NAPALM DEATH

Foto© by Jelena Jakovljevic

You suffer. But why?

Mark „Barney“ Greenway ist so lange Sänger von NAPALM DEATH, wie es das Ox gibt: seit 1989. Die Geschichte der britischen Extremmusikformation (um Genrebezeichnungen wie Grindcore oder Death Metal zu vermeiden) geht aber noch viel weiter zurück, bis ins Jahr 1981, ist aber einerseits sehr windungsreich und andererseits in Bezug auf die heutige Band nur bedingt von Bedeutung, da selbst das älteste heute noch hier aktive Bandmitglied Shane Embury (Bass) erst 1987 während der Tour zum legendären „Scum“-Album in die Band einstieg. 1989 kam dann Barney, und Mitch Harris (Gitarre) stieß 1990 dazu, wobei sein Status heute eher unklar ist. Drummer Danny Herrera ist seit 1991 dabei, womit das Argument, dass eine Band, bei der kein Gründungsmitglied mehr dabei ist, ja irgendwie unecht ist, hier nicht zieht.

NAPALM DEATH sind zudem eine jener Bands, die sich ständig neu erfinden, die spannend und aktuell bleiben, sich nicht auf einst errungenen Lorbeeren ausruhen, sondern immer wieder live überzeugen und mit jedem neuen Album die Grenzen des Machbaren weiter austesten. Mit „Throes Of Joy In The Jaws Of Defeatism“, das im September 2020 erscheint, haben sie fünf Jahre nach „Apex Predator - Easy Meat“ ein beeindruckendes Werk aufgenommen. Den Titel „Throes Of Joy In The Jaws Of Defeatism“ zu übersetzen ist freilich schwierig, hier zeigt sich die Qualität des Englischen, eine sehr knappe Sprache zu sein – „Über das Vergießen von Freudentränen, während man sich in den Klauen der Schwarzseherei befindet“ trifft es zwar ungefähr, klingt aber weit weniger poetisch. Ich unterhielt mich zunächst mit Barney, dann mit Shane.

Barney, ich sehe, ich erreiche dich zu Hause in deiner Wohnung. Wo ist das?
In einem Örtchen zehn Meilen außerhalb von Brighton – Brighton selbst ist zu teuer, und hier ist es auch schön. Ich wohne nur fünf Minuten vom Strand entfernt und in Corona-Zeiten ist das ein Vorteil. Mein liebster Zeitvertreib ist es momentan, jeden Morgen mit dem Fahrrad am Strand entlang zu fahren. Das hilft echt.

Wie gehst du mit den Einschränkungen um? Es ist ja die eine Sache, was – wieder – erlaubt ist und wobei man sich in Sachen menschliche Nähe wohl fühlt.
Ja, es gibt gewisse Regeln, aber ich finde, es geht weniger darum, was verboten ist, sondern Rücksicht auf Menschen zu nehmen, bei denen eine Corona-Infektion potenziell schlimmere Folgen hat als möglicherweise bei mir. Aber wie sehr es einen erwischt, weiß man ja immer erst hinterher ...

Und mit 50+ gehörst du wie ich ja auch schon zur Risikogruppe.
Stimmt, aber eben nicht so sehr wie meine Eltern, die zudem noch an chronischen Erkrankungen leiden. Und Menschen, die verletzlicher sind als andere, muss man schützen – so muss, so soll das sein, das ist meiner Meinung nach die einzig humane Reaktion. Und entsprechend verhalte ich mich. Ich sehe aber natürlich, dass viele Leute der Meinung sind, das Schlimmste sei vorbei, und sich entsprechend verhalten. Aber das ist eben nicht der Fall, Corona verschwindet nicht so einfach wieder.

Und es kann eben jeden erwischen, egal wie fit oder trainiert man ist, wie gesund und vegan man sich ernährt, auch wenn es Menschen gibt, die das Gegenteil behaupten.
Ja, das ist total dumm. Aber grundsätzlich stimmt es natürlich, dass eine gesunde Lebensweise generell gewisse Vorteile hat. Und wenn dich das Virus erwischen sollte, hast du dann eben einen Vorteil. Ich lebe ja selbst vegan, aber ich bin in der Lage, den Bullshit, der da verbreitet wird, von der Realität zu unterscheiden. Zumindest hoffe ich das.

Wie geht ihr als Band mit der Situation um? Und war das Album bereits fertig, als die Corona-Pandemie ausbrach, oder wird diese thematisiert?
Wir waren Anfang März gerade auf Tour, als sich das verschärfte. Unsere letzte Show der Tour wäre in der Schweiz gewesen, und einen Tag vor dem Konzert machten die die Grenze dicht – keine Chance, das Konzert noch zu spielen. Damals entwickelte sich das ja alles von Tag zu Tag. Das Album war da bereits fertiggestellt, und weil wir keine magische Kristallkugel haben, konnten wir auf dem Album nichts von dem voraussehen, was dann kam. Der Kontext stand also bereits, ich bin aber dennoch der Ansicht, dass das Album deshalb bei seinem Erscheinen nicht bereits überholt ist. Für mich war generell an Musik – besonders an der, bei der ich involviert bin – immer der Aspekt der Zeitlosigkeit wichtig. Würdest du mich jetzt nach dem „Scum“-Album von 1987 fragen, bekämst du zur Antwort, dass ich es heute für genau so wichtig halte wie damals. Es enthält eine Menge Hardcore und Metal und Noiserock, und ohne dieses Album stünde ich heute nicht hier. Es ist mein Schlüsselalbum und bis heute eine meiner Lieblingsplatten, auch jenseits des Aspekts, dass ich in dieser Band bin. Wenn etwas in sich und für sich gut ist, spielt der Faktor Zeit keine Rolle. Nimm nur mal das erste BLACK SABBATH-Album – das ist komplett zeitlos. Diese unheimliche Stimmung, dieses Treibende, Drängende ist bis heute unglaublich gut.

In welchem Kontext ist euer neues Album denn zu sehen?
Mir ist es wichtig – und das mag jetzt wie ein Widerspruch zu dem eben Gesagten klingen –, dass unsere Alben eine gewisse Aktualität haben. Damit meine ich nicht, dass ich Schlagzeilen auf eine Dartscheibe hefte und dann Pfeile werfe und so meine Themen bestimme. Und meine Themen sind auch nicht wie Mäntel an der Garderobe, wo ich je nach Tageslaune entscheide, diesen oder jenen zu tragen. Mein grundsätzliches Interesse gilt der menschlichen Existenz zum jeweiligen Zeitpunkt. Und mein Thema für dieses Album war unterschwellig schon immer da, nur stach es mir diesmal irgendwie ins Auge.

Und welches ist das?
Dieser Backlash in Sachen Rassismus und der Diskriminierung auf Basis sexueller Orientierung. Wir waren doch gerade an dem Punkt angelangt, wo man das Gefühl hatte, dass endlich was in die richtige Richtung geht hinsichtlich der sexuellen und ganz allgemein der Befreiung der Menschen. Und dann plötzlich kam dieser Backlash, dieses Zurückdrehen der Entwicklung durch konservative und populistische Regierungen. Und auf einmal fingen jene, die bislang zwar nicht zugestimmt hatten, aber die Entwicklung zumindest toleriert hatten, an zu zweifeln. Also nicht ich, ich habe schon immer so gedacht, aber eben viele andere. Ich hasse es, den jetzt erwähnen zu müssen, aber ganz offensichtlich liegt das eben an Trump. Was viele aber nicht sehen: Man kann nicht Trump allein die Schuld für diese Rückwärtsentwicklung geben. Das zieht sich vielmehr durch viele Systeme hindurch, und letztlich hängt es eben immer mit den politischen Systemen zusammen. Diese Entwicklung hatte meinem Empfinden nach einen Höhepunkt erreicht, als wir begonnen haben, das Album zu schreiben. Du musst wissen, wir fingen damit schon 2017 an.

Und warum hat es bis zum Release so lange gedauert?
Es gab sehr, sehr schwerwiegende persönliche Umstände. Ich musste durch was durch, auf Details möchte ich jetzt nicht eingehen. Dadurch hat sich das alles etwas verzögert, was aber letztendlich nicht so schlimm war, also wir haben uns deshalb keinen Stress gemacht. Und wir waren ja auch ständig auf Tour. Ich kann auf Tour nicht schreiben. Ich muss dafür zu Hause sein oder in einer wirklich isolierten Umgebung, ohne Telefon und abgeschieden von der Welt. Ein persönlicher Lockdown ist das, was ich dafür brauche, ironischerweise. Ideen habe ich ständig, aber um daraus was Solides zu machen, brauche ich Ruhe. Im Tourbus von einem Festival in Deutschland nach Tschechien? Da kann ich nicht arbeiten. Ich habe es versucht, aber die Ergebnisse waren nie so, wie ich es von mir selbst erwarte.

Für echte Kreativität muss man sein Hirn einfach mal in den Leerlauf versetzen.
Genau so ist es. Ich bin normalerweise nicht der Einzelgängertyp, aber wenn es ums Schreiben geht schon. Da kann ich niemanden um mich herum brauchen. Und ich will Bestleistung erbringen. Damit meine ich nicht Perfektion, die ist unerreichbar, aber ich bin auf gar keinen Fall von der Sorte „Ach, das reicht schon, das ist gut genug“. Wenn was nicht passt, kommt es weg, auch wenn es schon der zehnte Versuch ist. Ich spiele gerne mit Sprache, und ich versuche immer, Klischees zu vermeiden, in der Musik wie in der Sprache. Manchmal sehe ich Songtitel oder Sätze und denke mir: Himmel, wie oft habe ich das schon gelesen? Ich spiele gerne mit Worten, habe meine Vorbilder in Leuten wie Jello Biafra, den CRASS-Mitgliedern – wie die mit Sprache umgehen, das ist fantastisch. Ich habe immer schon versucht, zu denen aufzuschließen. Und das ist echt nicht einfach. Wortspiele, Schreibtechnik, Stimmungen ... das ist wirklich schwer. Ich bin einfach ein großer Fan von Sprache und den vielen Möglichkeiten, die sie bietet. Und ich versuche deshalb, all das bei meinen Texten anzuwenden, ohne mich darin zu verheddern.

Hast du in dieser Hinsicht irgendeine Art von Ausbildung, hast du so was mal studiert, hattest du Unterricht in Creative Writing?
Ich war nie an der Uni, meine Eltern hatten nicht das Geld dafür. Aber ich fing schon mit fünf oder sechs Jahren an, Zeitung zu lesen. Das waren die Gewerkschaftszeitungen von meinem Vater. Ich bekam also schon sehr früh ein Gespür für Sprache. Und in der Schule war Englisch dann das Fach, in dem ich mich immer wirklich gut war. Sowohl die strukturelle wie die kreative Seite von Sprache fand ich damals schon interessant. Theaterstücke, Bücher, das war meins. Der kreative Umgang mit Sprache ist wirklich schwer, besonders wenn es dein eigenes Projekt ist und du mit einem leeren Blatt Papier beginnst. Wenn du ein bestimmtes Level erreichen willst, kann das echt sehr, sehr anstrengend werden, bis du wirklich glücklich bist. Und manchmal sitze ich auch stundenlang da und starre auf den Bildschirm. Das Schlimmste waren mal drei Tage ... und ich hatte nichts. Und dann kam doch was und ab da lief es. Und an anderen Tagen schreibe ich in anderthalb Stunden gleich mehrere Texte.

Tust du dich im fortgeschrittenen Alter leichter? Ich glaube, als wir 18 waren, haben wir weniger nachgedacht und einfach gemacht.
Spontaneität ist das Wichtigste. Gerade für eine Band wie NAPALM DEATH. Und das ist ja auch schon wieder ein Widerspruch zu dem, was ich eben sagte. Wenn die Texte mal stehen, klappt das mit dem Zusammenspiel mit der Musik immer sehr gut, und zumindest ich empfinde das als sehr spontan. Und was die von dir angesprochene Verbindung mit dem Alter betrifft: ich glaube, das hängt viel mehr von dem Enthusiasmus ab, den du für deine Kunst aufbringst. Ich bin immer noch super enthusiastisch, und sollte ich diese Begeisterung mal verlieren, würden wir uns sicher nicht mehr über ein Album unterhalten. Ich habe überhaupt kein Bedürfnis, irgendwas nur halbherzig zu erledigen. Da kann ich auch gleich was ganz anderes machen. Mein Enthusiasmus ist es also, der mich antreibt, mir immer wieder neue und hoffentlich einzigartige Texte auszudenken. Das ist natürlich alles meine subjektive Sicht der Dinge. Und was man wirklich immer vermeiden muss, ist Wortsalat: komplexe Sprache nur um der Komplexität Willen. Damit verschreckt man die Leute, dann ist das, als ob man besonders schlau wirken will. Angeberei ist nie gut. Ja, es ist nicht leicht, und ich frage mich immer, wie Jello Biafra oder Steve Ignorant seinerzeit ihre Texte geschrieben haben.

Du hast eben den Enthusiasmus erwähnt, den es deiner Ansicht nach zwingend braucht, um das zu tun, was du tust, was ihr tut. Nehmen wir mal nur als Beispiel eine Band wie METALLICA: Schaut man sich den Film über die an, und wie lange die an einem neuen Album arbeiten, hat man schon irgendwie das Gefühl, dass da nicht wirklich Enthusiasmus die treibende Kraft ist oder war, sondern ein fast schon verzweifeltes Bemühen vieler Akteure, überhaupt noch etwas zustande zu bekommen. Da verspürt man fast schon Mitleid.
Ich habe ein paar von den Jungs schon getroffen und die sind echt nett. Und irgendwie glaube ich schon, dass auch die noch diesen Enthusiasmus haben. Aber ich könnte mir vorstellen, dass da so ein Effekt eintritt à la „Zu viele Köche verderben den Brei“. Wenn denen ständig irgendwer in den Ohren liegt mit „Das muss so und so werden!“, dann kann ich mir vorstellen, dass einen das vom Kurs abbringt. Und da sind wir dann wieder bei NAPALM DEATH: Wir akzeptieren keinerlei Einmischung von außen. Marc von MAD Tourbooking ist ja auch unser Manager, und der weiß das ganz genau. Der mischt sich kein Stück ein, der lässt uns in Ruhe und vertraut darauf, dass wir schon wissen, was wir tun. Und unser Label Century Media weiß das alles auch. Würden die sich einmischen, bekämen die auch nur zu hören: „Wir wissen, was wir tun. Lasst uns in Ruhe.“ Sowieso ist so eine Einmischung ja auch sehr dumm. Wenn du etwas von jemandem veröffentlichen willst, dann hat das doch etwas mit der künstlerischen Leistung dieser Person zu tun. Und wenn es dir darum geht, lass denjenigen machen. Das wird schon. Wenn dir nicht gefällt, was die Person macht, und du dich einmischst, warum wolltest du dann überhaupt mit der arbeiten? Ich würde so eine Einmischung niemals akzeptieren. Sollten NAPALM DEATH jemals an den Punkt kommen, wo ein Label sich so einmischt, würde ich da nicht mitspielen. Diese Vorstellung ist die komplette Negierung von allem, was mich an dieser Band interessiert.

Du sprachst eben die Texte von Jello Biafra an. Nun sind deine Texte das fast komplette Gegenteil – und zwar wegen der Länge. Viele der – späteren – DEAD KENNEDYS-Texte und auch die der Nachfolgebands sind sehr lang, fast schon ausufernd. Demgegenüber sind deine Lyrics, auch auf dem neuen Album, sehr reduziert, fast schon fragmentarisch. Mit vielen Worten kann man Geschichten ganz anders erzählen, sie sind in Jellos Fall eher Artikel, teils sogar leicht zu verstehen, wohingegen man deine erst versuchen muss zu entschlüsseln. Sie wirken eher wie Gedichte.
Das ist sehr schmeichelhaft, danke. Manche der Texte sind wirklich sehr kurz, andere etwas länger. Ich denke eben, dass wenn man etwas in vier Zeilen ausdrücken kann und trotzdem eine klare, deutliche Botschaft rüberbringt, dann ist es eben egal, ob man vier oder vierzehn Zeilen schreibt. Wichtig ist, dass man sagt, was gesagt werden muss. Lass mich ein Beispiel nennen: „You suffer“ von NAPALM DEATH von „Scum“: Der ganze Text lautet nur: „You suffer. But why?“ Warum sollte der Text länger sein? Der sagt doch absolut alles aus. Wer unterdrückt dich? Wer kontrolliert dich? Perfekt, dieser Text! Er gibt keine Antwort, aber stellt die richtige Frage. Du musst selbst nachdenken, um die Antwort zu finden. Du musst aktiv werden! Und vor allem muss man verstehen, dass man den Leute ja nicht sagen muss, was sie tun sollen! CRASS wurde einst ja vorgeworfen, sie würden „predigen“, aber meiner Meinung nach lagen die Kritiker damit völlig falsch: CRASS präsentierten einfach nur Ideen, erklärten sie, aber sie wollten ja nie jemandem vorschreiben, was er zu tun hat. Das war eher wie ein Exposé, eine Präsentation verschiedener Aspekte von Regierungshandeln, von Korruption und so weiter. Auch mir wurde schon vorgeworfen, ich würde predigen. Nein, das tue ich nicht. Ich zeige nur verschiedene Ideen auf. Und jeder kann sich daran bedienen, wenn er will. Deine Entscheidung, nicht meine. Ich bezeichne mich selbst als „humanitarian“, als Menschenfreund, im wahrsten Wortsinne. Und als solcher präsentiere ich meine Ideen.

Gibt es einen roten Faden, ein verbindendes Thema auf dem neuen Album „Throes Of Joy In The Jaws Of Defeatism“?
Ganz allgemein „der/die andere“. Also eigentlich schon im psychologischen Sinne. Und Verzweiflung. Man sitzt da und denkt nach und fragt sich, wie es sein kann, dass die Menschheit eigentlich gut Fortschritte gemacht hat und sich dann doch wieder rückwärts entwickelt. Wie kann es sein, dass jemand, nur weil er oder sie biologisch etwas anders ist, eine andere Hautfarbe hat oder andere kulturelle Wurzeln, weniger wert sein soll? Wie kann es sein, dass wir eine Geschichte haben, die aus der Kolonialisierung anderer Länder besteht, und wir uns dann 200 Jahre später wundern, dass diese Ereignisse und ihre Folgen das Leben von so vielen Menschen zerstört haben? Und warum sind wir verwundert, wenn die Menschen, deren Länder von diesen Ereignissen betroffen sind, unser Land als sicheren Hafen ansehen und hier Zuflucht suchen – in dem Land, das einst für die Kolonialisierung ihres Landes verantwortlich war? Die bloße Idee, Geflüchtete hinter Stacheldraht zu sperren und ihnen den Zugang zu unseren Ländern zu verweigern, ihnen erzählen zu wollen, was sie alles nicht dürfen, erschließt sich mir schon nicht. Nein, mit mir als dem humanitären Gedanken verpflichteter Mensch läuft das nicht. Und was das Thema Migration ganz grundsätzlich betrifft: Ohne Migration wäre die Menschheit nicht da, wo sie heute ist. Die Geschichte der Menschheit bestand immer schon aus Migration, aus Massenmigration. Und glauben gewisse Leute wirklich, das könne man einfach so aufhalten? Mit Linien, die mal jemand auf eine Karte gezeichnet hat und die wir Grenzen nennen? Die sind letztlich nur dazu da, die Interessen jener zu schützen, die über Macht und Ressourcen verfügen. Und die haben es geschafft, den „normalen“ Menschen, der Arbeiterklasse, eine solche Gehirnwäsche zu verpassen, dass sie glauben, der Schutz der Grenzen diene auch ihnen. Nein, Grenzen dienen dem Schutz der Interessen der Wenigen, nicht der Vielen. Schau jemandem in die Augen, der Gewalt, Bomben, korrupten Regierungen und Hunger zu entfliehen versucht, und sage ihm ins Gesicht, dass er leider leider nicht in dein Land kommen kann. Nein, wer das tut, der verhält sich unmenschlich.

Wie ist das Coverartwork in die Albuminhalte eingebunden? Man sieht da eine offenbar tote weiße Taube mit Blutspritzern ...
... und wenn du genau hinschaust, hat die Taube das Equality-E-auf der Brust. Man erkennt das nicht unbedingt auf den ersten Blick, man muss da schon genau hinsehen. Ich würde nicht so weit gehen zu sagen, dass unser Cover ein Rip-off ist, aber es ist schon beeinflusst vom Cover der „Never Again“-Single von DISCHARGE, das eine von einem Bajonett aufgespießte weiße Taube zeigt. Wir wollten etwas in dieser Art auf dem Album. Die Taube ist ein Symbol des Friedens in religiösem wie säkularem Kontext und ich wollte eine Taube, deren Genick gebrochen ist, was man auf dem Cover deutlich sieht, die von jemandem gehalten wird, der offensichtlich Macht hat. Equality, Gleichheit wird erwürgt, diese Aussage bildlich umgesetzt, das wollten wird. Eigentlich ein recht simples Motiv, wenn man es genau nimmt.

Es ist eine sehr klare Botschaft. Mit wenig Raum für Interpretation, wo ihr als Band steht.
Klar, und das ist gut so. Ich hoffe, das Cover hat eine Wirkung. Einen Wow!-Effekt. Wenn man eine Band macht, dann ist das meiner Meinung nach eine Form des künstlerischen Ausdrucks. Und dann muss man auch in einer 360°-Sicht alle Aspekte bedenken. Bei manchen Bands ist die Musik fantastisch, aber dann schaust du dir das Artwork an und merkst, dass da keinerlei Mühe drin steckt. Für mich kommt das nicht infrage, für mich muss alles so gut gemacht sein wie möglich, damit es einen machtvollen Eindruck hinterlässt. Die Musik von NAPALM DEATH ist sehr direkt, und so sollte auch das Artwork sein.

Gibt es neben DISCHARGE noch andere Vorbilder in Sachen Gestaltung?
Eine weitere Band, die uns immer schon beeinflusst hat, sind SWANS. Die sind visuell sehr stark, man weiß auch nicht immer genau, was man da sieht oder was es bedeuten soll, aber irgendwie sind die Artworks alle sehr hart und düster und fies. Und ein weitere einflussreiche Band in dieser Hinsicht sind BIG BLACK – denk nur mal an das ursprüngliche, zensierte Cover von „Headache“ ...

Es zeigt das Bild eines Menschen, der mit einem Gewehr Suizid begangen hat.
Das ist schon ein sehr verrücktes Beispiel. Shane und ich haben immer überlegt, wie man ein Cover machen könnte, das so verrückt ist wie das von „Headache“.

Wird eine Band wie NAPALM DEATH bei Social Media attackiert von Menschen, die mit euren Ideen nicht übereinstimmen?
Die tun das, aber nichts könnte mir egaler sein. Klar wäre es mir lieber, wenn Menschen so etwas nicht tun würden, dass wir freundlicher miteinander umgehen würden, aber es ist eben, wie es ist. Ich selbst bin nicht bei Social Media aktiv – wenn du nach mir suchst, findest du nichts. Und das mit Absicht. Nicht dass ich Angst davor hätte, aber ich habe einfach nicht die Zeit dafür. Ich sehe aber auch, dass Social Media trotz aller negativer Aspekte einen der letzten Außenposten der Freiheit darstellen. Und deshalb sollten sie nicht kontrolliert werden. „All die Nazis im Internet, das müssen wir beenden!“ – nein, das nicht der richtige Weg, damit umzugehen. Damit würde man auch den gesamten Underground zerstören. Der Schaden wäre größer als der Nutzen. Und was nun NAPALM DEATH betrifft, sollen die Leute schreiben und sagen, was sie wollen. Denn, und ich habe das schon mehrfach gesagt, es ist mir scheißegal, was jemand über uns denkt, schreibt oder sagt. Im Gegenteil, ich ermutige sie sogar dazu: Sprecht aus, was ihr loswerden müsst! Ich werde eure Meinung immer respektieren. Und das betrifft auch Albumrezensionen. Klar, wir hatten auch schon richtige miese Reviews, aber ... nichts könnte mir egaler sein. Jeder hat eben das Recht auf eine eigene Meinung.

Verfolgst du denn, was über euch geschrieben wird? Es ergibt sich ja oft erst im Laufe der Zeit ein Meinungsbild zu einem Album, es erfolgen Interpretationsversuche und es wird eingeordnet – was die Popkritik eben so macht. Mein „Problem“ ist oftmals, dass man hinterher immer klüger ist, ich aber Gespräche wie das jetzt mit dir zu einem Zeitpunkt führe, wo ich außer meiner Meinung und meinem Eindruck von dem Album noch kein anderes Feedback kenne. Da muss man rückblickend auch mal feststellen, dass man danebenlag oder bestimmte Aspekte nicht erkennen konnte.
Ich verstehe, worauf du hinauswillst, aber du bist ja damit nicht allein, so geht das doch jedem, der ein Album hört. Legst du ein Album ein paar Wochen später noch mal auf, fällt doch jedem irgendwas auf, was vorher nicht bemerkt wurde. Und das ist ganz normal und nicht zu ändern. Ich verfolge durchaus, was über uns geschrieben wird. Mit unserem letzten Album „Apex Predator – Easy Meat“ hatten wir echt Glück – es gab meines Wissens nicht eine einzige schlechte Besprechung. Damit hatten wir nicht gerechnet, denn ein paar negative Kritiken gibt es ja immer. Dass da keine miese dabei war, war fast schon surreal, da fing ich schon fast wieder an zu zweifeln: Finden echt alle Leute das Album so super? Hm ... Generell ist es ja auch so, dass in schlechten Reviews oft Wahrheit steckt, ich musste manchem Kritiker auch schon Recht geben. Aus so was kann man ja lernen. Wer dazu bereit ist, kann sich auf dieser Basis weiterentwickeln, man kann Kritik annehmen und vielleicht feststellen, dass da jemand einen Punkt angesprochen hat, den man sich selbst nicht eingestehen wollte.

Vor rund einem Jahr kochte der Skandal hoch um Rob „The Baron“ Miller von TAU CROSS, früher bei AMEBIX, der sich im Booklet des nie veröffentlichten neuen Albums bei einem Holocaustleugner bedankte. Für mich kam die Erkenntnis, dass auch Menschen aus unserer Szene solchen Verschwörungserzählungen zum Opfer fallen können, sehr überraschend. Wie geht es dir damit?
Zunächst denke ich, dass die Linke generell nicht stärker zu Verschwörungstheorien tendiert als andere – ich kenne niemand, der etwa mit David Icke sympathisiert. Ich will jetzt nicht viel über Rob sagen, denn er ist nicht Teil unserer Konversation und kann sich nicht verteidigen, aber so wie ich das mitbekommen habe, ist Rob schon seit einer ganzen Weile recht exzentrisch drauf und führt eher ein Einsiedlerdasein ...

Er lebt als Schwertschmied auf einer abgelegenen schottischen Insel.
Ja. Und so etwas kann bisweilen seltsame bis wundersame Auswirkungen auf den menschlichen Geist haben. Vielleicht also hat all das was mit seiner Isolation zu tun. Isolation per se ist ja ein spannendes Thema, Isolationismus ist ein beliebtes Thema bei den Rechten. Grenzen schließen, eine homogene Gesellschaft, all solche Ideen. Man kann also vielleicht schon daran erkennen, wie es so kommen konnte. Ich hatte Kontakt mit Away von VOIVOD, der ja auch bei TAU CROSS war, und der war entsetzt und erschüttert von Robs Äußerungen, der wollte mit all dem nichts zu tun haben.

Reden wir über Erfreulicheres, wie die Musik eures neues Albums. Schon die 7“, die vorab veröffentlicht wurde, versprach viel und machte neugierig, denn euer Sound hat sich etwas verändert, ich habe den Vergleich mit KILLING JOKE gewählt. Irgendwie räumlicher, nachdrücklicher wirkt ihr auf mich, auch in Albumlänge.
Das ist eine passende Beobachtung. Ich würde sagen: KILLING JOKE meets JOY DIVISION meets NAPALM DEATH. Die ganz frühen NAPALM DEATH hatten übrigens auch diese Elemente, nicht zu vergessen THE JESUS AND MARY CHAIN. Die darf man nicht unterschätzen, die haben die Band stark beeinflusst, dieser düstere Noisepop. Und KILLING JOKE waren immer schon wichtig für uns, deren Gitarrenarbeit. Das neue Album ist erkennbar ein NAPALM DEATH-Album, aber wir machen nicht einfach das, was wir schon vor zwanzig Jahren gemacht haben. Nimm etwa den Song „Joie de ne pas vivre“, der ist YOUNG GODS pur, und „A bellyful of salt and spleen“, das ist SWANS meets EINSTÜRZENDE NEUBAUTEN meets Ambient Music meets this and that. Dabei ist das Album immer „full on“. Ich würde sagen, es ist „Apex“ und ein paar Schritte weiter.

Wie bekommt man das hin? Also was ist an Reflexion und Analyse dafür nötig?
Hm, da gibt es keine magische Formal. So was passiert einfach. Shane hat die gesamte Musik des Albums geschrieben, und dennoch gab es viel Austausch, viel Dialog zwischen ihm und mir. Was uns immer wieder etwas stört oder nervt, ist, dass die Leute uns als Metal-Band bezeichnen. Hm ... nein, das sind wir nicht. Ja, es gibt bei uns diese Metal-Elemente, keine Frage. Aber dann passiert bei uns ja noch so viel anderes mehr. Und uns deshalb auf dieser Basis auf irgendein europäisches Metal-Festival zu buchen, das finde ich unpassend, das sind NAPALM DEATH nicht. Unsere Musik hat ebenso viele andere Elemente wie jene, über die wir eben sprachen. Die biegen und verschmelzen wir, bis sie Teil von NAPALM DEATH sind. Das ist wie eine Mischung aus zig verschiedenen Farben. Irgendwann hat man es raus, wie man aus all diesen verschiedenen Elementen sein eigenes Ding macht, dann ist das ein ganz natürlicher Prozess. Und natürlich steckt auch Absicht dahinter, denn wir haben kein Interesse daran, das gleiche Album zweimal zu machen. Nach 15, 16 Alben, worin sollte der Sinn liegen, sich zu wiederholen? Unsere einzigen Regeln sind: es muss „abrasive“sein – scharf, harsch, rauh, aggressiv. Und konfrontativ. Spannend. And just fuckin’ in your face, voll in die Fresse. Und auch textlich und gesanglich interessant und mit Bedeutung. Wenn wir diese Punkte beachten, ist vieles möglich.

Mit wem habt ihr bei den Aufnahmen gearbeitet?
Wieder mit Russ Russell. Mit dem arbeiten wir schon ewig.

Kein Interesse, die Möglichkeiten eines neuen Produzenten auszutesten?
Wenn Russ nicht verstehen würde, dass auch wir uns weiterentwickeln wollen und müssen, dann würden wir uns nach jemand anderem umschauen. Aber wenn dein Produzent in der Lage ist, ganz grundsätzlich zu verstehen, worauf es dir ankommt und zudem in der Lage ist, sich ebenfalls weiterzuentwickeln, warum sollte man dann zu jemand anderem gehen? Der einzige Grund, daran was zu ändern, wäre Neugier. Neugier darauf, wie NAPALM DEATH etwa mit Steve Albini klingen würden. Oder mit Roli Mosimann, der von SWANS. Das würde mich interessieren. Wer weiß, vielleicht überzeugen wir eines Tages ja Steve Albini, mit uns eine Single oder EP zu machen. Wahrscheinlich würde der das ja machen. Aber mit Russ ist alles bestens, der versteht exakt, was wir wollen, und der tickt wie wir: Warum sollte man etwas weniger krass machen, wenn man es auch noch krasser machen kann?

Wie formuliert ihr eure Ideen beim Aufnahmeprozess?
Ich bin bestens vorbereitet, wenn wir ins Studio gehen. Was natürlich wie der totale Gegensatz zu Spontaneität klingt. Wenn ich die Texte schreibe, habe ich immer schon den ganzen Song im Kopf. Ich weiß, an welcher Stelle ich etwas Echo haben will und so weiter. Manchmal hat Russ eine Anmerkung, eine Idee, dann gibt es einen neuen Versuch, aber in neun von zehn Fällen sagt er nur: Passt! Wenn es deine Absicht ist, mit deiner Musik – im übertragenen Sinne natürlich – voll in die Fresse zu hauen, dann ist von vornherein alles klar. Wir funktionieren einfach bestens zusammen.

Was werden die nächsten Monate für euch als Band bringen?
Sobald wieder irgendwas geht, legen wir los. Aber wir können nicht planen derzeit. Aber wenn, dann nehmen wir mit, was nur geht. Abgesehen davon sind die Ersparnisse endlich, wenn man in einer Band wie dieser ist. Ich führe ein sehr einfaches Leben, ich lebe alleine, ich brauche nicht viel und Besitz bedeutet mir nichts, das ist keine Motivation. Ich komme also mit wenig klar, und deshalb schaue ich halt, dass es für mich passt. Für Shane ist das schon schwieriger, der hat zwei Kinder. Ich habe mein Fahrrad, fahre jeden Tag zum Strand, ich koche selbst, vegan oder roh-vegan, kaufe mir keine teuren Fertiggerichte und so kann ich es mit wenig ziemlich lang aushalten. Wir haben keine andere Wahl, als von Woche zu Woche zu sehen, was sich ergibt.

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Ein Song, ein Satz
mit Shane Embury

Fuck the factoid
Ein großartiger Start! Fünf Jahre seit dem letzten Album – get ready for grind!

Backlash just because
Ein gegen den Takt gespieltes Eröffnungsriff – um Verwirrung zu stiften.

That curse of being in thrall
Danny und ich waren total auf Koffein bei der Aufnahme und lachten deshalb die ganze Zeit.

Contagion
Im Text geht es um die höllischen Reisen, auf die Menschen aus Süd- und Mittelamerikan gehen müssen, um zu versuchen, nach Nordamerika zu gelangen. Ein Lied für den Moshpit.

Joie de ne pas vivre
Avantgardistischer Noiserock. Ich habe hier Schlagzeug gespielt, ha!

Invigorating clutch
Die lange Eröffnung schafft die Stimmung für einen echten Crawler.

Fluxing of the muscle
Noch einer für den Moshpit.

Zero gravitas chamber
Das Eröffnungsriff war meine ursprüngliche Idee für „Adversarial“ auf „Apex Predator – Easy Meat“, die ich aber vergessen hatte und erst Monate später wiederfand. Ein gutes Riff ist ein gutes Riff.

Amoral
Dieser Song ist beeinflusst durch NAPALM DEATH aus der Zeit vor der „Scum“-Ära und ist für mich eine Hommage daran. Ich habe bei diesem Song auch Schlagzeug gespielt. Textlich geht es darum, dass man denkt, man kennt jemanden, und dann findet heraus, dass dem nicht so ist.

Throes of joy in the jaws of defeatism
Zur Erinnerung daran, dass wir wissen, wie man grindet.

Acting in gouged faith
Mittneunziger-Riffs inmitten von spontanem Drumming und Riffing. Das entstand so nebenbei im Studio.

A bellyful of salt and spleen
Tolle Stimmung und Emotionen und eine schöne Gitarre von Mitch. Ein passender Abschluss für das Album.

Throes of joy in the jaws of defeatism
Zur Erinnerung daran, dass wir wissen, wie man grindet.

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Timeline
1981 Im Örtchen Meriden nahe Birmingham, UK gründen die Teenager Nic Bullen und Miles Ratledge die Band NAPALM DEATH. Beeinflusst sind sie von verschiedenen früheren Bandprojekten, ihrem Fanzine-Schaffen und der frühen Punk-Welle, speziell von der Anarchopunk-Bewegung.

1982 Die Band spielt ihr erstes Konzert im Miners Club in Atherstone.

1986 Nach vielen Besatzungswechseln, einer zeitweisen ruhigeren Phase und sechs aufgenommenen Demos spielt NAPALM DEATH in der Besetzung Nik Bullen (bs, voc), Justin Broadrick (gt) und Mick Harris (dr) eine siebte Aufnahme ein, welche später die A-Seite des Debütalbums „Scum“ wird. Während weiteren Besetzungswechseln verlassen auch Bullen und Broadrick die Band, so dass – fünf Jahre nach ihrer Gründung – kein Originalmitglied mehr dabei ist.

1987 Mit Lee Dorrian (voc), Jim Whiteley (bs), Bill Steer (gt) und Mick Harris (dr) nimmt die Band die B-Seite von „Scum“ auf. Das Debütalbum erscheint bei Earache Records.

1988 Nach einer kleinen Release-Tour verlässt Whiteleys die Band. Shane Embury, bereits Fan und Roadie, nimmt den Platz am Bass ein. In der neuen Besetzung nehmen NAPALM DEATH ihr zweites Album „From Enslavement To Obliteration“ auf, das Platz 1 der UK Indie Charts erreicht.

1989 NAPALM DEATH spielen das erste Mal bei den berühmten „Peel Sessions“ auf BBC Radio 1 von Moderator John Peel. Bei „Arena“ auf BBC 2 sind sie außerdem im Zuge eines Heavy-Metal-Specials im britischen Fernsehen zu sehen. Zwei weitere Auftritte für die BBC folgen in den kommenden Jahren. Nach der Rückkehr von einer Japantour verlassen Dorrian und Steer die Band für andere Projekte. Mark „Barney“ Greenway (voc) und Jesse Pintado (gt) werden Teil der Band. Später stößt Mitch Harris als zweiter Gitarrist hinzu.

1990 Nachdem bereits auf einer vorigen EP neben dem gewohnten Grindcore gewisse Death Metal-Einflüsse zu hören waren, zeigt das neue Album „Harmony Corruption“ mit Blast-Beats und langsameren Tempi nun eindeutige Stiländerungen. Auch beeinflusst durch Studio und Produzent geht das Album klar in Richtung Death Metal, was nicht bei allen Fans gut ankommt.

1991 Die EP „Mass Appeal Madness“ erscheint, die sich nach der Kritik am letzen Album wieder mehr an Grindcore orientiert.

1992 Wegen Streits um die Stilrichtung verlässt Schlagzeuger Mick Harris die Band. Somit ist auch das letzte Mitglied aus „Scum“-Zeiten gegangen. Ersetzt wird er von Danny Herrera. Im selben Jahr wird das Album „Utopia Banished“ veröffentlicht, das sich erneut im Grindcore bewegt.

1993 Inspiriert durch eine Tour in Südafrika, wo gerade die Ära der Apartheid endet, veröffentlicht NAPALM DEATH die EP „Nazi Punks Fuck Off“, ein DEAD KENNEDYS-Cover. Die Erlöse der Veröffentlichung werden an antifaschistische Organisationen gespendet.

1994 Das fünfte Studioalbum, „Fear, Emptiness, Despair“, erscheint. Während komplexe Strukturen wie auf den zwei vorangegangenen Alben beibehalten werden, verlangsamt sich das eigentlich schnelle Grindcore-Tempo durch die groovigeren Rhythmen.

1996 Das Album „Diatribes“ erscheint – erneut ohne die dominierende typische Grindcore-Geschwindigkeit. Sänger Greenway verlässt die Band und schließt sich EXTREME NOISE TERROR an, dessen Sänger wiederum zu NAPALM DEATH wechselt.

1997 Das neue Line-up von NAPALM DEATH funktioniert nicht richtig. Gleichzeitig spielt die Band wieder einen härteren Stil. Beides bringt Greenway schnell zurück in die Band, die im selben Jahr das Album „Inside The Torn Apart“ veröffentlicht.

1998 Das Album „Words From The Exit Wound“ erscheint. Es ist das letzte mit Produzent Colin Richardson. Bassist Embury bezeichnet das als einen Wendepunkt im Sound der Band und spricht von einer „Neuentdeckung“ ihrer Wurzeln.

2000 Die Band verlässt Earache Records und veröffentlicht ihr neues Album „Enemy Of The Music Business“ via Dream Catcher. Es ist wieder ein stärkerer Grindcore-Anteil zu hören.

2002 „Order Of The Leech“ erscheint und knüpft an den Stil des vorigen Albums an.

2004 Als Fortsetzung einer vorigen Cover-EP erscheint das Album „Leaders Not Followers: Part 2“. Es umfasst Coverversionen von Hardcore-Punk- und Heavy-Metal-Klassikern. Gitarrist Pintado spielt wie schon beim Album zuvor nicht mehr mit und verlässt schließlich die Band. Die nun entstandene Besetzung besteht in dieser Form bis heute.

2005 Das Album „The Code Is Red ... Long Live The Code“ erscheint und führt den progressiven Ansatz des brutalen Extreme Metal der Band weiter.

2006 NAPALM DEATH veröffentlichen das Album „Smear Campaign“, das gut angenommen wird. In ihren Texten kritisieren sie stark religiöse Regierungen wie die der USA. Der ehemalige Gitarrist Pintado stirbt am 27.08.2006.

2008 „Time Waits For No Slave“ wird im Internet geleakt. Zwei Monate später, im Januar 2009, erscheint das Album offiziell.

2011 Die Band ist in der britischen Teen-Komödiendrama-Fernsehserie „Skins“ zu sehen.

2012 Mit „Utilitarian“ erscheint das 15. Studioalbum der Band.

2013 Ein Spezial-Konzert im Victoria and Albert Museum in London wird aus Angst, der Lärmpegel könnte Teile das Gebäude beschädigen, abgesagt. Die Show wird nach Bexhill verlegt und findet dort ein Dreivierteljahr später mit Künstler und Keramiker Keith Harrison statt.

2015 NAPALM DEATH veröffentlichen das Album „Apex Predator – Easy Meat“.

2019 NAPALM DEATH spielen eine US-Tour ohne Shane Embury, er wird von Vernon Blake temporär ersetzt.

2020 Im Februar wird mit „Logic Ravaged By Brute Force“ eine neue 7“-EP veröffentlicht und kurz darauf das Album „Throes Of Joy In The Jaws Of Defeatism“ für den 18.09.2020 angekündigt.

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Diskographie:
„Scum“ (Earache, 1987) • „From Enslavement To Obliteration“ (Earache, 1988) • „Harmony Corruption“ (Earache, 1990) • „Utopia Banished“ (Earache, 1992) • „Fear, Emptiness, Despair“ (Earache, 1994) • „Diatribes“ (Earache, 1996) • „Inside The Torn Apart“ (Earache, 1997) • „Words From The Exit Wound“ (Earache, 1998) • „Enemy Of The Music Business“ (Dream Catcher, 2000) • „Order Of The Leech“ (Spitfire, 2002,) • „Leaders Not Followers II“ (Dream Catcher, 2004,) • „The Code Is Red ... Long Live The Code“ (Century Media, 2005) • „Smear Campaign“ (Century Media, 2006) • „Time Waits For No Slave“ (Century Media, 2009) • „Utilitarian“ (Century Media, 2012,) • „Apex Predator – Easy Meat“ (Century Media, 2015) • „Throes Of Joy In The Jaws Of Defeatism“ (2020)