HEAVE BLOOD & DIE

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Mit dem Flieger zur Bandprobe

Alles anders bei HEAVE BLOOD & DIE. Die Band kommt ursprünglich aus dem Norden Norwegens. Aus Tromsø, um genau zu sein. Einer 70.000-Seelen-Stadt, in der die norwegische Fischereihochschule ihren Sitz hat. Von Tromsø sind es gerade mal 344 Kilometer Luftlinie bis zum Polarkreis. In dieser frostigen Atmosphäre sind die ersten beiden Alben entstanden. Geschaffen von einer Horde von zwanzigjährigen Doom-Fans, die Bands wie NEUROSIS oder SLEEP mehr lieben als Glitzer und Dancefloor. Jetzt wohnt die Hälfte der Band in Oslo und sie machen Post-Rock. Sänger Karl Pederson und Bassist Eivind André Imingen erklären den Wandel.

Eure ersten beiden Alben waren noch ziemlich heavy. Jetzt habt ihr euren Sound verändert. Eher Post-Rock als Doom. Was ist passiert?

Karl: Ich denke, wir sind gewachsen, als Menschen und als Musiker. Wir machen jetzt einfach die Musik, die im Moment aus uns herauskommt. Ich empfinde diesen Stilwechsel als völlig natürlich. Wir haben einen anderen Weg eingeschlagen.
Eivind: Die Heavyness kommt diesmal mit den Texten. Mehr als durch die Musik, denke ich.

Ihr habt euer neues Album „Post People“ genannt. Was steckt dahinter? Ist es eine Art Konzeptalbum?
Eivind: Ich denke, jeder von uns interpretiert Albumtitel und Songtexte anders. Ich sehe es als eine Art postapokalyptisches Konzept. Wie würde eine Welt ohne Menschen aussehen? Wenn die Natur sich zurückerobert, was wir ihr über Jahrhunderte genommen haben. Wie sie sich von all der Zerstörung erholt und ihre Diversität zurückgewinnt.
Karl: Für mich sind „Post People“ Menschen, die alle Autoritäten und jede Form von Gewalt hinter sich gelassen haben. Alle die Fehler unserer modernen Zivilisation. Sie haben eine neue Vorstellung von einem friedlichen Zusammenleben und fangen von vorne an.

„Radio silence“ ist der erste Song, den ihr vor dem Album veröffentlicht habt. Worum geht es in dem Stück? Die Radios bleiben stumm?
Karl: Es geht nicht nur ums Radio. Es geht es um die Rolle der Medien generell. Wie Zeitungen und TV-Sender aussuchen, was du zu sehen und zu lesen bekommst. Wie sie den Fokus auf bestimmte Dinge legen. Im vergangenen Jahr haben wir viele Dinge gesehen, die in Amerika passiert sind. Über den Mittleren Osten oder Osteuropa haben wir nicht viel erfahren.
Eivind: Die norwegischen Medien haben ihren Fokus sehr auf die US-Wahl gelegt. Seit Trump gewählt wurde, gab es eine ekelhafte Faszination für diesen Typen. Deshalb wurde natürlich unheimlich viel über ihn berichtet. Das brachte Klicks und Zuschauer. Andere, aus unserer Sicht viel wichtigere Aspekte dieser Welt bekamen sehr wenig Aufmerksamkeit. Es gibt so viele Krisen in Nordafrika, im Mittleren Osten oder in China. Ich fühle mich von den Medien nicht belogen, aber sie suchen ihre Themen vor allem danach aus, was Klicks erzeugt. Wir haben also Hoffnung in journalistische Arbeit, wir wünschen uns nur, dass der Fokus anders gewählt wird. Denn wenn es diese Krisen überall gibt, die dafür sorgen, dass Geflüchtete zu uns kommen, müssen es die Menschen verstehen. Dann reagieren sie vielleicht nicht mit so viel Hass auf sie. Viele denken ja, diese Leute kommen zu uns, weil sie uns unseren Reichtum und unsere Jobs wegnehmen wollen.

Am besten gefällt mir „Kawanishi aeroplane“, der zweite Song auf dem Album. Was ist das für ein Flugzeug?
Karl: Kawanishi war ein japanischer Flugzeughersteller. Dieses Unternehmen hatte im Zweiten Weltkrieg ein Wasserflugzeug entwickelt, das Bomben abwerfen und auf dem Wasser landen konnte. Der Song basiert auf dem Film „Das Reich der Sonne“ von Steven Spielberg. Da geht es um einen Jungen in Shanghai und wie er den Luftangriff der Japaner erlebt.
Eivind: Die Japaner haben nicht nur in Pearl Harbour viele Bomben abgeworfen, sondern auch auf dem chinesischen Festland. Abgesehen von den Nazis gehörten die Japaner zu den schlimmsten Aggressoren der Neuzeit. Wir ziehen in dem Song aber auch eine Verbindung zu Angriffen aus jüngerer Zeit, dass zum Beispiel Norwegen fast 600 Bomben auf verschiedene Ziele in Libyen abgeworfen hat, um Muammar al-Gaddafi zu stürzen. Wie Regierungen solche Bombenhagel auf andere Länder genehmigen können, teilweise ohne davor im Parlament darüber abgestimmt zu haben.

Ihr habt das Album an einem ganz besonderen Ort aufgenommen. Ocean Sound Recordings, ein Studio auf der kleinen Insel Giske. Von diesem Ort haben schon NEW MODEL ARMY geschwärmt. Was ist daran so besonders?
Karl: Die Faszination entsteht durch die komplette Isolation. Da gibt es nur dich, deine Musik und das Meer, sonst nichts.
Eivind: Wir haben dort eine knappe Woche verbracht. Wir hatten neben dem Studio eine kleine Küche und das Meer direkt vor der Haustür. Du kannst also mitten in der Nacht schwimmen gehen. Ursprünglich wollten wir das Album in Schweden aufnehmen. Du kennst bestimmt die Band ÅRABROT, die auch schon auf Fysisk Format veröffentlicht hat. Sänger Kjetil Nernes hat ein eigenes Studio im kleinen schwedischen Dorf Djura. Dann wurden aber die Grenzen wegen Corona geschlossen und Ocean Sound Recordings haben uns angeboten, bei ihnen aufzunehmen. Das war dann der perfekte Platz für uns, nachdem wir unsere Schweden-Pläne beerdigen mussten. Es war toll, eine Woche gemeinsam in einem kleinen Haus zu wohnen, denn wir konnten uns noch nicht so oft sehen, seit ich vor einem Jahr eingestiegen bin.

Die Hälfte der Band wohnt inzwischen in Oslo, die andere Hälfte immer noch in Tromsø. Wie macht ihr das?
Karl: Ich bin nach Oslo gezogen, um hier Musik zu studieren. Nebenbei arbeite ich in einer Metal-Kneipe namens Waterland. In Oslo kann ich jeden Tag neue Dinge entdecken und Menschen kennen lernen, das war in Tromsø nicht so. Deshalb pendeln wir zwischen Oslo und Tromsø hin und her.
Eivind: Zwischen den beiden Städten liegen mehr als 1.300 Kilometer. Wir haben aber ein sehr gut ausgebautes Eisenbahnnetz in Norwegen, damit kann man gut reisen. Wir nehmen also den Zug bis Bodø, das ist die Stadt, aus der ich komme, und dann müssen wir noch eine Stunde nach Tromsø fliegen. Letztes Jahr haben wir uns vielleicht fünf Mal zum Proben getroffen oder so. Dann haben wir uns jedes Mal in Tromsø getroffen. Meistens spielen wir am Wochenende dann gleich noch ein Konzert, damit es sich lohnt. Wir sehen uns also nicht so oft. Es gibt momentan auch nicht viele Gründe zu proben.

Eure ersten beiden Alben sind ja über das Label Blues For The Red Sun erschienen. „Post People“ ist das erste bei Fysisk Format. Warum der Wechsel?
Karl: Ich habe schon als Teenager davon geträumt, mit Fysisk Format zu arbeiten. Dieses Label hat ein paar von meinen liebsten Platten norwegischer Bands herausgebracht. Zum Beispiel „Like Iron I Rust“, das Debütalbum von KOLLWITZ. Oder die tollen Alben von ÅRABROT. Diese Releases haben mich schon immer sehr beeindruckt. Blues For The Red Sun hat außerdem nicht so viele internationale Kontakte wie Fysisk Format. Für den Anfang war Blues For The Red Sun auch perfekt für uns, weil das Label seinen Sitz in Tromsø hatte. Inzwischen ist es nach Trondheim umgezogen.

Eivind, du arbeitest ja auch bei Fysisk Format. Wie geht es dem Label und eurem Plattenladen Platebutikken Tiger in der Corona-Pandemie?
Eivind: Bei uns läuft es gerade großartig. 2020 war das beste Jahr, seit ich dort angefangen habe. Wir haben viele sehr gute Alben veröffentlicht. Ich arbeite viel von Zuhause aus, deshalb habe ich viel mehr Platz und Ruhe, um effektiv zu sein. Ich schaue also sehr positiv in unsere Zukunft. Unser Online-Shop läuft sehr gut, genauso wie das Streaming. Vor allem das jüngste Album von THE GOOD, THE BAD & THE ZUGLY war fantastisch. Das hat sich verkauft wie verrückt und wir haben schon wieder einige vielversprechende junge Bands unter Vertrag genommen, von denen man einiges hören wird. Die Szene rund um das Label wird immer lebendiger und größer. Menschen, die in Bands spielen, in Studios arbeiten, Artwork gestalten oder Fotos machen, helfen sich gegenseitig. Sehr kreative, hungrige Menschen rund um unseren Plattenladen. Das ist wirklich sehr inspirierend.

Wie sehen eure nächsten Pläne mit HEAVE BLOOD & DIE aus?
Eivind: Die Tour durch Norwegen wartet noch auf Bestätigung. Darüber hinaus haben wir noch ein paar Online-Shows geplant. Wir planen zum Beispiel ein gemeinsames YouTube-Event bei Audiotree in den Vereinigten Staaten. Das ist in meinen Augen eine der beste Plattformen, um neue Bands zu entdecken. Das wird aber wahrscheinlich die einzige Show außerhalb von Norwegen in nächster Zeit sein. Wenn die Leute in Norwegen nach und nach gegen Corona geimpft sind, wird sich die Lage hoffentlich schnell verbessern.