KOKOMO

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Titel als Handschrift

„Wie ein Lavastrom, der sich durch einen einen Regenguss windet. Zäh, heiß und kalt zugleich.“ So wurde die Musik der 2008 in Duisburg gegründeten Post-Rock-Band im Ox beschrieben. „Totem Youth“ heißt das neue, fünfte Studioalbum des Fünfers, erschienen ist es auf I.Corrupt, und wir fragten mal in der Nachbarschaft nach, wie das alles so lief in letzter Zeit.

Vor dem neuen Album habt ihr euch eine Pause von der Band gegönnt. Warum habt ihr die Auszeit gebraucht?

Benni:
Eigentlich war das keine bewusste Entscheidung, kam allerdings genau zur richtigen Zeit. Seit unserer Gründung haben wir andauernd irgendwas gemacht. Neue Lieder geschrieben, Konzerte gespielt, Platten rausgebracht oder unseren Proberaum zu einem DIY-Studio ausgebaut. Vor „Totem Youth“ sind wir an einen Punkt gekommen, an dem wir nicht so recht wussten, wohin die Reise musikalisch überhaupt gehen soll.

Rene: Ich kann mich noch gut an diese Phase erinnern. Wir haben damals immer wieder neue Versionen von einem Bruchteil eines Liedes aufgenommen und entweder klang es zu sehr nach den alten Sachen oder wirkte irgendwie erzwungen. Es gab dann in der Zeit einige andere Projekte neben KOKOMO, die uns etwas mehr Abstand verschafft haben. Es war wie ein Durchatmen. Irgendwann wurde dann der Drang immer größer, wieder KOKOMO-Lieder zu schreiben und es lief viel unbeschwerter. Das war ein sehr befreiendes Gefühl.

In der Pause habt ihr trotzdem weiter Musik gemacht, wenn auch in einem anderen Projekt namens GLASSWALLS. Inwieweit war dieses Projekt wichtig für „Totem Youth“? Gibt es einen spürbaren Einfluss des Projekts auf das, was KOKOMO 2019 sind?

Rene:
GLASSWALLS war das intensivste Nebenprojekt in der Zeit. Wir hatten hier zum ersten Mal einen ganz anderen Zugang zur Musik. Wir sind alle Autodidakten an unseren Instrumenten und waren nun gezwungen, uns intensiv mit Noten auseinanderzusetzen. Wir haben in dem Projekt gemeinsam mit dem Pianisten Kai Schumacher Lieder von Philip Glass auseinandergenommen, mit unseren stilistischen Mitteln neu arrangiert und schließlich gemeinsam mit den Duisburger Philharmonikern live umgesetzt. Sicherlich hat es uns auch noch mal einen neuen musikalischen Einfluss und weitere Distanz zu KOKOMO gegeben. Richtig spürbar ist allerdings vor allem, dass dieses Projekt ein großartiger Gegenspieler zu „Totem Youth“ war. Denn gerade weil GLASSWALLS eher melodiös und lieblicher klingt, ist „Totem Youth“ dadurch noch etwas härter und wuchtiger geworden.

In „Melodic rock night“ gibt es ja auch Gesang. Warum habt ihr euch in diesem Fall dafür entschieden?

Benni:
Wir haben immer wieder Lieder mit Gesang gemacht und es war bei uns auch nie eine bewusste Entscheidung, konsequent darauf zu verzichten. Bei dem Lied hatten wir einfach das Gefühl, dass es an der Stelle gut funktionieren würde, und waren umso glücklicher, dass Tom von HER NAME IS CALLA Lust darauf hatte.

Bei instrumentaler Musik finde ich Songtitel immer besonders interessant, da sie für mich wie Namen von Gemälden oder Kunstgegenständen wirken, die sich einem nicht direkt erschließen. Ich versuche dann, Musik und Titel in Einklang zu bringen und der Assoziation des Künstlers zu folgen. Ist das eine Herangehensweise, die ihr nachvollziehen könnt?

Rene:
Bei uneindeutigen Kunstgegenständen frage ich mich immer, ob zuerst die Idee oder das Kunstwerk da war und ob der Titel quasi eine Interpretation des Erschaffenen ist. Bei uns entstehen die Titel immer erst nach der Fertigstellung der Lieder. Uns ist wichtig, dass sie eine bestimmte Stimmung transportieren und weniger einen Inhalt vorgeben, der ja bei der instrumentellen Musik eigentlich kaum vorhanden ist.

Benni: Ich finde auch, dass Titel wie eine Handschrift sind. Besonders bei rein instrumentaler Musik sagen sie oft viel über den Charakter einer Band aus.

Könntet ihr in Stichworten, eure Assoziationen zu den Songtiteln und dem Albumtitel nennen?

Rene:
Puh, das ist eine große Herausforderung. Wie gesagt, es ist nicht immer der Inhalt ausschlaggebend für einen Titel. Manchmal ist es auch einfach nur ein Gedanke dazu oder der Klang. Wir versuchen es trotzdem mal ...

„Sterben am Fluss“

Rene:
Der erste Titel ist ziemlich schwer zu erklären. Kurz gesagt geht es um ein friedliches Sterben in einer vertrauten Umgebung. Wir proben keine hundert Meter vom Rhein entfernt und man fragt sich im Laufe des Älterwerdens immer mal wieder, ob man hier auch für immer bleiben möchte.

„Hold me closer, unknown dancer“

Benni:
Hier geht es ganz klar um die Stimmung des Titels und es hat keine autobiografische Komponente.

„Narcosis“

Benni:
Der Titel schlägt die Brücke zum Albumcover, bei dem es viel um die Unterwasserwelt und das Tauchen geht, was auf eine beeindruckende Doku über den Roten Thunfisch und den Film „Im Rausch der Tiefe“ zurückzuführen ist, die wir mal zusammen gesehen haben.

„Golden guns“

Rene:
Die Referenz zu einer Band, die für die Entstehung dieses Liedes sehr wichtig ist. So viel darf man verraten: Es geht eigentlich nicht um Waffen.

„Melodic rock night“

Benni:
Wieder ein Titel mit ganz viel Stimmung.

„Der Vogelmann“

Rene:
Das bezieht sich auf einen schlimmen Alptraum meiner dreijährigen Tochter.

„Totem Youth“

Rene:
Der Titel ist am letzten Studiotag entstanden. Er spiegelt für uns den Bezug zur Natur und Natürlichkeit wider, was wir auch musikalisch, beispielsweise durch den Verzicht auf digitale Instrumente, deutlich machen wollten.