JESUS PIECE

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Mit gutem Beispiel vorangehen

Hier noch eher unbekannt, haben sich JESUS PIECE aus Philadelphia mit ihrem Debütalbum „Only Self“ und vielgelobten Live-Shows vor allem in den USA einen Namen gemacht. Am 14.04. erscheint nun das zweite Album „... So Unknown“. Der Titel bezieht sich auf die unbekannten Bezüge der Band, die sich die Freiheit nimmt, sämtliche Einflüsse auszudrücken, statt sich nur einer Szene oder einem Genre zu verpflichten. Ich sprach mit Drummer Luis Aponte über die Entwicklung der letzten Jahre, die Band im Allgemeinen und wie es ist, Musikvideos zu drehen.

Lu, wie bist du dazu gekommen, Musik zu machen, und wie bist du zu JESUS PIECE gekommen?

Mein Vater war früher Skater und ist mit Freunden immer zu Metal-Konzerten gegangen. Er hat sich nie wirklich für Metal interessiert, sondern ist nur gerne zu den Konzerten gegangen, weil sie so brutal waren. Er hat mir aber viele Bands vorgespielt und wir haben im Wohnzimmer gemosht. In der Mittelstufe fand ich auch andere Leute, die darauf standen. Dann habe ich mir selbst Schlagzeugspielen beigebracht, ich war sehr von Hardcore- und Punkbands beeinflusst. Später fand ich einen DIY-Laden, der von ein paar Feministinnen geführt wurde, da gab es viele experimentelle Noise-Konzerte, viele europäische Punkbands haben dort gespielt. Und dann habe ich meine Freunde von JESUS PIECE kennen gelernt, weil wir alle in demselben Musikinstrumentengeschäft gearbeitet haben. Die fragten mich, ob ich mit ihnen eine Heavy-Band gründen möchte, und hier bin ich nun.

Interessant, dass du sagst, eine Heavy-Band und nicht eine Hardcore- oder Metalband. Heavy kann ja alles Mögliche bedeuten. Dich interessieren ganz unterschiedliche Musikrichtungen, und ich denke, dass es bei deinen Buddys aus dem Musikladen genauso ist.
Wir sind von den verschiedensten Dingen beeinflusst. Es ist schön, mit Leuten in einer Band zu sein, die so offen sind. Wir sind nicht festgelegt auf „nur Hardcore“ oder „nur Metal“. Darauf hätte ich auch keine Lust, ich möchte gerne alles spielen.

Wie würdest du deine Band jemandem beschreiben, der noch nie etwas von ihr gehört hat?
Schwierige Frage ... Ich würde sagen, wir machen extrem aggressiven, harten, aber vielseitigen Metal oder Hardcore.

Sorgen die vielen Einflüsse in der Band für Konfliktpotenzial, was die Richtung eures Sounds angeht?
Wir haben schon eine gemeinsame Idee, in welche Richtung wir gehen wollen. Das passiert ganz von selbst, weil wir Freunde sind und unsere Vorstellungen in ästhetischer Hinsicht sehr ähnlich sind. Ich denke, Konfliktpotenzial liegt mehr im Bereich Art Direction, wenn es darum geht, Dinge visuell umzusetzen. Aber musikalisch sind wir einander sehr ähnlich und auch immer offen, uns alle Ideen anzuhören.

Was ist für dich der größte Unterschied zwischen „... So Unknown“ und „Only Self“?
„Only Self“ wirkt ein bisschen so wie eine unvollendete Version von „... So Unknown“. Das klingt jetzt ausgereifter, durchdachter, nicht so übereilt. Für mich ist es wie unser erstes „echtes“ Album, ich bin sehr stolz darauf. Wir haben uns als Band verändert, sind besser geworden. Die Pandemie hat dabei geholfen, um ehrlich zu sein. Sie gab uns Gelegenheit, uns mal hinzusetzen und über das Leben nachzudenken, uns nicht gehetzt zu fühlen und zu glauben, dass wir ständig touren und tausend andere Sachen tun müssen. Ich denke, dass ich nie besser Schlagzeug gespielt habe, dass unser Sänger extrem gut geworden ist, dass es insgesamt eine große Verbesserung darstellt gegenüber „Only Self“.

Ich hätte gedacht, dass es für eine Band, die so viel tourt, eigentlich schwer ist, plötzlich die ganze Zeit zu Hause zu sitzen.
Am Anfang war es schon schwierig und es hat insgesamt ein bisschen zu lange gedauert, aber es war eine gute Auszeit. Ich denke, dass wir die alle brauchten. Wir sind seit 2015 viel getourt und haben bis 2020 keine echte Pause gemacht und dadurch vielleicht auch viel von dem verpasst, was uns wichtig ist. Ich denke auch, dass unsere Live-Shows dadurch besser geworden sind, was für eine Band wie uns wirklich ein wichtiger Aspekt ist. Wir wollen, dass die Leute gemeinsam etwas erleben. Wenn du nicht live spielen kannst, wozu machst du dann Musik? Klar, Leute hören sie gerne, aber ich selbst höre zu Hause kaum aggressive Musik. Ich möchte darauf reagieren und sie live spüren.

Ihr habt euch im Rahmen der Black Live Matter-Bewegung geäußert und ich habe gelesen, dass es da Gegenwind von Leuten gab, die meinen, Musik beziehungsweise Hardcore sollte mit Politik nichts zu tun haben. Was sagst du dazu?
Wir haben natürlich alle sehr klare politische Ansichten, als Band wollen wir die aber nicht in den Vordergrund stellen. Wir müssen zum Beispiel nicht in unseren Songtexten betonen, dass wir Antifaschisten sind. Wir wissen, dass wir es sind, wir leben das jeden Tag. Wir leben antifaschistisch, antirassistisch, weil wir People of Color sind, also Aaron und ich. Niemand kann uns verbieten, eine politischen Standpunkt zu vertreten. Wir tun das, was sich für uns richtig anfühlt, wir gehen einfach mit gutem Beispiel voran. Diese Haltung wirklich zu leben, bedeutet mehr, als ein T-Shirt mit dem Aufdruck „Antifaschist“ zu tragen. Und wenn jemand meint, Politik hätte im Hardcore nichts zu suchen, dann sollte er die Szene vielleicht verlassen und sich im nächsten Club eine Rock’n’Roll-Band anschauen.

Ihr habt zu den letzten zwei Singles erstmals Musikvideos gedreht, wie war das?
Wir waren sehr gespannt, weil wir an der künstlerischen Gestaltung und der Regie maßgeblich beteiligt waren. Es war cool, unsere Grenzen zu überschreiten und etwas Visuelles zu machen. Wir wissen, dass wir ein Album schreiben können, aber ein Video ist etwas ganz anderes. Vor der Kamera zu stehen ,war zunächst unangenehm, aber wir haben uns schnell daran gewöhnt. Es hat echt Spaß gemacht.

Die Bildsprache eurer Videos erinnert an Musikvideos aus den Endneunzigern und frühen Nuller Jahren, war das eine bewusste Entscheidung?
Nein. Wir hatten Inspiration durch Videos, die wir mögen und die zufälligerweise aus der Zeit stammen. Wir haben einfach gemacht, was uns gefällt, ohne uns darum zu kümmern, ob es wie ein Hardcore- oder Metal-Video aussieht. Im Gegenteil, ich mag es, wenn Leute von unserem visuellen Stil irritiert sind. Schau dir unseren Merch an, da fragen sich auch viele: „Warum?!“ Wir müssen nicht das machen, was von uns erwartet wird. Wenn wir mit gutem Beispiel vorangehen, werden die Leute lernen zu mögen, was wir mögen.