GESUNDES MUSIKVERHALTEN

Foto© by Dirk Eisermann

Punk, Metal und Techno psychologisch betrachtet

Wie gehen wir mit Drogen um? Mit Alkohol? Was ist „normaler“ Konsum, und was ist bei „normalen“ Menschen normal und was in der Punk-, in der Heavy Metal-, in der Technoszene? Und wie wirkt sich das psychologisch aus? Clemens Schödel hat das im Rahmen seiner Magisterarbeit untersucht, die den englischen Titel trägt „The B Side of Life – The difference between fans of heavy music and non-fans in alcohol use, personality risk for substance misuse, psychological distress, and musical engagement under the consideration of gender“ – auf Deutsch hat er das unter den Stichpunkten „Alkoholkonsum, persönlichkeitsbezogenes Risiko für Substanzkonsum, psychische Belastung und ungesundes Musikverhalten“ zusammengefasst. Seine Erkenntnisse finden wir so interessant, das wir sie uns von Clemens erklären ließen.

Clemens, du studierst Psychologie mit Master-Abschluss, das weiß ich ... aber was ist dein „Szene-Hintergrund“, wie kamst du zu „harter“ Musik, was sind deine Lieblingsbands? Und was machst du aktuell?

Richtig, ich studiere in Wien, schließe gerade meinen Master in Psychologie ab und bin 29 Jahre alt. Ursprünglich komme ich aber aus einer Kleinstadt im Süden Deutschlands, da gibt es wirklich so gar keine „Szene“ zu harter Musik. Trotzdem habe ich ziemlich früh, mit elf oder so, angefangen, härtere Bands zu hören. Das begann wie bei vielen in meinem Alter mit LINKIN PARK und ging dann über Bands wie MACHINE HEAD, SYSTEM OF A DOWN und SLIPKNOT weiter. Ich wollte dann immer mehr härtere Bands kennen lernen und bin schnell Fan von Extreme Metal geworden. Deshalb sind meine Lieblingsbands auch CATTLE DECAPITATION und ANAAL NATHRAKH. Was deutschen Punk angeht, höre ich gerne Klassiker wie DIE ÄRZTE, PISSE, DIE KASSIERER und TERRORGRUPPE. Auch die Band ANCST ist stark, die haben aber deutliche Black-Metal-Einflüsse. Ansonsten bevorzuge ich eher den aggressiveren Hardcore-Punk oder Metallic Hardcore. CONVERGE, DROPDEAD, KNOCKED LOOSE, GET THE SHOT ... Insgesamt würde ich mich aber einfach als einen großen Musikfan bezeichnen. Ich höre die verschiedensten Genres, aber mein Herz schlägt am meisten für Metal und Punk. Seit ich in Wien lebe, ist es mir auch endlich möglich geworden, mehr Teil der Kultur zu werden und regelmäßig Live-Musik zu genießen. In Wien arbeite ich aktuell in der Forensik und bereite mich auf meine Abschlussprüfung vor.

Deine Magisterarbeit an der Universität Wien, die du auf Englisch verfasst hast, trägt – ins Deutsche übersetzt – den Titel „Die B-Seite des Lebens. Der Unterschied zwischen Fans von Heavy Music und Nicht-Fans in Bezug auf Alkoholkonsum, persönliches Risiko für Substanzmissbrauch, psychische Belastung und musikalisches Engagement unter Berücksichtigung des Geschlechts“. Kannst du uns erläutern, wie du zu dieser Fragestellung und diesen Subkulturen kamst? Und wie du deinen Prof überzeugt hast?
Begonnen hat das Thema für mich, als ich in einem Seminar einen Aufsatz darüber geschrieben habe, inwiefern Musiktherapie im Rahmen der „harten Musik“ möglich ist. Das Thema hat mich dabei schon ewig interessiert, da mir aufgefallen ist, dass in der Szene offen über Substanzkonsum und psychische Gesundheit gesprochen wird und diese Themen auch regelmäßig in den Texten der Musik vorkommen. Deshalb wollte ich aus der wissenschaftlichen Perspektive wissen, ob Fans der harten Musik belasteter sind als die Allgemeinbevölkerung und welche Rolle dabei die Musik spielt. Hilft die Musik den Menschen zu copen? Das war zentral für mich. Mein Professor, bei dem ich mich an dieser Stelle noch mal herzlich bedanken möchte, war von Anfang an begeistert von dem Thema. Gemeinsam kombinierten wir meine Kernfragen mit seinen psychologischen Forschungsschwerpunkten – et voilà, meine Arbeit hatte Hand und Fuß.

Nun gibt es ja wirklich reichlich Klischees über Fans von Punk und Metal, und manche muss man als Mensch aus dieser Szene durchaus bestätigen. Eines ist, dass Punks und Metaller gerne saufen. Viel saufen. War das ein Ausgangspunkt bei der Formulierung deines Erkenntnisinteresses?
Ja und nein. Natürlich ist das ein Klischee, das sich aus meiner Erfahrung häufig bewahrheitet. Aber ich bin wirklich sehr neutral an meine Forschungsfragen herangegangen. Gerade im Punk ist ja die Straight-Edge-Szene relevant, was das Ganze nicht so eindeutig macht. Deshalb war ich selbst gespannt, was ich alles herausfinden werde.

Wie war beziehungsweise ist die Studienlage zu dem Thema? Was hatten vor dir andere herausgefunden?
Die Studienlage ist wahnsinnig heterogen, was die Methodik, Definitionen und Ergebnisse angeht. Man könnte auch sagen, „all over the place“. Relevante Teile in diesem Forschungsgebiet stammen außerdem aus den frühen Neunziger Jahren. Hier ist man noch sehr problemorientiert an das Thema herangegangen. Das bedeutete für mich auf der einen Seite, dass ich wahnsinnig viel Arbeit in den Vergleich verschiedener Studien stecken musste, um mir ein eigenes Bild zu machen. Andererseits war das auch spannend, da meine Studie in meinen Augen einen großen Schritt für das Forschungsgebiet darstellt.

„Mental Health“ ist heute mehr als früher ein gesellschaftlich diskutiertes Thema. Wie fügen sich deine Erkenntnisse da ein? Und hat „unsere“ Szene damit mehr zu tun als der Durchschnitt?
Ja, es ist glücklicherweise immer mehr Thema. Meine Arbeit ist echt lang geworden und ich habe viele Fragestellungen, aber zusammengefasst legen meine Ergebnisse nahe, dass Fans harter Musik psychisch nicht belasteter sind als die Allgemeinbevölkerung. Zudem nutzen sie Musik im Durchschnitt häufiger auf eine positive Art und Weise, bezogen auf ihre psychische Gesundheit. Die Frage, die sich noch stellt, ist, wie das Niveau der Belastung wäre, wenn Fans keinen Zugriff auf diese Musik hätten. Viele meiner Freunde haben mir erzählt, dass die Szene und die Musik essenziell sind für ihre psychische Gesundheit. Das wäre noch ein Thema, das weiter untersucht werden könnte.

Und was ist die Kernaussage deiner Studie in Sachen Unterschiede betreffend „Gender“?
Die Kernaussage ist, das Gender in den untersuchten Kategorien kaum eine Rolle spielt. Das bedeutet, dass sich männliche und weibliche Fans in den untersuchten Punkten sehr ähnlich waren. Der einzige auffällige Punkt war, dass insgesamt Männer in meiner Stichprobe mehr depressive Symptomatik zeigten als Frauen. Die meisten Studien zu Depression und Gender zeigen das konträre Bild. Man muss aber dazu sagen, dass der Effekt hier klein war, die Werte sind also nur leicht erhöht.

Als Punk-Fanzine interessiert uns natürlich besonders das Ergebnis zu Menschen, die Punk hören. Kannst du das bitte erläutern und im Vergleich zu anderen Subkulturen und der „Normalbevölkerung“ einordnen?
Punk-Fans saufen deutlich mehr. Im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung und im Vergleich zu Metal- und Hardrock-Fans. Dabei liegen die Werte für den durchschnittlichen Konsum auch deutlich oberhalb der Gefährdungsgrenze. Das bedeutet, dass der Konsum im Schnitt mit körperlichen Schäden und Problematiken im sozialen Umfeld einhergeht.

Was nimmst du mit aus deiner Arbeit in Bezug auf den Konsum von Drogen inklusive Alkohol in unserer Gesellschaft, der ja einerseits in der Punk-Szene – und auch in der Metal-Szene – eher „verkultet“ und andererseits im Straight-Edge-Hardcore verachtet wird?
Insgesamt, denke ich, wird besonders der Konsum von Alkohol in der Szene, aber auch allgemein gesellschaftlich verherrlicht. Das spiegelt sich auch in den Werten zu Alkoholkonsum in meiner Arbeit wider. Ich selbst möchte das aber gar nicht so verteufeln. Zentral ist, sich vor Augen zu führen, dass ein hoher Konsum ernstzunehmende Konsequenzen für Körper und Geist haben kann. Alkoholabhängigkeit ist kein Scherz. Am Ende des Tages muss aber jede:r für sich selbst entscheiden, was gut tut und was nicht. Ein verantwortungsvoller Umgang ist das Wichtigste in meinen Augen. Und Hilfe in Anspruch nehmen ist keine Schande.

Über 850 Leute haben deinen Fragebogen beantwortet, auch nach Aufrufen über das Ox und das Rock Hard. Das erscheint mir eine recht hohe Zahl zu sein für so eine Arbeit. Wie ist das einzuschätzen in Bezug auf die Ergebnisse?
Ja, dafür vielen Dank noch mal an alle Leser:innen! Das ist eine sehr hohe Zahl für eine Masterarbeit. Für die Ergebnisse bedeutet das, dass sie näher an der tatsächlichen Szene sind als in einer Studie, die nur eine kleine Gruppe von Personen befragt hätte. Die Ergebnisse sind also repräsentativer. Außerdem war die Anzahl der Personen für mich wichtig für bestimmte Gruppenbildungen und Analysen. Das hat was mit der statistischen Aussagekraft zu tun, langweilt aber die meisten an dieser Stelle nur, wenn ich das jetzt ausführe.

Du verwendest den Begriff „gesundes Musikverhalten“. Kannst du den erläutern?
Gesundes und ungesundes Musikverhalten ist ein relativ neues Konzept in der psychologischen Forschung. Es geht darum, dass die Art und Weise, wie man Musik hört, positive, aber auch negative Auswirkungen auf die psychische Gesundheit haben kann. Gesundes Musikverhalten bezieht sich dabei auf Stimmungsaufhellung, Entspannung und den sozialen Anschluss, den man durch Musik finden kann. Ungesundes Musikverhalten bezieht sich auf die Vermeidung von Problemen und der Realität durch das Musikhören, Gedankenkreisen und die allgemein stimmungsdrückende Wirkung, die Musik eben auch haben kann. Ein klassisches Beispiel wäre hier das Hören eines Songs in Dauerschleife, obwohl er einen eigentlich eher runterzieht.

Das Ergebnis in der Hinsicht ist, dass Musik für „unsereins“ positiv wirkt. Hast du das erwartet, und wie erklärt man das angesichts von so brutaler, lauter Musik mit bisweilen krassen Texten und bildlichen Darstellungen?
Ehrlich gesagt habe ich das erwartet, ja. Mir selbst hilft harte Musik auch, durch den Alltag und durch Krisen zu kommen. Oft habe ich mich da schon gefragt, wie Songs über extreme Gewalt oder ähnliche Themen das schaffen können. Die Forschung dazu ist noch sehr am Anfang, aber ich denke, einer der wichtigsten Faktoren ist das Konzept der Katharsis. Also die emotionale „Neuöffnung“, nachdem man sich erfolgreich mit Negativität und Problemen auseinandergesetzt hat. Man freundet sich also mit seinen eigenen Dämonen an, um das etwas lyrischer zu formulieren. Das ist aber eher meine eigene Meinung, da die Forschung hier wie gesagt noch einiges aufzuarbeiten hat.

Du schreibst, dass „höhere Werte in den Variablen paranoide Ideen [...] gefunden“ wurden. Klartext: Sind wir Fans von Punk, Metal und Co. anfälliger für Verschwörungserzählungen oder wie ist das zu deuten?
Vielleicht ein bisschen, aber ganz so einfach ist das nicht. Man kann zwar argumentieren, dass paranoide Ideen in einem Zusammenhang mit verschiedenen psychiatrischen Störungsbildern stehen, unter anderem der paranoiden Schizophrenie. Hier gibt es Überschneidungen mit Vorstellungen und Überzeugungen, die sich mit Inhalten verschiedener Verschwörungsmythen decken. Meine Studie erhebt jedoch keine Störungsbilder, sondern die Ausprägung von Symptomen. Diese Ausprägung war sowohl für Fans wie auch für Nicht-Fans in keinem auffälligen Bereich. Die Aussage, die getroffen werden kann, ist, dass Fans etwas paranoider sind und sich somit schneller bedroht, getäuscht oder hintergangen fühlen als Nicht-Fans. Beide Gruppen liegen aber in einem Bereich, der nahe an der Norm ist.

Du hattest als eine weitere Subkultur Fans von „Heavy Electro“, vulgo: Techno einbezogen. Mir scheint, dass hier die Ergebnisse in Details weniger positiv waren. Hast du dafür eine Erklärung?
Ja, die Gruppe der Heavy-Electro-Fans – Hardcore-Techno, Hardhouse, Powerelectronics – hat sich als eine klare Risikogruppe aufgetan. Diese Gruppe hat sogar noch deutlich höhere Werte im Alkoholkonsum als die Punks. Auch das persönlichkeitsbezogene Risiko für Substanzmissbrauch und besonders die Werte der psychischen Belastung sind erhöht. Zudem zeigten die Heavy-Electro-Fans deutlich mehr ungesundes Musikverhalten als alle anderen Fangruppen. Diese Ergebnisse sind in der Forschung neu, da diese Gruppe bisher sehr selten die Aufmerksamkeit der Wissenschaft bekam. Meine persönliche Erklärung dafür bezieht sich auf das regelmäßige Clubbing, das für die Szene typisch ist. Hier werden häufig illegale Substanzen konsumiert und es wird teilweise tagelang gefeiert. Das exzessive Feiern hat sicherlich seinen Reiz, ist aber potenziell auf Dauer sehr problematisch für das eigene Wohlbefinden.

Ist es nicht beinahe etwas enttäuschend, dass Punks und Metaller unterm Strich viel normaler sind, als es das Klischee besagt und mancher von uns vielleicht wahrhaben will ...?
Darauf habe ich keine einfache Antwort. Das liegt vor allem daran, dass ich eine psychologische Studie durchgeführt habe. Ich kann also nur evidenzbasierte Aussagen in diesem Bereich tätigen und ich bin nicht per se davon ausgegangen, dass Punks und Metaller hier „unnormal“ sind. Sind sie wohl auch nicht. Wie es mit politischen Einstellungen oder sozialen Verhaltensweisen aussieht, kann ich nicht beurteilen. Ich würde mich aber persönlich davon distanzieren wollen zu glauben, dass wir wegen unseres Musikgeschmacks so „anders“ sind als der Rest. Auch wenn gerade im Punk eine gewisse „Wir gegen euch“-Attitüde dazugehört.

Letzte Frage: Wirst und willst du zu dem Thema weiterforschen? Was wäre eine spannende, wichtige Fragestellung?
Nein. Ich habe mit der Forschung für mich abgeschlossen. Ich gehe lieber auf Konzerte und bewege mich in der Szene, als darüber zu schreiben. Trotzdem bin ich sehr dankbar, dass es mir möglich war, mich mit einem Thema, das mir so am Herzen liegt, beschäftigen zu können. Außerdem hoffe ich, dass meine Arbeit die Forschung voranbringt und das Stigma von Heavy Music etwas aufhebt. Ich denke, zentral ist es weiter zu erheben, weshalb genau diese Musik für Fans so positiv wirkt. Das Konzept der Katharsis sollte deshalb mehr mit einbezogen werden. Außerdem ist es wichtig, dass die Gruppe der Heavy-Electro-Fans weiterhin Beachtung findet, um Personen die, Hilfe benötigen, adäquat unterstützen zu können. Hier gibt es ein neues Konzept in der Musiktherapie, in dem das Musikverhalten gemeinsam besprochen wird und auf Basis dessen therapeutische Sitzungen gemeinsam gestaltet werden können. Ich denke, das ist ein vielversprechendes Konzept für die Zukunft.