FATES WARNING

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Der letzte Streich?

Spricht man von Bands im Progressive Metal, die stets qualitativ hochwertige Musik abgeliefert haben, so fällt ziemlich schnell der Name FATES WARNING. Die Amerikaner, seit über dreißig Jahren aktiv, veröffentlichen dieser Tage ihr 13. Studioalbum „Long Day Good Night“. Wir haben mal bei Sänger Ray Alder durchgeklingelt, unter anderem um ihn zu fragen, ob die Gerüchte stimmen, dass das neueste Werk auch das letzte der Band sein wird.

FATES WARNING sind keine typische Fuze-Band. Mit ihren ausufernden Songs haben die Herren um Jim Matheos und Ray Alder auch dieses Mal wieder ein Album komponiert, das die Länge dreier Hardcore-Alben hat. Dass sich das Ganze nicht so anfühlt, liegt unter anderem daran, dass die Amerikaner nicht erst seit gestern aktiv sind. „Long Day Good Night“ ist das 13. Album der 1983 gegründeten Band – und vielleicht das letzte. So heißt das letzte Stück nicht nur „The last song“, auch der Text deutet auf einen Abschied der Prog-Legenden hin. Sänger Ray lässt sich hier jedoch nicht in die Karten blicken und schiebt lieber Bandleader Matheos den schwarzen Peter zu. „Du, ich kann dir dazu nichts sagen. Ob es das letzte ist, weiß nur Jim“, antwortet der Wahl-Spanier, befeuert so das Gerücht zwar nicht, kann es aber auch nicht wirklich entkräften. „Seiner Meinung nach gibt es zum Album aber nichts zu sagen, er hat deshalb die Interviews alle mir überlassen.“

Allgemein wird 2020, auch ob der vorherrschenden Lage auf der Welt, Arbeitsteilung und getrenntes Schaffen großgeschrieben. Nahm man zu Anfangstagen noch alles zusammen auf und schrieb die Lieder im Proberaum, so war der Produktionsprozess für das aktuelle Album der Band ein gänzlich anderer. Vor allem deshalb, weil die Mitglieder mittlerweile über den halben Globus verteilt leben. Das Bemerkenswerteste: Ray spielte seine Spuren in Madrid ein und nutzte die Gesangskabine gleichzeitig als Schlafraum. „Als wir aufnahmen, war Spanien gerade im Lockdown. Du durftest nur raus, um zum Supermarkt oder Gassi zu gehen. Es war nicht möglich, zwischen Studio und Wohnung hin- und herzufahren. Also habe ich dort mein Bett aufgeschlagen, damit wir die Aufnahmen über die Bühne bekommen.“ Erschwerte die Pandemie so einen Teil des Prozesses, profitierte die Band auf der anderen Seite auch von ihr. „Normalerweise hätte Bobby zum Zeitpunkt der Aufnahmen auf Tour sein sollen, so konnte er aber seinen Part eintrommeln, da hatten wir ein wenig Glück.“

Auch in Sachen Produktion konnte man auf Personal zurückgreifen, das normalerweise nicht verfügbar gewesen wäre. Man konnte etwa Joe Barresi gewinnen, der in der Vergangenheit schon für Acts wie ­SOUNDGARDEN, ALICE IN CHAINS und ISIS an den Mixern gestanden hatte. „Andere Jobs sind ihm weggebrochen, so hatte er immer wieder Zeit, um an unserem Material zu arbeiten. Wäre alles normal verlaufen, hätten wir ihn gar nicht bekommen“, kommentiert Ray. Gelohnt hat sich das Ganze, „Long Day Good Night“ klingt knackig und gleichzeitig frisch. Altbekannt sind die Themen, die die Band auf dem Album behandelt. Drehte sich auf dem Vorgänger „Theories Of Flight“ noch vieles um Veränderungen im Leben und das Erwachsenwerden, so haben sich dieses Mal andere Hauptmotive eingeschlichen – auch weil Ray mittlerweile in Madrid eine neue Heimat gefunden zu haben scheint. „Irgendwann ist mir aufgefallen, dass das Wort ‚home‘ ziemlich oft in den Liedern auftaucht. Das war keinesfalls beabsichtigt und ist nicht Teil von einem Konzept. Anscheinend habe ich mich damit viel befasst“, lacht er. In der Vergangenheit war Jim Matheos sowohl für Musik als auch Texte verantwortlich, für „Long Day Good Night“ arbeitete Ray das zweite Mal intensiv an den Texten. Einzig bei dem bereits angesprochenen letzten Track änderte Matheos noch einmal Teile. Das Prozedere ist dabei recht einfach. „Jim schickt mir seine Ideen und Songs und ich singe einfach drauflos. Meistens hat das gar kein Sinn und ich versuche einfach, Melodien und Phrasierungen zu finden.“ Methodisch geht der Sänger dabei nicht vor. „Ich singe mich dann einfach durch die Lieder. Klar, manchmal versuche ich mich zuerst an einem griffigen Refrain, aber oft singe ich einfach von vorne nach hinten.“ Dabei beschäftigt er sich nicht nur mit den Hauptspuren, sondern plant und singt auch den Hintergrundgesang ein. „Das kommt alles von mir. Ich überlege mir immer, ob man noch etwas doppeln muss oder ob irgendwo noch eine weitere Stimme nötig ist. Der Rest der Band ist mit anderen Dingen beschäftigt.“

Aber auch Ray ist neben FATES WARNING ein beschäftigter Mann. Außer mit seinem Hauptjob war er ein Jahrzehnt mit REDEMPTION unterwegs, bei denen er aber 2016 ausstieg. Erst im letzten Jahr hat er sein erstes Soloalbum namens „What The Water Wants“ veröffentlicht. Aktuell kann ihn auch Corona nicht bremsen. „Ich arbeite hier und da schon wieder an neuem Material. Daneben habe ich noch andere Dinge in der Pipeline. Ein Projekt mit einem sehr bekannten Musiker. Die Leute werden sehr überrascht sein. Noch kann ich dazu aber nichts sagen“, bleibt Ray vage. Damit schließt sich der Kreis zu seinem Gitarristen Jim Matheos. Man wird abwarten müssen, ob „Long Day Good Night“ tatsächlich das letzte Studioalbum der Band sein wird. Wenn es so kommen sollte, wäre es natürlich schön, die Band noch einmal mit dem neuen Material auf der Bühne zu erleben. Lesen in der Glaskugel.