MAULGRUPPE

Foto© by Tamer Fawzy

Der ikonische Typ und seine Lakaien

Kein Interview mit Jens Rachut. Der ist zwar wortstark, aber nicht, wenn es um Emails geht. Ich gestehe: So gerne ich mit dem Hamburger Punk-Urgestein rede, so fehlte mir diesmal schlicht die Zeit, einen Tag mit dem Abtippen eines telefonisch geführten Interviews zu verbringen. Also aus der Not eine Tugend gemacht und mal „die Band hinter Jens Rachut“ interviewt, was ja auch interessante Erkenntnisse versprach – die Typen waren willens zu tippen und schnell. Und ich wurde nicht enttäuscht, deshalb hier meine Erkenntnisse rund um das neue, zweite MAULGRUPPE-Album „Hitsignale“, erschienen auf Major Label.

So, jetzt also mal ein Interview mit der „Band hinter Jens Rachut“. Ich bin ja nicht unschuldig, „die Presse“ spricht am liebsten mit ihm. Klar, er drängt sich nicht vor, aber der ikonische Typ ist halt er. Wie geht es euch dabei, wie nehmt ihr die Wahrnehmung der Band wahr?

Markus: Ich habe damit überhaupt kein Problem. Klar interessieren sich die meisten Leute für MAULGRUPPE, weil Jens dabei ist. Sonst hätten wir ja mit YASS wohl auch mal einen Ox-Interviewtermin bekommen, haha. Dafür lasse ich mir bei Konzerten als Schlagzeuger die Elektrosounds immer ordentlich laut durch die Monitorboxen in mein leicht taubes Ohr jagen, damit ich weiß, wo ich rhythmustechnisch so unterwegs bin. Und da ist es immer ein Kampf mit Jens beim Soundcheck um die Lautstärke, weil er hasst eigentlich Maschinen ...
Frank: Ja, das ist ungerecht und macht mich wütend. Nein, ich komme sehr gut damit klar! Ein Gespräch mit Jens ist natürlich auch interessant, und wenn er Bock hat, kann er super erzählen und ist auf seine spezielle Art sehr lustig. Schwierig wird es höchstens, wenn es heißt, bitte macht mal die nervigen Instrumente leiser. Der Sound darf ruhig auch ein wenig wehtun. Wer live nur die Stimme von Jens hören will, soll sich doch bitte die Platte zu Hause mit dem Kopfhörer anhören.
Wieland: Ich bin ja erst seit letztem Sommer dabei, habe aber das Gefühl, dass Markus und Frank diesen Jens ganz gut im Griff haben ... Und die Presse hat ja jetzt auch gemerkt, dass MAULGRUPPE mehr ist als der ikonische Typ mit ein paar Lakaien.

Jens’ Biografie wurde zigfach runtergebetet. Erzählt doch bitte, was ihr bislang musikalisch gemacht habt – bitte auch du, Wieland, als Neuer in der Band.
Frank: Anfang der Neunziger haben wir mit KURT angefangen, dann kamen TEN VOLT SHOCK mit dazu und später noch YASS.
Markus: Angefangen zu trommeln habe ich Anfang der Neunziger zusammen mit Freunden in den Bands HEATHERS IN BLOOM und SUKITA 9. Dann folgte TEN VOLT SHOCK und zehn Jahre später YASS.
Wieland: Ich hatte in einer kleinen Berliner Punkband gespielt, als mich Jens 1994 anrief und fragte, ob ich bei BLUMEN AM ARSCH DER HÖLLE Bass spielen wolle. Wollte ich natürlich und bin auf Knien nach Hamburg gerobbt. Leider gab es die Blumen dann nur noch einen Sommer, aber danach ging es direkt mit DACKELBLUT los. Als die sich dann aufgelöst hatten, bin ich zurück nach Berlin und dachte, dass es das jetzt ja wohl gewesen sei. Aber ein paar Jahre später rief dann die OMA HANS-Bassistin Peta an und fragte mich, ob ich für sie auf Tour einspringen könne, da sie schwanger sei. Und so habe ich dann ein Jahr lang mit blonder Perücke bei OMA HANS gespielt. Und vor ein paar Jahren gab es noch diese ominöse Coverband RATTTENGOLD. Und jetzt MAULGRUPPE. Ich bin vielleicht so eine Art Feuerwehrmann – der Friedhelm Funkel des Punkrock.

MAULGRUPPE haben mich beim ersten Album schon überrascht durch den sehr speziellen Sound: einerseits durchaus Punk, aber dann diese elektronischen Klänge. Wie habt ihr diesen Stil entwickelt, wer oder was hat euch inspiriert?
Frank: Markus und ich machen jetzt seit gut zehn Jahren zu zweit Musik. Inspiriert haben uns sicherlich Bands wie ELECTRIC ELECTRIC, BLACK PUS/LIGHTNING BOLT, SIX FINGER SATELLITE ... Kraut, Elektro, Noise, alles, was damals interessant und anders war. Inzwischen sind wir bei circa 300 Proben angelangt haha, da fallen schon einige Songs an und einige davon haben wir dann für MAULGRUPPE verwendet. Teilweise hatten wir diese auch schon mit YASS live gespielt. Man merkt dann relativ schnell, welche Songs eher was für MAULGRUPPE sind oder welche besser zu YASS passen. Das Schöne dabei ist, dass wir einfach Lieder schreiben können und dann schauen, für welche Band sie geeignet sein könnten. Dann schicken wir mal ein paar Songs an Jens und Wieland und die können dann auswählen, an welchen Liedern wir zusammen mit MAULGRUPPE weiterarbeiten sollen. Jens hat da einen ganz guten Riecher und auch ein super Gefühl dafür, welche Parts überflüssig sind und weggelassen werden können.
Markus: Frank hat schon vieles dazu gesagt. Es ist einfach so, dass wir zwei uns irgendwann zusätzlich mit Elektrosounds beschäftigt haben, ohne zu wissen, an welchen Knöpfen man nach den Lehrbüchern eigentlich drehen sollte. Ich hatte keine Ahnung, was Filter, Oszillatoren oder LFOs sind beziehungsweise anstellen. Aber es hat immer so herrlich gepiepst und gewummert. Und die E-Sound-Ideen haben wir einfach von zu Hause auf dem Laptop mit in den Proberaum genommen und losgelegt, um zusammen mit seiner Gitarre und meinen Drums daran herumzutüfteln. Das ist schon zeitaufwändig, macht aber mächtig Spaß. Frank und ich haben den gleichen musikalischen Background und Einflüsse aus unterschiedlichen Genres ... Wichtig ist, dass es nicht klingen soll wie ... sondern einfach drauflos. Und ja, es ist gut, wenn wie von Frank beschrieben, Jens und jetzt auch Wieland das noch mal aus einem ganz anderen Blickwinkel anhören und ihre eigenen Ideen mit einbringen, weil man selber landet auch oft in einem Soundtunnel.
Wieland: Auf dem neuen Album hat sich der Bandsound auch schon etwas verändert. Es gibt mehr dunkle Punk-Stücke, wie WIPERS auf Acid. Dazu passt auch ein zusätzlicher Bass, es treibt einfach mehr.

Bisweilen wird ja so getan, als sei Musik, wie ihr sie macht, also im Prinzip Rockmusik, „auserzählt“. Stattdessen sind irgendwelche tollen, hippen „urbanen“ Sounds angesagt. Kratzt einen so ein Kulturjournalist:innen-Geraune? Reagiert man da drauf?
Markus: Nee, das stört mich nicht. Wir machen einfach unser Ding und denken nicht daran, irgendjemanden damit zu bedienen. Wir sind immer auf der Suche nach neuer interessanter Musik, da gibt es immer wieder Tolles zu entdecken. Ob die Sachen dann hip sind oder Hippies, ist mir egal.
Frank: Wenn es interessant klingt, ist das doch gut. Leider geht es aber im Musikgeschäft nur selten um die wirklich interessante Musik.

Und wie hält man das Musikmachen für sich interessant?
Wieland: Ich finde bei MAULGRUPPE für mich total interessant, dass die ursprünglichen Sounds aus einem Kosmos kommen, mit dem ich bisher gar nicht so viel zu tun hatte. Ich höre da auch viel Industrial und Ähnliches. Ich selbst stehe bei Punk ja mehr auf die melodischen Bands, STRANGLERS, DESCENDENTS, LEATHERFACE, die Klassiker. Aber gerade deshalb macht es Spaß, sich in so eine neue Soundwelt reinzuarbeiten und zu kapieren, wie das funktioniert. Nämlich ganz anders als das, was ich so kenne und wovon ich bisher Teil war. Die MAULGRUPPE-Stücke sind ja eigentlich eher aufgebaut wie Techno-Tracks. Und Jens macht sie dadurch, wie und wo er singt, zu etwas ganz anderem. Er ist so unfassbar präsent, dass es plötzlich Jens Rachut-Songs werden, nur eben auf einem ganz anderen Fundament. Das ist ganz eigen, und ich freue mich sehr, da jetzt auch noch mitmischen zu können.
Frank: Wir haben so viele Ideen, da weiß ich wirklich nicht, wie Langeweile aufkommen könnte. Das ist und war immer interessant.
Markus: Das Beste ist eigentlich, nicht darüber nachzudenken, was man denn jetzt machen könnte. Wie das nun klingen soll. Zumindest bei mir führt das zu nichts. Sobald es zu verkopft wird, sollte man schnell eine Pause einlegen.

Wie geht es euch in den hoffentlich letzten Wochen der Pandemie?
Markus: Das Touren fehlt schon gewaltig. Ansonsten sind Frank und ich in der glücklichen Lage, mit Musik nicht unser Geld verdienen zu müssen. Und das Treffen mit Freunden musste man zumindest auch nicht ganz einstellen.
Frank: Es wird wirklich höchste Zeit, mal wieder rauszukommen.

Wie habt ihr die Zeit genutzt?
Frank: Musik machen und an Elektro-Sounds basteln.
Markus: Immerhin konnten Frank und ich zusammen in Freiburg proben und zu Hause Sounds machen. Also wieder an neuen Songs arbeiten.
Wieland: Meine Hütte in Brandenburg renovieren – neuer Ofen, neues Dach. Außerdem mir die erste MAULGRUPPE-Platte draufschaffen, da gibt’s bisher nur einen Elektrobass und ich will ja bei der Hälfte der Konzerte nicht nur zugucken. Die Kollegen haben mir da einige schöne Fallen eingebaut. Danke dafür an dieser Stelle.

Und wie ging das als Band mit Proben, Studio ...?
Markus: Wieland war richtig tüchtig und hat zu Hause Bassläufe zu den Sounds geprobt. Sein Bassspiel passt super zu den neuen Songs und den Maschinenbässen. Jens textete wie immer in seinem Wald und ja, die Zeit war dann schon knapp ... Ich glaube, wir hatten alle zusammen zwei lange Wochenenden zum Proben vor dem Studio.
Wieland: Zweimal proben und dann direkt aufnehmen, das war schon Harakiri! Jens und ich trafen uns im ICE und dann ging’s Richtung Süden. Aber in Freiburg wurden wir erst mal von Markus so hervorragend bekocht, dass nach ein paar Flaschen Wein an Proben nicht mehr zu denken war. Aufgenommen haben wir ja mit Moses und Ingo im Berliner Candy Bomber Studio, ohne dass wir jemals vorher zu viert ein Konzert gespielt haben. Aber man hört schon eine Band, hoffe ich zumindest, immerhin haben wir fast alles live eingespielt.

Konzerte ... na ja, da war ja nicht viel seit „Tiere in Tschernobyl“, weil kaum war 2019 vorbei, kam 2020 ... Wie waren die Konzerte so?
Markus: Zusammen mit Jens und Tamer auf Tour zu sein, hat richtig Spaß gemacht. Und jetzt noch mit Wieland – das ist emotional kaum noch auszuhalten, natürlich im positiven Sinn, haha. Das Publikum war selbstverständlich in unserem Alter. Also gilt es jetzt für die Zukunft, mit einem urbaneren Sound die Jugend anzusprechen ... Die Texte passen schon mal. Jens wollte eigentlich noch einen Rap- oder HipHop-Song auf der neuen Platte drauf haben. Raus kam dann aber eher so ein Geschwurbel aus einem Midtempo-Kraut-Dark-Wave-Gestampfe. Der durfte dann nicht drauf. Wir üben weiter. Und spätestens, wenn wir so alt sind wie Jens, müsste es mit dem jüngeren Publikum klappen.
Frank: Ich fand alle Konzerte gut, mir macht das einen Riesenspaß. Bisher hatte ich immer die ganze Konzert- und Tourplanung am Hals, das war bisweilen sehr anstrengend. Bei MAULGRUPPE und Powerline kann ich mich zum Glück einfach mal zurücklehnen, Musik machen und dann sehen, was da so kommt.

Als „normaler“ Zuhörer fragt man sich ja schon, was Jens sich da wieder für Texte und Titel ausgedacht hat. Habt ihr hier einen Vorteil, bekommt ihr auf Anfrage Hintergrundinfos oder ist da Schweigen, nimmt man die Texte wie das Wetter – oder fragt man gar nicht erst?
Frank: Nein, da ist Jens recht transparent. Er singt auch mal einige Textzeilen morgens zum Duschen oder wenn er länger auf dem Klo sitzt. Es ist auch voll okay, wenn man sagt: „Hey, das klingt nicht so gut, kannst du da nicht was anderes singen?“ Jens macht das super und es ist auch wirklich gut, was er sich bei den Texten denkt, obwohl es auf den ersten Blick manchmal so aussieht, als ob er einfach ein paar schräge Wortfolgen raushaut.
Markus: Da Jens kein Morgenmuffel ist, singt er mit guter Laune ab und zu am Frühstückstisch ein paar Textzeilen, wenn wir ab und an in Freiburg zusammen proben. Oder er schickt uns vorab hin und wieder welche. Manche Texte für die neuen Songs hat er auch einfach erst in der Studioküche zu Ende geschrieben.
Wieland: Tatsächlich ist es das erste Mal, dass ich mitbekomme, wie darüber diskutiert wird. Damals bei DACKELBLUT waren Jensens Texte für uns ein Mysterium. Wir haben sie abgefeiert, wenn sie fertig waren, wären aber nie auf die Idee gekommen, auch nur eine Zeile infrage zu stellen. Das war Jens’ Ressort und für uns einfach nur große Poesie, und wer waren wir, dass wir daran herumkritteln? Aber es hat auch was, dass es jetzt offener ist. Jetzt muss Jens auch bei den Texten in die Schwarzwälder Endkontrolle.

Bei eurem neuen Song „Kakteen verblühen nie“ wäre es schön gewesen, in Berlin immer Françoise Cactus auf die Bühne zu holen. Nun ist es ein Nachruf ... eure Gedanken zu Françoise?
Wieland: Françoise Cactus war eine sehr gute Freundin von Jens und mir. STEREO TOTAL hatten ja auch schon den DACKELBLUT-Song „Kinder kriegen Kinder“ auf Französisch gecovert. Weil wir in Berlin aufgenommen haben, fragten wir Françoise, ob sie nicht für ein bisher instrumentales Stück einen Text schreiben und auch selbst singen würde. Daraus ist dann „Kakteen verblühen nie“ geworden. Den Text haben Jens und Françoise schließlich gemeinsam geschrieben und sie singen ja auch ein schön, schiefes Duett. Ich habe viel von Françoise gelernt, sie war ein so großzügiger Mensch und ganz nonchalant viel mehr Punk als die meisten, die das plakativ vor sich hertragen. Und ich bin immer noch traurig, dass sie nicht mehr da ist.

Und was hat es mit dem mächtigen Gorilla auf dem Cover auf sich?
Wieland: Keinen Schimmer, sieht aber doch gut aus! Mächtig, aber auch etwas melancholisch.