KILL YOUR BOYFRIEND

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Die Perspektive des Mörders

Das aus Matteo Scarpa und Antonio Angeli bestehende Duo aus dem norditalienischen Treviso ist seit einigen Jahren schon ein Geheimtipp für Menschen, die Musik im Spannungsfeld von Shoegaze, Industrial und Dark Wave schätzen und zudem einen Blick haben für eigenwillige Bandkonzepte. Denn hier geht es immer wieder um das Morden ... Matteo erklärte, was es damit auf sich hat.

Wann und wie ging es los mit KILL YOUR BOYFRIEND?

Es begann alles 2011 in Treviso, Italien. Wir sind ein Post-Punk/Noise-Duo, aber bei Live-Konzerten haben wir einen weiteren Gitarristen. Der Bandname KILL YOUR BOYFRIEND geht zurück auf einen Comic von Grant Morrison und Philip Bond, der 1995 bei Vertigo/DC Comics erschienen ist. Er handelt von einer Schülerin, die sich in einen seltsamen Jungen verliebt und beschließt, ihren bisherigen Freund zu töten. Sie läuft dann mit ihrer neuen Liebe davon und es folgt eine Flucht vor der Polizei quer durch Großbritannien. Am Ende nimmt die Story eine unerwartete Wendung, aber die wollen wir hier nicht verraten. Nachdem der Bandname also feststand, hatten wir Spaß daran, eine „Boyfriends“-Liste zu erstellen. Deshalb haben wir allen Songs auf den ersten beiden Alben männliche Namen gegeben. Aber mit unserer EP „Ghosts“ haben wir einen neuen Weg eingeschlagen, konzeptionell gesehen, bei dem die Songs mit Nummern bezeichnet wurden, weil wir ihnen keine konkrete Identität geben wollten. Unsere ursprüngliche Idee war es, eine Mischung zwischen der No-Wave-Szene und Noise/Shoegaze-Gitarren zu erschaffen, aber wir lieben es, immer wieder neues Spielzeug auszuprobieren. Wir haben überall in Europa, Großbritannien und Russland mit zahlreichen großartigen Bands gespielt, etwa PREOCCUPATIONS, THE KVB, ZU, ZOLA JESUS oder CIVIL CIVIC. Wir haben bis jetzt drei Alben veröffentlicht: Zuerst 2011 „s/t“, dann 2013 „The King Is Dead“, beide erschienen auf Shyrec, und das Neueste ist jetzt „Killadelica“, via Shryec, Sister9 und Little Cloud Records.

Wie geht es euch mit der Corona-Pandemie?
Wir sind wirklich erschöpft, wie wahrscheinlich jeder von uns. Am Anfang war es hilfreich, zu Hause eingesperrt zu sein und über reichlich Inspiration zu verfügen, so dass wir Zeit hatten, neue Songs zu komponieren. Aber jetzt vermissen wir ehrlich gesagt die Bühne, die Leute, das normale Leben. Wir hoffen wirklich, dass das alles bald vorbei ist. Unsere Gedanken sind bei denjenigen, die jeden Tag in den Krankenhäusern gegen das Virus ankämpfen, sowie allen Menschen, die jemanden durch COVID-19 verloren haben.

„Killadelica“ zeigt auf seltsame Art, dass es sogar bei einem Thema wie Serienmördern eine Geschlechterfrage gibt: Ihr habt die Songs nach weiblichen Mördern benannt. Wie seid ihr auf die Idee gekommen?
Ausgehend von dem oben erwähnten Konzept der „Kill List“ wollten wir bei diesem Album den Blickwinkel ändern. Es sollte also nicht um die Gefühle der Opfer gehen, sondern um die ihrer Mörderinnen. Bevor wir anfingen, haben wir lange recherchiert und alles studiert, was wir über reale Schwarze Witwen finden konnten. Wir müssen ehrlich zugeben, dass einige Songs auf antiker Mythologie, Filmen oder sogar Comics beruhen. Zum Beispiel „Agaue“, die auch das Albumcover inspiriert hat, entstammt Euripides’ Tragödie „Die Bakchen“, die auf dem griechischen Mythos von König Pentheus von Theben basiert, der von seiner Mutter Agaue getötet wird. Als Vorlage für das Artwork der Platte diente uns ein Wandbild aus Pompeji – Agaue mit den Bakchen tötet ihren Sohn Pentheus im Haus der Vettii.

Haben eure Recherchen einen Unterschied darin offenbart, wie und warum Frauen töten?
Wir denken nicht, dass die Gründe, die Frauen dazu bewegen, einen Mord zu begehen, sich von denen der Männer unterscheiden. Wir wollen nicht missverstanden werden. Wir haben uns für dieses Konzept entschieden, um etwas Neues auszuprobieren, beginnend mit dem Konzept selbst und endend mit der Musik. Unser Ziel ist es, das die Hörer unsere Musik auf andere, neue Weise wahrnehmen, mehr nicht.

Welche Kriterien bestimmen die Aufnahme in die „illustre“ Liste, die eure Songtitel darstellen?
Ehrlich gesagt gibt es da kein wirkliches Kriterium, entscheidend war eher, wie viel Empathie die Geschichten beim Lesen in uns geweckt haben. Sobald wir eine ausgewählt hatten, die uns besonders erschütterte, haben wir alles Vergleichbare verworfen, um aus „Killadelica“ eine Achterbahn der Gefühle zu machen. Wie gesagt sind nicht alle Figuren real, also hatten wir mehr Optionen, die wir nutzen konnten. Es geht uns nicht darum, Morde oder Killer zu verherrlichen. Unsere Absicht mit „Killadelica“ war es, wirklich starke Emotionen in Musik zu transponieren, solche Emotionen, die diese Frauen womöglich dazu getrieben haben, einen Mord zu begehen. Da wir also keine speziellen Kriterien für die Auswahl hatten, können wir uns auch nicht wirklich gegen einen entscheiden.

Gibt es italienische Killer, die erwähnenswert sind?
Es gibt viele berühmte italienische Serienmörder, sowohl Männer als auch Frauen. Wahrscheinlich erinnern sich einige von euch an Pietro Pacciani, das „Monster von Florenz“, den bis heute unidentifizierten italienischen „Unabomber“, die Teufelssekte „Die Bestien des Satans“ oder, wenn wir von historischen Serienmördern sprechen, „die Seifenmacherin von Correggio“, Leonarda Cianciulli.

Woher kommt diese Faszination für Serienmörder, was denkst du?
Wir stellen uns vor, dass die Menschen prinzipiell von der dunklen Seite fasziniert sind. Es ist etwas, das in jedem von uns steckt. Man sollte auch bedenken, dass Serienmörder einer Art Ritual folgen, einem Weg, der eine Anziehungskraft wie ein schwarzes Loch erzeugen kann. Ein weiterer Punkt ist unsere Bereitschaft, diese Mörder und ihr psychologisches Profil zu studieren, um zu versuchen zu verstehen, was jemanden dazu treibt, einen Mord zu begehen. Schließlich müssen wir auch darüber nachdenken, wie die zahllosen Fernsehserien, Filme oder Bücher über Serienmörder unsere Wahrnehmung dieser Verbrechen verändern, indem sie den Charakteren ein sympathisches Image geben. Das einzige Problem ist eventuell, so fasziniert von diesen verdrehten Figuren zu sein, dass man versucht, ihre Verbrechen nachzuahmen.

Im Ox wurde eure Musik mit BAUHAUS, THE SISTERS OF MERCY, THE JESUS AND MARY CHAIN, THE VELVET UNDERGROUND, COIL, KILLING JOKE, A PLACE TO BURY STRANGERS, THROBBING GRISTLE und MY BLOODY VALENTINE verglichen. Welche Bands fehlen, welche sollten nicht in dieser Liste stehen?
Zuallererst fühlen wir uns geehrt, dass ihr unsere Musik mit solch großartigen Bands vergleicht, die wir lieben. Als wir anfingen, waren auch Bands wie SUICIDE oder JOY DIVISION wichtig für uns, aber wir versuchen, uns nicht auf eine bestimmte Musik festzulegen, denn wir möchten so lange wie möglich experimentieren und sämtliche gemachten Erfahrungen in das einbringen, was wir tun.

Wie macht ihr Musik, technisch gesehen? Welche Instrumente und welches Equipment benutzt ihr, um einen „großen“ Sound zu bekommen, obwohl ihr nur zu zweit seid?
Wir haben ein kleines Studio, in dem wir die Basis für unsere Songs schaffen und die Vorproduktion machen können. Wir haben Drum Machines und Synthesizer wie MS-20, Polysix oder TR-808 verwendet. Nachdem wir eine Art groben Leitfaden für einen Song festgelegt haben, beginnen wir zu improvisieren, während wir gleichzeitig aufnehmen. Am Ende des Prozesses haben wir eine Menge Overdubs und dem Prinzip „Weniger ist mehr“ folgend schneiden wir alles, was unnötig ist, heraus. Wir sind immer auf der Suche nach neuen und inspirierenden Technologien, um unseren Sound zu verbessern. Inzwischen können wir die meisten Tracks direkt zu Hause produzieren und müssen nur noch Gitarren und Gesang und einen Teil der Percussion in einem professionellen Studio aufnehmen, das hängt von den Erfordernissen des jeweiligen Songs ab. Auf unserem letzten Album waren wir zum Beispiel bei Matt Bordin im InsideOutside Studio und wir haben mit einem analogen Mixer gearbeitet, weil wir dem finalen Mix einen „New-Retro“-Klang geben wollten. Wir denken, es war die perfekte Ergänzung der ganzen „Killadelica“-Idee. Also unterscheidet uns unser Vorgehen nicht so sehr von anderen Bands, nehme ich an.

Was kommt als nächstes?
Wir arbeiten an einer neuen Single von „Killadelica“ inklusive Video und, wie erwähnt, sind wir auch dabei, eine neue EP zu schreiben. Sie wird wahrscheinlich von toten Rock’n’Roll-Sängern handeln mit einem dieser Atmosphäre entsprechenden Sound.