FONTAINES D.C.

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Verdammter Hirsch!

Spitzenpositionen in den britischen Charts, Touren durch die USA und ganz Europa sowie Auftritte beim Roskilde, Sziget oder Primavera Festival. Läuft für FONTAINES D.C., würde ich sagen. Allein für ihre ausverkaufte Show im Londoner Alexandra Palace im Oktober 2021 haben sie 10.000 Tickets abgesetzt. Jetzt haben die Iren mit „Skinty Fia“ ihr drittes Album in vier Jahren am Start und alles deutet darauf hin, dass die Erfolgswelle, auf der das Quintett aus Dublin surft, nicht abebbt. Und das, obwohl sich FONTAINES D.C. mit jedem Album weiterentwickelt und ihren Sound mit neuen Elementen angereichert haben. Auch diesmal haben sie wieder einiges anders gemacht, verrät uns Gitarrist Carlos O’Connell, während er in einem Backstage-Raum in Barcelona auf den Soundcheck wartet.

Die meisten Songs von eurem neuen Album „Skinty Fia“ drehen sich um eure Liebe zu Irland. Woher kommt das?

Ich finde, es ist eigentlich die logische Fortsetzung unserer beiden ersten Alben. „Dogrel“ hat sich vor allem mit schrägen Typen aus Dublin beschäftigt, wie dem Taxifahrer aus „Boys in a better land“. „A Hero’s Death“ hat dann unseren Trennungsschmerz von Dublin dokumentiert, nachdem wir monatelang um den Globus getourt sind. Bei „Skinty Fia“ geht es darum zu erzählen, wie es sich anfühlt, als Exil-Ire zu leben, denn wir sind inzwischen alle nach London übergesiedelt. Wir haben uns also mit Dublin aus den unterschiedlichsten Perspektiven beschäftigt. Jetzt leben wir eben alle zum ersten Mal nicht mehr dort und blicken zurück auf den Ort, wo wir herkommen. Gleichzeitig ist es der Ausdruck eines sehr merkwürdigen Gefühls, denn irgendwie waren wir auch gezwungen, die Stadt zu verlassen. Das hören wir überall, wenn wir uns mit anderen Künstlern austauschen, die Irland aus dem gleichen Grund verlassen haben. In Dublin ging es einfach nicht weiter, weil all die kreativen Plätze und die Menschen, die dort gewirkt haben, verschwunden sind. Diese ganze fruchtbare Umgebung gibt es nicht mehr. Das liegt auch am Bündnis der beiden bürgerlich-konservativen Parteien, die vor zwei Jahren die Parlamentswahlen gewonnen haben. Deshalb haben wir das Land verlassen. Gleichzeitig vermissen wir Dublin. Jetzt müssen wir erst lernen, wie es ist, als Ire im Ausland zu leben. Identität war schon immer ein großes Thema für uns. Iren bleiben Irland immer verbunden.

Warum habt ihr euch London als neuen Lebensmittelpunkt ausgesucht?
Die Stadt hat für uns einfach Sinn gemacht, weil viele Menschen, mit denen wir zusammenarbeiten, von dort kommen. Unser Label hat in London ein Büro. Außerdem gibt es jede Menge kreative Menschen, die interessant für eine zukünftige Zusammenarbeit sind. Wirklich spannende Songwriter und exzellente Musiker. Das wollen wir erforschen und in diesen florierenden Kosmos eintauchen. Dadurch können wir weiter lernen und wachsen. Dublin hat seit Jahren versucht, all das zu sein und momentan mehr Probleme als je zuvor. Dort fehlt einfach die komplette Infrastruktur, um als Künstler mehr zu erreichen, als einfach nur zu überleben.

„Skinty Fia“ ist euer drittes Album in vier Jahren. Dazwischen ist nicht wirklich viel Zeit vergangen. Gibt es eine Verbindung zwischen den Alben?
Ich denke, der rote Faden ist unsere persönliche Beziehung zu den Texten. In unseren Songs geht es vor allem darum, unsere eigenen Erfahrungen zu verarbeiten. Wir reflektieren auf allen drei Alben, was wir in der Zeit erlebt haben, und in den letzten vier Jahren ist bei uns einfach einiges passiert. In meinen Augen sind sich „Dogrel“, „A Hero’s Death“ und „Skinty Fia“ überhaupt nicht ähnlich. Die Dinge um uns herum ändern sich einfach ständig und wir entwickeln uns weiter.

Als Albumtitel habt ihr diesmal einen irischen Ausdruck verwendet. Erklär doch mal, was „Skinty Fia“ bedeutet.
„Skinty Fia“ ist ein typisch irischer Kraftausdruck, der schon seit Generationen in irischen Familien verwendet wird. Familien, in denen ausschließlich irisch geredet wird. Wörtlich würde man es mit „verdammter Hirsch“ übersetzen. Alle Hirsche sollen verflucht sein, weil mir meine Teetasse runtergefallen ist. Dieser Fluch ist so simpel und schön, dass er bei uns mehrfach am Tag verwendet wird. Deshalb haben wir auch das Bild eines irischen Elchs für das Artwork verwendet, der dort aus seinem natürlichen Lebensraum herausgerissen ist. Eine Spezies, die übrigens längst ausgestorben ist. Wir mochten einfach den Klang von „Skinty Fia“ und die alte Welt aus der dieser Ausdruck stammt. Und wir wollten bewusst diesmal eine irischen Redewendung als Titel haben, weil wir uns auf dem Album intensiv mit unserem Verhältnis zu Irland beschäftigen.

Auch der Opener des Albums hat einen irischer Titel, „In ár gcroíthe go deo“. Welche Geschichte steckt dahinter?
Der Text bei diesem Stück ist komplett auf Irisch und kein Mensch in London kann ihn korrekt aussprechen, haha. Dieser Song hat eigentlich den Impuls für das gesamte Album gegeben. Er erzählt die Geschichte einer alten Dame, die wir in der Irish Post gelesen haben. Sie hatte jahrelang in Coventry gelebt und in ihrem letzten Willen verfügt, dass die Inschrift auf ihrem Grabstein auf Irisch sein soll. Mit englischer Übersetzung darunter. Sie wollte die Worte „In ár gcroíthe go deo“ darauf stehen haben. Das heißt übersetzt „Für immer in unseren Herzen“. Aber die Church of England und die lokale Verwaltung haben es nicht genehmigt, weil eine irische Inschrift ihrer Meinung nach als Akt der Provokation sei und ein Befürworten von Terrorismus. Das ist gerade mal zwei Jahre her. Daran kann man erkennen, wie weit die Diskriminierung von Exil-Iren immer noch verbreitet ist. Die britische Kolonialisierung von Irland hat ja auch damit angefangen, dass man die Landessprache nicht mehr nutzen durfte. Diskriminierung, Entrechtung und Enteignung durch die Briten bestimmten das Leben der Iren bis ins 20. Jahrhundert. Mit der Zerstörung der Sprache haben sie die Identität und damit auch die Stärke der Iren vernichtet. Und die Tatsache, dass jemand heute noch zum Terroristen gemacht wird, nur weil er die irische Sprache verwendet, ist absolut irrwitzig. Das zeigt, wie sehr dieses Denken immer noch in den Köpfen steckt. Das hat uns wirklich wütend gemacht, deshalb haben wir diesen Song geschrieben.

Eure erste Single „Jackie down the line“ hat in der „Tonight Show“ von Jimmy Fallon Premiere gefeiert. Worum geht’s in dem Song?
Den hat unser Sänger Grian geschrieben, der als in London lebender Ire mit jeder Menge Bullshit zu tun hat. Sein Name ist nicht Paddy, aber das hält Mobber nicht davon ab, ihn so zu nennen. Außerdem muss er ständig Witze über die IRA ertragen und Menschen, die die ihm unverhohlen sagen: „Geh nach Hause.“ In „Jackie down the line“ nimmt Grian die Perspektive einer Person ein, die nicht gut sein will oder es einfach nicht ist. Er singt über eine missbräuchliche Beziehung und immer wiederkehrende, fest verankerte Verhaltensmuster und Strukturen. Es ist eine Art Ode an eine zum Scheitern verurteilte Beziehung. Ein sehr düsterer Song.

Lass uns doch mal über den Sound des Albums reden. Ihr habt wieder einen deutlichen Schritt nach vorne gemacht. Weg vom Post-Punk der frühen Tage, hin zum Britpop.
Das hängt vielleicht mit der Musik zusammen, die wir im Vorfeld gehört haben. Da war viel PRIMAL SCREAM, HAPPY MONDAYS, DEATH IN VEGAS oder Alternative-Klassiker der Neunziger wie PIXIES oder SONIC YOUTH dabei. Songs, die simpel sind, aber unheimlich gut grooven. Außerdem haben wir viel herumexperimentiert, weil wir durch die Pandemie mehr Zeit hatten. Zum Beispiel haben wir unserem Sound neue Elemente wie Chorharmonien oder perkussive Grooves zugefügt, die durch Drum&Bass oder HipHop inspiriert sind. Es gibt aber auch Einflüsse von traditioneller irischer Musik. All das wollten wir mit unseren Instrumenten umsetzen. Wir sind immer noch eine fünfköpfige Gitarrenband, aber die Musik, mit der wir uns beschäftigen, hat sich in den letzten Jahren geändert. Wir wollten jetzt einfach, dass sich jeder noch besser einbringen kann, deshalb singen wir zum Beispiel auch alle fünf. Außerdem haben wir den größten Teil des Albums live eingespielt, denn wir halten immer noch an unserem Grundkonzept als Live-Band fest. Erst dadurch entsteht auch die Magie im Studio.

Mit Dan Carey habt ihr erneut mit dem Produzenten der ersten beiden Alben gearbeitet. In England hat er sich einen Namen durch seine Arbeit für ARCTIC MONKEYS oder FRANZ FERDINAND gemacht. Warum wieder er?
Wir haben einen sehr guten Draht zu ihm. Er versteht einfach, wer wir sind und was wir machen. Das erste Mal hat er uns live in einem lauten, verschwitzten Pub auf der Bühne gesehen. Der Sound war furchtbar, aber er hat sofort das Besondere gehört, was uns ausmacht. Das Zusammenspiel von fünf Musikern aus Irland. Diesmal waren wir mit ihm im Angelic Studio in Banbury. Das liegt in der Grafschaft Oxfordshire, etwa 100 Kilometer nordwestlich von London. Dort haben wir zwei Wochen verbracht und alle gemeinsam in einem separaten Haus gewohnt. Dort ist es sehr ländlich, tolle Umgebung. Gemischt haben wir das Album dann fünf Tage lang in seinem Homestudio im Londoner Stadtteil Streatham. Das machen wir immer so. Der Mix läuft immer in einem anderen Studio.

In den Anfangstagen waren Gedichte und Schriftsteller wie James Joyce ein wichtiger Einfluss für euch. Ist das immer noch so?
Nein, das ist uns nicht mehr so wichtig. Wir haben uns ja seinerzeit am British and Irish Modern Music Institute in Dublin kennen gelernt. Damals haben wir alle Poesie verfasst und sogar zwei Gedichtbände gemeinsam herausgebracht. Inspiriert haben uns vor allem Beat-Poeten wie Jack Kerouac und Allen Ginsberg oder irische Dichter wie Patrick Kavanagh oder James Joyce. Zu dieser Zeit haben wir in unserer eigenen kleinen Welt gelebt, die wir uns selbst erschaffen haben. Aber irgendwann wollte jeder mit uns über unsere Liebe zur Poesie reden, das hat einfach nur genervt. Deshalb haben wir uns bewusst davon distanziert. Unsere Freude an Gedichten wurde durch das öffentliche Interesse an uns geplündert. Es wurde immer mehr zum Verkaufsargument für unsere Musik und das empfanden wir irgendwann nur noch abstoßend. Jedes Mal, wenn ich ein Buch in die Hand genommen habe, fühlte ich mich wie ein Klischee von mir selbst. Wir wollten nicht mehr länger die Rolle der Punk-Poeten spielen. Das war nie unsere Absicht, wir hatten einfach ganz privat große Freude daran. Jetzt beschäftigen wir uns nicht mehr so intensiv damit wie in unseren Anfangstagen.

Seit „Dogrel“ werdet ihr außerdem mit Bands wie IDLES oder SHAME in diesen Post-Punk-Topf geworfen. Eine Einordnung, die immer weniger passt. Stört euch das?
Ich habe von Anfang an nicht verstanden, warum wir als Post-Punk-Band vermarktet wurden. Wir haben uns selbst immer als Rockband gesehen. In meinen Augen würdigt diese Einordnung unsere Musik herab. Wenn ich lese, dass uns jemand in diese Schublade steckt, bin ich immer ziemlich angepisst. Nichts gegen Bands wie IDLES oder SHAME, ich denke nur nicht, dass wir viel gemeinsam haben. Aber so langsam habe ich das Gefühl, dass die Leute kapiert haben, dass wir ganz anders sind. Ich freue mich, dass unsere Songs nicht mehr nur durch die Post-Punk-Brille wahrgenommen werden. Das hat auch mit Respekt für unsere Musik zu tun. Nicht weil wir denken, wir wären besser, sondern weil wir einfach nicht die gleiche Musik machen wie sie. Deshalb sollte man uns auch nicht mit diesen Bands vergleichen.