HANSA 48

Foto

40 Jahre Subkultur für Kiel

Vier Jahrzehnte Hansa 48 in Kiel – für die Subkultur der Stadt ein unerlässlicher Ort, da hier neben unzähligen Konzerten, Lesungen und Theateraufführungen auch Raum für politische Veranstaltungen ist. Akribisch erarbeitet liegt zum Jubiläum die verschriftlichte Historie der Hansa 48 vor. Hintergründe dazu gaben mir drei mit der Hansa 48 eng verbundene Menschen: Jan-Hinnerk Wittmershaus, Kulturarbeiter und seit 2017 für die Programmplanung und -durchführung verantwortlich, Andreas Langmaack, Versandhändler für linksradikale Sub- und Gegenkultur und einer der beiden Autoren der Chronik, sowie Charlotte Spieler, Rechtsanwältin in Pension und seit 1985 Bewohnerin der Hansa 48.

Die Geschichte der Hansa 48 in einem Buch – wie aufwändig war das Ganze?

Andreas: In dem Buch steckt ein Jahr intensive Arbeit der zwei Autoren im engen Austausch mit Jan-Hinnerk vom Kulturbüro und Charlotte vom Wohnprojekt. Das bedeutete vor allem, die Geschichte auf wesentliche Ereignisse und Facetten einzudampfen. Insofern konnten wir leider nicht allen gerecht werden, der oder die es verdient hätte, im Buch dargestellt zu werden, das war uns früh bewusst. Vieles konnte nur angerissen werden und soll zur selbstständigen weiteren Beschäftigung einladen. Das Zusammentragen der Quellen war ein gewichtiger Teil der Arbeit, viele Materialien lagen allerdings schon in der Hansa 48 oder im Umfeld vor. Dies gilt insbesondere für die Frühphase, die sehr gut dokumentiert ist. Für andere Zeitabschnitte gestaltete sich die Recherche schwieriger. Insbesondere geeignete Fotos zu finden, war eine permanente Hürde, die wir zu nehmen hatten.

Wie seid ihr vorgegangen?
Andreas: Wir haben zunächst quellenbasiert gearbeitet, auf der Grundlage der Programme, Flugblätter und sonstiger Druckerzeugnisse. Für das letzte Jahrzehnt haben wir auch auf Darstellungen und Äußerungen aus dem Internet zurückgegriffen. Um diesen Fundus in einen weitestgehend korrekten Einklang zu bringen, haben wir Interviews und Gespräche mit Beteiligten aus verschiedenen Generationen geführt und dies mit unserem eigenen Wissen angereichert. Die Textentwürfe haben die Autoren zusammen auf den Weg gebracht und zur Diskussion gestellt. Uns war wichtig, auf diese Weise möglichst viele Perspektiven auf die Hansa 48 zu berücksichtigen oder wenigstens andeuten zu können.

Vom besetzten Haus zu einer festen Einrichtung für politische genauso wie kulturelle Veranstaltungen – was waren die Meilensteine auf diesem Weg?
Andreas: Ein Meilenstein ist natürlich der Akt der Besetzung am 27.03.1981, mit dem die teilweise schon vorher auf dem Gelände ansässigen Nutzer:innen den Komplex in ihre Verwaltung überführten und vor dem geplanten Abriss bewahrten. Auch der in der Folge ausgehandelte Hauskauf zum Jahreswechsel 1982/83, der ohne die zwischenzeitlich beschlossene und bis heute bestehende Kulturförderung der Stadt Kiel, aber auch eine selbstorganisierte Anleihe-Aktion nicht denkbar gewesen wäre, ist zu nennen. Die Etablierung des Kulturbüros in den frühen Neunzigern hat maßgeblich die Weiterentwicklung zu einem professionellen Kulturbetrieb, wie er heute besteht, befördert.

Gab es Unterschiede zu den Hausbesetzungen Anfang der Achtziger Jahre?
Andreas: Die Hansa 48 ist aus der Kieler Hausbesetzer:innenszene der Achtziger Jahre hervorgegangen, ist also Teil von ihr gewesen. Innerhalb der Bewegung repräsentierte sie aber einen kompromiss- und verhandlungsbereiten Flügel, der sich auf den Erhalt der Gebäude und die Schaffung eines alternativen Zentrums zum Leben und Arbeiten fokussierte und für den übergeordnete politische Ziele zweitrangig waren. Die Besetzung war deutlich unkonfrontativer als die Besetzungsaktivitäten in der Kieler Innenstadt, wo eine millionenschwere kapitalistische Stadtplanung infrage gestellt wurde. Insofern gab es für die Hansa-Strategie standortbedingt deutlich größere Spielräume. Diese hat die Hansa 48 bei Verhandlungen mit Stadt und Eigentümerin in ihre Sinne erfolgreich genutzt, sich dabei aber bewusst auch zum Spielball lokalpolitischer Auseinandersetzungen machen lassen. Dafür wurde sie von anderen Teilen der Bewegung durchaus angefeindet.

Die Bewohner:innen waren nicht die „Speerspitze der Revolution“, heißt es im Buch. Nichtsdestotrotz ist die Hansa 48 ein Ort, der sich offen gegen Sexismus und Rassismus ausspricht und auch entsprechend handelt. Wie würdet ihr den politischen Anspruch der Hansa 48 definieren?
Charlotte: Die Bewohner:innen der Hansastraße 48, in den vierzig Jahren mehr als 200 Menschen, sind so unterschiedlich wie die Steine am Strand der Ostsee. Was sie verbindet, ist der Wunsch nach einer friedlichen und gerechten Welt. Dafür muss noch viel getan werden. Das schaffen wir als Bewohner:innen nicht alleine. Deshalb bieten wir den politisch Aktiven, die gleiche Ziele haben, Räume und Möglichkeiten, daran und dafür zu arbeiten.
Jan-Hinnerk: Wichtig zu ergänzen ist noch, dass in der Hansa 48 von Anfang an eine sehr strukturelle Frage politisch beantwortet wurde und bis heute gilt: Es gibt in der Hansa 48 keinen Privatbesitz. Alle Räume und Wohnungen des Gebäudes und das Grundstück gehören dem Verein und somit allen Mitgliedern.
Andreas: Von der Hansa 48 gingen nach der vitalen Frühphase nur wenige eigenständige politische Initiativen aus, wenngleich es sie auch danach gab. Sie wird aber getragen und geprägt von einem vielschichtigen Milieu, in dem viele Akteur:innen emanzipatorische Ansprüche vertreten. Diese wurden und werden von verschiedenen Nutzer:innen über die Jahrzehnte immer wieder auch in eine soziale Praxis überführt, wozu Frauen- beziehungsweise FLINT*-Räume genauso gehörten wie zum Beispiel aktive Solidarität mit Geflüchteten. Der nach außen hin sichtbarste politische Charakter bestimmt sich aber durch das Zur-Verfügung-Stellen von Räumen. Bis heute nutzen zahlreiche politische Gruppen und Initiativen die Hansa 48 für Treffen und Veranstaltungen. Politische Themen, die hier bearbeitet werden, werden maßgeblich auch durch sie gesetzt und entsprechen dem jeweiligen Zeitgeist des linksalternativen Milieus in seiner vollen Breite.

Die Hansa 48 ist nicht nur ein Ort für Konzerte. Es gibt Lesungen, Theateraufführungen etc. Wie findet der Auswahlprozess statt?
Jan-Hinnerk: Die Auswahl ist subjektiv und obliegt für 90 bis 95% der Veranstaltungen mir. Für mich fließt bei der Entscheidung meine Erfahrung und mein Verständnis dieses Ortes mit ein – also passen diese Künstler:innen und das, was sie machen möchten, zu uns? Durch unsere – teilweise – Finanzierung über Steuergelder sehe ich es als Pflicht für mich an, lokalen Kulturschaffenden aus verschiedensten Bereichen eine Bühne zu bieten. Darüber hinaus interessieren mich Verbindungen von Themen und Darbietungsformen, die nicht sofort auf der Hand liegen: Klavier und Beatbox – gleichzeitig! – oder antifaschistische Recherche und Theater.

Welche Konzert-Highlights gab es in den letzten vierzig Jahren?
Jan-Hinnerk: Es gab einige. Bereits wenige Monate nach Besetzung spielte im August 1981 die Kieler No-Wave-Band NO MORE. Aus der jüngeren Vergangenheit ist auf jeden Fall die Soul-Sängerin Chastity Brown zu nennen – deren Konzerte unglaublich eindrückliche Momente waren. Am aktuellsten ist vermutlich die radikalste Swing-Band der Welt – CATS AND DINOSAURS aus Schweden, die für mich auf die beste Art und Weise, Politik mit tanzbarer Kunst und Kultur zusammenbringen. Für mich sind es aber auch einige tolle Punk-Abende mit Bands wie HUMAN ABFALL, ROTTEN MIND, MEAN JEANS, den DECIBELLES, NERVOSAS oder TELEDROME gewesen, die mich nachhaltig geprägt und begeistert haben.

Was ist quasi das „Erfolgsgeheimnis“, warum es die Hansa 48 sowohl als Lebensmittelpunkt für ihre Bewohner:innen als auch als Kulturveranstaltungsort schon vierzig Jahre gibt?
Charlotte: Ein Geheimnis ist das nicht, es ist eher ganz öffentlich: Die Bewohner:innen haben es geschafft, den Schwung und die Begeisterung für das Projekt, die von der erfolgreichen Besetzung ausgegangen sind, zu bewahren und dafür zu nutzen, das Ganze zu erhalten und zu gestalten. Die Kultur wirkte als Bindemittel und bisweilen als Katalysator. Das funktioniert immer noch, selbst in wegen Corona mageren Kulturzeiten. Die Gestaltungsfreiheit, die den Bewohner:innen für die Wohnräume gegeben war und ist, und die basisdemokratische Organisationsstruktur – kein Privateigentum, jede:r hat gleich viel zu sagen und zu bestimmen – tragen ebenfalls ihren Teil zum „Erfolg“ bei.