FIT FOR A KING

Foto© by Dana Willax

Würgegriff und Traumata*

Triggerwarnung: Dieses Interview beinhaltet unter anderem Aussagen zu mentalem wie physischem Missbrauch und seelischer Gesundheit. Für Betroffene und Angehörige gibt es die Möglichkeit, mit einer Vielzahl an öffentlichen Be­ratungsstellen in Kontakt zu treten.

Nur knapp zwei Jahre sind seit der letzten Platte „The Path“ verstrichen und FIT FOR A KING steigen mit „The Hell We Create“ in den Ring. Wir sprechen mit Fronter Ryan Kirby über das bisher persönlichste Album der Band und die Facetten der (individuellen und gesamtgesellschaftlichen) Hölle.


Die 2007 gegründete texanische Metalcore-Formation FIT FOR A KING (inzwischen nicht mehr in Originalbesetzung) hat sich den biennalen Zyklus zu Herzen genommen und veröffentlicht am 28.10.22 ihr siebtes Studioalbum „The Hell We Create“. Während sich die Band über die letzten Alben in weitestgehend ähnlichem Metalcore/Post-Hardcore-Fahrwasser aufgehalten hat, so haben sie sich bereits auf „The Path“ auf partiell andere Mixturen eingelassen und „The Hell We Create“ geht mit „Deathcore-ins­pirierten Strophen und Breakdowns und zunehmend mehr Rock-Inspiration“ ins Rennen – beschreibt Sänger Ryan des neue Werk. Mit dem Longplayer wurde die Formel von „Dark Skies“ und „The Path“ komplettiert, es ist „wie der letzte Film einer Trilogie“. Erneut produziert von WZRD BLD aka Drew Fulk, der bereits für zwei Vorgängeralben verantwortlich war, vereint „The Hell We Create“ die textliche und musikalische Ebene mehr denn je und wurde im Sprint von sechs Wochen aufgenommen. Neben dem tonalen FIT FOR A KING-Footprint beeinflussten auch Bands wie PARKWAY DRIVE , AS I LAY DYING, ­LINKIN PARK und THE ACACIA STRAIN die Ausrichtung und das Songwriting der Tracks.

Bereits vor dem Release betonte die Band die per­sönliche Ebene des Albums: Ein Gros der Texte wurde von Ryan verfasst, der damit seine Erfahrungen und Gefühle der letzten Jahre nicht nur verarbeitet, sondern zudem kritisch nach außen kehrt. Inhärent ist dabei nicht nur seine Sicht auf das Geschehene, sondern auch die Einordnung in die Komplexität gesellschaftlicher und systematischer Strukturen und Missstände: „Ich habe auf jeden Fall viel daran gearbeitet, mich besser in andere hineinzuversetzen und mehr Verständnis für andere Standpunkte auf­zubringen. Durch das politische Klima ist mir das wieder sehr wichtig geworden“, so Ryan. 

Κόλαση – Hölle
„The Hell We Create“ subsumiert für die Band nicht nur sprachlichen Pathos, sondern viel mehr einen Tenor auf drei Ebenen: die Ausübung von Druck auf sich selbst – durch schlechte Entscheidungen, Sucht und Angst vor expliziten Ereignissen, die nie eintreten werden. Ryan betont aber auch die Gegenseite: „Unsere Entscheidungen können auch für andere die Hölle bedeuten“ – wenn suchtkranke Personen etwa Kinder in ihrer Obhut haben, Fälle von Missbrauch vorkommen und viele andere desaströse Punkte. Im letzten Layer kreiert die Gesellschaft die Hölle. Für Ryan ist hierfür die Pharmaindustrie ein explizites Beispiel: „Das war die Hauptursache für den Schlaganfall meiner Frau, die Geburtenkontrolle. Wir fanden heraus, dass dieses Unternehmen bereits verklagt worden war, einen Vergleich geschlossen hatte und das Verhütungsmittel trotz des hohen Risikos einer Gerinnungsstörung weiterhin auf dem Markt zugelassen war.“

Ἄλγεα – Schmerz
FFAK haben in den letzten Jahren nicht nur das Genre-technische Spektrum geöffnet, sondern auch an den visuellen Aspekten gefeilt: Das Cover der neuen Scheibe wurde von der Künstlerin Corinne Alexandra gestaltet und schließt an die Ästhetik von „The Path“ an. In unerbittlicher Drastik bildet es eine der Algea ab, Personifikationen der Schmerzen und des Leidens. In der griechischen Mythologie stehen sie auch für den Kummer des Herzens und gelten als Verkörperungen von Fehlverhalten. Das Motiv spiegelt damit den auf der textlichen Ebene thematisierten unausweichlichen Würgegriff wider.

Die individuelle Interpretation des Schmerzes stammt direkt aus der Lebenswelt des Fronters: „Ein paar Monate bevor die Pandemie begonnen hat, hatten wir unsere Nichte und unseren Neffen in Pflege genommen – doch dann brach alles zusammen. Ich verlor meinen Job, meine Frau ebenfalls, sie war Flugbegleiterin, und nun mussten wir zwei Kinder im Alter von 8 und 13 Jahren zu Hause unterrichten. Erschwerend kam hinzu, dass beide extrem traumatisiert sind. Ein Jahr nach Beginn der Pandemie starb meine Frau fast an einem Schlaganfall. Die Aussicht, meine Frau zu verlieren und ein alleinerziehender Vater von zwei Kindern zu sein, brachte uns in eine sehr verzweifelte Lage.“ Eben diese Erlebnisse flossen in ihrer Essenz in die Lyrics ein – Schmerz, Hoffnung, die Miseren der Gesellschaft, aber auch die Sicht der Kinder auf das Erlebte. Heute, 2022, sind beide Kinder adoptiert worden – und haben weiterhin damit zu kämpfen, ihre Traumata zu überwinden. Der Closer „What you left behind“ adressiert direkt die Geschichte der beiden Kinder und das aus differenten Blickwinkeln: aus ihrer Sicht und der der Erwachsenen. „Es ist eine direkte Nachricht an die biologischen Eltern der Kinder. Was sie ihnen angetan haben und den Schmerz, den sie verursacht haben“, berichtet Ryan. Die intime Ebene und die Verarbeitung des Geschehenen zeigt sich auch in einem Song wie „End“, welcher die Nacht thematisiert, in der Ryan fast seine Frau verloren hätte, und die Erkenntnis, dass der Tod letztendlich für jede:n unausweichlich bleibt. Mit den Tiefschlägen einhergehend schließen auch Tracks wie „Sink below“ über die Verarbeitung von Panikattacken, aber auch „Falling through skies“ an, der als Reminder für die eigene mentale Gesundheit in dunklen Zeiten steht: „Der Track erinnert mich daran, dass ich der psychischen Gesundheit in meinem Leben immer Priorität einräumen muss. Das habe ich nicht getan und als die Dinge außer Kontrolle gerieten, brach ich mental völlig zusammen.“

Ενσυνειδητότητα – Achtsamkeit
In der Bilanz von „The Hell We Create“ steht definitiv nicht nur eine persönliche, sondern auch eine gesamt­gesellschaftliche Message: Auf andere zu achten, Missstände zu artikulieren (wie in „Times like this“) und Denkanstöße aus vielen Perspektiven zu geben. Und wenn FIT FOR A KING mit einem Wunsch schließen möchten, dann dass in den kommenden Jahren wieder mehr junge Bands geben muss, die die Fahne des Genres nach oben halten.