LAGWAGON

Es ist doch schön, wenn es in einer Welt, in der jedes halbe Jahr neue Musiktrends angeblich das Tollste bisher dagewesene sind, gewisse Konstanten existieren. LAGWAGON zum Beispiel. Sie waren die erste Band, die Fat Mike seinerzeit auf sein neugegründetes Label Fat Wreck Chords holte, und bis heute macht die seinerzeit in Santa Barbara, heute in San Francisco ansässige Formation genau das, was sie am besten kann und was weltweit unzählige andere Bands beeinflusst hat: Melodischen Punkrock. Mit „Let’s Talk About Feelings“ haben LAGWAGON jetzt auf halbem Weg zum neuen Album ein eigentlich gar nicht geplantes Mini-Album eingeschoben, über das ich mich beim „Warped“-Festival mit Frontmann Joey Cape unterhielt.

Wenn ich das richtig verstanden habe ist euer neuer Release ja eher ein Mini-Album.

Ja, stimmt, ich weiß auch nicht so recht, wie das kam. Sonst sind wir ja echt nicht die Schnellsten und lassen uns mit einer neuen Platte viel Zeit. Ich finde das aber richtig angenehm, es ist eine ganz neue Erfahrung. Bei unserer ersten Platte lagen seinerzeit über zwölf Monate zwischen Studiotermin und Veröffentlichung, was irgendwie ziemlich blöd war, denn als das Album endlich raus war, waren wir schon viel weiter. Jetzt, nach fünf Platten, sind wir endlich so weit, dass das richtig klappt – und das ist ein gutes Gefühl.

Und wie kommt’s, dass ihr diesmal so schnell nachgelegt habt?
Das war natürlich nicht geplant. Wir wollten eigentlich nur sechs Songs für eine EP aufnehmen und machten den Studiotermin klar. Beim Aufnehmen lief’s dann aber irgendwie total gut, wir probierten noch ein bisschen rum, nahmen weiter auf, und plötzlich hatten wir zwölf Songs fertig. Wir dachten uns gut, dann haben wir ein paar für Compilations übrig, doch als wir das Tape mit den Aufnahmen immer wieder durchhörten, fanden wir sie dafür zu schade und beschlossen, sie alle zusammen auf eine Platte zu packen. So hatten wir plötzlich ein neues, wenn auch kurzes Album fertig, das wir deswegen auch nicht zum vollen Albumpreis verkaufen.

Deshalb auch neben der CD die 10“-Version.
Richtig. Ich bin selber ein großer Vinylfan und finde gerade 10“s sehr schön, also fragte ich Fat Wreck, ob das für sie o.k. wäre, und sie fanden die Idee auch gut.

Die Scheibe trägt den schönen Titel „Let’s Talk About Feelings“ ...
Hehe, ich wusste, dass du mich danach fragen würdest. Eigentlich hat der Titel keine besondere Bedeutung, nur die, dass dieser Spruch, „Hey, lass uns mal über unsere Gefühle reden“, seit Jahren so ein bandinterner Running-Gag ist. Das gilt auch für das Cover – dahinter steckt mehr Zufall als Planung, sowas ergibt sich immer irgendwie. Bei Titel und Cover bringen wir von jeher so kleine interne Späße und Andeutungen unter. Wenn du das bei deinen Texten machst, hast du ständig das Problem, dass niemand außer dir und deinen Freunden was damit anfangen kann, also versuchen wir die immer recht klar zu lassen. Beim Albumtitel und -cover dagegen brauchst du dich darum nicht zu kümmern, und wenn bandintern Übereinstimmung besteht, dann immer beim Humor – und das ist wohl auch der Grund, weshalb wir so blödsinnige Cover haben.

Vorhin bei eurem Auftritt habt ihr „Everything Turns Grey“ von der legendären kalifornischen Punkband AGENT ORANGE gespielt – meiner Meinung nach einer der zehn besten Punksongs überhaupt. Und dann konnte ich gerade hören, dass diese Coverversion auch auf der neuen Platte enthalten ist. Wie kommt’s?
Ich wollte das schon seit Jahren machen! Seit ich ein kleines Punkerkid war, liebe ich diesen Song – ich hatte mir die Platte gekauft, gleich als sie 1981 rauskam. Ich bin schon immer ein großer AGENT ORANGE-Fan gewesen und es freut mich total, dass wir den Song jetzt mal aufgenommen haben. Sowieso ist das ganze „Living In Darkness“-Album ein völliger Hit, einfach eines DER großen Punk-Alben, wobei AGENT ORANGE leider nie die Anerkennung erfahren haben, die sie eigentlich verdienen.

Und dabei gibt es die Band auch heute noch ...
... ja, stimmt, wobei Mike Palm als einziger von der Originalbesetzung übrig geblieben ist. Immerhin, er war und ist der Songschreiber, Sänger und Gitarrist. Jedenfalls haben andere Bands von damals viel mehr Anerkennung bekommen als AGENT ORANGE, ich finde das etwas schade, und so dachten wir uns, es wäre eine schöne Sache, etwas dafür zu tun. AGENT ORANGE sind für uns eben wichtige „Roots“-Musik.

Für euch vielleicht, für einen Großteil eurer Fans nicht: Die waren, wenn man sich das Publikum heute und auch sonst so anschaut, teilweise noch nicht mal geboren, als die Platte rauskam oder machten noch in die Windeln. Da wundert es auch nicht, dass vorhin die allerwenigsten Leute erkannten, was ihr da spielt.
Ja, das ist wohl so. Es ist halt so, dass die jüngere Generation von den großen alten Bands oft nur die bekanntesten kennt, etwa BLACK FLAG. Die sind cool, von denen trägt man auch mal ein T-Shirt – genau wie von den RAMONES. Es gibt immer ein paar Bands, die den Sprung von einer Generation zur anderen schaffen, und die anderen fallen halt der Obskurität anheim. Und ich bin mir nicht mal sicher, ob überhaupt mehr als nur ein paar Leute einen MOTÖRHEAD-Song erkennen würden, wenn wir ihn live spielten. Ich finde das aber eigentlich auch nicht schlimm, weißt du? So wird so ein alter Song ganz anders aufgenommen: Die Kids denken, der ist von uns uns und sehen ihn ganz anders. Du täuscht sie ein bisschen, aber nicht in böser Absicht, und das ist eine sehr reizvolle Sache, wie ich finde. Und außerdem erzählen wir ja auch von wem der Song wirklich ist. Abgesehen davon sind unsere anderen Coverversionen ganz offensichtlich: „Brown-eyed Girl“ kennt wohl wirklich jeder, das ist „Muzak“, das läuft in jedem Aufzug und jedem Einkaufszentrum, und „Bad Moon Rising“ von CREEDENCE CLEARWATER REVIVAL ist ebenfalls Standard.

„The Kids Are All Wrong“ – dieser Songtitel von der neuen Scheibe ist ja wohl auch eine Anspielung, nämlich auf „The Kids Are Alright“ von THE WHO. Was steckt dahinter?
Die Anspielung ist natürlich offensichtlich, und Ausgangspunkt war ursprünglich auch der WHO-Song: Der Refrain sollte entsprechend lauten „The Kids Are All Wrong“. Es war als ein ’98er Tribut an THE WHO gedacht, aber auch als Widmung an einen guten Freund von mir. Das ist ein sechzehnjähriger Punk, der sich seit seinem elften Lebensjahr allein durchschlägt. Wahrscheinlich dadurch ist er trotz seines Alters schon total erwachsen, kommt mit Leuten seines Alters überhaupt nicht klar und hat nur Freunde, die viel älter sind als er. Als wir dann im Studio waren, war es allerdings zu spät, „The Kids Are Alright“ einzuüben, so dass ich im Studio meine Gitarre nahm und eine akustische Version davon aufnahm. Kurz darauf waren wir dann mal wieder zu Besuch in unserer Heimatstadt Santa Barbara, wo wir einen Teil der Gesangsparts der Platte aufnahmen. Ich rief dann einen alten Freund an und fragte ihn, ob er nicht bei diesem Song Piano spielen könne. Er konnte, ich sang dazu, und das Ergebnis war eigentlich nicht dazu vorgesehen veröffentlicht zu werden, aber letztendlich fanden wir es aber doch so gut, dass wir es mit draufnahmen. Und höchstwahrscheinlich werden wir für das nächste Album noch eine richtig rockende Version davon einspielen. Außerdem können wir bis dahin noch den Spaß bringen, den Song anzukündigen und jeder erwartet dann so einen Akustik-Schnarcher, doch wir legen voll los. So, das war die ganze Story.

Eine bei Fat Wreck-Bands allgemein, aber speziell auch bei euch auffällige Sache ist das relativ niedrige Durchschnittsalter eures Publikums. Wie steht ihr, wie stehst du dazu?
Nun, ich denke, das ist für uns in verschiedener Hinsicht ganz glücklich. Ein junges Publikum ist oftmals viel engagierter dabei, also in der Weise, wie sie uns als Band unterstützen, wie sie bei den Konzerten aus sich herausgehen. Der Nachteil ist freilich, dass die Leute genau so schnell, wie sie sich für uns begeistern, auch oft wieder draußen sind und sich für diese Art von Musik gar nicht mehr interessieren. Die eine Woche bist du noch ihr Held, in der nächsten kennen sie dich nicht mehr. Das macht es manchmal etwas schwierig für uns, aber das ist nur ein kleiner Randaspekt, denn es macht eben vor allem sehr viel Spaß, vor einem großen und jungen Publikum zu spielen. Und für mich persönlich kommt natürlich noch dazu, dass ich mich angesichts unserer Fans manchmal ganz schön alt fühle, haha.

Raus mit der Sprache: Wie alt bist du?
Am Tag, an dem die neue Platte erscheint, werde ich 32 ...

Uff, da fühle ich mich mit meinen 30 Jahren ja noch richtig jugendlich. Zurück zur Platte: Habt ihr auch diesmal wieder mit Ryan Green aufgenommen?
Zum Teil: Die Grundtracks von Gitarre, Bass und Schlagzeug haben wir mit Ryan eingespielt, den Gesang und die Overdubs mit meinem Freund Angus Cooke in Santa Barbara. Wir leben zwar heute alle in San Francisco, aber wie du weißt, kommen wir ja alle aus Santa Barbara, das ungefähr sechs Stunden südlich von San Francisco liegt. Es ist halt immer wieder schön alte Freunde wieder mal zu treffen, zusammen ein paar Bierchen zu trinken und so. Naja, bei der Gelegenheit haben wir dann die Vocals aufgenommen, und gemischt wurde die Scheibe schließlich im Blasting Room in Fort Collins, Colorado von Bill Stevenson und Stephen Egerton. Das war auch so eine Art Test für die nächsten Aufnahmen, denn nach derzeitiger Planung werden wir ab Ende November nochmals mit den beiden aufnehmen. Wir haben nämlich schon wieder ein paar neue Songs geschrieben, und im Januar ist dann der nächste Termin eingeplant. Es wird also Anfang nächsten Jahres eine EP geben, und wir nehmen einfach munter neue Songs auf, wir haben da richtig Gefallen dran gefunden – und das ist gut so! Wir hatten als Band jahrelang das Problem, dass wir im Verhältnis zu unserer sonstigen Aktivität sehr wenig aufgenommen haben. Das lag nicht daran, dass ich nicht genug Songs geschrieben hätte, nein, im Gegenteil. Wir schafften es nur einfach nicht, die Songs aufzunehmen, und das war Scheiße. Ich meine, du spielst ja deshalb in einer Band, weil du Musik machen willst. Klar, Touren ist ’ne schöne Sache, aber der kreative Prozess, das Schreiben und das Aufnehmen, das ist für mich eben sehr wichtig.

Ich habe schon von vielen Musikern gehört, dass in dem Augenblick, wo ein Song aufgenommen ist, wo die Platte erschienen ist, die Sache ihren Reiz verliert und es oftmals mehr Pflicht als Kür ist, die Sachen, die zu diesem Zeitpunkt ja vielleicht schon ein Jahr alt sind, auch live zu spielen.
Die neuen Songs sind diesmal noch so neu, dass ich davon noch nicht genug habe, aber nach der Tour und wenn die Scheibe dann raus ist, werden sie mich schon langweilen. So ist das immer, das Problem hat wohl jede Band und damit muss man eben klar kommen. Unter diesem Aspekt hat es eine Band leichter, die noch keinen Plattenvertrag hat, nur für sich im Proberaum Musik macht und nur ab und zu live spielt. In dieser Situation konzentrierst du dich – gezwungenermaßen – aufs Musikmachen, doch sobald du dann Schritt für Schritt weiterkommst, tritt das Musikmachen auch immer weiter in den Hintergrund. Leider ist das so, und wir haben uns da in der Band schon sehr viel darüber unterhalten – mit der Konsequenz, dass wir ganz bewusst daran arbeiten, einfach wieder mehr zusammen Musik zu machen, wenn wir schon in der gleichen Stadt wohnen, zusammen ausgehen und uns gut verstehen. Wir sind also gerade sehr zufrieden und glücklich, wie es mit der Band läuft.

Schön zu hören, denn mit wem man derzeit auch spricht – Labels, Mailorder, Veranstalter, Plattenläden –, alle beklagen sich, dass es derzeit schwer ist über die Runden zu kommen.
Naja, wir können uns derzeit nicht beklagen, aber generell ist es auch so, dass Geld nicht die oberste Maxime für uns ist. Wenn dem so wäre, würden wir auch andere Platten machen, nämlich solche, bei denen wir von vornherein wüssten, dass das 100% der Sound ist, denn die Leute derzeit hören wollen. Nur ist es eben nicht so, dass die Musik, die viele Leute glücklich macht, unbedingt die ist, die dich als Musiker glücklich macht. Letzteres steht aber für mich absolut im Vordergrund. „Erfolg“ ist für uns also ganz ehrlich nicht das Wichtigste, andere Bands machen sich darüber viel mehr Gedanken. Vielleicht liegt’s ja daran, dass wir länger dabei sind als andere und uns die Band immer noch so viel Spaß macht: Nach zehn Jahren haben wir immer noch nicht die Nase voll vom Touren.

Ihr seid als erprobte Europa-Tourer jetzt erstmals im Rahmen des „Warped“-Festivals unterwegs. Wie ist das so?
Es ist o.k., sonst wären wir nicht dabei – sorry, das ist ’ne blöde Antwort. Nun, wir sind in den USA die drei letzten Jahren die Warped-Tour mitgefahren, dieses Jahr erstmals nicht, aber dafür sind wir in Europa dabei. Ich halte die Idee dieser Festivaltour für sehr gut. Warum? Nun, so hast du als Band die Chance mit Bands zusammenzuspielen, mit denen du sonst kaum mal zusammen auf einer Bühne stehen würdest. Bei Festivalauftritten ist das auch der Fall, gut, aber bei Warped hast du beides: Du bist mit anderen Bands auf Tour, lernst die Leute besser kennen und spielst auch noch mit ihnen zusammen. Von unserem Standpunkt her ist so eine Festivaltour deshalb optimal. Doch während Warped in den USA eine eingeführte Sache ist, sehe ich auch, dass man die Idee, das Konzept hier in Europa erst noch einführen muss. In den USA ist Warped nämlich eine extrem erfolgreiche Sache, während es hier schon noch gewisse Anlaufschwierigkeiten gibt. Aber warte noch zwei Jahre, dann ist das hier auch etabliert.

Ist es denn kein großer Kampf, dass man als Band bei so einer Tour mitfahren kann? Ich meine, es ist ja ein offenes Geheimnis, dass sowohl bei Festivals wie bei normalen Touren von Plattenfirmen teilweise nicht unerhebliche Summen gezahlt werden, damit eine noch nicht so bekannte Band da mitspielen kann.
Ganz klar, in den USA ist Warped richtig etabliert, da läuft das so. Hier in Europa ist Warped noch neu, da ist das sicher noch nicht so eingefahren. Ich meine, das Line-up hier ist zwar o.k., aber im Vergleich zu den USA ist da noch einiges an Arbeit zu tun. In den USA gab’s dieses Jahr mehrere Bühnen, super viele Bands, um die 40, und darunter echt fast nur erste Sahne.

Und wofür schlägt dein Herz eher? Für noch recht gemütliche Konzerte vor 500 bis 1.000 Leuten oder für solche Großveranstaltungen?
Nun, das sind eben zwei grundverschiedene Sachen: Hier hast du „deine“ Band nur eine halbe Stunde lang auf einer großen Bühne, andererseits kannst du am Stück gute Bands sehen. Bei einem „normalen“ Konzert dagegen kriegst du 100% von deiner Band im direkten Kontakt – beides hat seine Vorteile.

Auf der neuen Platte ist mit „Owen Meaney“ ein Song, der sich offensichtlich auf John Irvings Buch „A Prayer For Owen Meany“ bezieht – bist du ein Fan von John Irving?
Oh ja! Jeder kennt natürlich „The World According To Garp“ (deutsch: „Garp und wie er die Welt sah“), und „A Prayer For Owen Meany“ ist ein recht neues Buch von ’94, das bei weitem nicht so bekannt ist. Für mich ist es aber sein bestes Buch, ich liebe es. Und es gab zwar schon öfter Bücher, die ich gerne als Inspiration für einen Songtext genommen hätte, doch ist da nie was daraus geworden – bis zu diesem Buch. Ich habe auch diesmal lange gezögert, weil ich es irgendwie ein bisschen angeberisch finde, sowas zu machen, das ist nicht mein Stil. Aber das Buch ist so gut, ich musste es einfach machen. Außerdem ist der Name Owen Meany offensichtlich ein Wortspiel aus „owe and meany“ – da steckt viel Interpretierfähiges dahinter. Ich muss der Fairness halber aber noch anmerken, dass der Text in Zusammenarbeit mit unserem Bassisten entstanden ist, er hatte die Idee dazu.

Was hast du als letztes gelesen?
Die Autobiographie von Johnny Cash – sehr unterhaltsam, ein gutes Tourbuch, weil es da auch ständig um Touren und Auftritte und so weiter geht.

Sind dir solche Ablenkungen wichtig, wenn du auf Tour bist?
Ja, absolut. Du brauchst einfach was, um mal auf andere Gedanken zu kommen, denn das hier ist definitiv DER Partybus ...