FIRESIDE

Foto© by Celine Barwich

Neunziger-Jahre-DINOSAUR JR.-Vibes

Mit „Bin Juice“ (die eklige Flüssigkeit am Boden einer Mülltonne) erscheint also tatsächlich noch mal ein neues FIRESIDE-Album. Pelle Gunnerfeldt und Kristofer Åström sind mittlerweile die einzigen Konstanten in einer Bandgeschichte, die sich über dreißig Jahre erstreckt. Dabei ist es in der letzten Zeit eher ruhig um den Produzenten von REFUSED und THE HIVES geworden – zumindest was seine eigenen Veröffentlichungen angeht. Im Gespräch erzählt Pelle davon, dass das neue Album vor allem nach Neunziger-Rockmusik klingen soll, warum in einem Pub geprobt wurde und was seine Beziehung zu Kristofer ausmacht.

Lass mich mit einer nicht so ernstgemeinten Frage in Anlehnung an euren Albumtitel beginnen: Wie wichtig ist dir das Thema Recycling?

Ich habe einen Freund, der sehr auf Nachhaltigkeit achtet. Er arbeitet mit einem Festival zusammen, das sehr auf seinen ökologischen Fußabdruck schaut. Die Tatsache, dass wir „Bin Juice“ nur auf Vinyl veröffentlichen wollen, hat ihn regelrecht sauer gemacht. Offenbar ist das Material, das bei der Herstellung von Vinylplatten verwendet wird, nicht recyclebar. In Bezug auf den Albumtitel kann ich sagen, dass wir uns da bei uns selbst bedient haben. Es gab schon früh zu Beginn der Produktion dieser Platte eben diesen Songtitel. Irgendwie passte er auch sehr gut zum Cover. Grundsätzlich wollten wir mit „Bin Juice“ dieses Neunziger-Jahre-DINOSAUR JR.-Gefühl erzeugen. Und so passte am Ende alles irgendwie zusammen.

Die DINOSAUR JR.-Vibes kann man ebenso wie eine gewisse schwedische Grundstimmung sehr leicht aus den Songs heraushören. Wie viele Tracks haben sich in den Jahren seit der Veröffentlichung von „Get Shot“ 2003 so aufgetürmt?
Für uns fühlt sich „Bin Juice“ fast wie ein Debütalbum an. Auf der einen Seite hatten wir immer Songs, die es nicht auf die anderen Platten geschafft haben. Selbst in den letzten Jahren, als wir noch getourt haben, schrieb ich ein paar Hardcore-Nummern, mit denen die anderen nicht so einverstanden waren. Ich würde sagen, dass wir seither um die sechzig oder siebzig Songs geschrieben haben. Dass unser Bassist und Schlagzeuger die Band verlassen hatten, weil sie es sich einfach nicht mehr vorstellen konnten, mit FIRESIDE weiterzumachen, war für Kristofer und mich der Anlass, diese Oldschool-Platte zu schreiben. Es sollte nicht retro klingen. Eher so wie FIRESIDE früher, als wir jünger waren. Dabei waren es vor allem die Songs, die während der Proben sehr gut funktioniert haben. Wir wollten wieder wie eine Band klingen und haben aus dem Grund vielleicht auch den einen oder anderen Pop-Song nicht mit auf „Bin Juice“ genommen.

Ich habe das Gefühl, dass keine zwei FIRESIDE-Platten gleich klingen. Musikalische Entwicklung scheint bei euch an erster Stelle zu stehen – gleichauf mit dem Bedürfnis, wieder wie eine komplette Band zu klingen und nicht wie ein Computerprojekt.
Viele Bands aus den letzten 25 Jahren klingen wirklich wie eine durchprogrammierte Version ihrer selbst ... Tatsächlich würde ich dir, bis auf den Wunsch, wie eine Band zu klingen, aber widersprechen. Es gibt viele Elemente, die sich durch unsere komplette Karriere durchziehen. Frag mal Leute, die sich hauptsächlich auf Kristofers Stimme fokussieren, ob sie einen Unterschied zwischen den Alben heraushören. Er hat einen so großen Anteil an unserem Sound. Auf der anderen Seite lassen sich doch viele Neuerungen erkennen, wenn man sich auf die Produktion konzentriert. Ich höre ja schon beruflich unheimlich viel Musik und entdecke dabei permanent etwas Neues. Wenn ich jedoch einen neuen Stil ausprobieren möchte, bei dem die anderen nicht mitgehen, muss ich das erst mal verwerfen. Es ist viel wichtiger, dass wir unser gemeinsames Ding durchziehen und sich alle mit dem identifizieren können, was wir produzieren. Manchmal versuche ich auch, unsere alten Songs zu kopieren. Es gibt bereits fünf unterschiedliche Versionen von einem Song, den wir auf „Do Not Tailgate“ veröffentlicht haben, bei dem ich die Akkorde nur um Nuancen verändert habe. Eine dieser „neuen“ Varianten findet sich auch auf „Bin Juice“.

Also ist zumindest der „Bandsound“ eine Konstante bei euch?
Als wir unsere ersten Songs geschrieben haben, ging es wirklich nur darum, die Energie, die im Proberaum entsteht, zu konservieren. Ich hatte keine Ahnung von Songwriting und habe darauf auch eher weniger Wert gelegt. Mit der Erfahrung, die ich mittlerweile sammeln durfte, kann ich diese Ideen nun aufgreifen und mit neuen Einflüssen verfeinern. Im Kern bleibt es aber dieselbe Energie.

Wie hast du es geschafft, neben deiner Tätigkeit als Produzent von Bands wie THE HIVES, REFUSED und vielen anderen, noch Raum für deine eigene Musik zu finden?
Ich habe eine Zeitlang tatsächlich eine gewisse Wehmut verspürt, wenn ich keine Kapazitäten übrig hatte, um FIRESIDE-Songs zu schreiben. Jetzt nehme ich mir definitiv die Zeit dafür. Kristofer und ich waren uns einig, dass es unbedingt neue Musik von uns geben soll. Wir wären daran fast kaputt gegangen. Am Ende ist es auch eine ökonomische Frage. Alle müssen sich Zeit nehmen und alles andere erst mal liegen lassen. Für mich als jemanden, der ständig mit Musik arbeitet, ist das natürlich noch etwas einfacher. Jedenfalls haben wir schon vor fast fünf Jahren damit begonnen, Sachen für „Bin Juice“ zu schreiben. Ich bin dann regelmäßig eine Stunde früher ins Studio gegangen und habe Demos aufgenommen oder einfach nur Gitarre gespielt, bevor meine Kunden kamen. Das war auf jeden Fall keine einfache Zeit.

Wie muss man sich die Beziehung zwischen dir und Kristofer vorstellen?
In den Neunzigern waren wir absolut auf einer Wellenlänge. Diese enge Beziehung haben wir in den letzten Jahren etwas aus den Augen verloren. Das Ganze ging wahrscheinlich in dem Moment auseinander, als wir beide nach Stockholm gezogen sind. Dort hat irgendwie jeder sein Ding gemacht und wir haben uns etwas voneinander entfernt. Jetzt schreiben wir wieder gemeinsam FIRESIDE-Sachen. Das war aber ein steiniger Weg.

Wie unterscheidet sich die Produktion von FIRESIDE-Songs von denen, womit du beruflich zu tun hast?
Es gibt quasi keine zwei gleichen Künstlerinnen und Künstler. Manchmal kann es passieren, dass zwei Leute von einer Band in Tränen ausbrechen, während ein anderer mit der Faust gegen die Wand schlägt. An einem anderen Tag bringt derjenige dann Zimtschnecken mit und es entsteht ein wunderbarer Song. Das ist super spannend und permanent in Bewegung. So war es bei uns dann natürlich auch.

Angeblich habt ihr in einem Pub geprobt und die Songs auf einer Insel aufgenommen. Kannst du da etwas Licht in Dunkel bringen?
Der Pub liegt im Norden der Stadt und Kristofer wohnt gar in Göteborg. Er war quasi nie bei den Proben anwesend. Auf jeden Fall war es immer irgendwie ein Akt, zu diesem Proberaum zu kommen, und wir hatten so viel zu besprechen, dass wir direkt in dem Pub geblieben sind und tatsächlich kaum geprobt haben. Was die Insel angeht: Ich habe ein Sommerhaus auf einer Insel, die so groß ist, dass ich sie fast nicht als Insel bezeichnen würde. Es dauert zwei Stunden, um von der einen Seite zur anderen zu kommen. Auf jeden Fall haben Kristofer und ich dort die ersten Demos aufgenommen. Dazu haben wir auch einen Drumcomputer programmiert, den ich als erste Aktion im Studio durch einen echten, lebendigen Drumsound ersetzen wollte.

Was für Erwartungen hast du selbst an „Bin Juice“?
Das ist eine schwere Frage. Auf der einen Seite wird es wahrscheinlich etwas schwieriger, einfach so wieder in den Loop aus Albumproduktion, Shows und was weiß ich nicht allem zu kommen. Wir waren ja wirklich lange nicht richtig aktiv. Wobei die Shows, die wir in den letzten vier, fünf Jahren gespielt haben, schon gut besucht waren. Allerdings haben wir im Moment unter tausend Follower bei Instagram oder Facebook. Wir streamen keine Shows oder veranstalten sonstige Aktionen. Ich denke, dass wir eine bestimmte Fanbase haben, die sich sicher über das neue Album freut. Ich würde mir tatsächlich wünschen, dass diese Leute unsere Musik auch ihren Kindern vorspielen. So könnten diese einen Einblick in die Rockmusik der Neunziger Jahre bekommen und vielleicht eine neue Perspektive auf Musik allgemein gewinnen. Es wird auf jeden Fall spannend sein zu sehen, wie sich eine so lange Abstinenz bemerkbar macht.