FEINE SAHNE FISCHFILET

Foto© by Erik Weiss

Wir müssen reden

Am 12. Mai erscheint mit „Alles glänzt“ das neue Album von FEINE SAHNE FISCHFILET. Und es gibt Redebedarf. Sie waren schon nach dem Vorgänger „Sturm & Dreck“ zu einer der publikumsstärksten Bands aus der Punk-Szene geworden, und als sie 2022 endlich wieder live spielen konnten, war der Zuspruch noch größer. Allerdings auch die Ablehnung. Im Mai 2022 wurden anonyme, bis heute unbewiesene Vorwürfe gegen Sänger Monchi erhoben, übergriffiges Verhalten wurde behauptet. Seitdem kann kaum irgendwo in den sozialen Medien etwas gepostet werden, ohne dass irgendwer erneut auf diese Vorwürfe hinweist. Ein Shitstorm, der anhält und, davon gehen wir aus, auch das Ox anlässlich dieses Interviews treffen wird. Aber wir reden nun mal lieber mit Menschen als über sie, und so treffen wir Ende Februar Monchi, Kai und Hauke in Düsseldorf. Das Interview beginnt entsprechend beiderseits in recht angespannter Atmosphäre. Und es wird lang, sehr lang – wir dokumentieren es hier in seiner vollen Länge.

Hier steht ein riesengroßer Elefant im Raum. Wir haben uns im Vorfeld mit vielen anderen Menschen unterhalten. Wie gehen wir an dieses Interview ran? Worüber reden, worüber nicht? Angesichts der Berichterstattung im letzten Jahr, stellen sich mir zwei Fragen: Wieso habt ihr euch auf uns eingelassen für das Interview? Und: Wie kann man als Magazin mit dieser Band noch was zu tun haben zu wollen? Letzterer Satz bezieht sich aktuell auf die Kommentare, die bei uns und anderswo unter die Ankündigung eures neuen Albums gepostet wurden. Wir wissen, dass wir eine Menge werden aushalten müssen für die Titelstory zu eurer Band.

Monchi: Ich kann nur sagen, ihr müsst diese Titelstory nicht machen. Ich zwinge niemanden dazu, mit uns ein Interview zu machen. Wir sind trotzdem in der Situation, dass sehr viele Leute ein Interview mit uns wollen. Es gab so viele Anfragen in den letzten Monaten, ich habe nicht das Gefühl, dass keiner mit uns reden will. Aber natürlich, für viele Leute ist es gerade so, als ob wir Lepra hätten. Also mach das Interview oder mach es nicht, mir fällt deswegen kein Ei aus der Hose. Mein Leben wird weitergehen, ob das Interview nun im Ox ist oder nicht, ob es einen Zeitungsartikel gibt oder nicht. Alles, was du gesagt hast, kann ich nachvollziehen, und wenn du sagst, was das für ein Stress für dich ist, einen Post zu uns zu machen, dann lässt sich ja vielleicht erahnen, wie das für uns ist: Was ist richtig, was ist falsch, was macht man, was nicht? Das ist die omnipräsente Frage, und manchmal hast du das Gefühl, du kannst alles nur falsch machen. Da wird es dann wichtig, das für sich irgendwie klar zu haben. Man muss bei sich bleiben. Und ob dann irgendwelche Leute auf einmal wieder durchdrehen und sagen, das ist aber falsch, das hätte ich anders gemacht ... Ach, wie viele Leute haben mir das schon mein ganzes Leben lang erzählt? Wir werden ja nicht das erste Mal angefeindet. Hass sind wir gewohnt. Nicht nur in Social Media. Das kenne ich, jeden Tag. Ich beschreibe das in dem einen Lied: „Jeder, der halbwegs scheiße ist, erkennt jetzt mein Gesicht.“ Für mich ist was gegen Nazis machen nicht, ein „Fuck Nazis!“-Shirt zu tragen, mal im Internet einen Kommentar zu schreiben. Ich weiß, was Hass ist. Und dadurch ist man bis zu einem gewissen Grad gestählt. Das heißt nicht, dass einen das nicht krass mitnimmt und bewegt. Für uns ging es irgendwann darum zu versuchen, uns auf uns zu konzentrieren und als Band eine Band zu bleiben. Entweder zerbrichst du daran, oder du wächst daran. Das sind die beiden einzigen Varianten.
Hauke: Wie du das so erzählst, von wegen du bist Hass gewohnt ... Ich habe das ja jetzt als Neuer in der Band mitbekommen, und das war schon eine andere Qualität von Hass. Weil der Hass jetzt aus den vermeintlich eigenen Reihen gekommen ist und weil das ganze Umfeld immer abgeprüft wird. Weil dieses Thema in jedem Gespräch immer wie jetzt hier auch als Elefant im Raum steht. Genauso ist das bei jedem Gespräch, das wir in den letzten Monaten mit Freunden geführt haben, mit Bekannten, mit Unterstützern, die früher für uns bei Wasted in Jarmen gearbeitet haben. Überall steht dieser Elefant im Raum, und deshalb hat dieser Hass eine andere Qualität.
Kai: Was du gerade gesagt hast, von wegen man muss schon verrückt sein, wenn man jetzt eine Titelstory macht mit uns, das haben wir in den letzten Monaten natürlich viel mitbekommen, auch im persönlichen Gespräch mit Leuten, mit denen wir arbeiten, die uns sagten, ich halte das gerade nicht aus, wenn ich jetzt dafür angegangen werde, weil ich irgendwas mit euch mache. Das war also ein total präsentes Thema letztes Jahr, bis jetzt.

So wie ich das wahrgenommen habe, richtete sich das alles natürlich in erster Linie gegen Monchi, aber durchaus auch gegen die Band. Hauke, wie ging es dir als neu in die Band Eingestiegenem damit? Und auch den beiden anderen Bandkollegen, die ja schon lange dabei sind, aber heute nicht hier sind, was hat das mit euch gemacht?
Hauke: Es hat natürlich viel mit uns gemacht im letzten Jahr. Monchi ist die Person, die da im Fokus steht, er wird mit Namen benannt. Aber es ist ja ganz klar, dass es hier generell um FSF geht. Das hat man ja mitbekommen, und in den Kommentaren und Anfeindungen geht es auch um uns als Band. Im letzten Jahr gab es kein Bandtreffen, wo wir nicht darüber gesprochen haben, wo es nicht das Thema war die ganze Zeit. Wie oft haben wir uns im Proberaum getroffen und am Ende des Tages nicht mal Musik gemacht. Das hat sich durch das ganze Jahr gezogen, aber irgendwann war auch zu erkennen, dass es gerade die Musik war, die uns total geholfen hat am Ende. Das war dann auch wieder was Positives, so dass wir jetzt mit einem neuen Album dastehen. Wir sind mega stolz, dass wir das geschrieben haben, dass wir diese Musik gemacht haben. Aber natürlich hat uns alle, auch im Privaten, diese Sache komplett beeinflusst, jeden aus der Band.
Monchi: Dieses „bei sich bleiben“, das war wichtig, wenn mal wieder im Internet geschrieben wurde: Feine Sahne, denen ist alles scheißegal, die setzen sich überhaupt nicht damit auseinander, die machen einfach weiter. Das war der Wahnsinn! Ich habe natürlich vom allerengsten Umfeld Handyverbot bekommen. Ich lasse mir wenig sagen, aber das Verbot war richtig: Jetzt fasst du das Handy nicht mehr an. Das macht nicht viel Gutes mit einem. Und wenn die Leute sagen, uns sei das alles scheißegal, dann sag mir, was wir hätten besser machen sollen. Wir haben gleich versucht, offen damit umzugehen, als wir das mitbekommen haben. Wir haben gesagt, hier gibt es eine externe Anlaufstelle, die von externen Leuten betrieben wird. Ich mache ganz sicher nicht auf Heiliger. Wir hätten auch sagen können, wir scheißen auf alles. Wir hatten schon ein Musikvideo fertig gedreht, für ein erstes neues Lied. Es war so toll, dass wir endlich wieder Musik gemacht haben! Es gab da ja Punkte bei dieser Band, mit denen wir uns auseinandersetzen mussten, völlig fernab von diesen Vorwürfen, sondern davor, als wir uns von den beiden [Christoph und Jacobus, die Red.] getrennt haben. Das war für uns der Moment, wo wir uns fragten, wie geht das weiter? Und dann machten wir einfach weiter, mit Hauke aus Rostock, nachdem unser Monitor-Techniker sagte, er kenne da jemanden. Wir haben da nicht hunderte Leute getestet, sondern da war ein Typ, der wohnt nur zehn Fahrradminuten entfernt! Und wir schreiben neue Lieder, machen ein neues Album! Also: Wir haben das Video nicht rausgehauen, bis heute nicht, und werden es vielleicht auch nie raushauen. Wir haben so viele Konzerte nicht gespielt, wir haben so viele Aktionen nicht gemacht, wir haben sogar das Wasted in Jarmen Festival nicht gemacht. Das war fest geplant! Und diese Leute sagen trotzdem, wir hätten einfach weitergemacht. Wenn man diesen Leuten wohlgesinnt ist, sagt man, die leben halt nur im Internet. Wenn man andere Gedanken hat, sagt man, es geht diesen Leuten nicht um eine Auseinandersetzung, sondern es geht um Zerstörung. Diesen Leuten reicht nie irgendwas, was du tust. Die behaupten, ich hätte irgendwen angezeigt und verklagt. Was meinst du, wie viele Leute mir geraten haben, Anzeige zu erstatten und komplett durchzudrehen. Ich lebe doch nicht in einer Social-Media-Blase oder habe nur mit irgendwelchen Linksradikalen tun. Was meinst du, was mein Umfeld sagt? Ich habe bis heute noch nie jemanden angezeigt. Egal, ob mir Faschos einen Zahn ausgekloppt haben oder meine Hand ins Lagerfeuer gehalten haben. Noch nie! Und es gibt tausend Sachen, von denen ich noch nie was erzählt habe. Nie habe ich wen angezeigt, auch nicht die jetzt. Ob ich das ewig durchhalten kann, das weiß ich nicht. Ich denke, viele andere Menschen in meiner Situation hätten da schon anders gehandelt. Und ich habe auch niemand verklagt. Wir wissen ja nicht mal, wen wir verklagen könnten. Irgendwann hieß es, die verklagen Betroffene, da ging es wieder los.

Das Narrativ, das durchs Netz geistert, lautet, dass irgendjemand wegen eines Posts eine Klage bekommen hat.
Kai: Davon stimmt, dass wir über Meta, den Betreiber von Facebook und Instagram, versucht haben rauszufinden, um was es da überhaupt geht, um wen geht es, wer dahintersteckt. Wir haben versucht, uns bei denen zu melden, die diese Posts gemacht haben, also über unsere Beratungsstelle. Es gab keine Möglichkeit, da Kontakt aufzubauen. Es gab auch von linken Gruppen und von Journalisten den Versuch, da Kontakt aufzunehmen, was aber nicht gelungen ist. Deswegen wissen wir auch bis heute noch nicht, um was es eigentlich geht. Und so haben wir nach fünf Monaten oder so beschlossen, wir wollen uns nicht weiter mit Dreck beschmeißen lassen. Und wir wollen, dass diese Posts gelöscht werden. Das haben wir bei Meta beantragt, es ging da um ein Instagram-Profil und ein Profil auf Twitter. Dieses Profil wurde gelöscht, nachdem ein Gericht festgestellt hat: Ja, es handelt sich um Verleumdung. Diese Begründung wollte Meta haben, um das zu löschen. Also hat ein Gericht festgestellt, es handelt sich um Verleugnung, und dann wurde das offline genommen. Wir haben in der Sache aber keine Anzeige erstattet, obwohl es die Möglichkeit gegeben hätte, Strafanzeige zu erstatten. Das haben wir nicht gemacht, aber es wurde dann suggeriert, wir hätten Betroffene verklagt. Aber das ist einfach gelogen. Und nach dem, was wir von diesem anonymen Blog mitbekommen haben, wurde da auch nicht unbewusst gelogen, sondern es wurde ganz klar was Falsches verbreitet.
Monchi: Die haben auch geschrieben, wir hätten uns nie gemeldet. Warum lügen diese Menschen so bewusst? Ich meine ... schon wie die das geschrieben haben. Und die haben das eine Woche vorher angekündigt, mit Countdown, mit allem Drum und Dran. Willst du dich dann da noch melden und sagen: Hey, bitte, sagt mal, was machen wir jetzt? Unsere Beratungsstelle hat es trotzdem versucht. Ich hätte das gemacht, wie ich das immer in mein Leben gehalten habe: Wenn ich scheiße war, okay, dann mach ich mich gerade. Sag mir, was ist! Nein, sagt die Beratungsstelle, wir melden uns da, damit das nicht nachher heißt, Monchi, der Aggro-Typ. Alles klar, dann nehmen wir uns zurück. Und dann meldet sich unsere Beratungsstelle da, mehrmals, und die haben nie eine Antwort bekommen. Und der anonyme Blog verkündet dann Monate später, dass sich niemand aus unserem Umfeld gemeldet hätte. Worum geht es also? Geht es um irgendeine Auseinandersetzung? Worum geht es? Sag mir, was man hätte besser machen können? Und genau so gibt es auch die andere Welt, die Leute, die fragen, warum ich noch niemanden angezeigt habe. So, und ob das Ox nun eine Titelstory mit mir macht, scheißegal, das wird nichts an meinem Leben ändern. Es ist gut, wenn ihr das macht, danke schön, ich freue mich. Aber ich habe eine Familie, ich habe einen echt ganz guten Freundeskreis, der bleibt offensichtlich bei mir. Da fallen auch mal Leute weg, alles gut, das ist natürlich eine Enttäuschung, gar keine Frage. Aber das Allerwichtigste ist für mich, muss für mich sein: Ich bleibe bei mir. Und dann gibt es die nächste Ebene. Wir bleiben als Band bei uns. Und wir waren noch nie so drauf, dass wir behaupten, wir hätten immer alles richtig gemacht. Schau dir unsere Alben, mein Buch an: scheitern und verstehen. Und wir lassen uns nicht mehr von irgendwem vor sich her treiben.

Es gibt da ein Schlagwort, das habe ich in diesen Kontexten gelernt, mit dem man sich immer moralisch auf die richtige Seite stellt und der anderen Seite alle Handlungsoptionen nimmt: unbedingte Opfersolidarität.
Monchi: Ich habe noch nie auf großen Feminismus-Experten gemacht. Ich wäre manchmal gerne, wie manche sagen, dass ich bin. Dann würde ich auf Gangsterrapper machen und sagen, haltet alle die Fresse, ist mir alles scheißegal! Aber wir haben Bock, uns auseinanderzusetzen, Digga! Wir finden es gut, wenn die Gesellschaft gleichberechtigter wird. Genau dafür stehen wir ein. Und wir wollen, wie schon immer, auch zuerst bei uns selbst anfangen. Wir wollen auch reflektieren und wir wollen natürlich auch sehen, was man selbst, aber vor allen Dingen auch strukturell als größere Band verändern kann. Und natürlich ist das ein Prozess. Manchmal gab es Dinge, wo man denkt, war man da erbärmlich, gar keine Frage. Ich habe auf dem neuen Album diese Zeilen geschrieben: „Ich habe Angst zu erfrieren, weil es jeden Tag brennt.“ Dieser Wahnsinn, in dem ich mich bewege, mit Faschos, Bomben- und Morddrohungen ... Die Sachen, die man da öffentlich macht, das sind ja nur die, die im Bandkontext geschehen. Ich lebe nicht in Köln oder Düsseldorf, sondern in Mecklenburg-Vorpommern, in Rostock. Wenn ich eine Frau kennenlerne oder Menschen generell, dann schaue ich mich drei, vier Mal um, weil ich denke: Scheiße, nicht dass diese Person wegen mir angegangen wird. Ich kenne das, Lepra zu haben, in ganz vielen Kontexten. Und daher diese Liedzeilen: „Ich habe Angst zu erfrieren, weil es jeden Tag brennt / Lass uns schauen, was uns verbindet, und nicht, was uns trennt / Lass uns nicht verbittern, auch wenn es kälter wird.“ Ich glaube, ganz viele Leute haben eigentlich gar keinen Bock auf dieses Zerstörerische, auf diese ganze Art. Wenn wir was gelernt haben, dann dass das Internet für differenzierte Diskussionen ganz bestimmt nicht der richtige Ort ist. Und wir hätten auch sagen können: Nee, wir machen mit dir kein Interview über das Thema. Aber wir nehmen die Situation an. Und wir machen bestimmt nicht alles richtig so, und vielleicht sagt man auch später, das hätte man gerne anders gemacht. Aber versuchen, auf die coolen Leute zu gucken, in die Realität zu gehen, das ist der Punkt. Und soll ich jetzt hier sitzen und rumheulen, wie schlimm alles ist? Dann freuen sich irgendwelche anderen noch oder machen noch mehr? Dann ist die Headline nachher: „Monchi heult rum, wie schlimm alles war“. Also versuche ich, selbstkritisch zu bleiben, aber ich werde mich nicht mehr mit Scheiße beschmeißen lassen. Die Zeiten sind vorbei. Wir machen unser Ding, und das können wir, glaube ich, authentisch vertreten. Und es ist ja das krasseste Gefühl zu sagen, dass wir hier über eine neue Platte reden können.

Stellt man sich da nicht auch mal die Frage, warum man das überhaupt alles macht?
Monchi: Den Gedanken, ist es das wert oder nicht, den habe ich ja nicht erst nach irgendwelchen Vorwürfen gehabt, sondern schon ganz oft in den letzten Jahren, wenn mir bewusst wurde, was hier um und mit dieser Band passiert. Was habe ich da mit meinem Leben gemacht? Ich war doch andauernd für ganz viele Leute der, der sich gerade macht. Und weißt du was? Der bin ich bis heute. Also dann sollen die halt kommen, manchmal habe ich auch Bock auf Auseinandersetzungen. Und dass wir sagen können, wir machen das Wasted in Jarmen wieder, dass wir hier als Band sitzen und ’ne neue Platte haben, ist geil Und wir sind einfach gerade die geilsten Feine Sahne, die es je gab. Das ist ein Fakt! Dafür stehe ich zu 100% mit meinen Namen. Also will ich nicht, dass nachher jemand sagt, der heult nur rum. Selbstkritisch bleiben und nicht verbittern, das ist es. Denn natürlich gibt es auch mal beschissene Momente, wo man sagt: Fickt euch alle! Daher auch der Albumtitel „Alles glänzt“ und auch die Liedzeilen „Frage mich, was noch echt ist / Alles glänzt, dass mir schlecht wird“. Manchmal sitze ich vor Instagram und weiß gar nicht, was ich sagen soll ... Auf einmal sind ganz plötzlich alle gegen Nazis, alle sind Feministen, alle sind Klimaaktivisten und was noch alles. Und am besten sind sie auch noch alle totale Experten dafür. Ich werde da jetzt nicht gegen einzelne Künstler oder Künstlerinnen schießen, das haben wir noch nie gemacht: Aber ich fühle es ganz einfach oftmals null. Es ist zu perfekt. Und es fühlt sich für mich bei einigen Menschen dann oftmals mehr so an, als ob sie einfach wissen, was gerade gefällt, anstatt dass sie es wirklich leben. Ich wüsste doch auch, was ich täglich posten müsste, damit ich Applaus kriege. Ich kann dir sagen, wie scheiße Faschos im Alltag sind, wie es ist, in einem Bundesland zu leben, wo sich bewaffnete Nazi-Gruppen wie Nordkreuz gebildet haben. Ich kann dir sagen, wie scheiße es ist, wenn in der Provinz nix geht und es nicht mal einen Jugendclub gibt. Und ich kann dir vielleicht noch sagen, wie Hansa gerade so spielt ... Bei anderen Sachen habe ich zuzuhören und vielleicht auch zu lernen, wenn ich es nachvollziehbar und richtig finde.

Wie kommt man an den Punkt, auf all die Anfeindungen etwas gelassener reagieren zu können? Wenn dann auch noch das gesamte Umfeld da reingezogen wird. Stichwort: Kontaktschuld.
Monchi: Es wurden Investigativ-Rechercheteams von verschiedenen großen Medien auf mein komplettes privates Umfeld angesetzt. Leute haben meine Handynummer rausgegeben.
Kai: Das Ding ist, dass wir als Band irgendwie weitergemacht haben in dieser Situation. Wir haben auch ganz vieles nicht gemacht letztes Jahr. Was die Leute natürlich nicht sehen, weil wir es auch nicht öffentlich gemacht haben. Aber wir haben diese Shows mit DIE TOTEN HOSEN letzten Sommer gespielt. Das war unglaublich wichtig, weil das positive Momente waren und weil die diese „Kontaktschuld“ ausgehalten haben. Es war unglaublich wichtig, dass wir weiter Musik geschrieben haben. Und dass wir ein privates Umfeld haben, das uns ständig stabilisiert, weil man natürlich auf einmal das Gefühl hat, mit jedem irgendwie darüber reden zu müssen. Mit Leuten, mit denen man vor zwei Monaten noch ganz normal abends und ohne drüber nachzudenken in der Kneipe saß. Wenn der mich anspricht, muss ich da gleich über das Thema reden? Das ist nicht immer einfach, da rauszukommen.
Monchi: Ich habe Musik noch nie so geliebt wie jetzt. Ich wollte ja lange gar keine Musik mehr machen, Musik war mir Latte, wir wollen ja extra Pause machen. Da gab es so Gedanken wie „Was wäre, wenn es die Band nicht mehr gibt?“. Ist es das wert oder nicht? Ich würde schon irgendwas machen, das war in meinem Leben immer so. Ich habe noch nie so eine Liebe empfunden für Musik wie jetzt. Weil das immer die geilen Momente waren, wenn wir zusammensaßen. Und das, obwohl wir so verschieden sind, mit allen Sachen. Wie krass einen so eine Situation festigt! Entweder zerbrichst du oder du bist stark. Als Gemeinschaft Mucke zu machen, Texte zu schreiben, dafür bei mir in der Bude zu hocken oder zu Hauke zu fahren mit dem Fahrrad. Mit den anderen labern, über jeden Scheiß! Wir haben noch nie so viel Zeit im Proberaum verbracht, noch nie so viel gemeinsam Musik gemacht, noch nie so viel über Texte gelabert und gestritten. Das gab es sonst nicht. Ich habe mir immer eingeredet, dass ich das nicht kann, aber irgendwie kann ich das doch ganz gut. Wir haben echt geile Texte geschrieben, eine Hammer-Platte gemacht. Manche sagen jetzt wieder, Monchi hat so eine große Fresse, aber das wird die geilste Platte 2023. Punkt, aus die Maus!
Kai: Musik war das große Gegengewicht.

Welche Rolle spielte bei diesem neuen Schwung in der Band das neue Set-up? Zwei Leute raus aus der Band, Hauke rein?
Kai: Diese Trennung war ein riesengroßer Befreiungsschlag für uns. Wir haben uns ja nicht umsonst getrennt, sondern wir waren einfach an dem Punkt zu sechst, wo ich dann irgendwann die Initiative ergriffen habe. Wir waren 2021 an einem Punkt, da war das Studio schon gebucht, um ein neues Album aufzunehmen, und es war eine Tour für 2022 geplant. Und da gab es irgendwann den Moment, wo ich gesagt habe: Ey, Leute, das geht so nicht mehr weiter. Wir können so nicht weitermachen, die Bandchemie war auf dem Nullpunkt. Man konnte nicht mehr über Musik reden oder darüber, wie man diese Band sieht, was man eigentlich möchte, was man musikalisch möchte.

Und das war schon vor diesem Vorwurf?
Kai: Ja. Es gab nicht diesen einen Moment, die Beziehungen waren einfach sehr zerrüttet, und es war trotzdem geplant, ein neues Album aufzunehmen. Wir hatten ja auch schon Musik zusammen geschrieben, aber dann kam der Punkt, wo ich alle angerufen und gesagt habe, wir müssen uns zusammensetzen, wir müssen mal offen reden, Sachen auf den Tisch packen. Das war dann ein Prozess von mehreren Treffen, wo dann am Ende stand, dass zwei die Band verlassen.

Nach außen wirkte das fast wie ein zeitlicher Zusammenhang zwischen dem Ausstieg von Christoph und Jacobus und diesen Vorwürfen im Frühjahr 2022.
Kai: Diese Trennung war im Sommer 2021, und dann gab es noch monatelange Verhandlungen über Geld, bis wir im April 2022 verkündet haben, dass wir uns trennen. Die eigentliche Trennung war schon war ein Dreivierteljahr vorher.

Die Außenwirkung war dadurch natürlich seltsam, denn Christoph war ja, so wirkte das nach außen, durchaus ein Mastermind für die Band, der hat auch Texte geschrieben und mitunter selbst gesungen. Der wirkte für Außenstehende wie ein weiterer Mittelpunkt der Band.
Monchi: Wie wirkt das denn auf euch?

Also mit dem Hintergrund von euch jetzt würde ich sagen: Wow, was die beiden nach ihrem Ausstieg als Statement veröffentlicht haben, da haben sie euch richtig einen mitgegeben. Warum auch immer.
Monchi: Wir werden darüber nicht öffentlich spekulieren. Ohne die Initiative von Kai wären diese beiden Menschen noch in der Band, wären diese beiden Leute niemals ausgestiegen. Wir hatten ja schon das Studio gebucht und die Tour für 2022!
Kai: Es war eine richtig beschissene Situation, sich zu trennen, wenn eigentlich eine Tour geplant ist. Und das war ja alles noch nicht veröffentlicht. Das war natürlich auch ein Hammer, erst mal alles abzusagen.
Monchi: Und stell dir mal vor, dass man das ja auch selber noch verarbeiten muss, denn es ist nie alles schwarzweiß. Du willst ja immer alles erklären, im Internet, im Interview, aber ich habe mich mittlerweile davon verabschiedet, alles immer bis aufs Kleinste zu erklären. Und ich denke mir in Bezug auf die beiden, wenn ihr meint, ihr müsst das so machen und ihr müsst das so darstellen, dann ... okay. Dabei haben wir das Statement, dass wir getrennte Wege gehen, noch ein paar Tage vorher zusammen zu sechst mit den beiden im Proberaum geschrieben. Wir haben keinen Bock auf einen Rosenkrieg. Dann sollen die uns lieber alle verurteilen und sagen, was wir für Wichser sind. Wir versuchen uns lieber darauf zu konzentrieren, wie toll das ist, wieder eine Band sein zu können. Ich versuche eben immer, die positiven Momente zu sehen, was man alles zusammen erlebt hat. Zu den beiden haben wir aktuell keinen Kontakt. Aber wir haben ja uns. Das ist das Allergeilste. Und wir haben eine so geile Platte gemacht.

Du sagst, es sei dir wichtig, die positiven Momente zu sehen ...
Monchi: Ja, nicht zu verbittern ist wichtig. Die coolen Leute zu sehen, nicht zum Vollidioten zu werden und abzudriften, das ist eine Riesenaufgabe. Bei sich zu bleiben, geile Sachen zu machen. Und rausgehen, Konzerte spielen. Unser erstes Konzert danach haben wir in Prag gespielt, da waren wir das erste Mal, das war der Hammer. Und ich mache wieder Lesungen mit „Niemals satt“, das sitze ich alleine da vorne. Natürlich gibt es viele Momente, wo ich überlege, mache ich das, mache ich das nicht. Die sagen, wir hätten einfach so weitergemacht. Aber ich habe die Lesereise abgebrochen. Soll ich jetzt rumheulen und sagen, da sind die Buchverkäufe schlechter geworden und so’n Scheiß? Nein, ich konzentriere mich auf das Geilste: Ich bin irgend so ein Hoschi aus Vorpommern und habe einen Bestseller geschrieben, Platz eins. Die Lesungen zu machen, das ist in die Realität gehen, mit den Leuten sprechen, rausgehen. Und das war auch bei den Konzerten mit DIE TOTEN HOSEN so. Ich bin konsequent, jedes Mal vor und nach dem Konzert raus aus dem Backstage, um mit den Menschen zu sprechen. Sprich mich an und ich werde am Start sein. DIE TOTEN HOSEN, die scheißen ja auch nicht auf alles, da redest du auch viel, klar. Ich komme immer wieder auf diesen Punkt, weil es wirklich für mich unglaublich ist: Wir wussten nicht, wie wird denn diese neue Platte. Können wir noch was? Und ja, wir können echt eine ganze Menge! Das ist ein unglaublich geiles Gefühl. Wie wir da in fünf oder zehn Jahren drauf schauen – mal sehen, lassen wir uns überraschen.

Alle Menschen, die sich massiv in die Öffentlichkeit stellen, sind von starken Reaktionen betroffen, ob das nun du bist, Monchi, oder ihr als Band, oder eine grüne Außenministerin, die postuliert, sie werde feministische Außenpolitik machen. Da setzt es bisweilen erhebliche verbale Prügel, da wird körperliche Gewalt angedroht, das muss man aushalten können und wollen. Und man kann durchaus auch den Satz anbringen: „Wenn du Hitze nicht aushältst, bleib vom Feuer weg.“ Ihr habt abgeräumt bis vor Corona, immer fettere Konzerte, immer größere Massen von Kids vor der Bühne, die euch unfassbar abgefeiert haben, fast noch geilere Konzerte als die Platten. Dann bringst du, Monchi, mit „Niemals satt“ ein Buch raus, und das wird auch gefeiert, weil es so viele Sachen angesprochen hat. Das lief alles so gut ... danach konnte ja eigentlich nur die Wand, der Absturz kommen ...
Monchi: Nein, ich erzähle doch schon im Buch von Komplettabstürzen. Da heißt es jetzt, der reflektiert nicht, da wird alles zu Geld gemacht. Ich habe da so viel Herz reingegeben, und mir haben Leute vorher geraten, mach das nicht so mit dem Buch, gib da nicht so viel Herz rein. Du schadest dir damit selbst. Aber ich habe es trotzdem gemacht, ganz oder gar nicht. Und ich sage im Nachhinein, dass es gut war, dass ich da so viel Herz reingegeben habe, weil es das auch ausgemacht hat. Genauso wie ich es mit der Musik mache. Jedes Lied ist eine persönliche Geschichte, das ist nämlich nicht irgendwie so Phrasengedresche-Scheiß. Guck dir jeden Text an. Und dieses Reflektieren, das mit den Abstürzen, das schreibe ich doch da die ganze Zeit. Ich frage mich ja auch, wie konnte irgendwer in meinem Umfeld, der mich begleitet, auf die Idee kommen, dass ein Mensch das alles aushalten kann. Wenn du Baerbock ansprichst von wegen Bedrohung: Ich hatte auch schon Personenschützer zu Hause, weil es Morddrohungen gab. Wenn eines der größten Magazine der Rechten, das Compact Magazin, ein ganzseitiges Foto von mir abdruckt ... diese ganze Internetscheiße ... das ist nicht das, was mich abfuckt. Alles hundertmal erlebt. Morddrohung mal wieder? Alles klar ... Es gibt fünf verschiedene Naziaufkleber gegen mich ... Nein, es geht um die alltäglichen Sachen, nicht diesen ganzen Kindergeburtstagsscheiß! Ein „Fuck Nazis!“-Shirt tragen und denken, man mache irgendwas. Diese Zeilen bei „Kiddies im Block“, „Faschos bedroh’n / Eskalation / Pass auf dich auf / Sonst komm sie dich hol’n“. Und dann kommt wieder jemand an und sagt, ich sei ja kein richtiger Antifaschist, weil ich dies oder jenes nicht mache. Ja, okay, dann werde ich dem eben nicht gerecht. Aber zwischen all meinen Fehlern und Sachen, mit denen ich irgendwie umgehe, zwischen all diesem Scheitern, denke ich, habe ich doch oftmals auch ganz gute Momente. Ich bin Zecke geworden in Mecklenburg-Vorpommern, Digger! Nicht weil es dafür Applaus gab, nein, wenn du das da machst, kriegst du Hass! Wenn irgendwelche Zecken jetzt sagen, Mochi ist scheiße, nee, dann gibt es auch viele Zecken, die sagen, Monchi ist cool, du berührst uns total. Wir haben für die kommende Tour schon zigtausenden Karten verkauft, das kann ich auch sagen, wenn du sagst, da ist doch ein Shitstorm. Klar kann ich mich auf das Negative konzentrieren, ich kann mir aber auch die positiven Sachen angucken. Zeig mir mal zehn andere Punkbands, die solche großen Dinger spielen. Woran liegt es?

Sag es mir.
Monchi: Vielleicht daran, dass wir nicht nur Phrasen dreschen? Vielleicht liegt es daran, dass wir ganz viel Herz reingeben, im Guten und im Schlechten. Man redet sich ja auch manches selber ein. Ich habe in „Gib mir mehr“ die Zeile geschrieben: „Und wenn ich alles verlier’ / Die Asche von der Bullenkarre gehört jetzt mir.“ Natürlich sind das Momente, wo du denkst, okay, es geht nicht weiter, und vielleicht kommen die auch wieder. Vielleicht wird alles noch härter, wer weiß? Da geht es darum, dass ich als Jugendlicher diese Verurteilung gehabt habe, weil ich diese Bullenkarre abgefackelt habe bei einer Fußballrandale. Und nach zwölf, dreizehn Jahren hatte ich endlich die Kohle zusammengespart, die das damals gekostet hatte. Als Kiddie von halbwegs gutsituierten Mittelstandsleuten haben meine Eltern das natürlich bezahlt, nicht ich. Das ist keine Aussage, auf die man stolz ist. Ich habe mich dafür immer geschämt, dass meine Eltern meine Rechnung übernehmen mussten. Und dann habe ich Jahre später bei meinen Eltern meine Schulden beglichen. Das hätte ich nicht machen müssen, ich habe aber diese Kohle, 23.000 Euro, meinen Eltern überwiesen mit dem Betreff „Danke, dass ihr da wart“. Und als ich vor ein paar Monaten an einem schwachen Abend mit einem Freund über die jetzige Situation redete, kamen wir beide zu dem Schluss: Okay, und wenn ich alles verlier’, die Asche von der Bullenkarre gehört jetzt mir ... Wer kann das denn von sich sagen?“ In der größten Scheiße immer noch ein Licht sehen, darum geht es!

Das treibt dich an?
Monchi: Ja, und mit Menschen in Kontakt kommen. Wenn dir fünf Leute nicht „Guten Tag“ sagen und nur einer lacht, ist das geil. Deshalb schreibe ich diese Texte, zum Beispiel für „Freaks dieser Stadt“: „Aus allen Ecken strömen wir herbei / Die Freaks dieser Stadt wieder vereint.“ Genau in diesen Kreisen bewege ich mich schon immer, und das sind nicht alles totale Politik-Leute, und die werden natürlich auch immer anecken, werden Sachen nicht gerecht, mit all ihren Fehlern. Das ist mein Umfeld, das sind die Leute, mit denen wir uns umgeben, und klar gibt es auch mal Idioten oder man ist selber einer, aber von hart bis herzlich ist alles dabei. Die Leute haben ein gutes Herz, das ist der rote Faden. Feine Sahne ist für mich Mecklenburg-Vorpommern, das ist mit geilen Leuten irgendwie was zusammen reißen. Die Grenze sind organisierte Faschos. Und es geht um Scheitern und Verstehen. Manche Leute haben nur Bock darauf, andere zu verurteilen und zu sagen: „Was für Wichser.“ Und andere haben da keinen Bock drauf. Das meine ich auch mit „Faschos bedroh’n / Eskalation / Pass auf dich auf / Sonst komm sie dich hol’n“ in „Kiddies im Block“. Da, wo wir herkommen ... ey, ich habe so viel Scheiße in meinem Kopf! Ich meine nicht nur, dass die Faschos bei dir vor der Tür stehen, dass du dich mit denen ballerst. Ich meine das auch kopfmäßig. Wie viel rassistische, sexistische Scheiße habe ich im Kopf? Aber ich will noch drüber nachdenken und auch was verändern. Genau deshalb werden wir etwa auf den Sommer-Open-Airs oder auch auf unserem Wasted in Jarmen Leute mit am Start haben, die Awareness-Arbeit leisten. Hatten wir bei unserem eigenen Festival schon 2019, aber das werden wir jetzt intensivieren. Da war es zum Beispiel mega: Wir hatten im Dezember ein großes Treffen mit unserer Crew und haben das gemeinsam erarbeitet. Keinen vorgekauten Scheiß, sondern miteinander labern und schauen, wie wir gemeinsam authentisch was verändert bekommen. Wenn ich mich nicht verändern würde, wäre ich nicht mehr der Gleiche. Das ist dieser Wahnsinn, in dem wir uns, in dem ich mich ganz oft bewege. Fürs Dorf war ich immer zu politisch, für die Uni zu stumpf. Ich glaube, so fühlen eine ganze Menge Leute. Deshalb: In die Realität gehen, da was machen.

Ein gutes Stichwort. Wie viele Promotexte bekomme ich, da werden Bands und Künstler:innen als „authentisch“ angepriesen. Da drehe ich fast durch.
Kai: Warte mal ab, bis du unseren Promotext liest ...
Monchi: Steht das da?!
Kai: Weiß ich nicht.

Wirkliche Authentizität ist das, was euch als Band ausmacht. Und ich denke, die Leute spüren das. Aber andere Bands, die auch ehrlich rüberkommen, und da nenne ich einfach mal DIE ÄRZTE und DIE TOTEN HOSEN, die gehen etwas, nun, geräuschloser durch die Welt.
Monchi: Glaubst du, die Hosen würden das so sagen, nach diesem Aufriss wegen PANTERA und Rock am Ring? Bei Menschen, die in der Öffentlichkeit stehen, da will man immer nur die positiven Sachen sehen, und dann sieht das vielleicht so aus.
Kai: Oder DIE ÄRZTE letzten Sommer? Wo dann alle drüber geschrieben haben, dass die diesen einen Song nicht mehr spielen, und dann lassen die sich von allen Seiten aus über die. Jeder schreibt was, jeder weiß, wie sie das gemeint haben.
Monchi: Mir hat niemand das erklärt, wie das ist, auf einmal Person des öffentlichen Lebens zu sein. Ich komme aus Subkulturen, wo das verachtet wird, zutiefst. Alle sind immer gleich scheiße. So habe ich mich natürlich auch immer gesehen, so sehe ich mich bis heute. Ich bin Asi, die anderen sind auch alle Asis. Aber andere Leute sehen mich eben als Promi. Und wenn du dann drüber nachdenkst und mit Leuten redest, dann bekommst du gesagt, Monchi, du musst auch mal die und die Perspektive einnehmen und das anders sehen. Und was du dann ändern musst, das wirst du nicht von heute auf morgen lernen, und der ganzen Sache wirst du dir auch nicht so schnell bewusst. Was das alles bedeutet, was das mit sich bringt. Die Leute labern irgendwelche Scheiße von wegen man verändert sich, ja, ich verändere mich ständig, aber mein Grund-Ich, das bleibe ich. Und es heißt, ey, du veränderst dich. Ich sage aber, nee, viele Leute um mich herum verändern sich, sehen einen anders, benehmen sich anders. Das sind ja auch Sachen, die ich im Buch beschreibe. Etwa wie die Leute auf mich zugehen, Autogramme wollen, und so weiter. Da gibt es Momente, wo man das total liebt, und da gibt es Momente, wo du davon völlig überfordert bist. Was wir da als Band mitgemacht haben in all diesen Jahren, da haben wir immer versucht, über Sachen nachzudenken, haben natürlich auch gestritten über verschiedenste Themen, hatten unterschiedliche Ansichten, und ich bin kein einfacher Typ – aber andere auch nicht. Und irgendwie sind wir dann eine Riesen-Band geworden. Wir haben vor über 10.000 Leuten gespielt, wir haben Hamburg zweimal ausverkauft. Ja gut, dann sagen halt manche, sie kommen nicht mehr zu uns. Aber vielleicht sagen auch viele, sie haben Bock drauf. Wer weiß, vielleicht kommt die Platte auch total scheiße an, die Leute haben keinen Bock drauf. Aber wir finden es geil. Jedes Lied, jede Zeile, die da drauf ist auf diesem Ding, die fühle ich zu 100%, und das ist, glaube ich, ein Unterschied zu ganz vielen anderen Bands. Und so, wie ich Schwächen habe, so habe ich auch Stärken so. So zu sein, wie wir sind, das ist eine unserer Stärken. Ich liebe FEINE SAHNE FISCHFILET. Ich liebe die Band und ganz viele Leute um uns herum, die uns begleiten. Und man muss das eben lernen, dieses Promi-Ding, da ist so viel Wahnsinn, da gibt es so viel, was man nicht erzählt, weil man denkt, das hört sich so dumm und stumpf an, wenn ich das jetzt sage. Das kannst du nur deinen engsten Freunden erzählen, oder wenn du irgendwann sechzig bist. Wir haben eben keinen Bock drauf, totale Vollidioten zu sein. Sind es aber natürlich auch manchmal, gar keine Frage. In Wien haben wir das erste Mal vor 30 Leuten gespielt, beim nächsten Mal sind es 3.000, wenn ich mir das vorstelle ... Aber unsere Releaseparty machen wir wieder bei uns auf dem Dorf. Da muss man bei sich bleiben, und ich stelle mir jetzt gerade vor, was das für intensive Monate werden. Ich hoffe, dass ich in fünf Jahren sagen werde, dafür hat es sich gelohnt. Gerade jedenfalls fühlt es sich so an, dass wir eine tolle Band sind.

Auf der neuen Platte singst du: „Wenn’s morgen vorbei ist, scheißegal, wir haben gelebt“. Das wirkt wie der nächste Schritt nach „Alles auf Rausch“. Auf der letzten Platte habt ihr voll rausgeballert, jetzt hört man die Erkenntnis raus, dass auch alles ganz schnell wieder vorbei sein kann.
Monchi: Ja, du hast recht. Da ist auch noch eine andere Zeile auf dem Album, in „Gib mir mehr“ singe ich: „Auf jeden Rausch folgt der Kater, zu viel Stoff in meinen Adern /Und ich enttäusch mich wieder selbst ...“ Es geht nicht immer nur aufwärts, es ist nicht alles schön. Das wusste ich aber immer. Ich habe mir nie eingeredet, es ist alles nur geil. Ich bin nicht aus Mecklenburg-Vorpommern weggezogen, ich muss mich dafür aber nicht zum Helden machen, denn es gibt so viele geile Leute da. Aber ich ahne, wie scheiße das sein muss für Menschen, die schwarz sind oder geflüchtet. Ich habe mir ganz lange verboten, so was zu sagen wie: Für mich ist es auch gerade hart. Ich habe mir das verboten, weil ich gedacht habe, das ist zu schwach. Das ist natürlich so ein Männlichkeitsding, da wird verdrängt. Und ja, „Auf jeden Rausch folgt der Kater“. Das ist eine Zeile, die ich schon sehr lange fühle, und dieses „Wenn’s morgen vorbei ist, scheißegal, wir haben gelebt“, das ist aus einer Situation heraus entstanden. Da geht es um einen Freund, über den ich auch im Buch schreibe, Manner, der noch dicker ist als ich und einen Herzinfarkt hatte. Der ist Seemannskoch, und ich beschreibe da, wie ich ihn in Rostock im Krankenhaus besuche. Ich komme da ins Zimmer rein, und er sagt: „Monchi, ich heul nicht rum, ich habe gelebt.“ Und das fand ich so geil. Der lebt zum Glück noch. Das fand ich so beeindruckend, dass der nicht in Selbstmitleid versunken ist. Deshalb: Mit dieser Band und dem, was wir da erschaffen haben, dieser ganze positive wie negative Wahnsinn, werden wir noch echt tolle Akzente setzen. Und vor allem ein tolles Album raushauen in diesem ganzen Wahnsinn. Langweilig wird es bei uns nie!

Mit was habt ihr euch in diesen stressigen Tagen geholfen, um eure seelische Gesundheit zu bewahren? Hat ihr da im Bandgefüge etwas unternommen oder habt ihr individuelle Bewältigungsstrategien?
Kai: Da hat jeder für sich andere Wege, wir sind da sehr unterschiedlich. Das hat man auch gemerkt bei unserem Umgang mit der Situation. Ein wichtiger Punkt war das Bandgefüge. Wir sind unglaublich zusammengewachsen im letzten Jahr, auch dadurch, dass wir so viel und offen geredet haben über unsere Gedanken und alles Mögliche. Dadurch haben wir ein unglaubliches Vertrauen ineinander gewonnen, was so intensiv vorher wahrscheinlich nicht da war. Ansonsten hat ja jeder seine Strategien entwickelt oder ist noch dabei. Ich wüsste aber jetzt bei mir nicht, ob ich das überhaupt schon habe.

Wie war das für dich, Hauke? Da kommst du neu in eine Band und wirst gleich in eine Waschmaschine im Schleudergang gestopft.
Hauke: Wir hatten uns das natürlich anders vorgestellt, nachdem wir den Post dazu rausgehauen haben. Das kann man bestimmt so sagen. Aber im Großen und Ganzen war das so, wie Monchi gesagt hat: Es war eine Abfolge von Erlebnissen, im Guten wie im Schlechten. Ich habe viel Neues erlebt und finde es gut, mit 33 noch mal eine andere Abbiegung genommen zu haben. Dass das so kommt mit mir und der Band, das habe ich auch nicht gedacht, es war ja nicht so, dass ich zu Hause gesessen und gewartet hätte, dass so ein Anruf kommt. Olaf von Feine Sahne rief an, ob ich mal vorbeikommen möchte. Es war dann ein Auf und Ab, und wir haben uns relativ schnell sehr intensiv kennen gelernt. Von Anfang an wussten die vier, die noch da waren und ich, dass wir das planvoll angehen müssen, dass wir sehr viel übereinander wissen müssen, wenn ich sagen soll, ich lasse alles liegen und stehen und steige bei euch ein. Wir mussten sehr schnell sehr viel Zeit miteinander verbringen und haben das auch getan. Und als dann, wie du es genannt hast, im Frühjahr 2022 die Waschmaschine losgegangen ist, war das auf jeden Fall interessant. Und dieses Auf und Ab, das geht ja immer weiter, das ist ein Dauerzustand seitdem. Der Ausblick ist, zusammen auf der Bühne zu stehen, mit all den Songs, die wir geschaffen haben. Wenn wir zusammen im Auto sitzen und die hören, dann merkt man, dass da sehr viel von vielen Personen in der Band drin ist. Dass es kein Alleingang ist, sondern ein richtig gutes „Team-Achievement“. Eine Mannschaftsleistung, wo jeder seine seine Gefühle reingegeben hat.
Kai: Eine bessere Feuerprobe gibt’s ja quasi nicht. Und Hauke hätte auch sagen können, das habe ich mir anders vorgestellt, die Scheiße gebe ich mir nicht. Das wäre eine nachvollziehbare Reaktion gewesen.
Hauke: Wir sind krass zusammengewachsen in der Zeit, als Freunde und als Band, weil wir immens viel Zeit miteinander verbracht haben. Monchi und ich haben erst mal die Texte vorgeschrieben, bevor wir dann mit der Band die Revision gemacht haben: Ist das cool, ist das nicht cool, muss eine Zeile noch mal geändert werden? Monchi und ich haben uns viel zusammengesetzt und über Themen geredet, wo wir dachten, das könnte man in einem Lied verarbeiten. Und dadurch haben ich natürlich viel über Monchi gelernt, weil da viele Geschichten von Monchi drin sind und von ihm erlebte Gefühle. Und als ich sagte, ich würde gerne ein Lied – „Tut mir leid“ – darüber schreiben, wie es ist, neu in eine Band zu kommen, da haben wir das auch zusammen geschrieben.
Monchi: Genau, weil wir wollen eine Band, eine Gang sein und es soll nicht so wirken, als ob er ein Gastmusiker ist. Wir streiten uns auch mal, aber wir ziehen durch, und wenn wir auf der Bühnen stehen, dann reißen wir ab. Haukes erstes Konzert mit uns war dann auch gleich vor 30.000 Leuten. Wir haben über so viel gesprochen, als es um die Texte ging. Schreiben wir ein Lied über diese Vorwürfe? Was für Ansätze gibt es? Nicht dass die nachher sagen, uns ist das egal. Aber dann sagen dir andere, macht das nicht, sonst heißt es, jetzt schlachten die das aus und machen noch Geld damit. Aber so, wie all diese Kommentare in Internet undifferenziert ist, so kriegst du das auch nicht in ein Lied verpackt. Vielleicht geht das ja in ein paar Jahren. Wir haben wirklich sehr viel über die Texte geredet, auch über intime Sachen.
Hauke: Manchmal haben wir uns auch einfach nur eine halbe Stunde angeguckt. Jeder war in seinem Kopf unterwegs und hat überlegt, okay, wo geht das Thema hin, was für ein Reim fällt uns ein. Da war sehr viel Stille, und die muss man zusammen irgendwie aushalten und darauf vertrauen, dass am Ende schon was rauskommt. Wenn du einen Fisch haben willst, musst du die Angel reinhalten. So ist das auch beim Texte schreiben.

Monchi, kannst du Stille aushalten?
Monchi: Äh ... Manchmal liebe ich Ruhe sehr. Das ist jetzt das erste Interview, das wir machen. Danach werden noch einige kommen, denke ich. Vielleicht sagen die auch alle vorher ab, keine Ahnung. Aber Mann, wir haben fünf Jahre lang keine neue Platte rausgebracht, und jetzt bringen wir endlich eine neue Platte raus, die wir selber so richtig geil finden. Das sind ja alles Themen, die einen bewegen. Nimm „Angst zu erfrieren“ über die Faschos, oder „Wenn wir uns sehen“, das Lied für einen Freund, der Seenotretter ist. [Singt:] „Ich hoff’, du kannst bald wieder schlafen, findest zurück zu deinem Lachen /Ich hoff’, du kannst bald wieder schlafen, ohne Schnaps und harte Sachen“. Wie viele tolle Leute gibt es! Bei diesem Freund geht es gerade darum, dass der vielleicht bis zu zwanzig Jahre in den Knast geht für die Seenotrettung! Und da siehst du auch nur, was glänzt, die Leute klatschen und sagen super! Aber mach das erst mal, rette Leute. Ich war mit ihm 2018 zusammen auf der Ägäis und habe ihn ein paar Tage auf dem Boot begleitet, wir standen vor der Flüchtlingshölle Moria und saßen abends irgendwann zusammen beim Essen und haben geweint. Natürlich macht das was mit deinem Kopf, wenn du jahrelang diese Scheiße auf dem Mittelmeer erlebst. Wenn ich mir immer eingeredet habe, was ich da aushalten muss, dann habe ich mich gefragt, wie doll muss das bei dem wohl sein. Dem dann sagen zu können, wir haben ein Lied für dich – genial! Auch deswegen habe ich Musik noch nie so geliebt wie jetzt. Ob das dann irgendwer nachher gut findet oder nicht, das ist gar nicht die allererste Frage. Sondern es geht darum, dass ich so was sonst gar nicht ausdrücken könnte. Das könnte ich gar nicht so formulieren, weil ich eben ein Proll bin. Ich könnte es, glaube ich, nicht so sagen, wie ich es dann in einem Lied rüberbringe. Und wir hatten dieses Gespräch, wo er gesagt hat, er kann nicht mehr schlafen, wenn er in Deutschland ist. Wenn er hierher kommt und ihm alle sagen, wie toll es ist, was er da macht. „Wie viel Tote hast du aus dem Meer gezogen / Kriegst Applaus dafür, auch dich werden sie zu Tode loben“. Der bekommt viel Applaus, aber auch viel Hass, wie geht man damit um? Es gibt eine Künstlerin, da kann ich mir vorstellen, dass sie bekannter wird. Zu der habe ich gesagt habe, ich hätte echt ein paar gute Tipps gebrauchen können, als es immer mehr wurde. Aber ja, ich will nicht rumheulen, denn wir durften so viel geilen Scheiß erleben, da würden sich viele Leute die Finger nach lecken. Diese ganzen Lieder, darauf wollte ich hinaus, zeigen, es hat alles seine guten und seine Schattenseiten. Da, wo alles glänzt, davon werde ich abgestoßen. Ich will hin zu den Leuten, wo es nicht glänzt.

Interessant finde ich, wie du, Monchi, in unserem Gespräch so viele Hinweise und Erklärungen zu Texten der neuen Platte untergebracht hast, ohne dass wir danach fragen mussten. Da gewinnt man den Eindruck, dass das alles sehr real etwas mit deinem Leben zu tun hat. Uns fiel ein Song beim Durchhören der Platte besonders auf: „Diese eine Liebe“ Wird das die erste Single, der neue Hit?
Kai: Also meine persönlichen Hits sind andere, aber das Gefühl, das du hast, habe ich bei dem Lied auch. Und ja, es wird eine Single werden. Wir haben da lange diskutiert, zuerst war schnell klar, das wird eine Single, weil das etwas poppiger ist. Dann zweifelten wir doch wieder, gibt der Song das her? Wir waren nicht hundertprozentig überzeugt. Aber jetzt wird es wohl doch eine.

Ich habe ein paar lustige Zitate aus unseren Social-Media-Kommentaren gefischt zu unserer Ankündigung des Albums: „Alle tragen Schnauzbärte.“ Und „Ups, die sehen ja plötzlich so erwachsen aus.“
Kai: Nun ja, es sind ja nun auch ein paar Jahre vergangen ... Und ich wünschte mir, ich hätte etwas mehr Bartwuchs.
Monchi: Ich glaube nicht, dass wir erwachsen sind. Aber wir sind erwachsener geworden.

„Wohlfühlrock für linke Kids“, schrieb auch jemand.
Monchi: Egal, ist doch schön. Wohlfühlrock ... pfffff. Das ist wie, wenn Leute über uns was von „antifaschistische Bierzeltmusik“ schreiben und denken, das trifft einen. Stattdessen sage ich: geil. Das wäre doch das Allergeilste, wenn in Mecklenburg-Vorpommern in jedem Bierzelt nur unsere Mucke laufen würde. Und es ist ja nicht so, dass wir textlich stumpfen Scheiß machen. Ich schreibe aber halt keine so verkopften Texte mit Fremdwörtern. So viele Wörter kenne ich gar nicht. Meine Leute würden mir dafür in die Schnauze hauen. Bei uns redet man geradeaus, und dann sagen solche Leute eben, das ist zu stumpf und Wohlfühlrock. Ja, okay, Digger, aber was haben wir alles gerissen? Was meinst du, wie stolz ich darauf bin, wie viele Nazis ich schon gestresst habe mit meiner prolligen Art? Vielleicht ein paar mehr als irgendwelche Leute, die nur in ihrer kleinen Blasen rumhängen.
Hauke: „Wohlfühlrock für linke Kids“ lockt mich auch nicht aus der Reserve.
Monchi: Ich sage: Danke für das Kompliment. Und klar, als wir 17, 18 waren, haben wir noch nicht so auf die Texte geguckt, da war bestimmt auch mal was Sexistisches dabei. Aber guck dir unsere letzten Alben an, da gab es nicht so einen Scheiß wie „die Nutte“ oder so. Und so was wie „An der einen Hand eine Frau, in der anderen eine Flasche Bier“ haben wir selbst verändert, weil wir gesagt haben, nee, das ist uns zu stumpf. Das haben wir dann nicht aufs Album genommen. Bei „Backstage mit Freunden“ waren wir 18 ...
Kai: Dass es auf dem ersten Album noch sexistische Texte gibt, das haben wir immer wieder mal in Interviews erzählt. Das erste Album wird gar nicht mehr vertrieben, und irgendwann ist uns mal aufgefallen, da war schon gar kein sexistischer Text mehr drauf, wir haben das damals schon gar nicht mehr auf das Album genommen, da hatte es vorher schon klick gemacht, dass das nicht so geil ist. Da hatte vorher schon ein Denkprozess eingesetzt.
Monchi: Ich frage mich, in welchen gesamtgesellschaftlichen Verhältnissen leben diese Leute, wenn „Wohlfühlrock für linke Kids“ ein Vorwurf sein soll. Die Gesellschaft rückt ja immer weiter nach rechts! Ich denke, wenn irgendwelche Kids das hören, dann wird diese Musik nicht so viel Schlechtes mit denen machen. Besser als wenn die irgendwelchen total stumpfen Scheiß hören! Also: Danke für das Kompliment, wir machen einen Aufkleber oder ein T-Shirt daraus!

Hauke, das ging vorhin leider etwas unter: Wie hast du es erlebt, in diese Band einzusteigen mit all dem, was da gerade abging, von Shitstorm bis großer Erfolg?
Hauke: Am ersten Abend, als ich die Jungs persönlich kennen gelernt habe, saßen wir zusammen und haben ein paar Songs gespielt: Dann sind wir in eine Kneipe gegangen und haben noch was getrunken und gegessen. Und das Erste, was sie mir sagten, war, wenn wir das jetzt hier machen zusammen, das wird nicht nur wie in einer Wattewolke sein und du bist nicht nur als Musiker dabei. Feine Sahne beizutreten, das kann auch Stress bedeuten. Ich wusste damals natürlich, was die Themen sind und wo die Band aneckt. Aber da waren die ganz offen zu mir und sagten, das musst du dir auf jeden Fall gut überlegen, und das habe ich auch getan. Ich komme ja auch aus einem linken Umfeld, aus einer ethisch linken Haltung, da war das, wofür die Band eintritt, einfach eine gute Sache und dann fiel die Entscheidung auch nicht schwer. Natürlich kann das für mich persönlich irgendwie Konsequenzen haben, aber du kannst auch was bewirken, und das wiegt es für mich auf.
Monchi: Ich stehe schon immer sehr im Fokus bei der Band, da trete ich niemandem zu nahe, aber jeder andere aus der Band hat auch daran zu tragen. Vier von uns wohnen noch in MV. Wir wollten Hauke nicht was Falsches verkaufen. Die Leute sehen doch immer nur den Erfolg. Die denken, geil, Foto mit Monchi gemacht, mal schnell posten, und dann kriegen sie Kommentare von hundert Nazis und nehmen das wieder runter und fragen sich, was da los ist. Weil die Leute gar nicht sehen, was Feine Sahne bedeutet. Die denken halt, wir sind eine Band wie zig andere. Ja, und wer ist denn hier nicht gegen Nazis? Also das war natürlich meine Angst, wie soll ich Hauke das mit der Band verkaufen, wenn er am Ende die Fresse eingeschlagen kriegt und der vielleicht gar nicht den Blick dafür hat, wo und wann es gefährlich wird?
Kai: Ja, über diesen „Blick“ haben wir uns unterhalten. Wir sind ja groß geworden mit diesen Anfeindungen. Und es wäre gelogen, wenn man sagt, man geht immer total unbekümmert abends durch die Stadt. Wir haben uns über all die Jahre einen anderen Blick angewöhnt, wenn wir uns in der Öffentlichkeit bewegen, gerade bei uns in MV. Das mache ich wahrscheinlich nicht, wenn ich bei einem Kumpel in Kreuzberg übernachte und abends noch mal losgehe. Aber das kann ich nicht voraussetzen, dass jemand wie Hauke das auch drauf hat. Es war also klar, wir müssen ansprechen, dass es nicht immer einfach oder toll ist, bei Feine Sahne zu sein.
Monchi: Und ich habe Hauke gesagt, das musst du auch mit deiner Familie besprechen. Wenn ich eine Frau kennen lerne ... was ich der erst mal alles erzählen muss, weil ich Angst habe, dass die dann vielleicht angegangen wird wegen mir. Weil es Leute gibt, die einfach keine Ahnung haben, wie das mit Faschos ist. Klar, in MV gibt es auch sehr viele gute Leute und du kannst da auch dein Leben total entspannt leben. Ich liebe es, da zu leben, ich will da niemals weg. Aber zu erklären, wie das für uns so ist, das ist für viele Leute seltsam, die denken, dass ich übertreibe. Aber wenn man dann die erste Situation mitbekommt ...

Hast du ein Beispiel?
Monchi: Ja, wir hatten so ein Ding mit Philipp Hoppen. Mit dem haben wir als Produzent an dem Album gearbeitet. Produzenten sind ja nicht so mein Thema, das interessiert mehr die anderen, die hatten Bock auf den. Wir dachten aber sowieso, der hat keinen Bock auf uns Spinner. Ja, und dann kommt der nach Vorpommern, unser erster Abend, ein Samstag, und wir gehen in Greifswald in ein Restaurant und da sitzen zehn, fünfzehn Burschenschaftler, also so richtige Fascho-Burschenschaftler. Wir gehen also da rein und sagen: „Fuck ...“ Unser Lieblingsrestaurant, wir wollten uns schön unterhalten ... Aber schnell war klar, wir gehen rein, wir gehen jetzt nicht woanders essen. Da passt dann direkt wieder eine Textzeile: „Hab gelernt, nie nach unten schauen, doch die Paranoia zerfrisst mich / Besser niemals Schwäche zeigen , sonst fressen sie dich“. Manchmal wäre ich auch lieber anders geprägt, manchmal ist das gar nicht so schlau. Ich bin ganz oft auch neidisch, denke mir, jetzt hier in Düsseldorf zu leben wäre auch geil. Aber zurück zur Story: Wir zu sechst, die fünfzehn, alles klar, aber wir verpissen uns nicht! Die haben natürlich auch gleich gecheckt, wer da steht, hatten aber wohl auch keinen Bock auf Stress. Nach dem Essen zurück zum Proberaum, direkt um die Ecke.
Kai: Wir kommen um die Ecke zum Rathaus, und dann sieht man schon so zwei Leute, die sind am Treppe fegen, Junggesellenabschied. Und davor stehen sicher fünfzehn Kameradschaftsnazis von Usedom. Echte Schränke, die man kennt, die uns kennen. Und sofort wurden Blicke ausgetauscht. Und es war klar, wir ziehen durch, wir gehen nicht weg. Das war so ein Moment, wo du denkst, es gibt richtig auf die Fresse. Tja, das war unser erster Abend mit Philsen, unser Kennenlernabend.

Sprechen wir über das Album ...
Monchi: Ich glaube, wir machen geile Mucke und das ist ein hammergeiles Album geworden ...

... das auf uns vom ersten Eindruck her so wirkt, dass ihr euch da gar nicht groß anders präsentiert. Es ist ein Punk-Album, es wirkt nicht, als ob ihr mit Hilfe eines Produzenten plötzlich ganz woanders stehen wollt. Ihr seid ganz normal geblieben.
Monchi: Wir sind selbstkritisch und verändern Sachen. Wir bleiben nicht auf dem Stand von irgendwann früher. Ich freue mich, dass ich mit 35 nicht so bin wie mit 25 oder mit 30. Mit 18, 19, 20 habe ich Sachen gesagt wie, dass Frauen nichts beim Fußball zu suchen haben und so ’nen Scheiß – wie erbärmlich! Ich weiß, wo ich herkomme, und ich weiß, wo ich heute stehe, und das mag vielleicht noch nicht ausreichen. Unser Produzent Philsen saß im Proberaum mit uns und fragte „Und, was ist mit Texten und Themen und so, brauchen wir da vielleicht noch was?“ Ich sagte nur: „Digger ... ich habe Themen für die nächsten drei Alben!“ Aber klar, da ist natürlich auch immer eine Grenze. Wie viel von mir gebe ich rein? Ich gebe so viel von mir rein, aber ich muss nicht jede intimste Sache anbringen. Aber damit es wirklich geil ist, muss man was von sich geben. Das hat einen Preis, das macht angreifbar, man zeigt Schwächen und wo man angreifbar ist und wo es wehtut. Das wurde schon oft ausgenutzt. Was meinst du, wie viele Leute mir geschrieben haben, dass sie hoffen, dass ich schön alles in mich reinfresse und bald wieder 182 Kilo wiege. Da den Punkt zu finden, wo ich trotzdem noch was von mir reingebe und nicht nur ein Album raushaue, das nur noch Phrasen drischt, das war schwierig. Vielleicht erreichen wir nicht mehr 10.000 Leute mit einem Konzert, sondern es sind 2.000, das ist auch okay, oder vielleicht auch mal nur 500 oder 200. Wer weiß? Es war also eine bewusste Entscheidung: Es müssen wieder persönliche Themen sein, auch wenn man sich damit angreifbar macht und Schwächen offenbart. Ich habe ein Lied für jemanden geschrieben, den Namen der Person kann ich nicht sagen, das heißt „Tage zusammen“. Das ist über eine Ex-Freundin, zu der ich noch guten Kontakt habe. Ich glaube, dieser persönliche Blickwinkel, das macht es aus bei uns, bei allem, dass wir, wenn wir zum Beispel über Seenotrettung schreiben, da neben der politischen Perspektive auch die Situation unseres Freundes beschreiben, der alle diese Dinge erlebt, wie in dem Lied.

Es gibt ja nun Bands, die gerne im so genannten „Feuilleton“ rezipiert werden. Die Leute da haben es gerne komplex, mit ach so literarischen Texten. Ihr hingegen seid eine Band, die ihre Texte immer bewusst einfach und verständlich hält und deshalb, glaube ich, einfach eine Menge Menschen „abholt“. Ihr habt es raus, Leute irgendwie „zu kriegen“, so dass die sagen, der singt, der denkt wie ich.
Monchi: Wie oft Leute schon gesagt haben, wie scheiße das ist ... Dabei ist das doch das geilste Kompliment, das mir jemand machen kann. Also wenn du viele Leute damit erreichst und berührst. Das, was du da sagst, ist genau die Art, wie wir an die Texte und die Musik rangehen. Ich habe immer schon so Textzeilen, Momente und Geschichten im Kopf, wo ich denke, das wäre irgendwie geil. Die Strophen unserer Lieder sind oft sehr persönliche Geschichten, während die Refrains oft auf total breites Gefühl angelegt sind. In der Strophe geht es dann zum Beispiel um die Kids meiner Ex-Freundin, mit denen ich noch Kontakt habe, während der Refrain eher allgemein gehalten ist und alle Leute berührt, die jemanden haben, den sie ewig nicht gesehen, wo ich singe, wie toll das ist, jemanden wiederzusehen. Oder „Ich habe Angst zu erfrieren, weil es jeden Tag brennt“ – das Gefühl kennen auch viele Leute. Lass uns jeden Refrain durchgehen und du wirst sehen, es geht ganz oft um solche emotionalen Momente. Hauke, das ist wie bei deinem Lied.
Hauke: Ja, wir haben das so geschrieben, wie wir es gefühlt haben. Da ist nichts verschachtelt. Man könnte uns ja vorwerfen, dass uns die Verschachtelung fehlt, aber ich glaube, das ist auch auch eine schöne Sachen, wenn man einfach sagt, tut mir leid, ich muss losziehen. Tut mir nicht leid, dass der Traum in Erfüllung geht. Tut mir echt leid, dass wir uns jetzt selten sehen. Dieser Zwiespalt, in dem man sich bewegt, wenn man sagt, okay, man tritt in diese Band ein. Dann lässt man was zurück, was jetzt weniger Zeit bekommt. Das war genau das, was ich gefühlt habe, und wir haben das irgendwie aufgeschrieben, ohne da irgendwie eine große Metapher drumherum zu bilden.
Monchi: Und das ganz bewusst. In dem Gespräch haben wir ergründet, was ist das Hauptgefühl, um was geht es hier eigentlich? So auch bei der Seenotrettungssache: Was ist der Hauptmoment? Geht es dabei um irgendwelche politischen Sachen? Ja. Aber in erster Linie geht es um die Angst um einen Freund. „Ich hoffe, du kannst bald wieder schlafen, findest zurück zu deinem Lachen.“ Ich glaube, das können viele Leute nachfühlen, weil es darum eigentlich geht. Vor mir sitzt jetzt nicht der Seenotretter, sondern ein Freund. Und so saß auch ich vielleicht vor Freunden und hatte Momente, wo ich sage, ich kann nicht schlafen. Und wie toll ist das, wenn jemand da ist und sagt, ich hoffe, dass du bald wieder schlafen kannst. Dafür brauchst du nicht groß Unisprache, um das zu erklären, sondern du schaust, was genau ist das Gefühl, worum es da geht. Und ich glaube, das ist das, was die Musik ausmacht. Ich glaube, die neue Platte wird deutlich geiler als „Sturm und Dreck“, und ich liebe „Sturm und Dreck“.

Man spürt, dass du begeistert bist von dem Album. Interessiert dich, was dein direktes Umfeld davon hält?
Monchi: Ich frage gerade jeden, ja. Wenn ich mit irgendwelchen Leuten aus dem Umfeld im Auto fahre, frage ich die das. Viele sagen auch, mir scheißegal, lass uns über Fußball reden. Also ich erwarte das nicht, dass die sich dafür interessieren oder mir sagen, wie toll das ist. Aber ich kann sagen, dass ich das neue Album als eine total logische Weiterentwicklung empfinde, aber es ist immer noch total Feine Sahne.
Hauke: Wie schätzt ihr das denn ein?

Der Vergleich zum letzten Album liegt nah, da waren Songs drauf wie „Zurück in unserer Stadt“ oder „Alles auf Rausch“. Die haben einen direkt angesprochen, die springen einem direkt in die Fresse. Solche Momente hatte ich beim neuen Album auf die Schnelle noch nicht. Mein Gedanke bei den Texten war, dass die tatsächlich so sind, wie du sprichst. Also so authentisch, was ganz Eigenes, und das macht die Platte aus. Und der Punkt ist ja sowieso: Magst du Feine Sahne, ist die neue Platte geil – magst du sie nicht, ändert die daran nichts.
Monchi: Ich kann jeden verstehen, der uns nicht mag, der die Mucke nicht mag. Geht davon die Welt unter? Nee. Lass ein’ saufen und gut ist.Vor allem sind wir jetzt sowieso unglaublich heiß auf diese Konzerte! Endlich raus in dem Bewusstsein, wie wahnsinnig die nächste Zeit werden wird. Endlich mal wieder Konzerte spielen, endlich mit den Leuten in Berührung kommen, einfach Bock zu zocken! Das haben wir immer gefühlt auf der Bühne, auch wenn wir mal Streitigkeiten hatten. Dieses: Jetzt geht’s los! Endlich! Und jetzt, wenn ich das sage, und so kaputt ist mein Kopf manchmal schon, merke ich, krass, wie ich das liebe! Nicht wegen Geld oder irgendwas! Ja klar, Geld ist auch nett, Aber wenn ich sage, wie ich das liebe, wie viel ich da von mir reingebe, wenn ich sage, ich liebe das, ich freue mich auf die Konzerte, dann denke ich schon wieder daran, dass irgendwer sagt: Okay, das müssen wir zerstören. Aber ... scheißegal, wenn es morgen vorbei ist, dann habe ich das jahrelang gelebt, und positiv gesehen: Ich habe die Asche von der Bullenkarre. Und wenn ich mir uns angucken ... Kai und ich sind so verschiedene Typen, aber wir machen das seit 2006, seit 17 Jahren!

Eine Frage habe ich noch. Jahrelang waren eure wichtigen Wegbegleiter die Leute von Audiolith, eurem Label. Jetzt seid ihr da weg, habt ein eigenes Label mit dem schönen Namen Plattenweg. Warum diese Entscheidung? Haben dabei auch diese Vorwürfe eine Rolle gespielt? Da wurde ja auch euer explizit linkes Label Audiolith „in Haftung“ genommen, die wurden auch von manchen Leuten aus der Szene unter Beschuss genommen, und eine Band wie POGENDROBLEM, die auf Audiolith sind, hatten erkennbar ein Problem damit, dass sie als eure Labelkollegen wahrgenommen wurden.
Monchi: Herzlichen Glückwunsch.
Kai: Die Entscheidung deutete sich an. Das mit uns ist für Audiolith alles sehr groß geworden über die letzten Jahre, gerade mit dem letzten Album, und die Diskussion war schon öfter, können die das als Label noch handlen. Dann waren wir jetzt in der Situation, dass zum einen die Verträge ausgelaufen sind, die aber zum anderen auch einfach einen unglaublichen Druck verspürt haben. Ich habe ja auch gelesen, wie sich etwa Bands wie POGENDROBLEM geäußert haben, für Audiolith ist der Druck also wirklich groß geworden. Die Frage war, wollen die das als Label in der Größe noch? Und so haben wir dann zusammen gesagt, okay, wir machen das jetzt selber. Aber Audiolith war ja nicht nur unser Label, sondern die machten auch das Booking. Völlig unabhängig von den Vorwürfen wurde das für die schon länger zu groß. Wenn die nächst größere Band, die du als Booker machst, eher 500 oder 1.000 Leute zieht, dann war das schon auch mal ein Thema. Denen wurde das zu groß, die konnten das nicht mehr stemmen, und so sind wir zu KKT gewechselt.
Monchi: Wenn nicht jetzt, wann dann – das war dann auch die Frage in Sachen Label. Und es ist auch ein Privileg, jetzt alles selbst entscheiden zu können.

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Darum geht es

Dass FEINE SAHNE FISCHFILET immer schon umstritten waren und im Fokus einer Öffentlichkeit stehen, die diese Band nicht nur mit Argusaugen betrachtet, sondern mitunter offen anfeindet, ist nichts Neues. Wer sich politisch und gesellschaftlich derart konsequent positioniert und darüber hinaus immer populärer wird, der triggert die Hass-Community in den Sozialen Medien bis ans Maximum. Der 12. Mai 2022 indes zündete diesbezüglich eine neue Stufe der Intensität für FEINE SAHNE FISCHFILET.

Denn zum ersten Mal ging es nicht mehr nur um das der Band wohlbekannte Spiel „Wir alle gemeinsam gegen Rechts“ mit einer Gegenseite, die austeilt, sondern um eine Sache, die den Wertekompass der Musiker tiefgreifend in Frage stellte und bis heute Fragezeichen auf Seiten aller Beteiligten zurücklässt.
Am 12. Mai 2022 veröffentlichen FEINE SAHNE FISCHFILET bei Instagram ein Statement, in dem sie auf „eine Seite im Internet“ verweisen, die „demnächst“ Vorwürfe gegen die Band veröffentlichen werde. „Wir wissen nicht worum es gehen wird. Wir wollen offen damit umgehen.[...] Wir werden diese Vorwürfe ernst nehmen und uns damit auseinandersetzen. Wir haben auch in der Vergangenheit nie versucht, irgendwelche Vorwürfe zu deckeln“, heißt es im Text. Die Musiker weisen ferner darauf hin, „dass eine Band, die nur aus Typen besteht zu Problematiken führen“ könne. Bereits seit geraumer Zeit werde man daher in solchen Dingen bereits beraten, sensibilisiert und durch Menschen vom Fach mit der entsprechenden Problematik konfrontiert. Zudem richten FEINE SAHNE FISCHFILET eine Mail-Adresse ein, an die sich seitdem Menschen wenden können, „die das Bedürfnis dazu haben, weitere Vorwürfe gegen die Band aufzuarbeiten“. Man selber werde „keinen Zugriff auf den Account haben“.
Noch am Abend desselben Tages wird dann auf einer Internetseite mit dem Namen „Keiner muss Täter sein“ tatsächlich der von FEINE SAHNE FISCHFILET angekündigte Post abgesetzt. Anonym. Es wird behauptet, Sänger Jan „Monchi“ Gorkow habe sich in der Vergangenheit übergriffigen Verhaltens schuldig gemacht. Vier Tage später folgt der nächste Post von „Niemand muss Täter sein“, in dem die Vorwürfe bekräftigt werden und mit denen die Betreibenden der Seite erklären, warum es keine Details zu den Anschuldigungen gebe: Man wolle die Betroffenen schützen. Zudem gehe es nicht um einen „Rachefeldzug“ gegen oder „Rufmord“ an FEINE SAHNE FISCHFILET.

Eine Antwort von FEINE SAHNE FISCHFILET gibt es in den Tagen gleich danach nicht. Erst eine Woche später, am 19. Mai, wendet sich Monchi, gerade mit seinem erfolgreichen Buch „Niemals satt“ auf Lesetour durch Deutschland, in den sozialen Medien an die Menschen: Er verschiebt anstehende Lesungen in Leipzig, Münster und Köln. „Ich merke, dass die diffusen Anschuldigungen eine große Belastung für mein Umfeld sind und ganz bestimmt auch für viele andere Menschen, die ich gar nicht sehe. Ich kann auch absolut verstehen, dass es für einige Läden, in denen ich lese, eine absolut beschissene Situation ist. Bis jetzt sind nach wie vor keine konkreten Vorwürfe an mich herangetragen worden, zu denen ich mich entsprechend verhalten könnte. Ebenfalls bin ich weiterhin bereit, mich konkreten Vorwürfen zu stellen und verantwortungsbewusst damit umzugehen.“

Erstmals umfassend als Band melden sich FEINE SAHNE FISCHFILET dann am 31. Mai zu Wort, nachdem inzwischen auch über die Gründe für den zuvor bekannt gewordenen Ausstieg von Gitarrist Christoph Sell und Trompeter Jacobus North spekuliert wurde. Und die Wortwahl in dieser Botschaft zeigt deutlich, dass die Musiker – über jede Bereitschaft zur Diskussion hinaus – auch durchaus bereit sind, sich zu wehren. Unter anderem widersprechen sie der Lesart der Ereignisse, Sell und North hätten die Band aufgrund der Vorwürfe verlassen. Das Statement im Wortlaut:
„Liebe Leute, viele von euch haben mitbekommen, dass im Netz diffuse Anschuldigungen und Gerüchte gegen Monchi und die Band vorgebracht wurden. Als die Anschuldigungen aufkamen, waren wir zunächst überfordert. Wie geht man mit einer anonymen Internetseite um, die sich zuvor nie bei uns gemeldet hat und bei der man den Eindruck hat, dass es in erster Linie um Zerstörung geht? So viele Gerüchte, so wenig Wissen, so viel Internet. Allein, dass Leute behaupten, dass Christoph und Jacobus wegen solcher Vorwürfe die Band verlassen haben, ist totaler Quatsch. Der erste Impuls, den wir hatten, als die Vorwürfe gegen uns auftauchten, war einfach nur zu sagen – „Lasst uns in Ruhe! Das stimmt alles nicht.“
Aber so einfach wollen und können wir es uns bei dem Thema nicht machen. Dieser Drahtseilakt, einen Umgang zu finden, bei dem wir unsere Verwunderung über die Art und Weise dieser Internetseite ausdrücken, aber gleichzeitig nicht auf alles scheißen wollen, ist in den letzten Wochen bei uns omnipräsent gewesen. Es gibt ne ganze Menge Menschen die einem „Sagt doch, dass alles nur Quatsch ist - Streitet komplett ab - Wenn ihr hier auf differenziert macht, dann versteht das da draußen keiner“ ans Herz legen oder sagen „Reagiert überhaupt nicht auf so eine Scheiße!“.
Aber genau das wollen wir nicht. Dadurch, dass wir uns mit dieser Thematik über die Jahre Schritt für Schritt immer mehr auseinandersetzen, haben wir aber gecheckt, dass solche Begrifflichkeiten wie bspw. Machtmissbrauch oder sexualisierte Gewalt einfach so krass unterschiedlich ausgelegt werden können und die Spannweite dahingehend immens ist, so dass wir jedenfalls nicht jede Kritik einfach nur wegwischen wollen. Trotzdem wollen wir klar betonen: es gibt keine Fälle der sexualisierten Gewalt, die von uns ausging und derer wir uns bewusst sind.
Daher war es uns auch wichtig, von Anfang an zu signalisieren, dass wir ansprechbar sind. Und das gilt. Sollten Menschen mit konkreten Vorwürfen an uns herantreten, dann werden wir uns mit diesen verantwortungsbewusst auseinandersetzen.
Genauso bedeutet das aber nicht, dass wenn niemand auf uns zukommt, wir uns dann sagen, „Ach, is ja alles gut. Müssen wir uns doch nicht mit uns auseinandersetzen“. Völlig unabhängig von den letzten Wochen wollen wir Sachen bei uns weiter verändern. Wir können einfach nicht behaupten, dass wir noch nie respektlos, peinlich oder sexistisch gegenüber Frauen gewesen sind. Weil uns das immer mehr bewusst wird, sind wir seit einiger Zeit persönlich, aber auch gemeinsam als Band in einer Auseinandersetzung, bei der wir immer mehr verstehen, dass wir Sexismus, sexistisches Verhalten und so viel Scheiße selbst reproduziert haben und reproduzieren. Zudem sind wir Teil der immer noch sehr männerdominierten Musikszene.
Daran wollen wir arbeiten und haben uns deshalb Unterstützung geholt, unter anderem auch Anfang des Jahres von Misc, die uns seitdem beraten, was man zum Beispiel auf Konzerten ganz praktisch umsetzen kann. Sie sensibilisieren uns auch in Bezug auf unser eigenes Verhalten. Wir machen das in erster Linie für uns, unsere Crew, Menschen, die mit uns arbeiten und alle, die auf unsere Konzerte kommen, um aus der Vergangenheit zu lernen und in der Zukunft Dinge besser zu machen.
Wer uns aber als komplette Vollwichser darstellen will, die Frauen aus Überzeugung beschissen behandeln, ihr Verhalten ohne jegliche Selbstreflektion durchziehen und so tun, als ob wir uns Auseinandersetzungen bewusst entziehen und nicht an uns arbeiten wollen, der kann dies gerne erzählen, aber genauso klar können wir auch sagen, dass das Quatsch ist. Genauso wie Feine Sahne Fischfilet für Eskalation, Absturz und Abriss steht, steht Feine Sahne auch immer für Scheitern, für Verstehen, für Verantwortung und für Veränderung. Stillstand ist für uns keine Option und wir werden da authentisch bleiben. Wir wollen das hier als Chance begreifen, daran zu wachsen und für konstruktive Kritik und Auseinandersetzung weiterhin offen sein. Wir wollen und werden Teil der Lösung sein und nicht Teil des Problems.“

Am 6. Juni melden sich schließlich die in diesem ausführlichen Post erwähnten Christoph Sell und Jacobus North in den sozialen Medien zu Wort – und befeuern mit ihren Statements die Diskussion. Unter anderem schreibt Christoph Sell: „Es herrscht gespenstische Ruhe im Nebel des Ringens um die Deutungshoheit. Wie so oft geht es auch hier um die beschissene Macht bei uns Menschen in einer sexistischen und unterdrückten Welt, in der wir aufwachsen und erzogen werden. Oft sehen wir die Mechanismen eines autoritären Umgangs erst, wenn wir Abstand nehmen und die Perspektive wechseln. Ich will selbstkritisch mit mir sein und es geht mir auch nicht darum mich von weiterer Kritik freizusprechen. Ich möchte vielmehr mein Schweigen brechen.“ North postete: „Toxische Männlichkeit und die Grenzüberschreitung als Markenkern zeigen sich mir viel zu spät als Ursache für die nun erhobenen Vorwürfe. [...] Wie viele wollte ich übersehen, wie viele konnte ich wegen meiner Position übersehen.“ 

Danach passiert bis heute nicht mehr viel. FEINE SAHNE FISCHFILET spielen im Sommer 2022 einige Konzerte im Vorprogramm von DIE TOTEN HOSEN. Monchi nimmt die Lesereise irgendwann wieder auf. Am 6. Dezember 2022 flammt noch einmal eine vergleichsweise kleine Diskussion im Internet auf: Dort fordern die Betreibenden der Facebook-Seite „Punk too!“ von FEINE SAHNE FISCHFILET, sich ab sofort nicht mehr als Punkband zu bezeichnen, denn: Sie hätten die Justiz eingeschaltet. Als Konsequenz daraus sei die Instagram-Seite, auf der die Vorwürfe erstmals erhoben worden waren, entfernt und angeblich Userdaten angefragt und herausgegeben worden. Und das wiederum vertrage sich nicht mit einer Band, die „ihren Ruhm auf einem Eintrag im Verfassungsschutzbericht aufbaut, dann aber zur Justiz rennt, um sich gegen ‚Verleumdung und Beleidigung‘ zu wehren, anstatt mal mit der eigenen Vergangenheit aufzuräumen.“

Das Narrativ, das seitdem durchs Netz geistert, ist, dass irgendjemand wegen eines Posts eine Klage bekommen hat. Die Band sagte dazu im Ox-Interview: „Davon stimmt, dass wir über Meta, den Betreiber von Facebook und Instagram, versucht haben rauszufinden, um was es da überhaupt geht, um wen geht es, wer steckt dahinter. Wir haben versucht uns bei denen zu melden, die diese Posts gemacht haben [...]. Es gab keine Möglichkeit, da Kontakt aufzubauen. [...] Deswegen wissen wir auch bis heute immer noch nicht, um was es geht. Und so haben wir nach fünf Monaten oder so entschlossen, wir wollen uns nicht weiter mit Dreck beschmeißen lassen. Und wir wollen, dass diese Posts gelöscht werden. Das haben wir bei Meta beantragt, es ging da um ein Instagram-Profil und ein Profil auf Twitter. Dieses Profil wurde gelöscht, nachdem ein Gericht festgestellt hat, ja, es handelt sich um Verleumdung. Diese Begründung wollte Meta haben, um das zu löschen. Also hat ein Gericht festgestellt, es handelt sich um Verleugnung, und dann wurde das offline genommen. Wir haben in der Sache aber keine Anzeige erstattet, obwohl es die Möglichkeit gegeben hätte, Strafanzeige zu erstatten.“

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Diskografie

„Backstage mit Freunden“ (CD, Diffidati Records, 2009) • „Wut im Bauch Trauer im Herzen“ (LP/CD, Diffidati Records, 2010) • „Scheitern und Verstehen“ (LP/CD/MC, Audiolith, 2012) • „Bleiben oder Gehen“ (LP/CD, Audiolith, 2015) • „Sturm und Dreck“ (LP/CD, Audiolith, 2018)“ • „Alles glänzt“ (LP/CD, Plattenweg, 2023)