Reise hingehen? Wie hoch hinaus wollt ihr mit COLD YEARS?
Wir müssen nicht die größte Band der Welt werden. Aber es wäre wirklich fantastisch, wenn wir von unserer Musik leben könnten. Das ist doch der Traum eines jeden Musikers: die Rechnungen mit den eigenen Songs bezahlen zu können. Im Moment haben wir alle drei noch einen Job, und das kostet nicht nur extrem viel Kraft, sondern schränkt auch unsere künstlerischen Möglichkeiten ein.

Inwiefern?
Na ja, wir haben einfach deutlich weniger Zeit, um uns auf die Band zu fokussieren und sie voranzubringen. Wir können nicht die Zeit reinstecken, die wir gerne investieren würden. Die Entstehung des neuen Albums zum Beispiel war wirklich hart: Wir alle haben bis abends gearbeitet, anschließend bis nachts um zwei Uhr an den Songs gesessen – und sind morgens um sechs Uhr wieder zur Arbeit gegangen. Die Wochenenden bestanden anschließend komplett daraus, die Songs weiterzuentwickeln und aufzunehmen. Das ging an die Substanz.

Aber es hat sich gelohnt.
Absolut. Und ich bin auch der festen Überzeugung: Man muss sich im Leben alles verdienen und erarbeiten. Genau das tun wir gerade: Wir arbeiten wirklich hart an unserem Traum. Das ist, glaube ich, auch der Grund dafür, warum uns jeder Schritt so glücklich macht. Wäre uns alles, was wir bislang erreicht haben, einfach in den Schoß gefallen, dann würde es uns nicht annähernd so viel bedeuten.