POTHEAD

Kraft durch Dampf/Dampfkraft

Die wahren Genies halten sich im Hintergrund, so war es schon immer. Während andere Bands trotz gewaltigen Werbegetöses kaum mehr Platten verkaufen können als die Tanzkapelle von nebenan, setzten die Wahlberliner POTHEAD von ihrem letzten Album, das zu allem Überfluss auch noch auf dem bandeigenen Orangehaus-Label erschien, mal eben 10.000 Stücker ab. Coole Sache, das. Und das fand auch die A&R-Abteilung des edel-Sublabels Concrete, weshalb die auf der Flucht vor dem Grungeboom aus Seattle nach Berlin übersiedelten Retrorocker einen Plattenvertrag bekamen.

Do It Yourself ist nämlich eine feine Sache, aber stößt irgendwo an Grenzen
„Learn To Hypnotize“ heißt das neue Album des Trios, es ist ihr viertes und im Vergleich zu dem Vorgänger fällt mir auf, dass die ruhigen, balladesken Songs diesmal überwiegen. Wie kommt’s?, frage ich Sänger und Gitarrist Brad. „Ich glaube, das hat damit zu tun, dass wir in unserer Songwriting-Phase nicht viele Shows gespielt haben. Die sind, das weißt du ja, immer ziemlich hart und laut, und so saß ich in meiner Wohnung, hing rum und das hat sich wohl in den Liedern niedergeschlagen“, sinniert der. „Klar, wir haben auch ein paar thrashigere Nummern auf „Learn To Hypnotize“, aber wegen mir hätten es auch ein paar mehr sein können. Wir werden das beim nächsten Album nachholen. „Ein Handicap freilich ist die Dominanz der ruhigeren, gefühlvolleren Songs keineswegs, denn POTHEAD machen eben nicht nur Musik, sondern sind klassische Songwriter, die handwerklich einiges auf dem Kasten haben. Dass Brad zu einem Zeitpunkt, da das neue Album kaum in den Läden steht, gedanklich schon bei dessen Nachfolger ist, verwundert nicht. Schon schon bei dessen Nachfolger ist, verwundert nicht. POTHEAD – nomen est omen, wie der Lateiner so schön sagt ... – verbinden bei ihrem musikalischen Output nämlich traditionell Quantität mit Qualität. Fünfzehn bis zwanzig Songs pro Album sind die Regel, ein Stunde Spielzeit ist immer drin, und natürlich hat der Mann mit der bedächtige Märchenonkelstimme schon wieder ein paar neue Lieder auf Lager. „Die neuen Sachen sind definitiv heavier“ kündigt Brad deshalb an. „Außerdem ist es für uns jetzt viel einfacher, neue Songs zu produzieren. Anstatt nämlich in ein teures Studio zu gehen, haben wir das Geld von der Plattenfirma in ein eigenes Studio investiert, mit dem Effekt, dass ich jetzt jederzeit neue Sachen aufnehmen und so lange daran rumspielen kann, wie ich will. Außerdem wollen wir in nächster Zeit verstärkt mit anderen Bands arbeiten. Den Anfang machen SUNNY SIX KILLER, eine befreundete Berliner Band. Den Do-It-Yourself-Gedanken haben POTHEAD mit ihrem Plattendeal also nicht abgelegt. Während Brad sich vor allem um die Produktionsseite kümmert, ist Bassist Jeff der Mann für die Grafik, und Managerin Siggi kümmert sich von Anfang an um die geschäftliche Seite von POTHEAD. Doch je größer POTHEAD wurden, umso schwerer war es, alles selbst zu machen. „Wir sind heilfroh, dass wir durch den Deal mit Edel die wirklich nervenaufreibende Labelarbeit abgeben konnten“, erzählt Brad. „Klar ist es cool, alles selber zu machen, aber es bindet auch sehr viel Kraft. Außerdem haben wir mit Orangehaus, das wir über Edel übrigens weiterführen werden, mit 10.000 verkauften Platten schon sehr viel erreicht. Wir wären schon mit 3.000 überglücklich gewesen.“ In der Tat wären viele Labels, die ihre Bands mit fetten Werbekampagnen zu pushen versuchen, über solche Stückzahlen froh. POTHEAD sind für mich deshalb in gewisser Weise der Beweis, dass sich Qualität auch so durchsetzt. Viel haben die Neu-Berliner – selbst Drummer Sebastian ist ein Sauerland-Import – ihrer permanenten Livepräsenz zu verdanken: Basisarbeit, die sich jetzt auszahlt. „Wir können das seit Jahren verfolgen“, erzählt Brad. „Hier ein kleiner Artikel, da ein Konzertbericht, das hilft auf Dauer mehr als eine Story in einem großen Magazin. Deshalb sind wir derzeit noch unschlüssig, ob wir überhaupt ein Video drehen sollen. Ich habe das Gefühl, wir sind einfach nicht die richtige Band für dieses Medium. Weißt du, es passt nicht zu uns. Aber wir haben uns noch nicht entschieden, weil ein richtig professionelles Video echt teuer ist.“ Eine ganz spezielle Art von Video hatten POTHEAD allerdings schon – auf Pro7. „Irgendwie sind die auf uns gestoßen und wollten einen Song als Untermalung für einen Filmtrailer verwenden. Daraus wurde aber dann doch nichts und dann, als Jeff und Siggi auf einer Party waren, rief plötzlich jemand aus dem Nebenraum, wir seien gerade im Fernsehen – zwar nicht im Bild, sondern als Untermalung einer Softporno-Szene bei „Wahre Liebe“. Das war echt cool, und wir wurden echt von total vielen Leuten darauf angesprochen. Ich glaube, das mit dem Studio war auch das klügste, was wir machen können. Natürlich, wir hätten uns von dem Geld einen bekannten Produzenten in ein renommiertes Studio holen können, aber dann wäre das Geld futsch gewesen und außer der CD wäre uns nichts geblieben. So aber haben wir die CD und ein Studio.“ In den nächsten Wochen werden POTHEAD wieder verstärkt in den hiesigen Clubs unterwegs sein. Und ich kann jedem nur raten, sich POTHEAD live reinzuziehen, vielleicht sogar eingestimmt durch ein ganzes bestimmtes homoöpathisches Kraut, das immer noch dämonisiert wird. Zu dem haben Brad und Jeff nämlich ein recht inniges Verhältnis, und wer denn POTHEAD live wagt, wird die heftigste Seventies-Psychorock-Experience seines Lebens haben – versprochen. Ich selbst frage mich allerdings, wie ich nach Verlust meiner Langhaarmähne vernünftig abbangen soll. Muss nämlich sein. Ein Rätsel gilt es noch zu lösen, nämlich das der traditionell ländlich wirkenden Covermotiv: „Rumely Oil Pull“ wurde von einem Trekker geziert, „Desiccated Soup“ von Bauernhofprodukten und „Learn To Hypnotize“ wartet mit einer Landgasthofszene auf. „Ich wusste gar nicht, dass Seattle so ein Kuhkaff ist“, hake ich nach. „Ist es auch nicht“, meint Brad. „Vielleicht hängt das damit zusammen, dass Jeff und ich aus richtig kleinen Cowtowns stammen, aber so ganz genau hat er – Jeff macht ja das ganze Artwork – mir das auch noch nicht erklären können.“